29. Kapitel
Juhee
Zuerst ging ich zum Flügel, der in der hintersten Ecke stand, und entfernte nach und nach die Fingerabdrücke, die durch das Auf- und Zuklappen auf der glänzend braunen Oberfläche zu sehen waren. Danach schaltete ich leise Musik auf meinem Handy an und schob es in meine hintere Hosentasche. Während ich der beruhigenden Stimme von Ariana Grande lauschte, überprüfte ich jeden einzelnen Punkt auf meiner Liste. Hoseok und Jin pusteten nebenbei Ballons auf und banden sie jeweils fest.
»Ach hier bist du«, erklang plötzlich eine Stimme hinter mir.
Ich fuhr herum und sah Jungkook auf der Schwelle zum Wohnzimmer stehen. Hoseok und Jin hielten in ihrer Position inne und blickten erst zu mir, dann zu Jungkook und dann wieder zu mir. Ich nickte ihnen kurz zu und sie verließen tonlos den festlich geschmückten Raum. Jungkooks Blick war unergründlich. Seine Hände tief in der schwarzen Jogginghose vergruben.
»Ich und die Jungs haben noch ein bisschen was zu tun«, antwortete ich und hob das Klemmbrett hoch.
»Hm?«
»Wir planen die Überraschungsfeier für Madison. Sie hat in der ganzen Zeit, wo sie hier ist, so viel für mich getan und mir zur Seite gestanden – ich muss das einfach tun«
»Sicher doch« Jungkooks Blick wanderte ihm Raum herum. »Nicht schlecht« Er machte große Augen. Anschließend betrat er den Raum, und mein Herz machte einen Satz, obwohl er noch wenige Meter von mir entfernt war. »Kann ich dir helfen?«
Wie von selbst schüttelte ich den Kopf. »Nein, brauchst du nicht. Danke.« Danach wand ich mich dem Esstisch, obwohl ich ihn schon überprüft hatte.
»Du musst den Rest nicht allein machen.« Seine Stimme klang ein bisschen näher als zuvor. »Ich helfe dir gern und da ich die ganze Zeit nicht da war, hole ich das jetzt nach.«
»Wenn du willst«, murmelte ich. »Du ...«
»Jimin hat gesagt, ich soll die helfen«
Was? »Oh, okay«, antworte ich ihm überrascht.
Ich wusste trotz Jimins Aufforderung nicht, ob ich allein mit ihm in einem Raum sein konnte. Wenn Jungkook vor mir stand und mich mit seinem dunklen Blick ansah, wirkte selbst der Raum winzig.
Ich unterdrückte den Impuls, mich umzudrehen und zu ihm zu gehen, obwohl ich wusste, wie viel besser ich mich fühlen würde, ihm dies nicht anzutun. Selbst jetzt, nach all den Wochen und nach allem, was geschah. Wenn Jungkook sich in Kopf gesetzt hatte mir zu helfen, würde er nicht so schnell verschwinden. Das hatte er in den letzten Wochen beim Zeichenkurs schlichtweg bewiesen. Ich holte tief Luft und sah auf mein Klemmbrett.
»Du könntest noch ein paar Servierten holen und hübsch falten. Das wäre glaube ich besser«, sagte ich nach einer Weile und riskierte einen Blick in seine Richtung. Er sah mich immer noch mit diesem Blick an, den ich nicht deuten konnte. Schließlich nickte er. »Okay.«
Er ging zum Schrank und griff aus der mittleren Schublade mehrere Servierten heraus, und ich folgte ihm ruckartig.
Gott, wieso war ich so verkrampft?
So sollte es nicht zwischen uns sein.
Jungkook faltete die Servierten und stellte die ordnungsgemäß extra an jeden Teller.
Danach sah er mich wieder an.
»Juhee, ich muss dir etwas sagen«, murmelte er.
Mein Herz machte einen Satz. »Was?«, brachte ich kaum hörbar hervor.
Jungkook nahm ein paar Servierten hoch, verglich sie und wedelte mit ihnen. »Das Muster ist minimal anders, als die anderen. Das passt nicht.«
Ich blinzelte mehrmals auf und sah dann auf die Servierten in seinen Händen.
Tatsächlich war das Muster anders. Wenn man einen Künstler ans Werk lässt ... »Oh.«
Jungkook ließ die Servierten langsam sinken. »Das klingt fast, als hättest du erwartet, dass ich was anderes sage.«
Dieser Tonfall. So tief und samtig und angenehm. Ich bekam eine Gänsehaut, schüttelte aber im selben Moment den Kopf. Doch bevor ich etwas sagen konnte, fuhr Jungkook fort.
