33. Kapitel
Juhee
Ich. Bin. So. Eine. Idiotin.
Wie konnte ich nur so dumm sein und ihn einfach so gehen lassen? Aber ich konnte nicht mit ihm gehen. Es gab noch so viel zu tun, was ich hätte machen müssen. Woran war ich bei ihm? Waren wir noch im Streit? War er noch sauer? Ehrlich gesagt wusste ich es nicht.
Ich hätte mich für die gestrige Aktion ohrfeigen können. Aber das einzig Wichtige, worauf ich mich jetzt konzentrieren sollte, war mein Vater.
~
BigHit
Seit mehr als fünf Minuten stand ich schon an dieser Stelle und starrte auf das imposante Schild, das an der Fassade des grauen Gebäudes prang.
Zum wiederholten Mal strich ich meine Haare glatt und rückte den Träger der Umhängetasche auf meiner Schulter zurecht.
Ich atmete tief durch und setzte mich in Bewegung. Mulmig ging ich durch die große Drehtür und betrat die Eingangshalle des modernen Hochhauses.
Meine Handinnenflächen fühlten sich kalt an, als ich direkt hinter der Tür stehen blieb und mich umsah. Egal wie oft ich schon hier war - ich war immer wieder überrascht. Der Boden des Empfangsbereich bestand aus hellem Marmor und die Wände wurden ebenfalls wie der Außenputz in einem schlichten Grau gehalten. Ab und zu ragten hohe ästhetische Fensterfronten in die Höhe. In der Mitte der Eingangshalle war das Emblem von BTS eingearbeitet, direkt darüber stand in einem Halbkreis der Name des Unternehmens.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte mich eine junge Frau als ich schließlich an die Rezeption trat.
Sie hatte gelockte Haare – wie fast alle hier – ein schwarzes Outfit, das so gut saß, dass es ihr auf den Leib geschneidert worden sein muss.
»Mein Name ist Lee Juhee. Ich bin die Tochter von Lee Jongdae. Ich habe vor ihn zu besuchen.«, erklärte ich.
Die junge Frau zog die Augenbrauen nach oben, beugte sich im nächsten Moment über ihren Computer und klickte ein paar Mal mit ihrer Maus. »Ah, da haben wir Sie.« Sie tippte in rasender Geschwindigkeit auf der Tastatur, dann rollte sie mit ihrem Stuhl zurück zu einem kleinen schwarzen Schrank, dessen Schublade die aufzog. Seit wann stand ich im Server?
Sie kam zurück und hielt mir ein weißes Schild entgegen.
Besucherausweis stand darauf. Darunter befand sich ein schwarzer Strichcode.
»Gehen sie auf der linken Seite durch die Kontrolle, und halten sie den Ausweis vor den Scanner. Sobald Sie durch sind, finden Sie die Fahrstühle auf der rechten Seite. Sie müssen ins vierte Stockwerk.«
»Okay. Danke«, sagte ich, nahm den Ausweis entgegen und drehte mich in die Richtung, in die sie gezeigt hatte. Das musste ich noch nie machen. Komisch.
»Viel Glück«, rief sie mir hinterher. Warum auch immer. Ich hätte einfach nur so vorbeikommen können. Aber wenn sie wüsste, wie dringend ich das hätte brauchen können.
Mit mir stiegen zwei Männer in den Aufzug.
Sie musterten mich eingehend, als sie sahen, in welches Stockwerk ich fuhr. Ich wand den Blick ab und starrte stattdessen auf meine roten Vans.
Die Fahrt verging wie in Zeitlupe und ich konnte die ganze Zeit nur an Jimin denken.
Ich war die Letzte, die aus dem Fahrstuhl ausstieg. Dies hier war ebenso die gleiche Etage, in dem die Tanzstudios ihren Platz hatten.
Ich ging einen schmalen Gang entlang und es begrüßte mich ein junger Mann mit einem reservierten Lächeln, als ich mich dem Empfangstresen näherte.
»Frau Lee, nehmen Sie gern dort Platz. Ihr Vater hat gleich Pause und ist für Sie da« Er deutete auf eine Stuhlreihe am Ende des Flurs.
Ich nickte und verbeugte mich, als ich anschließend zu den Stühlen ging. Doch anstatt mich zu setzten, stellte ich mich an eine der großen Fensterfronten, die sich über die gesamte linke Seite der Etage erstreckte und durch die man einen beeindruckenden Ausblick auf Seoul hatte. Von hier aus konnte man den Huwon Secret Garden sehen. Er vermittelte einen nahezu friedlichen Eindruck, der zu dem Tumult in meinem Inneren nicht unterschiedlicher hätte sein können.
