Kapitel 5
„Julia?" Besorgt drückte ich die Hand meiner besten Freundin etwas fester. Sie antwortete mir nur sehr leise, nach langem Schweigen und mit zittriger Stimme: „Wenn du wieder zurückkommst...? Ich brauch' dich in Erfurt doch, Ben..." Erschrocken sah ich Julia an: „Sobald!" Besorgt beobachtete ich, wie sich eine Träne in ihren langen Wimpern verfing und schließlich über ihre Wange rollte. „Heyy, Heyy! Julia! Ich komme wieder. Versprochen. Was hast du denn gedacht?" Ich zog meine beste Freundin vorsichtig in meine Arme und strich über den dünnen Pulli den sie anhatte. „Ich... Ich weiß nicht. Ich hab' schon mal..." Julia brach ihr Gestotter, mit dem sie sich verzweifelt zu erklären versuchte ab, als sie auf schluchzte. Doch sie brauchte gar nichts mehr sagen, ich wusste um wen es ging. „Niklas...?" Julia nickte und wischte sich mit dem Handrücken ein paar Tränen von der rechten Wange. Seufzend drückte ich Julia weiter an mich und strich ihr durch die blonden Haare. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie einsam und alleine gelassen Julia sich gerade mit Allem fühlte. Dr. Ahrend mit dem sie Jahre lang, als Team perfekt zusammengearbeitet hat und mit dem sie schließlich auch das Kinderwunschzentrum aufgebaut hatte UND mit dem sie gegen Ende zusammen war, war nun seit mittlerweile über einem Jahr in San Francisco. Eigentlich sollte Julia mitkommen, doch kurz vor knapp hatte sie am Flughafen alles beendet und ist hiergeblieben. Dr. Ahrend zum Bedauern aller nicht. Seither hatte ich Julia eigentlich nie mehr ein Wort über ihren geliebten Niklas reden hören, bis heute. Jetzt war mir auch klar warum. Dass jetzt all diese Erinnerungen wieder hochkamen, auch das konnte ich gut verstehen. Kurz bevor ich nach Hamburg gegangen war, hatte Julia etwas aufgegeben, was sie wohl immer (noch) mit Niklas verband. Ihr Baby. Das Kinderwunschzentrum. Durch ihre eigene Unfruchtbarkeit, hatte sie es dort einfach nicht mehr ausgehalten. Die ganzen überglücklichen Pärchen, wenn sie nach Jahrelangem zittern, doch endlich ihr eigen Fleisch und Blut in den Armen halten konnten, oder all die am Boden zerstörten Frauen, wenn Julia ihnen sagen musste, dass es ihnen unmöglich war Kinder zu kriegen, das war meiner besten Freundin zu viel und ich konnte das nur zu gut verstehen. Wenn ich daran dachte, dass ich vielleicht, ziemlich sicher, irgendwann einem*r Patient*in ein Körperteil amputieren werden muss, dann lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Julia wäre auf der Gyn nur noch mehr an ihre eigene Diagnose erinnert worden, als man es bei sich selber schon tat.
Es vergingen ein paar Minuten, bis ich wieder etwas von Julia hörte. „Glaubst du... Glaubst du Niklas wäre sauer, wenn er wüsste, dass ich... Das KWZ?" Ich schüttelte energisch mit dem Kopf. „Wenn er wüsste warum, nicht! Nein." Julia nickte und richtete sich wieder auf. Ihre Tränen waren mittlerweile verschwunden. „Und sonst? Wie geht' meiner besten Freundin so?" Julia nickte langsam und fing schließlich auch wieder an zu lächeln. „Es ist nicht einfach, aber ich fange an es zu akzeptieren. Und auf der Arbeit funktioniert jetzt auch alles wieder. Nur mein bester Freund fehlt mir hin und wieder, aber sonst , ich komme klar!" Ich musste Lächeln. ,,Das freut mich! Und all zu Lange ist dein bester Freund ja nicht mehr weg.'' doch dann würde er auf die Frau stoßen, mit der er gerade nicht umzugehen wusste...
