14. Kapitel

Juhee

»Alles in Ordnung Juhee?« Leichte Besorgnis war aus seiner Stimme herauszuhören obwohl er sonst relativ wenig Emotionen zeigte. Er wirkte eher immer ganz cool. Ich nickte auf seine Frage.

»Alles ok.« Er muss gesehen haben, dass ich geweint hatte.

»Was machst du denn in dieser Gegend hier? Hier kenn ich mich ja nicht mal wirklich aus.«

Jetzt klang er auch wieder wie sonst.

»Hab mich verlaufen, nachdem ich Jimin hinterhergerannt bin. Kannst du mich nach Hause bringen? Mein Dad macht sich bestimmt schon wieder Sorgen um mich.« Nun sah ich ihn an und merkte, dass er mich schon die ganze Zeit angeguckt haben muss.

»Klar, wo wohnst du denn?« Ich nannte ihm meine Adresse. Ohne großmächtig darüber nachzudenken, wies er mich in eine Richtung. Er klopfte mir leicht auf die Schulter und ging dann in nicht gerade langsamen Schritten los. Ich folgte ihm und ging neben ihm her.

Nachdem wir eine gute halbe Stunde gingen und uns anschwiegen, wusste ich wieder wo wir waren.
»Du brauchst mich nicht weiterbringen. Ab hier weiß ich wie ich nach Hause komme.«

Er grinste ein wenig. Dies empfand ich für komisch, doch ich machte mir keine weiteren Gedanken darüber.

»Ist schon ok. Es ist schon dunkel und ich will dich nicht alleine nach Hause gehen lassen.«, sagte er ohne seinen Blick von dem Weg zu wenden.

»Ich kann auf mich aufpassen.« Ich war schließlich kein kleines Kind mehr und nahm die Aussage von Jin mehr oder weniger als Beleidigung. Dies schien er zu merken und schmunzelte darauf hin.

»Trotzdem.« Jetzt klang er aber schon ernster als zuvor. Ich hätte mich nicht wehren können. Egal was ich noch dazu gesagt hätte, er wollte mich anscheinend unter jeder Bedingung nach Hause bringen.

Es dauerte nicht lange, als er seine Meinung im Handumdrehen änderte.

»Ich glaube, die letzten Meter schaffst du es auch ohne mich. Es sieht so aus, als hättest du Besuch bekommen«, sagte Seokjin etwas leiser.

Ich richtete mich auf und atmete einmal tief durch. Hilfesuchend schaute ich zu Jin, aber der war bereits schon ein Stück die Straße entlanggegangen.
Obwohl in unserem Vorgarten kein Licht brannte, konnte ich Jungkook deutlich erkennen. Je näher ich ihm kam, desto deutlicher erkannte ich, wie sehr ihn der Kampf mit Jimin mitgenommen hatte. Er lehnte sich mit verschränkten Armen an die Hauswand, die Kapuze tief in sein Gesicht gezogen. Er stützte sich mit einem Bein an der Wand ab, stellte sich aber aufrecht hin, als er mich kommen sah.

Als ich direkt vor ihm zum Stehen kam, wollte ich ihm sagen, dass er wieder gehen sollte. Aber dann sah ich die blutige Lippe und die blaue Nase. Er nahm die Kapuze vom Kopf und ich erschrak. Plötzlich wollte ich nicht mehr, dass er ging.
Ich starrte seine auf aufgeplatzte Augenbraue an. Vorsichtig streckte ich eine Hand danach aus, aber kurz bevor ich sie berühren konnte, griff er nach meinem Handgelenk.

»Bitte nicht, es tut ziemlich weh.«

»Okay.« Schnell zog ich die Hand zurück. Gleichzeitig suchte ich nach Gründen in seinem Gesicht, wieso er ausgerechnet zu mir kam.

»Was tust du hier, Jungkook?«, fragte ich leise und legte besorgt den Kopf schief. BigHit würde es gar nicht gut finden, dass er so zugerichtet aussah.

»Ich wollte dich sehen.«

»Jungkook ...«

»Nein, bitte lass mich weiterreden.« Er schob seine Hände in die Hosentasche, um das Blut auf seinen Knöcheln zu verbergen, aber ich hatte es bereits gesehen. 

»Ich kann heute nicht in die WG zurück. Ich brauche etwas Abstand von ihnen.« Ich war mir sicher, dass er mit »Ihnen« Jimin meinte. 

»Ich kann dich hier nicht schlafen lassen.« 

»Es ist nur eine Nacht, bitte.«

»Das geht nicht.« Diese Worte auszusprechen, fiel mir sichtlich schwerer, als ich erwartet hatte.

»Warum?«

»Das ist nicht fair!«, antwortete ich lauter, als ich es beabsichtigt hatte. »Ständig zieht ihr mich in euren Streit hinein. Wenn du jetzt hierbleibst, wird es nur dafür sorgen, dass es noch schlimmer wird.«

»Ich weiß«, nickte er verstehend.

