Kapitel 2
,,Ich muss jetzt in den OP. Danke nochmal.'' Ich wollte auf einmal einfach nur weg, mir überlegen was ich mit diesem Brief jetzt genau aufstellen wollte, doch ich musste in den OP. Einerseits ärgerte ich mich unfassbar über diese Tatsache, andererseits hatte ich so zumindest ein paar Minuten um durchzuatmen. Mit ein wenig Glück sogar abzuschalten. Aus dem Hurrikan meiner Gefühle zu fliehen. Ich gab meinen Vater nicht mal mehr die Chance zu antworten, schon war ich auf dem Weg in Richtung OP. Ich fühlte mich immer noch total zittrig; ich war es auch. Die gute Laune von vorher war verflogen und an ihrer Stelle spürte ich immer noch meinen rasenden Puls. Ich musste mich zumindest für den OP gleich beruhigen. Aber vorher musste ich den Brief von Leyla noch irgendwo verstauen. Kurzerhand entschied ich mich dafür ihn in "meinen" Spind zu bringen. Er lag zum einem auf dem Weg und zum andern war er dort wohl am ehesten von den neugierigen Nasen aller anderen geschützt, während ich nicht da war. Als ich in dem Raum mit den Spinden ankam, lief ich zielsicher auf "meinen" zu. An sich hatte dieser Raum einige Ähnlichkeiten wie unser Umkleideraum im JTK. Hier gab es einige Spinde mehr und auch die Sitzbänke waren etwas anders platziert, aber sonst sah es dem im JTK zum verwechseln ähnlich.
Als ich die Tür zu meinem Spind öffnete Sprang mir sofort das Bild von Leyla und Raya ins Auge welches ich trotz allem an die Tür-Innenseite des Spindes gehängt hatte. Vorsichtig strich ich über es und musste seufzen. Ach Leyla.... Ich sah auf den Brief herunter. Ob es wichtig war, was sie mir so dringend sagen wollte? Zögernd trat ich einen Schritt nach hinten, bis ich gegen einer der kleine Bänke stoß. Langsam ließ ich mich auf sie fallen und drehte den Briefumschlag in meinen Händen hin und her. Ich war hin und hergerissen zwischen der Tatsache, dass ich langsam wirklich dringend in den OP musste und der, das dieser Brief von Leyla war. Ich war neugierig. Na Klar, ich liebte Leyla schließlich trotz allem. Durch Leyla hatte ich vieles gelernt, aber besonders wohl auch, dass Gefühle zu manchen Menschen sich nicht einfach abschalten oder erzwingen ließen. Auch der Kuss mit Martin und die Wochen davor änderten daran nichts. Gleichzeitig hatte ich auch wieder Angst vor dem was sich hinter dem schützenden Briefumschlag, als eigentlicher Brief enttarnte. Es gab nur eine Möglichkeit das herauszufinden. Ich warf einen schnellen Blick auf die Uhr. Ein paar Minuten hatte ich wohl noch. Innerlich schickte ich noch einen Stoßgebet in den Himmel, bevor ich also wirklich vorsichtig den Brief von Leyla öffnete. Erst währenddessen merkte ich wie nervös und aufgeregt ich eigentlich war. Mein Herz schlug mir immer noch bis zum Hals und meine Hände waren weiterhin schwitzig und zittrig. Ich atmete nochmal tief durch, um mich etwas zu beruhigen, dann entfaltete ich das Papier. Den Briefumschlag legte ich hinter mir auf den Tisch. Vorsichtig drehte ich das Papier, aus dem Inneren des Briefumschlag in meinen Händen, dabei bemerkte ich das Leyla nicht nur 1 Papier sondern 2 Papiere mit 2 Vorder und 1 1/2 Rückseiten beschrieben hatte. Leylas Schrift war mir so vertraut, dass mir schon beim groben drüber sehen einige Wörter ins Auge fielen. An einigen Stellen fing ich daraufhin schon an weitere Sätze zu lesen, doch meist fiel mir dann wieder etwas ins anderes ins Auge, wo ich auch wieder weiter lesen wollte.
