39. Kapitel
Jimin
Am Montag fühlte ich mich wie in Watte gepackt. Der Vormittag zog an mir vorbei, ohne dass ich wirklich etwas mitbekommen hatte, weil meine Gedanken nur bei Juhee und der Tatsache, dass sie mit ihrem Auszug ein schmerzliches Loch in unserer WG hinterlassen hatte.
Am Sonntag hatte ich ihr geschrieben, wie es ihr ging und ob sie reden wollte, woraufhin sie nur geantwortet hatte, dass alles in Ordnung sei.
Am späten Abend hatte ich dann die Benachrichtigung erhalten, dass mein Entertainment einen neuen Post auf Instagram hochgeladen hatte.
Ich hatte den Großteil der Nacht verbracht, Juhees Worte immer und immer wieder durchzulesen. Sie hatte über Träume geschrieben. Darüber, wie wichtig sie sind und dass man sie zulassen müsste, egal, wie schlecht es einem geht oder wie aussichtslos eine Situation auch sein mag. Darüber, dass man sich mit Menschen umgeben soll, die einen darin bestärken, diese Träume zu verfolgen, und dass es nichts Schöneres gibt, als eine Person zu finden, die die eigenen Träume teilt. Und sie hatte darüber geschrieben, dass für manche Träume einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt da ist und man sie dennoch nicht aufgeben darf, auch wenn es einen mehr Kraft kostet als alles andere, weiterhin an ihnen festzuhalten.
Ihre Worte hatten mich erneut zum Weinen gebracht, und ich konnte gar nicht aufhören, über sie nachzudenken.
Es machte mich wahnsinnig, dass es nichts gab, was ich für sie hätte tun können. Auch wenn Tae der Meinung war, es hätte gereicht, für sie da zu sein – mir genügte das nicht. Am liebsten hätte ich zwei Stockwerke höher gehen wollen und Juhees Vater zur Rede stellen wollen, aber ich konnte mir denken, was Juhee davon gehalten hätte.
Also waren wir alle am Trainieren und ich zwang mich dazu, alles zu geben, hatte aber beim besten Willen nicht die Kraft und Konzentration, die Sache ordentlich durchzuziehen und einen positiven Eindruck zu hinterlassen.
In der Mittagspause stocherte ich lustlos in meinem Essen herum und erntete Blicke auf mir, während ich nach Juhee Ausschau hielt. Bisher hatte ich sie noch nicht gesehen. Ich hatte gehofft, dass ich sie morgens hätte abfangen können, und musste die Enttäuschung wie einen schweren Kloß herunterschlucken, als das nicht der Fall gewesen war.
»Wir können uns so glücklich schätzen, Jimin«, sagte Hoseok leise.
Ich blickte von meinem Reisgericht auf und sah ihn fragend an.
»Weil wir alle hier Eltern haben, die uns zu nichts zwingen. Ich meine, klar, meine Mutter und mein Vater haben sich immer gewünscht, dass ich studieren gehe – aber sie haben mich nie zu irgendwas gedrängt, was ich nicht wollte.«
»Genau das ist mein Problem. Weil ich weiß, wie es sein kann, wenn man eine liebende, unterstützende Familie hat, macht es die Situation irgendwie noch unerträglicher.«
»Leider wirst du daran im Moment nichts ändern können«, sagte Hoseok und nahm einen kräftigen Schluck Wasser. »Es liegt nicht in deiner Hand, was Juhees Vater tut. Und ich glaube dir, dass es unglaublich schwer ist, zuzusehen und nicht eingreifen zu können. Aber das Schlimmste, was du Juhee jetzt antuen kannst, ist, eure Beziehung darunter leiden zu lassen. Es geht ihr bestimmt schon dreckig genug mit ihrer Entscheidung.«
»Ich weiß«, flüsterte ich und legte mein Besteck letztlich ganz beiseite. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was Lee Jongdae getan hätte, wenn Juhee sich geweigert hätte zurückzukommen. Was er meiner Familie angetan hätte.
In diesem Moment betrat Juhee den Essensraum. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, kam sie zu mir. Juhee blieb vor unserem Tisch stehen. Jetzt konnte ich sehen, wie blass sie war und wie tief die Ringe unter ihren braunen Augen waren.
»Hey«, sagte sie und hob die Hand an meine Wange. Als ihre Fingerknöchel meine Haut streiften, breitete sich ein Kribbeln in mir aus. Ihr Lächeln war zögerlich, als wäre sie sich nicht sicher gewesen, wie ich auf ihre Berührung reagiert hätte.
