64. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩

Aus den Chroniken der Geschichte der Werwölfe

*Kathlyn*

Als ich Stunden später aufwachte, weil meine Mutter wie verrückt an die Tür klopfte, war er verschwunden. Das Fenster war ganz unschuldig geschlossen worden. Nur das Shirt, dass er diese Nacht angehabt hatte, lag anstelle meines anderen Shirts von ihm vor dem Bett. Das irritierte mich einen Moment lang völlig, bevor meine Wangen Feuer fingen und ich es unter das Kopfkissen stopfte. War klar, dass er sich wieder etwas darauf einbildete!

Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken an ihn zu vertreiben und überflog den Chat mit Marius. Nein, das war diese Nacht definitiv kein schlechter Traum gewesen. Die Blätter an meiner Bettdecke bestätigten das ebenfalls.

Ich entsorgte die Überreste, ehe ich mein Zimmer aufschloss und meiner morgendlichen Routine nachging. In Gedanken war ich allerdings bereits bei heute Abend. Vier Tage waren nicht viel. Aber ich würde mein Bestes geben!

Ich kam zu spät zum Abendessen, doch das war Absicht. Ich wollte es so aussehen lassen, als wäre ich noch unentschlossen. Ich ließ ganz unhöflich eine Viertelstunde verstreichen, bevor ich die Veranda betrat und klingelte. Dabei sah ich mich unauffällig in Richtung Waldrand um, doch natürlich entdeckte ich niemanden.

Kurz darauf hörte ich schnelle Schritte und als sich die Tür öffnete, stand Nicoleta Frumos vor mir und strahlte mich hocherfreut an. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass sie die geheimnisvolle Nicoleta war. Leider hatte mir Jace nicht verraten, weshalb er Briefe an sie hatte. Und er hatte mir streng verboten, diese bei Familie Frumos zu erwähnen.

„Kathlyn! Wir waren schon in Sorge, dass Sie es sich anders überlegt haben könnten." Nicoleta war eine hübsche, große und schlanke Frau mit schulterlangen Locken. Sie musste im Alter meine Mom sein, vielleicht sogar ein wenig älter.

Ich lächelte verhalten und trat ein. Auf den ersten Blick wirkte das Haus völlig normal. Zumindest konnte ich mir ein geheimes Labor im Keller nicht vorstellen. Andererseits hatten auch Martin und Beth völlig ‚normal' gewirkt.

„Kathlyn. Wie schön, dass du gekommen bist!" Marius kam mir entgegen und deutete auf das Wohnzimmer. „Komm doch rein."

Das Wohnzimmer hatte ein Kanapee, das dem in der Bibliothek sehr ähnlichsah. Allgemein schienen sie eher älteres Mobiliar zu bevorzugen. An der Wand hingen lauter Bilder von irgendwelchen Adligen, wie es aussah. Und über dem Kamin hing das Bild eines Hofnarrs. Ich konnte nicht anders als es anzustarren. Warum hing man sich so etwas hin?

„Ich hoffe du hast Hunger mitgebracht." Er war im Türrahmen stehen geblieben und beobachtete mich unsicher. Marius Frumos war ein beleibter Mann, mittlerer Größe, der alles andere als furchteinflößend war. Er wirkte wie ein Mann, der den ganzen Tag vor dem Computer saß und nicht wie jemand, der mit einem Skalpell umgehen konnte oder mit einem Reagenzglas hantierte. Allerdings hatte er auf Alec geschossen und die ganze Stadt aufgehetzt. Ich sollte ihn also nicht unterschätzen.

„Das ist einer unserer Vorfahren.", plapperte er weiter, als ich nicht antwortete. Anhand des Namens, der in güldenen Lettern unter dem Bild stand, hatte ich mir so etwas schon gedacht. Allerdings sah Marius dem Bild nicht einmal ansatzweise ähnlich.

„Er war der Herrscher über die Walachei." Oh, dann war das wohl eine Krone und keine Narrenkappe. Aber königliche Züge hatte Marius auch nicht.

„Ich denke nicht, dass sie unsere Vorfahren interessieren. Sie müssen ihn entschuldigen, aber wir sind sehr stolz auf unsere Abstammung." Nicoleta bedachte ihn mit einem mahnenden Blick. „Hat er Ihnen schon etwas zu trinken angeboten?"

„Oh, das habe ich vergessen."

„Das dachte ich mir. Begleiten Sie mich in die Küche Kathlyn. Dort bleiben Sie auch vor Anekdoten über unsere Vorfahren verschont, versprochen."

„Sie können mich ruhig duzen." Schließlich sollten wir ja Freunde werden.

„Nur wenn ich dieses Angebot zurückgeben darf.", erwiderte sie freundlich. Die Küche war ein wenig moderner eingerichtet. Sie schienen rosatöne zu mögen.

