9. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩

*Kathlyn*

Sämtliche guten Vorsätze waren wie weggeblasen. Ich konnte nicht mit ihm gehen. Würde ich das nämlich tun, würde ich als sein Spielzeug enden. Das hatten mir seine Blicke mehr als nur verdeutlicht. Er würde mich mit Haut und Haaren verschlingen und ich könnte ihm nichts entgegensetzen.

Ich spürte, wie er sich bei meiner Antwort augenblicklich anspannte. Er umklammerte das Fensterbrett so fest, dass seine Sehnen am Arm deutlich hervortraten und plötzlich knackte es gefährlich und feine Risse zogen sich durch das Granit.

„Gar nicht?" Sein Atem streifte meinen Nacken und jagte mir erneut eine Gänsehaut über den Rücken. Ich fühlte seinen brennenden Blick auf mir, konnte mich jedoch nicht dazu bewegen ihn anzusehen. Stattdessen betrachtete ich das feine Netz aus Rissen in meiner Fensterbank.

„Sag mir Kathlyn, war ich nicht deutlich genug?" Seine Hand fuhr dominant unter mein Kinn und drehte ihm mein Gesicht zu. Seine eisblauen Augen hatten sich vor Zorn komplett verdunkelt.

Er hatte damals mit dem unhöflichen Typ zusammen im Café gesessen, allerdings hatte ich mich mehr auf Braunauge konzentriert, als auf dieses Exemplar hier.

Er war groß – ich reichte ihm gerade einmal bis zur Brust – und sehr muskulös. Sein Oberkörper war breit und durchtrainiert. Seine Arme zierten einige Muskeln und ich schätzte, dass sich unter diesem grauen T-Shirt ein ebenso durchtrainierter Waschbrettbauch verbarg. Sein kurzes, dunkelbraunes Haar war ein wenig zerzaust, was gut zu ihm passte. Ein Dreitagebart verlieh ihm etwas Wildes und Gefährliches, der Ausdruck seiner Augen bestärkte dies.

Er war wirklich sehr attraktiv, doch davon ließ ich mich nicht blenden. Fliegenpilze sahen immerhin auch appetitlich aus.

„Du warst deutlich. Aber deine Bedingung ist recht einseitig – deshalb solltest du auch ins Rathaus kommen. Ilargia hat ebenfalls Bedingungen, zu meinem Schutz."

„Zu deinem Schutz?" Sein Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. „Und wie kommt ihr auf die törichte Idee, dass ihr in der Position seid, Bedingungen zu stellen?"

„Ich bin immer noch eine Bürgerin Ilargias. Und laut Abkommen dürft ihr mir nichts tun.", imitierte ich meinen Vater und versuchte mich von ihm nicht einschüchtern, oder es mir zumindest nicht anmerken zu lassen.

„Ist das so?" Seine Hand zog mein Gesicht näher zu seinem und hielt knapp vor seinen Lippen inne. Ich wollte mich ihm entziehen, hatte jedoch keine Chance. Sein Atem prallte heiß auf meinen Mund, meine Hände versuchten vergeblich ihn wegzuschieben. Er legte einfach seinen anderen Arm um meine Taille und presste mich an sich.

„Das Abkommen gilt nur leider nicht mehr.", flüsterte er und mein ganzer Körper spannte sich augenblicklich an. „Du entscheidest, ob es je wieder gelten wird. Und wenn du mit mir kommst, unterstehst du nicht mehr den Gesetzen Ilargias. Du gehörst dann zu meinem Rudel. Du gehörst mir!"

Diesen letzten Satz sagte er, als wäre es eine unumstößliche Tatsache. Als gäbe es nicht den geringsten Zweifel und als hätte es ihn auch nie zuvor gegeben. Es war schon immer so und würde immer so sein.

Ich konnte nichts erwidern. Mein Kopf war leergefegt, mein Herzklopfen schien alles andere zu übertönen, gleichzeitig war ich mir meiner Machtlosigkeit deutlich bewusst. Er hielt sämtliche Fäden in der Hand, das wussten wir beide.

Einen Moment lang musterte er mich noch, dann überbrückte er plötzliche die letzte Distanz und drängte seine Lippen gierig gegen meine, sein Körper presste mich gegen das Fenster und seine Hand hielt meinen Kopf unnachgiebig in Position.

Dieser Kuss war besitzergreifend und fordernd, voller aufgestautem Verlangen und alles andere als unschuldig. So war ich noch nie zuvor geküsst worden!

Seine Zunge strich über meine Lippen, forderte vollen Zugang und nahm ihn sich schließlich einfach. Er erkundete jeden Winkel meines Mundes mit solcher Bestimmtheit, als würde ihm ohnehin alles gehören. Ich schrie protestierend in den Kuss hinein, doch all meine Versuche mich zu wehren bemerkte er nicht einmal, und so gab ich schlussendlich auf.

Es war entschieden. Ich wusste, dass ich ihm nicht mehr entkommen würde. Ich war ihm ausgeliefert. Nichts und niemand würde mich mehr vor ihm schützen können. Er war der Jäger und ich seine Beute, Katze und Maus. Er würde mit mir spielen, bis er mich satt hatte. Und dann würde er mich entweder gehen lassen, oder mich erlösen.

