Kapitel 13: Besuch im Krankenhaus

Es war bereits Sonntag, als ich mich auf Krücken aus dem Aufzug schleppte. Mein Fuß war gar nicht so schlimm gewesen, aber ich musste das Schild mit der Aufschrift >Vorsicht, Rutschgefahr< an der Treppe gestern ja ignorieren. Somit landete ich statt bei Munakata-san erstmal beim Röntgen.

Nachdem er eingeliefert wurde, hatten wir - ein Teil seiner Kollegen, meine Freundinnen und ich - gewartet, bis die Ärzte mit ihm fertig waren. Wir hatten im zweiten Stock gewartet, bis einer der anderen Ärzte uns runter schickte, aber auf dem Weg nach unten musste ich dann natürlich ausrutschen und die gesamte Treppe runterrollen oder -schlittern - was auch immer. Nun war ich in einer Woche zwei Mal die Treppe runtergefallen und konnte es nicht glauben, dass ich eine Schlägerei mit einem leicht verstauchten Fuß und blauen Flecken überstanden hatte, während ich mir später im Krankenhaus das Bein gebrochen hatte. Von meinen neu aufgeschlagenen Knien und Ellenbögen ganz abgesehen. Das Pech mochte mich wohl wirklich.

Ich freute mich schon auf seine Reaktion. Naja, eigentlich nicht so. Scheißlich bezweifelte ich, dass er nicht wusste, was ich gemacht hatte. Vor allem nicht, nachdem die blonde Frau mir ausgerichtet hatte, dass er mich gerne sehen würde. Awashima Seri, seine Stellvertreterin. Sie hatte mir gestern Abend tatsächlich eine Standpauke gehalten. Benzai-san, der gerade neben uns stand, als ich losgerannt war, hatte später Ayame, Suzume und Namiko bei der zweiten Standpauke geholfen. Hoffentlich folgte nun keine dritte. Aber es half ja nichts und änderte auch nichts daran, dass ich durch den Flur humpelte und nach der Tür mit der Aufschrift >153< Ausschau hielt. Normalerweise wäre es mir ein Rätsel gewesen, dass ich überhaupt zu ihm durfte, aber anscheinend hatte er dem Personal gesagt, dass er mich sehen wollte. Davon abgesehen, dass in diesem Krankenhaus viel mehr und vor allem modernere Technologie verwendet wurde als zu Hause, war das hier ein normales Krankenhaus. Weiße Wände und weiße Türen mit schwarzer Schrift darauf für die Zimmernummer.

"153", murmelte ich schließlich. Das war die Tür. Ich atmete einmal tief durch und drückte dann die Klinke runter. Es war umständlich ohne Hilfe mit zwei Krücken durch die Tür zu kommen ohne wie ein Idiot auszusehen. Doch ich schaffte es.

Der Raum war zweifarbig gestrichen. Die obere Hälfte der Wand war weiß, die untere hellblau. Die Vorhänge waren grau-blau und aufgezogen. In dem Bett mit weißer Decke saß Munakata-san und schaute aus dem Fenster. Ganz offensichtlich war sein Arm gebrochen.

"Setzen Sie sich", wies er mich an.

Vielleicht hätte er mich auch bitten können? Egal, ich machte es einfach und setzte mich auf den Holzstuhl neben dem Bett. Dass es hier überhaupt einen Holzstuhl gab, wunderte mich, weil er nicht ganz hier hinein passte. Meine Krücken lehnte ich an dem Stuhl an. Gerade als ich wieder aufschaute, richtete er seinen Blick auf mich. In dem Moment, in dem sich unsere Augen trafen, lief mir ein Schauer über den Rücken. Ein angenehmer allerdings.

Munakata-sans Augen fielen auf die Krücken und ich konnte eine Abfolge von Überraschung, Besorgnis und 'Ich hätte besser aufpassen sollen' auf seinem Gesicht beobachteten. Dann starrte er die Bettdecke an. "Ich weiß, dass Awashima-san hat Ihnen bereits gesagt hat, wie waghalsig und gefährlich Ihre Aktion gestern war. Deswegen möchte ich mir lange Reden sparen. Nur eins: Machen Sie das nicht noch einmal", sagte er schließlich.

"Tut mir leid", antwortete ich mit gesenktem Blick. Nach einer Weile Stille ergriff ich wieder das Wort: "Darf ich etwas zu meiner Verteidigung sagen?"

Er sah mich an und hob eine Augenbraue. "Und was sollte das sein?"

"Dass ich besser weggekommen bin, als Sie", meinte ich. "Das sollte keine Beleidigung sein, ich respektiere Sie und Ihre Arbeit, wirklich", fügte ich schnell hinzu.

" 'Besser', hm?", meinte er nur. Auf meine Entschuldigung ging er in keinster Weise ein. Also machte es ihm nichts aus? "Und was ist das da?" Er deutete auf meine Krücken.