»Ihr müsst es endlich klären.«

»Ich weiß.«


»So kann das nicht weiter gehen!«

»Juhee?«, sagte er dann.

»Hm?«

»Ich weiß das alles, glaub mir. Ich werde mit Jimin reden, versprochen. Und wir werden den Streit beiseitelegen. Aber nicht heute und nicht jetzt.« Er griff nach meiner Hand. 

»Verstehst du denn nicht, dass ich dich jetzt einfach brauche? Deine Anwesenheit reicht mir völlig, aber lass mich bitte bleiben. Nur diese Nacht.« Er versuchte ein charmantes Lächeln, aber durch seine aufgesprungene Lippe, war es gar nicht so leicht für ihn. »Ich schlafe auch auf dem Sofa«, versicherte er.

Ich schloss die Augen. Innerlich kämpfte ich mit mir selbst.

Lass ihn hier schlafen, sagte meine eine Stimme.

Nein, das wird Jimin gar nicht gefallen!, riet mir die andere. Vergiss Jimin, Jungkook ist verletzt und er sagt, er braucht dich. Jimin braucht dich auch! Es könnte einen völlig falschen Eindruck vermitteln. Jungkook ist aber hier und Jimin nicht! Außerdem ist dir Jungkook auch sehr wichtig! Tu es! Nein, mach es nicht! Er könnte sich falsche Hoffnungen machen und du hast Jimin schon gesagt, dass du ihn liebst! Und das war keine gute Idee. Und es kam nichts von ihm zurück! Er empfindet nicht das gleiche! Wieso legt er sich dann ständig mit Jungkook an? Wir brauchen Madison. Ja, wir brauchen Madison. Aber sie ist nicht hier? Was würde sie tun? Sie würde ihn reinbitten und es freundschaftlich halten.

Ich nickte. 

Die Entscheidung war gefallen. Geistlich fühlte ich mich schon wie Gollum. Zwiegespaltene Gespräche waren nie gut!

»Du kannst mit reinkommen«, sagte ich schließlich. Jungkook wirkte erleichtert und drückte mich plötzlich eng an sich heran.

»Danke!«, flüsterte er. »Danke dafür, dass du bist wie du bist.«

Als ich ihn mit in das Haus nahm, saß mein Dad gemütlich auf dem Sofa und schaute einen Film. Er war dabei so abwesend, dass ihm nicht einmal aufgefallen war, wie spät es mittlerweile war. Ich hätte wieder fast entführt werden können und es wäre ihm erst morgen aufgefallen ... wenn überhaupt.

»Hallo, Dad«, begrüßte ich ihn. »Jungkook wird heute Nacht hier schlafen.«

»Alles klar«, rief er und hob eine Hand, als Zeichen, dass er es verstanden hatte, ohne sich dabei umzudrehen. »Er kann in das Gästezimmer.«

~

»Tut es noch sehr weh?«, fragte ich Jungkook mitleidend und hielt ihm, das aus dem gefrierschrankgekühlte, Kühlpack an die Wunden am Auge.

»Nicht mehr so, seitdem du mich hier verarztest.«, schmeichelte er mir, zuckte jedoch zusammen, als das kalte Eis seine Haut berührte. Ich sah ihn daraufhin an. »Entschuldige«, murmelte er verlegen.

»Schon okay«, versicherte er mir und nahm mir das Kühlpack aus der Hand, um es sich selber an die Stellen zu halten.

»Vielleicht sollten wir ...« Ich wies mit dem Finger nach oben und Jungkook nickte verstehend.

»Ja, gute Idee.«

Wir schritten die Treppenstufen zu meinem Zimmer hoch. Oben im schmalen Flur drängelte ich mich an ihm vorbei, um ihm die Tür zu öffnen.
Ich war wirklich froh, dass mein Zimmer aufgeräumt war. Die Unordnung, die sonst hier herrschte, wäre mich sehr peinlich vor ihm gewesen.
Unschlüssig blieb ich in der Zimmertür stehen, nicht wissend, was ich tun sollte. Soweit hatte ich gar nicht geplant.
Aber Jungkook lief an mir vorbei und betrachtete mein Zimmer eingehend.

»Ich wohne hier nur für den Sommer«, sagte ich, als müsste ich mich dafür rechtfertigen, dass es hier einfach nichts Persönliches von mir gab.

»In meinem Zimmer in Kansas habe ich mit Fotos meine kompletten Wände tapeziert.« Die BTS Poster musste ich ja nicht unbedingt erwähnen. Das wäre sehr schräg.

