Kapitel 14: Da lässt man sie eine Stunde allein
Es war bereits eine Woche her, dass ich Munakata-san zum ersten Mal besucht hatte. Seitdem war ich fast jeden Tag im Krankenhaus und wir stellten fest, dass wir uns sehr gut verstanden. Einerseits freute mich das natürlich aber andererseits hatte ich auch Angst davor, mich in einer Stadt zu verlieben, die ich in einem Jahr sowieso wieder verlassen würde. Und dann war da noch dieses seltsame Gefühl, dass mich doch etwas mit dieser Stadt verband. Ich hatte es zum ersten Mal letzten Donnerstag an der U-Bahn-Station gespürt, als ich vom Krankenhaus kam und auf die Bahn wartete. Es war seltsam, denn vorher hatte ich nie so etwas an diesem Ort gespürt. Vielleicht war ich vorher auch nur viermal dort, aber trotzdem. Mittlerweile vermutete ich, dass es einer der vielen Menschen dort war. Naja, nicht wirklich besser. Doch wenn ich was rausfinden wollte, musste ich diese Person finden. Und das unter den hunderten, die dort waren und vielleicht schon gar nicht mehr in Tokyo waren. Das war einfach unmöglich, deshalb versuchte ich es erst gar nicht. Wahrscheinlich hätte ich es als auch als Unsinn und Einbildung abgetan, aber dann fiel mir ein, wie Benzai-san bei unserer ersten Begegnung meinte, ich könnte als seine Schwester durchgehen. Das war nun mein Grund, alleine zum Tsubaki-mon zu fahren, zu warten, bis er auftauchte und ihn dazu auszufragen. Natürlich wusste ich, wie bescheuert die Idee war, aber wenn ich nun mal etwas wissen wollte. Munakata-san hatte mir sowieso schon gesagt, dass ich heute nicht kommen sollte - warum auch immer.
Ich stieg aus und legte die 15 Minuten Fußmarsch zurück. Naja, mit Krücken 20 Minuten. Zu meiner Überraschung war das Tor offen und im Hof standen in kleinen Gruppen Uniformierte. Vorsichtig schaute ich durch den Zaun und suchte Benzai-san.
"Suchen Sie jemanden?", ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir und ich sprang vor Schreck fast an den Zaun.
Hinter mir stand Awashima-san. "Schleichen Sie sich doch nicht so an", erwiderte ich und versuchte, mich zu beruhigen.
Die blonde Frau lächelte. "Entschuldigung, das war keine Absicht."
"Ich weiß", antwortete ich. "Und ja, ich suche jemanden", beantwortete ich ihre Frage langsam. "Ist Benzai-san hier?"
"Ja, was gibt es denn?", fragte sie verwirrt zurück. Da wusste wohl jemand, dass wir uns kaum kannten.
"Ich möchte ihn etwas fragen. Darf ich ihn sprechen?"
Ihr Lächeln wurde breiter. "Sicher doch. Warten Sie bitte hier."
Ich schaute ihr hinterher, als sie ging. Was dachte sie gerade? Hoffentlich nichts Falsches. Kurze Zeit später kam Benzai-san auch schon zu ihr.
"Ist was passiert?", erkundigte er sich. Damit meinte er aber ganz klar nicht meine Krücken, scheißlich war er genau wie Awashima-san dabei gewesen, als ich die Treppe runtergefallen bin.
"Nicht direkt. Es ist nur..." Was tat ich eigentlich gerade. Ich musste mich zusammenreißen! "Also, wie geht's dir?"
Er atmete aus. Es war etwas zwischen seufzen und stöhnen, wahrscheinlich weil ich ihn störte. "Gut. Kommen Sie bitte zum Thema", antwortete mit einem fordernden Unterton.
"Mich beschäftigt etwas", redete ich einfach drauflos. "Erinnern Sie sich daran, dass jemand bei unserer ersten Begegnung gemeint hat, dass ich als Ihre Schwester durchgehen könnte?"
"Ja, und?"
Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen. "Könnte es sein, dass wir irgendwie verwandt sind?", fragte ich gerade heraus und hoffte, nicht dämlich rüberzukommen. Aber das war eigentlich unvermeidlich.
Benzai-san warf einen Blick auf die anderen. Ein paar beobachteten uns mehr oder weniger auffällig. "Keine Ahnung. Können wir das wann anders besprechen?"
"Ja. Wann?"
Er griff in seine Hosentasche, holte einen Notizblock und einen Stift raus und begann, etwas aufzuschreiben. Dann reichte er mir den Zettel. "Ruf mich an. Heute Abend um zehn Uhr, okay?"
"Okay", antwortete ich bloß.
Der Braunhaarige nickte und machte sich auf den Weg zurück. Erst als er zwischen den anderen nicht mehr zu sehen war, warf ich einen Blick auf den Zettel. Die Handschrift war ordentlich und er schrieb gerade, obwohl das Papier nicht liniert war und er schnell geschrieben hatte. Ich faltete das Blatt und steckte es in die Hosentasche. Dann machte ich kehrt und fragte mich, was ich hier eigentlich tat. Hatte meine Mutter mir nicht von Verwandten in Japan erzählt? Hoffentlich stand ich am Ende nicht wie ein Idiot da. Aber andererseits schien es ihn auch zu interessieren, oder? Sonst würde er nicht reden wollen.