,,Ben, worüber denkst du schon wieder nach? Ist es...'' Ich sah Julia an, dass sie nicht wusste, ob sie das Thema wirklich ansprechen sollte. Sie tat es. ,,...wegen Leyla?'' Seufzend sah ich zu Julia auf, die mich scheinbar mittlerweile wirklich zu gut kannte. Auch über Julias Lippen kam ein leiser Seufzer. ,,Ihr Beiden schafft das schon! Ihr liebt euch, Ben...'' Ich nickte. ,,Du bist nicht die Erste die das heute zu mir sagt, aber ich sag es jetzt auch dir: Manchmal reicht es nicht zu lieben... Das weißt du, nur zu gut.'' Dieses mal nickte Julia. In ihren rehbraunen Augen sah ich den Schmerz, den sie immer noch damit verband das wollte ich nicht, doch nur so hatte ich eine Chance auf ihr Verständnis, wenn ich dieses nicht schon längst besaß. Julia blieb eine Weile still, schien ihre nächsten Worte gezielt zu wählen, bevor sie, sie aussprach: ,,Liebe alleine reicht nicht immer... Ben...'' Julia seufzte niedergeschlagen. „Das weiß ich. Aber kennst du das Sprichwort, "Liebe überwindet Grenzen"? Nicht jede schafft das. Manche gehen mit dem Ziel Grenzen zu überwinden kaputt. Leyla und du... Ich kann und will dir nicht sagen, dass alles gut wird, aber ich weiß das ihr Zwei das schaffen könnt!" Meine beste Freundin lächelte mich vorsichtig an. Nochmal überlegte sie kurz, bevor sie leise 5 Sätze sprach, die in mir einen Schalter umzulegen schienen, auch wenn es mir in dem Moment noch nicht klar wurde: „Ihr seid Ben und Leyla. Beyla. Ihr gehört einfach zusammen. Leyla leidet in Erfurt ohne dich, genauso sehr wie du hier, Ben. Ihr braucht euch!" Ich sprach nun genauso leise wie Julia. Es ging gerade einfach nicht anders. „Ich weiß... Aber irgendwie auch nicht..." Ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen. Meine Gedanken verwirrten mir selbst schon so unfassbar, wie sollte ich sie Julia erklären. Um einiges lauter, sprach ich nach kurzem Ordnung schaffen weiter. Erstmal der Brief, alles weitere würde sich bestimmt irgendwie ergeben. „Leyla hat mir einen Brief geschrieben..."Ich stand schnell auf, um den Brief aus seinem "Versteck" zu hohlen. Fast hätte ich kurz, aufgrund des plötzlichen Belastens meines rechten Beines, gestockt, konnte es im letzten Moment aber noch verhindern. Dass meine Prothese mir gerade schon wieder zu schaffen machte, musste sie ja nicht auch noch wissen. Zumal ich mir sicher war, dass es nichts körperliches, sondern an meiner momentanen "psychischen Verfassung" hing.
Ich ließ Leylas Brief, in Julias Hände fallen. „Les', ihn einfach", war das einzige, was ich dazu sagen konnte und wollte. Es war so besser. Für mich. Für sie. Für alle. Fast fünfzehn Minuten blieb es daraufhin still, dann legte Julia Leylas Brief wieder auf die Seite. Sie ist meiner Aufforderung still nachgekommen und dafür war ich ihr unfassbar dankbar. Julia sah mich schief von der Seite an. Ich war gespannt, auf das Erste was sie dazu sagen würde, da es eben das Erste war. Der erste Eindruck ist meistens auch der Ehrlichste dem Anderen gegenüber. „Er wirkt sehr ehrlich!" Vier Worten denen ich nur zustimmen konnte. „Ich weiß..." Meine beste Freundin seufzte und schüttelte mit dem Kopf. „Wo ist dann das Problem?" Unser beider Stimmen war wieder leise geworden. „Leyla sagt, sie liebt dich! NUR dich! Leyla scheint verstanden zu haben, was die ganzen letzten Monate passiert ist. Und Leyla scheint alles daran zu setzen, sich mit dir zu vertragen! Ben!?" Julia sprang auf. Sie war nicht wütend, aber ganz ruhig auch nicht mehr, doch ihre Worte taten, obwohl sie so "wirsch" waren Wunder. Ich fing an zu verstehen. Leyla liebte mich. Sie hatte angefangen für mich zu kämpfen. Um uns zu kämpfen und wenn wir, ihr genauso wichtig waren wie mir, dann konnten wir das, was unsere Beziehung fast zerstört hätte, vielleicht doch noch irgendwie besiegen und auf Dauer verbannen. So etwas sollte nicht wieder passieren, auch wenn ich mir sicher war, dass ich dafür etwas auf Leylas Brief entgegnen musste, um ihr zu zeigen, dass es mir auch wichtig war. Das war, aber so eine Sache. Was?! „Wenn ich von Niklas auch nur einen so einen Brief bekommen hätte, dann... Ben, dann wäre er wahrscheinlich wieder hier! Aber, das habe ich nicht! Seit dem Tag seiner Abreise, ist komplette Funkstille zwischen uns. Keine Nachricht, kein Anruf und erst Recht kein Brief! Wir leben unser leben, als hätte es den anderen nie gegeben! Leyla kämpft um dich! Das hast du dir doch die ganze Zeit gewünscht. Dass sie dir zeigt, dass du, ihr wichtig bist und das auch sie versteht!"
In dem Moment in dem ich etwas erwidern wollte, gab mein Handy mir mit einem >>Pling<< zu verstehen, dass soeben eine Nachricht eingetroffen war. Zögernd, ob es jetzt so wichtig war und ob gerade der richtige Zeitpunkt, um darauf zu schauen war, sah ich zu Julia auf. ,,Vielleicht ist sie von Leyla. Schau' ruhig! Ich lauf' dir nicht weg.'' Julia grinste mich keck an und ließ sich dann wieder auf die Couch fallen. Entweder ihre Stimmung wechselte gerade wirklich minütlich oder sie hatte gemerkt, dass ihre Worte, in meiner ganzen Einstellung zu Leyla und zu unserer Situation geändert hattenen. Das sie mit all ihren Worten seit sie hier ist, das sie mir mit ihnen so unfassbar geholfen hatte. Schon jetzt. ,,Ben ?! Die Nachricht.'' Julia riss mich immer noch grinsend aus meinen Gedanken. Wie automatisiert griff ich nach meinen Handy, machte es an und entsperrte es. Sofort fiel mir auf von wem die Nachricht war... Leyla...
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