Kapitel 2: Erster Morgen

Am nächsten Morgen wurde ich vom Klingeln eines Wecker geweckt. Verschlafen schlug ich die Augen auf, blieb aber liegen, um herauszufinden, wer aufstand. Suzume kletterte herunter und bemerkte wohl, dass ich wach war. Namiko, die unter ihr schlief, schien immernoch zu schlafen und Ayame... Das konnte ich nicht sagen. Suzume kam auf mich zu und kniete sich vor mich.

"Guten Morgen", flüsterte sie, "Schlaf ruhig weiter, ich muss jetzt arbeiten." Mit diesen Worten stand sie wieder auf und verließ den Raum.

Ich drehte mich um, konnte aber nicht mehr einschlafen, da ich mich nicht müde fühlte. Ich drehte drehte mich auf den Rücken und starrte die Balken über mir an. Ein Jahr würde ich jetzt hier verbringen. Hoffentlich wurde es eine schöne Zeit und hoffentlich lernte ich viel. Nach einer Weile setzte ich mich schließlich doch auf. Der Boden war unter meinen nackten Füßen kalt und ich zuckte zusammen. Schnell suchte ich mit den Augen meine Hausschuhe und schlüpfte schnell hinein, als ich sie fand. Leise stand ich auf und drehte mich um. Ayame schlief noch. Auf dem Flur begegnete ich Suzume, die mich überrascht anschaute.

"Ich kann nicht mehr schlafen", erklärte ich.

"Oh, das tut mir leid", entschuldigte sie sich aufrichtig und kam auf mich zu, um leiser sprechen zu können.

"Ist nicht deine Schuld. Und selbst wenn, wäre es nicht so schlimm", erwiderte ich.

"Ich bin nächstes Mal einfach leiser, okay?"

"Ja, tu das", lächelte ich sie an.

Sie schwieg kurz. "Die anderen stehen erst um acht auf und ich muss in 15 Minuten los. Dann bist du drei Stunden alleine", meinte sie. "Meinst du, du kommst klar?"

"Ja, ich denke schon. Wie viel Uhr ist es eigentlich?" Schon wieder diese Frage. Aber diesmal hätte ich auf die Uhr im Schlafzimmer schauen können, als ich aus dem rausgegangen war.

"Halb fünf", antwortete Suzume. Ihre schwarzen Augen sahen wach aus, aber ich war mir sicher, dass sie gerne länger geschlafen hätte. Bevor ich noch etwas sagen konnte, ergriff sie das Wort: "Ich teile mein Spiegelei mit dir, wenn du dich jetzt umziehst", grinste sie mich an, drehte sich um und verschwand in der Küche.

Sehr witzig, als ob ich das so schnell schaffte, aber die Herausforderung nahm ich an. Ich ging zurück ins Schlafzimmer und zog mich einfach dort so schnell wie möglich um - die anderen schliefen schließlich noch. Eine Minute später stand ich in der Küchentür. Suzume kratzte ihr Frühstück bereits aus der Pfanne.

"Besser?", scherzte ich.

"Ja, nimm einfach den Teller da", meinte Suzume nur und zeigte auf einen Teller, der auf der Spüle stand. Sie scheint gewusst zu haben, dass ich schnell genug wäre, allerdings wollte ich ihr auch nicht ihr Frühstück wegnehmen.

"Nein, das geht schon, ich mach' mir nachher was", winkte ich ab.

"Es ist nicht mehr viel da, wir müssen heute einkaufen. Außerdem bist du bestimmt hungrig und ich kann ja an der Arbeit was essen", meinte sie. Gerade als ich den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, fuhr sie dazwischen: "Keine Wiederrede! Es macht mir wirklich nichts aus."

"Na gut", gab ich dann doch nach und nahm besagten Teller. Suzume teilte das Ei einmal in der Mitte und reichte mir dann Messer und Gabel.

"Das sollte einfacher für dich sein", bemerkte sie.

Ich nickte. Wir gingen ins Wohnzimmer. Das Wohnzimmer war einfach aber doch schön eingerichtet. Es gab eine Couch und zwei Sessel, beides Stoff und schwarz, davor einen kleinen Wohnzimmertisch mit ovaler Glasplatte, einen kleinen Flachbildfernseher an der Wand, ein kleines Bücherregal und ein normaler Schrank. Auf dem Boden lag beiger Teppich, der das Fell eines Lamms hätte sein können. Die Wände waren tapeziert. Die Wand, an der der Fernseher hing, zeigte eine Galaxie in der sich aus dem blauen, violetten und weißen Licht ein Wolfskopf bildete. Die restlichen Wände gaben einem das Gefühl auf Steine zu schauen. Die weißen, beinahe tränenförmigen Flächen, die völlig unwillkürlich verteilt zu sein schienen wirkten auf dem dunkelgrauen Untergrund wie hunderte vergrößerte Kiesel, die fotografiert und dann auf diese Tapete gedruckt wurden. Aber dem war nicht so, das wusste ich. Bei genauerem Hinsehen konnte man erkennen, dass das es nur ein Muster war, dass am Computer erstellt wurde und dann auf die Tapete gedruckt wurde. Mein Blick fiel auf den Wohnzimmertisch. Er war überraschend aufgeräumt. Es stand nur eine halb abgebrannte Kerze darauf, um die ein Notizblock und ein paar Stifte verteilt lagen. Bei mir war der Tisch immer so voll, dass ich regelrecht wühlen musste, um etwas zu finden. Das würde ich auf jeden Fall ändern, wenn ich wieder zurück war.