In diesem Moment wurde mir eines klar: Juhee gab gerade alles, um stark zu sein. Für die Jungs, für meine Familie, für mich. So, wie ich mich benahm, half ich ihr dabei nicht. Im Gegenteil, ich belastete sie nur zusätzlich. Mein Verhalten ihr gegenüber war wirklich nicht fair. Es brachte ein riesiges Opfer für meine Familie und mich. Und statt ihr den Halt zu geben, den sie gerade brauchte, kritisierte ich ihre Entscheidung und machte ihr womöglich noch ein schlechtes Gewissen. Ich hätte für sie da sein sollen, statt ihr das Leben schwerer zu machen.
»Juhee?«
Sie sah mich fragend an. »Ja?«
»Hast du mal zwei Minuten?« Ich legte den Kopf leicht schräg und kniff die Augen zusammen.
»Wieso?«
Ich lächelte sie an. Dann beugte ich mich vor und flüsterte etwas in ihr Ohr, hoffentlich so leise, dass es niemand anders hören konnte. Als ich mich wieder zurücklehnte, sah ich etwas in Juhees Augen aufblitzen. Und das gefiel mir so viel besser, als sie traurig zu sehen.
Unsere Pause war noch nicht ganz vorbei, und deshalb war es angenehm leer, als ich oben im Westflügel des Entertainments ankam.
»Da bist du ja.«
Juhee kam dicht vor mir zum Stehen. »Als könnte ich ein heimliches Treffen mit dem tollsten Jungen der Welt ausschlagen.«
Bei ihren Worten wurde mir warm. Sie streckte die Hände nach meinen aus, und ich umfasste sie sanft.
»Es tut mir leid.«, fing ich schließlich an und betrachtete unsere verschlungenen Finger.
»Was tut dir leid?«
Ich streichelte mit den Daumen über ihre Handrücken. »Wie ich reagiert habe.« Ich blickte wieder auf und sah Juhees fest in die Augen. »Falls ich das nicht deutlich genug gesagt habe: Ich unterstütze dich bei allem, was du tust. Und wir werden auch das hier schaffen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich dein Vater wieder zwischen uns stellt. Okay?«
Juhee schien bei meinen Worten den Atem angehalten zu haben. Sie starrte mich an und brauchte ein paar Sekunden, bis sie reagierte.
Langsam hob sie meine Hände an ihren Mund und küsste sie kurz. »Danke«, sagte sie mit belegter Stimme.
Ich beugte mich kurz vor und zog sie für eine Umarmung an mich. Ich spreizte die Beine, damit sie sich zwischen sie stellen konnte. Eine Minute lang hielten wir uns aneinander fest. Ich atmete ihren vertrauten Geruch ein und strich mit den Händen über ihren Rücken.
»Wieso wolltest du dich eigentlich hier mit mir treffen?«, fragte Juhee irgendwann dicht an meinem Ohr. Ihre Hand lag an meinem Hinterkopf, und sie hielt mich dabei dicht bei sich. Trotzdem löste ich mich ein Stück von ihr und holte tief Luft.
»Ich wollte dir zeigen, dass selbst an einem Tag wie heute, wo du das hier machen musst, trotzdem tolle Dinge geschehen können. Deshalb dachte ich, ich gebe dir endlich deinen Wunschkuss.«
Juhees Brauen waren zusammengezogen, doch bei meinen Worten klärte sich ihr nachdenklicher Ausdruck, und ein lebendiges Funkeln trat in ihre Augen. Meine Hand wanderte an ihrem Rücken nach unten, bis sie fast bei ihrem Steißbein angekommen war. Dann zog ich sie nach vorn, bis sie beinahe an der Armlehne der Couch, die hier stand, saß und sie sich mit einer Hand an meinem Brustkorb abstützen musste.
»Du hast tolle Ideen, Park Jimin«, raunte Juhee.
Ich wusste nicht, wer von uns sich zuerst bewegt hatte. Im nächsten Moment verschmolzen unsere Lippen miteinander. Sie hielt sich an mir fest, und ich drang mich gegen sie, ihr Mund fiebrig auf meinem. Ich hielt Juhees Nacken umfasst und sie gab sich diesem Gefühl, dass ich in ihr auslöste, völlig hin. Ich stellte fest, dass sich nichts zwischen uns verändert hatte.
Und ich nahm mir fest vor, dass das auch in Zukunft so bleiben würde – ganz gleich, was sich ihr Vater als Nächstes einfielen ließ.
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