"Das ist mir erst später passiert", erwiderte ich. Mehr wollte ich dazu auch nicht sagen, schließlich war es einfach zu peinlich.

"Wirklich?"

"Ja."

Er seufzte, lehnte sich zurück und schaute an die gegenüberliegende Wand. "Gut. Aber trotzdem will ich nicht noch so eine Aktion zu Ohren bekommen. Warum haben Sie das eigentlich gemacht?"

Gute Frage. Das wusste ich selber nicht. Schließlich zuckte ich mit den Schultern. "Ich weiß es nicht. Es war wie eine Reaktion darauf, dass..." Ich zögerte, führte den Satz aber nur gedanklich zu Ende. ...dass Sie verletzt wurden. "Jedenfalls wusste ich nicht, was ich getan habe, bis ich vor dem Kerl stand."

Munakata-san lächelte, als er wieder zu mir sah. "Wollten Sie mich beschützen?", fragte er neugierig.

Diesmal schaute ich weg. Verdammt, er hatte mich durchschaut. Und so schnell! Ich spürte, wie ich rot wurde. "Vielleicht", nuschelte ich. Irgendwie wollte ich ihn nicht anlügen, aber zugeben wollte ich es auch nicht. Naja, hatte ich jetzt aber wohl.

Mein Gegenüber musste lachen und zog somit meinen Blick zurück auf sich. "Das hätte nicht sein müssen, wirklich nicht."

Wie bitte? Hatte er eigentlich eine Vorstellung von seiner Situation auf der Brücke gehabt? Natürlich hatte er Hilfe gebraucht! Und warum wollte er überhaupt alleine gegen die zwei Vandalen kämpfen? Plötzlich sprang ich auf und kam einen Schritt näher und bevor ich wusste, was ich tat, schrie ich ihn an. "Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Sie lagen am Boden! Das hätte auch für Sie ins Auge gehen können!" Erst als ich fertig war und Munakata-sans überraschtes Gesicht sah, realisierte ich, was ich getan hatte. Ich trat einen Schritt zurück und verbeugte mich schnell. "Entschuldigung", sagte ich dabei hastig und blieb unten, weil mir die Situation viel zu unangenehm war.

"Sie... haben ja recht. Ich steckte wirklich ganz schön in der Klemme", gab er schließlich zu und klang überhaupt nicht beleidigt oder so etwas. Seine Stimme war ruhig. "Wie lange wollen Sie eigentlich noch den Boden anstarren?", erkundigte er sich nach einer Weile. Immernoch stand ich wie versteinert im Zimmer.

" 'tschuldigung", nuschelte ich und setzte mich wieder.

"Bitte hören Sie auf, sich ständig zu entschuldigen", meinte er.

"Ich dachte nur, dass... das vielleicht angebracht ist."

"Ist schon gut." Er lächelte wieder. "Wie geht es Ihnen?", wechselte er das Thema.

"Gut, danke. Und Ihnen?", erwiderte ich.

"Den Umständen nach auch gut", antwortete er mir. "Was machen Sie so den ganzen Tag?"

"Lesen, lernen, mit den anderen spazieren gehen. Sie?"

"Als Vorsteher habe ich nicht sehr viel freie Zeit. Schon gar nicht, wenn so Idioten wie die von gestern unterwegs sind oder Suoh-san mal wieder für Unruhe sorgt."

"Oh", machte ich nur.

"Ich puzzle gerne", sagte er.

"Das mag ich auch. Aber Rätsel mag ich lieber, weil die Puzzleteile da nicht so langweilig sind", antwortete ich lächelnd.

"Das stimmt", pflichtete er mir bei, "allerdings ist es frustrierender, bei einem Rätsel nicht weiterzukommen als bei einem Puzzle nicht weiterzukommen."

"Stimmt auch wieder", musste ich ihm recht geben. "Welches war das größte Puzzle, das sie gemacht haben?", wollte ich nun wissen.

"2000 Teile. Bei dem 3000er hatte ich aufgegeben. Und Ihr größtes?"

"1500 Teile."

"So eins mache ich grade."

"Echt? Welches Motiv?"

"Die Skyline von Shizume City."

"Die habe ich noch gar nicht so richtig gesehen", gab ich zu.

"Nicht?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nur von unten. Bisher war ich leider noch nicht hoch genug oder weit genug weg, um sie zu sehen."

"Verstehe", antwortete er nur.

Ich blieb noch über eine Stunde und wir redeten, bis eine Schwester hereinkam und mich darauf hinwies, dass die Besucherzeit in fünf Minuten vorbei war und sie Munakata-san gerne nochmal untersuchen würde. Erst da bemerkte ich, wie spät es schon war aber ich wäre trotzdem gerne noch etwas geblieben. Jedoch blieb mir nichts anderes übrig als mich zu verabschieden und nach Hause zu gehen.

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