E I N S
„Jetzt halt doch endlich mal die Fresse, ich will ihr zuhören!", meine zwergenhafte beste Freundin straft mich mit ihrem berüchtigten und überall gefürchteten Todesblick. Ich stöhne auf und tue so, als würde ich meinen Mund mit einem Reißverschluss verschließen. Lydia nickt zufrieden und starrt wieder gebannt nach vorne.
Innerlich verfluche ich mich dafür, dass sie mich tatsächlich dazu überreden konnte, mit ihr hier her zu fahren.
Lydia liebt Bücher. Ich nicht. Ich meine, ich habe nichts gegen Bücher oder so. Vielleicht lese ich sogar ein oder zwei im Jahr. Aber so richtig begeistern kann ich mich fürs Lesen nicht.
Jedenfalls kam Lydia vor ungefähr zwei Monaten total euphorisch bei mir an und teilte mir mit, dass die Autorin ihres allerliebsten Lieblingsbuches zur nächsten Buchmesse kommen würde und da müsse sie unbedingt hin – mit mir.
An sich wäre das ja auch nicht problematisch gewesen, aber der Titel des Buches ist In Love With A Badboy und ich finde, das sagt schon einiges darüber aus.
Als Lydia mir dann die Handlung erzählt hat, habe ich mich mit Händen und Füßen gewehrt um nicht mitfahren zu müssen.
Und jetzt stehe ich hier und höre mir das dämliche Gefasel der Autorin an.
Keine Ahnung, wie Lydia das geschafft hat, ehrlich nicht. Ich schätze, ich habe sie einfach lieb.
Der Albtraum fing schon mit der Zugfahrt an. Der Zug war total voll, so dass wir letztendlich irgendwo im Gang auf dem Boden saßen und so eine blöde Kuh auch noch alles mit ihrem Fahrrad blockiert hat. Außerdem haben die neuerdings so neumoderne Toiletten mit Automatiktüren. Einfach auf einen Knopf drücken und die Türen öffnen sich. Leider war nicht so ganz klar, wie man die dann abschließt. Irgendwann war Lydia auf dem Klo und so ein Typ kam und musste auch. Allerdings wusste der nicht, dass es besetzt war und öffnete die Türen, womit er dem ganzen Abteil dann den Blick auf meine auf Klo hockende beste Freundin freigab. Zugegeben, das war ganz witzig. Danach wollte Lydia das Abteil wechseln.
Als wir dann endlich angekommen waren hat es noch stundenlang gedauert, bis wir endlich das verfluchte Hotel gefunden haben. Ich hasse Großstädte, wirklich.
Wir sind heute schon den ganzen Tag durch diese riesigen Hallen geschlichen und Lydia hat schon mindestens sechs Bücher gekauft. Die Hälfte davon muss ich tragen.
„Und vielleicht findet ihr eines Tages auch euren ganz eigenen Badboy, genauso wie Amy.",und damit schließt diese schreckliche Frau ihr Gequatsche ab. Die Hauptfigur heißt auch noch Amy. Es wird wirklich immer besser. Dieses Klischee stinkt zum Himmel.
„Oh mein Gott, ich muss mir unbedingt meine Ausgabe signieren lassen!", schwärmt Lydia, nimmt meine Hand und zieht mich nach vorne.
„Können wir danach endlich gehen?"
„Olivia! Setz'einmal ein freundliches Gesicht auf. Komm schon, für mich!"
Ich lächele meine beste Freundin übertrieben falsch an und sie lacht bloß.
Es kommt mir vor, als würden wir ewig in der Schlange warten, bis Lydia endlich dran ist.
„Liane Nickelson, ich bin ein unglaublich großer Fan Ihres Buches, ich liebe die Geschichte! Tausend Dank, dass sie sie verfasst haben!"
"Ich habe zu danken! Ohne meine Leser wäre dieses Buch nichts.", Würg.
"Wie ist denn dein Name?", die Frau sieht Lydia freundlich an und zückt ihren Kulli. Sie ist schätzungsweise zwischen 40 und 50, ihr Haar ist rot gefärbt und kraus. Sie ist ein bisschen rundlicher und trägt eine dicke Hornbrille auf der Nase.
Hat sie Kinder? Ist denen nicht unangenehm, dass ihre Mutter so einen Bullshit schreibt und jeder es lesen kann?
"Lydia!"
"Okay, also... Für... Lydia... Liane... Nickelson... Bitteschön!", sie gibt meiner Freundin das Buch zurück und sieht dann mich an.
"Möchtest du auch eine signierte Ausgabe?"
Ich kann mich nicht zurückhalten und fange an zu lachen. Liane zieht eine Augenbraue hoch.
"Auf keinsten, ich lese so einen Mist nicht."
"Olivia!", Lydia funkelt mich empört an.
"Ist doch so. Solche Bücher vermitteln den kleinen pubertierenden Mädchen einfach ein völlig falsches Bild. Und besonders originell sind diese ganzen klischeebepackten Badboy-Stories auch nicht."
"Du magst das Genre nicht, aber ist das ein Grund beleidigend zu werden?", Lydia wirft die Hände in die Luft und sieht Liane Nickelson entschuldigend an.
Diese grinst nur und schüttelt belustigt den Kopf. Arrogant auch noch.
"Ich bin mir sicher, du wirst eines Tages verstehen, was viele junge Mädchen an diesen Geschichten finden. Ich möchte nicht unfreundlich sein, aber ich muss euch bitten zu gehen. Die anderen Leser möchten sich ihr Buch auch signieren lassen. Es hat mich gefreut."
"Mich hat es auch unendlich gefreut!", strahlt Lydia. Dann nimmt sie meine Hand und zieht mich ein wenig abseits.
"Bist du total bescheuert?!", sie ist ziemlich angepisst.
"Du weißt, dass Höflichkeit nicht so meins ist."
"Du kannst dich doch wohl einmal zusammenreißen. Ein einziges Mal!"; sie fährt sich doch die langen aalglatten goldblonden Haare. Als ich ein Kind war, war meine Haarfarbe ähnlich, aber irgendwann bin ich einfach dunkelblond geworden. Mit 13 habe ich dann angefangen meine Haare zu färben. Braun, rot, schwarz, wieder blond, blau und alle Farben, die man sich vorstellen kann. Im Moment sind sie rosa und meine Frisörin ist immer wieder erstaunt, dass meine Haare das ganze so gut mitmachen. Sie sind ein wenig trocken, aber auf keinen Fall kaputt und sie glänzen.
Ich will Lydia antworten, aber mir wird plötzlich schlecht.
Der Blick meiner Freundin wird weicher.
"Olivia, ist alles in Ordnung? Du siehst auf einmal so blass aus."
"Ich glaube, ich muss mich einfach kurz setzen.", alles dreht sich. Keine Ahnung, woher das kommt. Ich habe nie Probleme mit dem Kreislauf oder so.
Lydia stützt mich und führt mich zu einer Bank, die hinter einem großen Plakat steht. Von hier aus können wir die Leute sehen, aber die Leute uns nicht. Lydia weiß, dass ich nicht scharf auf Zuschauer bin, wenn es mir mies geht.
Die Welt verschwimmt vor meinen Augen.
Was ist das für eine verdammte Scheiße. Ich kriege schlecht Luft und kralle mich panisch am Arm meiner besten Freundin fest.
"Olivia, was ist denn?", sie klingt hysterisch.
Das letzte was ich sehe ist das grinsende Gesicht von Liane Nickelson.
Dann wird alles schwarz.
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