»Denn wenn du jetzt dazu bereit bist, mir zuzuhören, spreche ich es endlich aus.«
Ich hielt den Atem an. Ich konnte Jungkook einfach nur anstarren – zu mehr war ich in dieser Sekunde nicht imstande.
»Es tut mir leid«, sagte er unvermittelt.
»Jungkook«, flüsterte ich.
»Es gibt so vieles, was ich dir sagen möchte«, entgegnete er genau so leise und verkürzte die Distanz zwischen uns um ein kleines Stück. Ich glaubte, er war sich dessen nicht mal richtig bewusst. Ich konnte ihm keine Hoffnung machen. Und ich würde nie bestreiten, dass er nicht attraktiv ist, im Gegenteil.
Trotzdem fühlten sich meine Knie mit einem Mal ganz weich an, der Bodenunter meinen Füßen verflüssigte sich.
Es gab auch so vieles, was ich ihm sagen wollte, so viele Worte, aber ich brachte kein einziges hervor, als er mich so ansah. Meine Kehle wurde trocken, und ich musste mich räuspern. »Wir sind wegen Maddies Feier hier. Nicht, um zu reden.«
»Aber ich muss mit dir reden. Verdammt, Juhee, ich halte das keine Sekunde länger aus.«
Hinter seinen dunkelbraunen Augen konnte ich die Gedanken durcheinanderwirbeln sehen.
»Bitte, Juhee. Du musst nichts sagen. Hör mir bitte einfach nur zu«, flehte er.
Ich konnte mich nicht bewegen. Ich stand einfach nur da, mit steifen Schultern und bebenden Händen. Sein Blick glitt über mein Gesicht.
»Es tut mir leid«, flüsterte er.
»Was genau?«, entgegnete ich nach ein paar Sekunden heiser.
»Alles« Die Antwort kam postwendend. »Einfach alles.«
Mein Atem beschleunigte sich.
»Es tut mir leid«, wiederholte Jungkook. Obwohl sein Blick wehmütig und voller Schmerz war, war er zum ersten Mal, seitdem das alles passiert war, auch vollkommen offen. In diesem Moment hielt Jungkook nichts zurück – ich erkannte Hoffnung und Zuneigung in seinen Augen und etwas, was mich die Luft scharf einziehen ließ.
»Ich hab mich wie ein Idiot benommen«, wisperte er. »Das sehe ich ein«
Tief in mir brach etwas auf – eine Welle von Gefühlen überschwamm mich, von denen ich eigentlich dachte, dass ich sie längst überwunden hatte.
»Du hast mich damit die ganze Zeit so verletzt.«, flüsterte ich.
Jungkook sah mich verzweifelt an. »Ich bereue so sehr, all diese Fehler gemacht zu haben. Ich wünschte, ich könnte das rückgängig machen.«
Er holte zittrig Luft. »Ich kann verstehen, wenn du mir nicht verzeihen willst, aber damals in der Kunstgalerie, wo du vor meinem – deinem Bild standest ... Ich habe da Hoffnung gespürt.« Er presste die Lippen fest aufeinander und sah kurz nach unten. »Aber du solltest wissen, dass es mir von ganzem Herzen leidtut« Dann blinzelte er mehrmals. Ich konnte sehen, dass er mit den Tränen kämpfte. Auch meine Augen hatten zu brennen begonnen.
»Du musst mir nicht verzeihen. Ich will einfach nur, dass du weißt, wie viel du mir bedeutest. Ich möchte kein Leben führen, von dem du kein Teil bist. Egal, auf welche Weise.«
Jungkooks Brust hob und sank sich schnell, seine Augen waren glasig.
Ich konnte nicht anders, als einen Schritt nach vorne zu machen und meine Arme um seine Taille zu schlingen. Jungkook versteifte sich, als wäre das das Letzte, womit er gerechnet hätte. Ich war ganz still, als er seine bebenden Arme vorsichtig um mich legte, so als hätte er vergessen, wie er mich richtig halten sollte. Ich schloss die Augen, als er sanft mit den Händen über meinen Rücken fuhr und eine weitere Entschuldigung flüsterte.
»Es tut mir so leid«, murmelte er erneut.
»Ich weiß«, flüsterte ich.
So standen wir mitten im Wohnzimmer, direkt vor dem Esstisch, seitlich dem Klavier.
Jungkook hielt mich sanft, sodass ich mich jeden Moment aus seiner Umarmung hätte befreien können, wenn ich es gewollt hätte.
Seine Hände auf meinem Rücken waren sanft, sein Atem kitzelte mein Haar, und seine Brust hob und sank sich im Gleichtakt mit meiner, während mir seine geraunten Worte das Gefühl gaben, dass doch alles wie früher werden konnte.
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