Endlich gab er mich frei und betrachtete meine geschwollenen Lippen, als wären sie ein Mysterium. Ich schnappte keuchend nach Luft. Tränen traten mir aus den Augenwinkeln und rannen mir über die Wange. Als er das bemerkte brachte er Abstand zwischen uns und lief ein paar Schritte in mein Zimmer hinein.

Einen kurzen Moment überlegte ich tatsächlich das Fenster aufzureißen und einen Fluchtversuch zu wagen. Wenn ich Glück hatte, würde ich mir das Genick brechen. Allerdings ließ er mich nicht aus den Augen, als würde er so etwas erwarten.

Und dann fragte er, als hätte er meine Gedanken erraten: „Möchtest du einen Krieg, Kathlyn?"

„Nein!" Mein Blick glitt automatisch zu dem Foto meiner Eltern, das auf meiner Kommode stand. Ich würde es nicht ertragen, wenn ihnen meinetwegen etwas geschah!

„Du hast nicht gepackt." Es war eine simple Feststellung und doch schwang ein deutlicher Vorwurf, gepaart mit Wut, in seinen Worten mit. Er machte schon die ganze Zeit einen aggressiven Eindruck, selbst sein Kuss war eher aggressiv gewesen. Nun ging mir auch auf, weshalb. Hatte dieser Typ mein Zimmer durchsucht, oder was?

„Niemand hat gesagt, dass ich hier mit gepackten Koffern auf euch warten soll. Dann hättest du dich klarer ausdrücken müssen." Trotzig wischte ich mir die Tränen von den Wangen.

„Ich habe dir 3 Tage Zeit gegeben. Was war daran nicht klar genug? Hast du geglaubt, ich würde dir danach noch mehr Zeit geben?" Seine Augenbraue schoss in die Höhe. Er deutete auffordernd auf die Tür. „Da muss ich dich enttäuschen. Wir gehen jetzt."

Ich rührte mich nicht von der Stelle. Ungläubig sah ich zwischen der Tür und ihm hin und her. Das konnte er doch nicht tun!

„Oder bevorzugst du das Fenster?", wollte er amüsiert über meine Fassungslosigkeit wissen.

„Ich habe mich noch nicht verabschiedet."

Sein Blick verdunkelte sich schlagartig wieder und er kam abermals auf mich zu und schnappte sich mein Handgelenk, bevor ich ihm ausweichen konnte.

„Dann ist das nicht zu ändern.", stellte er sachlich fest und zog mich mit sich aus dem Zimmer. Mein Handgelenk hielt er dabei unnachgiebig umklammert, sonst hätte ich ihn wahrscheinlich die Treppe herunter geschubst. Stattdessen hielt ich mich am Geländer fest und bremst ihn damit aus.

„Du erwartest wirklich, dass ich jetzt einfach so mit dir komme? Ohne irgendwelche Garantien? Ohne, dass ich mich verabschieden darf? Und ohne, dass ich etwas mitnehmen darf?"

„Deine Frist ist um. Wenn du deine Zeit nicht sinnvoller genutzt hast, ist das nicht meine Schuld Kathlyn! Und was deine Garantien angeht – denkst du nicht, ich hätte dir schon etwas antun können, wenn ich es gewollt hätte?"

„Wie großzügig von dir! Das ist ja sehr beruhigend!"

„Es reicht jetzt! Lass das Geländer los!" Wütend funkelten wir einander an, keiner bereit nachzugeben. Seine Geduld mit mir hatte ein jähes Ende, als er zu mir kam und binnen Sekunden meine Finger gelöst hatte. Sein Arm schlang sich um meine Taille, plötzlich verlor ich den Boden unter den Füßen und mit einem lauten Schrei landete ich über seiner Schulter.

„Lass mich sofort runter!" Fluchend schlug ich auf seinen Rücken ein und versuchte zu strampeln, was ihn nicht wirklich beeindruckte.

„Möchtest du deine Eltern noch einmal sehen?", knurrte er und ich hörte augenblicklich auf. Im nächsten Moment krallte ich mich quietschend in sein Shirt, als wir plötzlich in rasender Geschwindigkeit unser Haus und das Grundstück verließen. Wie zum Teufel machte er das?

Bequem war diese Position jedenfalls nicht. Langsam wurde mir schlecht. Als wir endlich anhielten war ich ihm sehr dankbar, als er mich herunterließ. Wir waren auf einer Anhöhe, die unsere Nachbarschaft umgab. Er zog mich zu ein paar Bäumen und nickte dann in Richtung unseres Hauses. Es war so weit weg, doch noch gut zu erkennen. Und gerade bog ein Fahrzeug in die Einfahrt und zwei Personen stiegen hastig aus.

Meine Eltern.

So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Sie hasteten ins Haus und ich wusste, was sie dort feststellen würden. Ich wusste, was sich meine Mutter für Vorwürfe machen würde, weil sie mich allein gelassen hatte. Dass sie sich das nie verzeihen würde – oder meinem Vater.

Verzweifelt kämpfte ich die Tränen nieder, die schon wieder die Oberhand gewinnen wollten, und warf dem Alpha einen verstohlenen Blick zu. Falls er jetzt dachte, er hätte gewonnen, würde ich ihn schnell eines Besseren belehren! Laut seiner Bedingung sollte ich mit ihm gehen, damit er Ilargia verschonte, und das tat ich auch.

Aber es war nie davon die Rede gewesen, dass ich auch bei ihm blieb!

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