»Frau Lee, Sie können jetzt reingehen«, sagte der Assistent.
Ich räusperte mich. »Danke.«
Dann holte ich tief Luft, ging an den Stühlen vorbei zur Tür und drückte die Klinke herunter.
Die Abteilung der Überwachung war größer als erwartet. Im hinteren Teil des Raumes standen unzählbare Monitore, die die Tanzstudios und das restliche Entertainment mit verschiedenen Sichten zeigten. Die Bilder auf jedem Bildschirm wechselten alle zehn Sekunden die Position.
Beeindruckend!
Rechts und links befanden sich jeweils Büroräume und ich ging in das herein, in dem ein auf der Tür befestigtes Schild mit seinem Namen stand.
Lee Jongdae
Das Büro meines Dads sah genauso aus wie der Rest des Gebäudes – sauber, kühl und ab und zu ein Bild von mir, Jae oder Danbi.
Auf der rechten Seite stand ein beiger farbiger Aktenschrank, daneben eine kleine Couch mit Metallfüßen. Links befand sich ein Schreibtisch mit einer großen Glasplatte.
Dad hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und drehte sich erst um, als ich mit einem leisen Klick die Tür hinter mir geschlossen hatte.
Er fuhr herum und sah überrascht aus.
»Juhee!« Er schritt in meine Richtung und nahm mich liebevoll in den Arm. Steif erwiderte ich seine Geste.
»Hallo, Dad«
»Willst du dich nicht setzen?« Er deutete auf die Couch und ich folgte seine Bitte.
»Wir müssen reden«, sagte ich und schaute mich im Raum um. Auf dem Schreibtisch stand seitlich ein großer Computer, dessen Bildschirm schwarz war, darunter Akten, Papierstapel und haufenweise Stifte. Mein Blick verweilte kurz darauf, dann sah ich ihn wieder an.
»Klar, gerne« Er setzte sich neben mich.
»Ich glaube, du könntest wissen, weshalb ich gekommen bin oder?«, fing ich an, ohne auch nur eine Regung zu zeigen.
»Ich kann es mir denken«, gab er zurück und seine Miene wurde schlagartig dunkler.
»Ich muss dich jetzt was fragen und ich will, dass du mir ehrlich antwortest.«
Das einzige, was er für richtig hielt, war in diesem Moment auszustehen und sich an seinen Schreibtisch zu setzten. »Hallo? Dad, ich rede mit dir!«
»Ja« Er setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. »Was willst du fragen?«
Ich erhob mich und nahm gegenüber von ihm Platz. Nur der Schreibtisch trennte uns.
»Das was geschehen ist, ist nicht mehr rückgängig zu machen. Aber ich rate dir, deinen Aufenthalt hier nicht für eine Beziehung zu verschwenden, die chancenlos ist. Mit so jemandem wie ihm fängt man doch nichts an«
Die Art und Weise, wie er Jimins und meine Beziehung mit ein paar Worten vom Tisch fegte, fühlte sich an wie ein Schlag vor die Brust. Er kannte mich überhaupt nicht. Er wusste gar nicht, was Jimin und mich verband, wie sehr wir uns gegenseitig geholfen hatten, jetzt mehr denn je.
Der Tonfall, in dem er mit mir sprach, war respektlos, und die Tatsache, dass er versuchte mich einzuschüchtern, lächerlich. Er konnte mir in diesem Moment nicht sagen, was ich zu tun oder hätte zu lassen sollen, und schon gar nicht hätte er mir drohen sollen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir folgen kann, Dad«
»Dann möchte ich ein bisschen deutlicher werden, Juhee«, sagte er schließlich. Er beugte sich vor und legte die Hände ineinander. Aus dem Augenwinkel konnte ich seine weiß hervortretenden Knöchel erkennen.
»Du wirst ab sofort jeglichen Kontakt zu diesem Sänger unterlassen. Sollte ich erfahren, dass du weiterhin mit Jimin sprichst oder auch nur ein einziges Mal in seine Nähe kommst, sorge ich dafür, dass er es bereut.« Er sagte diese Worte mit der Ruhe und Gewissheit eines Mannes, der seinen Willen immer bekam und keine Wiederrede duldete. Ich fragte mich, ob ich vielleicht doch Angst hätte empfinden müssen, aber stattdessen musste ich an Jimin denken. An das, was wir bereits miteinander durchgestanden hatten, und das, was die Zukunft noch für uns bereithielt. Wie es ihm jetzt gerade ging, was er wohl machte oder ob er auch an mich dachte?