Suzume hatte meinen Blick wohl bemerkt, denn sie erklärte mir auch gleich den Grund dafür, dass dort fast nichts lag. "Wir haben uns darauf geeinigt unsere Sachen dorthin zurückzulegen, wo sie hingehören. Vieles teilen wir hier zwar, aber das, was wir nicht teilen, ist in den untersten Schubladen von dem Schrank dort", sie zeigte auf den dunkelbraunen Schrank, den ich vorhin schon gesehen hatte. Vier Schubladen. Mit drei würde der Schrank aber auch unsymetrisch aussehen. "Du kannst gerne die links oben benutzen, während du hier bist", meinte Suzume und setzte sich hin.

Ich folgte ihr an den Tisch. Er war aus Holz, rechteckig und es standen vier Stühle darum. Einer stand sicher immer dort, damit der Tisch dekorativer wirkte. Es lag keine Tischdecke darauf.

"Wie gefällt es dir? In Tokyo meine ich", fragte Suzume nach einer Weile unvermittelt.

"Ganz gut", schmunzelte ich, da ich mich ja bereits verlaufen hatte, meinte es aber ernst. Dafür dass Tokyo so groß war, gefiel mir die Stadt.

"Das ist schön", lächelte sie und steckte sich das letzte Stück ihres Eis in den Mund. "Ich muss los, bin spät dran", sagte sie dann, stand auf und ließ mich mit meinem Frühstück allein.

Ich wollte ihr ein 'Ja, bis später' hinterherrufen, aber das hätte Ayame und Namiko aufgeweckt, also ließ ich es und aß mein Ei einfach auf. Gerade als ich mir das letzte Stück davon in den Mund steckte, hörte ich die Tür ins Schloss fallen. Wann kam sie eigentlich zurück? Das hatte ich gar nicht gefragt. Ich würde es schon mitbekommen. Oder ich frage nachher einfach die anderen. Zeit hatte ich jetzt jedenfalls genug. Mal sehen, was ich damit anfangen konnte, aber erstmal brachte ich den Teller in die Küche. Nachdem ich ihn auf der Spüle abgestellt hatte, kam mir in den Sinn, den Abwasch zu erledigen. Dann fiel mein Blick auf eine Packung Tee, welche auf dem Boden lag. Als ich sie aufhob, um sie zurück zu stellen, fiel mir auf, dass sie leer war. Gut, dann wanderte sie eben in den Müll. Ich ging zum Mülleimer und öffnete ihn. Voll. Ernsthaft? Aber was sollte es? Müll rausbringen konnte ich schließlich noch. Ich stopfte die Teepackung noch mit hinein, nahm den Sack heraus, knotete ihn oben zu und ging dann raus. Vorher allerdings griff ich nach einem der Schlüssel, die an einem Brett nicht weit von der Wohnungstür hingen, schließlich wollte ich mich ja nicht aussperren. Da fiel mir auf, dass an dem Brett zwei Schlüsselbünde und ein einzelner Schlüssel hingen. Auf dem dreibeinigen schwarzen Tisch unter dem Brett fiel mir ein Zettel auf, da er das einzige Stück Papier darauf war und weil mein Name darauf auszumachen war - er war das einzige, das nicht auf Japanisch draufstand. Ich nahm ihn und las. Um fünf Uhr morgens die japanische Schrifft zu lesen, war nicht so einfach, aber ich strengte mich an und schaffte es schließlich.

"Das ist dein Schlüssel, Klara. Verlier ihn nicht.
Ayame"

Sie überließen mir einen Schlüssel? Das hätte ich nicht gedacht, aber ich nahm ihn ab und machte mir die Mühe, zurück ins Schlafzimmer zu gehen und ihn an meinem Schlüsselbund zu befestigen, welchen ich in einer Innentasche meines Koffers verstaut hatte. Ich kannte mich; wenn ich das nicht tat, würde ich ihn definitiv verlieren. Danach machte ich mich auf den Weg zur Tür Leise schloss ich die diese hinter mir und bemerkte gleich darauf, dass ich nicht die einzige Person war, die gerade die Wohnung verließ. Mit diesem anderen Jemand stieß ich nämlich zusammen, da ich den Blick im Gehen erst nach vorne richtete.

"Entschuldigung", meinte ich und schaute zu der Person auf. Plötzlich traute ich meinen Augen nicht.

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