Das ganze ging ein paar Minuten so weiter, dann drehte ich das erste Papier so zu mir, dass ich "normal" anfangen konnte zu lesen, sonst würde ich wohl nie fertig werden. "Lieber Ben, Es ist mitten in (...) Deiner Mutter wirst du das erste Mal seit unserem Unfall begegnet sein." Ich schrak hoch. Meine Mutter, ich musste in den OP. Ich hatte kaum Zeit mir Gedanken über den Brief von Leyla zu machen, viel zu schnell legte ich ihn in meinen Spind und hetzte dann in den OP. Hoffentlich kam ich nicht zu spät! Ich hatte mir nicht viel vorgenommen für die Zeit in Hamburg, aber wenn ich eins nicht wollte, dann war es meine Eltern (schon wieder) zu enttäuschen. Dazu zählte auch nicht zu spät zu kommen.
Als ich keine 2 Minuten später in den OP-Waschraum kam, stande meine Mutter wie erwartet schon da. ,,Ich... Tut mir leid. Bin ich zu spät?'' Meine Mutter drehte sich um, als sie meine Stimme, viel mehr mein unsicheres Gestotter vernahm. Sie lächelte und meinte liebevoll: ,,Nein. Nein. Wenn Du jetzt da bist nicht.'' Ich nickte erleichtert. Körperlich war ich jetzt auf jeden Fall anwesend. Doch aus meinem Kopf wollte und wollte Leylas Brief nicht verschwinden. Ich wollte wissen was sie noch geschrieben hatte und ich fragte mich woher sie das mit den Zweifeln wusste. Besonders dieser Teil ließ mich einfach nicht los. Leyla war meine Frau, meine Freundin, doch das sie davon etwas mitbekam war so nicht gewollt. Ich sollte nicht merken wenn ich zweifelte, weil Leyla es nicht verstand. Für sie war meine Prothese nichts über das man sich noch großartig Gedanken machen musste. Sie nahm es so hin. Sie akzeptierte es. Und größten Teils, meistens, konnte ich das auch, ich gab mir zumindest große Mühe, doch es gab immer noch die Tage an denen es schwer war und es nicht funktionieren wollte. An denen ich meine Prothese am liebsten auf den Mond schießen würde und ich am liebsten alles hinwerfen würde. An dem Tag meiner zweiten (versagten!) Facharztprüfung war so ein Tag. Ich hatte ich sogar überlegt einfach aufzuhören. Ich fühlte mich so klein. Wie ein ewiger Versager. Ich hatte das Gefühl gehabt, ich könne Leyla nichts bieten. Eine Prothese, zwei versagte Facharzt Prüfungen. Und sie selbst flog durch alle Lüfte. Also wer weiß, vielleicht hatte ich damals sogar Recht. So richtig das Gefühl, dass ich ihr etwas bieten konnte, hatte ich nähmlich noch immer nicht.
,,Ben? Kommst du?'' Meine Mutter stande mittlerweile mit Maske an der Tür in den OP, trotzdem sah ich ihr Lächeln unter ihr vor mir. Manchmal war es immer noch schwer zu glauben, doch seit ich hier war, gab sie sich wirklich Mühe. Sie hatte gefühlt immer ein Auge auf mich und merkte sofort wenn ich gedanklich in anderen Galaxien schwebte und um ehrlich zu sein kam das nicht mal selten vor. Ich nickte schnell "trocknete" meine Hände und kam dann zu ihr. In dem Moment in dem wir beide durch die Tür in den OP gingen fragte meine Mutter leise: ,,Alles okay, bei Dir?'' Erneut nickte ich. Jetzt gerade war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt um mit ihr darüber zu reden. Vielleicht würde sich da nachher eine andere, bessere Gelegenheit geben.
Die nächsten Stunden verliefen eigentlich ereignislos. Ich war zusammen mit meiner Mutter im OP und schaffte es erstaunlicher- und dankender-Weise ziemlich gut mich auf diese zu konzentrieren. Im Hinterkopf hatte ich Leylas Brief, sowie sie und Raya schon seit Hamburg, immer noch, doch ich hatte wohl gelernt diese Dinge in meinem Kopf auf "später" oder "jetzt unwichtig" zu schieben. Erst in der Mittagspause kam ich dann endlich dazu den Brief von Leyla fertig zu lesen.
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