Mein Dad war vielleicht jetzt die größte Hürde, die uns im Weg stand, aber bei Weitem nicht die einzige. Doch mein Leben wäre ohne Jimin farblos gewesen. Ohne ihn ergäbe nichts einen Sinn.
Und ganz gleich, was geschah oder noch geschehen würde – ich würde um ihn kämpfen – ich würde ihn nicht kampflos aufgeben. Ich ließ mir Jimin nicht nehmen, und schon gar nicht von einem Vater, der lebenslang nichts anderes getan hatte, als mich damals klein zu halten, obwohl ich groß hätte sein können.
»Bei allem Respekt, aber das kommt nicht infrage«, sagte ich, meine Stimme genauso kühl wie seine.
Dieser Moment dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann hatte er sich wieder gefasst und lehnte sich ein Stück nach hinten. Er atmete hörbar aus.
»Gut. Dann wollen wir das Ganze anders angehen.«
Im nächsten Moment beugte er sich zur Seite und zog einen bräunlichen Briefumschlag aus seinen Akten. Er zog den Klebestreifen ab und legte mir einige Bilder vor die Nase.
Als er sie richtigherum drehte, und mir hinschob biss ich die Zähne so fest aufeinander, dass sie knirschten.
Das Foto zeigte, wie Jimin und ich uns geküsst haben. Eine deutliche Situation.
Ich blickte in das ja fast schon frech grinsende Gesicht meines Dads. Mein Puls raste, und ich bemühte mich vergeblich um einen Atemzug. »Was willst du mir damit sagen?« Ich versuchte die Kontrolle zu behalten, obwohl ich innerlich mit mir rang.
Er hob eine Augenbraue. »Das zeige ich allen, wenn du nicht das tust, was ich dir soeben gesagt habe.«
»Das ist nicht dein Ernst«
»Das ist doch ein faires Angebot. Wir kommen uns entgegen«
»Darum geht es überhaupt nicht!«
Verdammt, ich wurde laut. Eigentlich wollte ich das nicht, aber dieser Mann ließ mir keine Wahl. »Verstehst du nicht, was du Jimin mit diesem Verhalten antust?«
Jetzt war er derjenige, der die Zähne zusammenbiss.
»Du solltest aufpassen, was du sagst.«, presste er tödlich leise hervor. »Ich will schließlich nur dein Bestes!«
»Mein Bestes?«, lachte ich empört. »Du zerstörst gerade mehr die Familie als geschehen! Was ist mit dir passiert? So kenne ich dich gar nicht«
»Ich versuche dich vor etwas zu bewahren, was nicht noch mehr ins Verderben geraten soll. Du solltest mir Dankbar sein!«
Ich schüttelte den Kopf. »Du warst mein Held. Ich hätte alles dafür getan, von dir ernst genommen zu werden. Ich verstehe nicht, was mit dir geschehen ist! Du bist so scheißverdammt anders als sonst. Es ist dir doch völlig egal, was mir hier gerade zustößt. Du weißt gar nicht, welche Konsequenzen das für BTS und Jimin haben kann. Wenn du das allen hier zeigst, ist seine Karriere hier endgültig Geschichte! Dass du jetzt versuchst, auf diese Art und Weise in mein Leben einzugreifen, zeigt nur einmal mehr, dass du mich überhaupt nicht kennst!«
Mein Vater gab einen angewiderten Ton von sich ab.
»Du widerst mich an. Dass du es überhaupt wagst mir so etwas anzutun und dann auch noch so dreist nach einem Geschäft zu fragen, wie als ob nie irgendetwas zwischen uns vorgefallen wäre. Das ist die reinste Erpressung. Ich dachte, du liebst mich als deine Tochter. Anscheinend bin ich dir das alles wohl nicht wertgenug. Du warst es, der Mum und mich damals hat sitzen lassen und sich einen Scheiß um uns sorgte. Stattdessen hast du dir die nächst beste Frau geangelt und bist mit ihr ins Bett gestiegen. Du bist erbärmlich. Es tut mir nicht mal leid das zu sagen, weil es die traurige Wahrheit ist. Ich bin doch für dich sowieso nur ein wandelnder Misserfolg, weswegen eine weitere Enttäuschung wohl nicht allzu schlimm sein wird. Also ein für alle Mal: Das letzte bisschen Liebe, dass ich für dich gefühlt habe, ist nun spätestens jetzt gestorben, als du mich wie einen Sack Müll behandelst. Es war eine sehr gute Entscheidung von dir wegzuziehen. Da muss ich dein erbärmliches Gesicht nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Und jetzt hör auf, sonst rufe ich die Polizei und verklage dich wegen übler Erpressung gegen deine wohlbemerkt eigene Tochter!« Meine Stimme hätte Papier zerschneiden können, so kalt und schneidend klang sie.