Jungkook nickte, nahm das Kühlpack von seinem Auge und sah sich alles genauer an.
»Ich mag es. In diesem Zimmer stecken so viele Möglichkeiten.« Er setzte sich auf meine dunkle Holztruhe vor dem Bett und wies auf die Wand hinter sich.
»Über deinem Bett würden sich die Fotos sehr gut machen.« Dann zeigte er zu meinem Kleiderschrank. »Und da könnte man einen Ganzkörperspiegel hinstellen.« Mit zwei Händen nahm er das Augenmaß von meinem Schreibtisch. »Und ich finde über deinen Schreibtisch würde eine Weltkarte sehr gut hinpassen. Und Bücher. Du brauchst viel mehr Bücher in deinem Regal.«

Während ich versuchte, Jungkooks Gedankengang zu folgen, setzte ich mich neben ihn. Nach und nach ging ich die Stellen in meinem Kopf durch und platzierte in Gedanken die Gegenstände. Er hatte Recht! Es würde diesem Zimmer meine persönliche Note verleihen.

»Das wäre schön«, gestand ich und merkte, wie meine Stimme schwankte. »Aber es lohnt sich für die Zeit einfach nicht.«
Jungkook sah mich an und unsere Blicke begegneten sich.

»Es lohnt sich immer.« Sein Blick ging direkt durch mich durch. Er schaute mich an, als könnte er in mich hineinschauen. Aus Reflex, nahm ich das Kühlpack und schlug es ihm fester, als ich wollte wieder auf seine Augenbraue.

»Draufhalten«, verlangte ich und floh aus seiner Nähe, in dem ich auf meinen Koffer zusteuerte, den ich immer noch nicht so richtig ausgepackt hatte. Meine Klamotten waren bereits am ersten Tag in meinem neuen Kleiderschrank gelandet, aber Dinge wie der Erste-Hilfe-Kasten, lagen noch immer sicher in meinem Koffer verstaut. Schnell zog ich den Koffer unter meinem Bett hervor und kramte in einer kleinen schwarzen Tasche, nach der Ringelblumensalbe von Madisons Oma. Sie hatte es mir zwei Tage vor dem Abflug übergeben und ich hatte sie dafür ausgelacht. Ich hätte ja nicht ahnen können, dass ich es wirklich brauchen würde.
Als ich die kleine Cremedose fand, worin sich die Salbe befand, schloss ich den Koffer wieder und schob ihn unter mein Bett zurück.

Wortlos setzte ich mich wieder zu ihm und begann seine Stellen im Gesicht damit zu versorgen.

»Es tut mir leid, dass du mit ansehen musstest, wie wir uns geprügelt hatten. Im Nachhinein ist mir das ehrlichgesagt doch etwas peinlich«, seufzte Jungkook irgendwann und sank den Kopf.
Ich betrachtete seine Hände etwas Näher und entdeckte eine neue, nicht gerade kleine Wunde auf seinem Handrücken. Ich nahm sie, um sie näher anzugucken. In dem Moment klopfte es an der Tür.

Diese ging ohne eine Antwort sofort auf. Wir beide sahen zur Tür und sahen Jimin darinstehen. Was war das hier eigentlich? 

Jimins Lächeln erblasste sofort. Er starrte auf unsere Hände und sah Jungkook dann böse an.

»Verräter!«, brachte er brüllend hervor, drehte sich auf dem Absatz um und stampfte wütend davon, nachdem er mich ebenfalls säuerlich ansah. Ich verstand ihn nicht. Damals gab er mir einen Freipass für Jungkook und jetzt ist er wieder so herrisch? Sofort sprang ich auf, um ihm zu folgen, doch Jungkook packte mich am Arm und hielt mich fest. Ich sah zu meiner Hand, die immer noch von ihm festgehalten wurde.

»Lass mich los ... ich will zu Jimin!«, sagte ich mit ernster Stimme und sah ihn sauer an.
Doch er ließ nicht locker.

»Du holst ihn nicht mehr ein. Und wenn doch, dann kannst du eh nicht mehr mit ihm reden. Der Typ ist jetzt auf hundertachtzig.«, versuchte er mir zu erklären.
Ich stockte. Innerlich wusste ich, dass er recht hatte, aber ich wollte auch dem Jungen nach, für den mein Herz schneller schlug, als nach einem Marathon. Aber Jungkook hatte Recht. Es war zu spät. Es hätte eh keinen Sinn gemacht, sich ihm zu widersetzen. Also setzte ich mich wieder neben ihn. Unser Gespräch war jedoch verstummt. Meine Gedanken drehten sich nur um Jimin und, dass er einen völlig falschen Eindruck von dem bekommen hatte, was er sah. Ich wusste, dass es eine blöde Idee war.

Jungkook schien zu merken, dass ich grübelte, denn er stand langsam auf.

»Ich sollte besser gehen«, sagte er und lächelte mich ab, aber es verrutschte und wirkte sehr traurig in seinem hübschen Gesicht.
Ich schaute zu ihm hoch. Ach man, jetzt hatte ich zwei Menschen verletzt.

»Gute Nacht, Jungkook.« Meine Stimme war schwach und leise.

»Gute Nacht«, antwortete er und verließ mein Zimmer.

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