Als ich wieder zu hause war, fand ich dort Ayame und Namiko vor, die ich schon von draußen rufen hören konnte. Doch den Grund verstand ich erst, als ich das Wohnzimmer betrat.
"Wie ist der denn hier rein gekommen?" Ich schaute Namiko an, die gerade das Fenster schloss. Dann sah ich zu Ayame, die mit einem grünen Papagei auf dem Boden saß. Der Vogel leistete Widerstand; schlug wild mit den Flügeln, schrie und versuchte, Ayame zu beißen.
"Ich habe keine Ahnung, was in den gefahren ist, aber er kam mit voller Geschwindigkeit durch das Fenster hier geflogen, ist mit einem Flügel gegen die Tür und dann im Flur abgestürzt. Jetzt will er wieder hier raus, aber ich glaube, einer der Flügel ist gebrochen. Die Haltung ist jedenfalls unnatürlich", erklärte Namiko.
"Wenn's der rechte ist, kenne ich noch wen", rutschte es mir raus. "Entschuldigung. Soll ich helfen?"
"Ruf den Tierarzt, Klara! Namiko, bring schonmal Pflaster! Nur für den Fall, dass der Kleine hier mich - Au!" Ayame ließ los, woraufhin der Vogel auf den Tisch sprang und von dort aus Namiko attackierte.
"Ayame!", rief sie panisch.
"Halt durch, ich komme." Gerade als Ayame bei ihr war, klingelte es an der Tür. "Geh du, Klara!", rief meine alte Freundin mir zu.
"Wird gemacht", sagte ich dazu bloß und ließ die beiden zurück. Schlimmer geht es nicht, oder?, dachte ich, als ich durch den Türspion schaute. Munakata-san. Was machte er hier? Einfach da stehen lassen konnte ich ihn jedenfalls nicht. Vorsichtig öffnete ich die Tür und lugte nach draußen. Er trug wieder die graue Jacke, die er bei unserer ersten Begegnung auch anhatte. Allerdings hatte er diesmal auch sein Schwert dabei, musste es aber in der Hand halten, da er es nicht an seinem Gürtel befestigen konnte. Sein rechter Arm war selbstverständlich immernoch eingegipst. "Hi", begrüßte ich ihn.
"Hallo. Alles in Ordnung bei euch?", erkundigte er sich.
"Halt ihn fest, verdammt!", "Versuch ich doch!", kam es aus dem Hintergrund. Dazu das Geschrei von dem Papagei.
"Was ist da los?" Munakata-san schaute über meine Schulter, aber natürlich konnte er das Wohnzimmer nicht sehen.
"Alles okay. Der normale Wahnsinn. Nur etwas ausgeprägter als sonst." Ich lächelte ihn an und hoffte, der Vogel blieb im Wohnzimmer.
Munakata-san zog eine Augenbraue hoch. "Habt ihr einen Vogel da drin?", fragte er verwundert.
"Ja. Ein widerspenstiger Piepmatz."
"Aua!", schrie Namiko.
"Soll ich euch helfen?", fragte Munakata-san plötzlich.
"Danke, nicht nötig, ich denke nicht, dass - " Bevor ich fertig war, klirrte etwas. Kurz darauf schrie Ayame auf.
"Lass mich vorbei", meinte er jetzt nur noch und schob mich zur Seite.
"H-hey! Warte!", rief ich ihm hinterher. Toll. Schnell schloss ich die Tür und hetzte hinterher.
Im Wohnzimmer sah es aus als hätte eine Bombe eingeschlagen. Der Wohnzimmertisch war abgeräumt, die Gläser umgekippt, sodass der Inhalt sich auf der Tischplatte verteilte und runterlief, und das Fenster war... eingeschlagen. Die Scherben verteilten sich auf dem Boden. Zwischen dem Chaos liefen meine beiden Freundinnen und der Papagei umher und versuchten, die Angriffe eines Weißkopfseeadlers abzuwehren. Was machte so einer bitte hier?! Das wurde ja immer verrückter. Doch bevor auch nur einer von uns irgendwas tun konnte, kam der Papagei an uns vorbeigerast und verschwand mit erstaunlicher Geschwindigkeit ins Schlafzimmer.
"Klara!", warnte mich Ayame.
Sofort schaute ich wieder auf und bemerkte, dass der Greifvogel direkt auf mich zuraste. Reflexartig sprang ich zur Seite, ließ dabei die Krücken fallen und krachte in Munakata-san. Er musste mich auffangen und wir landeten am Türrahmen. Ehrlich gesagt, war das besser als der Boden. Aber der Vogel hatte es jetzt wohl auf ihn abgesehen. Mit rechts schirmte Munakata-san uns gegen den Angreifer ab, bis ich mich verdrückt hatte. Der Gips war doch zu was zu gebrauchen, aber weh tat der Arm wahrscheinlich doch. Als ich im Flur stand, holte er mit der Schwertschneide, die nun blau leuchtete, nach dem Vogel aus und schmetterte ihn an die gegenüberliegende Wand. Zuerst starrten alle den Adler an, dann warfen wir fragende Blicke auf Munakata-san, der sich die Brille hochschob.
"Soll ich den Papagei einfangen oder einen Käfig rüberholen?", wollte er wissen.
"Käfig", sagte ich nur.
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Wer will das nächste Kapitel noch vor dem 13.6.?
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