Im nächsten Moment spürte ich einen heftigen Schlag auf meiner Wange.
Trotz des brennenden Schmerzes, welcher sich in diesem Moment auf meiner Wange ausbreitete, grinste ich überlegen in das wütende Gesicht meines Erzeugers. Ich hatte mit ihm abgeschlossen.
»Das hat mir nur bestätigt, wie verdammt erbärmlich du bist«
Innerlich war ich so unfassbar wütend und traurig auf ihn, dass ich ebenso auf ihn hätte einschlagen können.
Dad stand plötzlich so ruckartig auf, dass sein Stuhl gegen die Glaswand hinter ihm knallte. »Du hast keine Ahnung.«
Ich erhob mich ebenfalls, um mit ihm auf ungefähre Augenhöhe zu bleiben. »Du weißt nichts von dem, was ich alles schon durchgemacht habe.«
»Ich würde alles für meine Kinder tun, egal, ob es mir in die Pläne passt oder nicht! Letzten Endes war die Entscheidung die ich für dich treffe zu deinem eigenen Schutz, Juhee. Wenn du mal älter bist und selber Kinder hast, wirst du das verstehen.«
Ich lachte einmal auf. »Wenn ich Kinder hätte, würde ich ihnen zuhören«, knurrte ich. »Ich würde sie fördern und sie bei allem unterstützen, was sie tun möchten. Und ich werde niemals, niemals, meine Ziele vor ihre stellen. Wie sich das hier gerade beweist, kannst du es nicht!«
Mein Dad presste die Lippen fest aufeinander. »Überlege es dir noch einmal«
»Ich brauche mir nichts zu überlegen. Ich wollte eigentlich nur kommen um zu reden, aber wenn es dir ganz allein darum geht mich zu erpressen, hast du dir die Falsche ausgesucht.« Ich nickte meinem Vater zu. »Guten Tag.« Ich atmete hörbar aus, schüttelte den Kopf und verließ sein Büro ohne ein weiteres Wort. Die Tür fiel laut hinter mir ins Schloss.
Die Wut in mir wurde immer größer, überwältigender.
Mir wurde klar: Dies war das letzte Mal, dass ich durch diese Tür ging.
~
Als ich aus dem großen Gebäude verschwand war mir eins klar: Ich wollte meinen Dad nie mehr wiedersehen! Es musste einen anderen Weg geben, ihm ein für alle Mal aus dem Weg zu gehen.
Tränen rannen meine Wangen herunter. Ich konnte nichts unterdrücken. Ich blickte auf mein Handy.
16:42
Ich wollte es gerade wieder einstecken, als eine neue Nachricht aufleuchtete. Meine Nackenhaare stellten sich auf, als ich sah, dass die von meinem Vater war. Nachdem ich seine erste E-Mail vor mehreren Tagen ignoriert hatte, hatte er mir vor dem Besuch noch einmal geschrieben und mitgeteilt, dass er enttäuscht von mir wäre, er mir aber noch eine weitere Chance geben würde, zur Vernunft zu kommen.
Ich hatte ihm wieder nicht geantwortet.
Mit ihm fängt man doch nichts an!
Seine Worte von gerade eben ließen mich wütend machen und ich biss mir auf die Unterlippe. Was war sein verdammtes Problem? Hatte ich nur das Gefühl gehabt, dass er damals noch Verständnis hatte? Ich schätze schon. Ich hatte ihm jedenfalls wieder nicht geantwortet und gehofft, er hätte mich endlich in Ruhe gelassen.
Doch als ich seine Nachricht öffnete, wurde mir klar, dass ich mich komplett in ihm getäuscht hatte.
Er war nicht mehr mein Dad, so wie ich ihn kenne.
Nein! Er hatte sich definitiv verändert.
Für meinen Vater war die Angelegenheit nicht abgeschlossen.
Für ihn fing sie gerade erst an.
Du hast es nicht anders gewollt.
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