„Wie wäre es mit einem Glas Rotwein?"

„Klingt gut." Ich setzte mich an den Tisch, der schon eingedeckt war. Eine Schüssel mit Salat und Baguette standen ebenfalls schon dort.

„Ich hätte gern etwas traditionelles aus unserer Heimat gekocht, aber ich wusste nicht ob du das mögen würdest." Nicoleta stellte mir ein Glas Rotwein hin und wandte sich zum Herd um, in dem irgendetwas in einer Pfanne briet. Marius setzte sich mir gegenüber. Er schien vorsichtiger zu sein, nachdem ich ihm im Café so angefaucht hatte.

„Ich wollte mich für mein Verhalten gestern entschuldigen." Ich starrte auf mein Glas und suchte die richtigen Worte. „Das war unpassend und unhöflich von mir. Ich hätte meinen Ärger nicht an Ihnen auslassen dürfen."

„Wir wollten uns doch duzen.", erinnerte er mich. „Und ich muss mich bei dir entschuldigen. Du hast meinetwegen viel durchgemacht und du hast jedes Recht, wütend darüber zu sein. Es lag nie in meiner Absicht, jemanden aus unserer Stadt Schaden zuzufügen, glaub mir. Und ich bin sehr erleichtert, dass es dir gut geht und du nun hier bist."

„Meine Eltern wissen nicht, wo ich bin. Sie haben Angst, dass die Wölfe das falsch auffassen könnten. Sie denken, die Wölfe würden mich beobachten lassen. Es würde mich nicht einmal überraschen." Bei diesen Worten sahen mich Marius und Nicoleta verständnisvoll an. „Aber ich möchte Antworten. Und ich glaube, dass die nur Sie haben. Du sie hast.", korrigierte ich mich.

„Das verstehe ich. Und ich werde mein Bestes tun. Aber ich muss dich daran erinnern, dass ich wie dein Vater der Schweigepflicht unterliege, auch wenn ich nicht mehr zum Stadtrat gehöre."

„Ich habe nicht vor, mich weiter abspeisen zu lassen. Dazu habe ich zu viel erlebt und gehört. Jeder will mir Fragen stellen, aber niemand will mir Antworten geben. Also frage ich euch, bevor wir gegenseitig unsere Zeit verschwenden: Seid ihr genauso? Denn dann sind wir hier fertig." Es war ein Spiel mit dem Feuer, doch etwas anderes konnte ich mir nicht mehr leisten. Nicht bei der Frist, die Jace mir gesetzt hatte. Nicht nach allem was passiert war. Und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich dieses Gespräch nicht für das Rudel und nicht für Jace führte, sondern für mich. Weil man es mir verdammt noch mal schuldig war.

Einen Moment lang herrschte Stille. Ich hatte die beiden überrumpelt. Sie tauschten einen unbehaglichen Blick, bevor Marius sich räusperte.

„Nun, ich hoffe das wir alle von diesem Gespräch profitieren Kathe. Ja, wir werden dir Fragen stellen. Das müssen wir, da wir einfach etwas an der Situation in Ilargia ändern wollen und du die einzige bist, die uns dabei wirklich helfen kann. Aber wir werden auch deine Fragen beantworten, so gut es uns möglich ist. Wir bitten dich nur um Verständnis, wenn wir vielleicht manche deiner Fragen noch nicht oder nur zum Teil beantworten können. Hier ist einfach nicht der richtige Ort dafür. Wie deine Eltern schon gesagt haben ist es schwer, jemanden in Ilargia zu vertrauen. Weil wir einfach nicht wissen, wer zu ihnen gehört."

„Du sollst aber wissen, dass du uns vertrauen kannst Kathlyn. Wir sind auf deiner Seite.", bekräftigte Nicoleta.

„Das werden wir sehen.", erwiderte ich. Sie sollten merken, dass ich ihnen nicht so einfach glauben würde. Sie mussten es beweisen. „Warum wollt ihr das Abkommen unbedingt auflösen? Warum wollt ihr einen Krieg gegen einen Gegner provozieren, dem wir eindeutig unterlegen sind? Denn ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass dieser Schuss eine Kurzschlussreaktion war. Ich denke er war Absicht."

„Du hast Recht." Marius senkte den Blick kurz auf seine Hände, ehe er mich fixierte. „Ich wollte eine Chance für unsere Stadt schaffen, sich endlich von den Wölfen zu befreien. Ich hatte vor das Abkommen zu brechen, egal mit welchen Mitteln. Ich hatte jedoch nicht geplant, dich dafür in Gefahr zu bringen. Und ich hatte nicht damit gerechnet, dass du der Pfand für meine Tat sein würdest. Ich habe alles dafür getan, um das wieder gut zu machen. Aber was dir passiert ist, hat vielen Bürgern Ilargias die Augen geöffnet. Das Abkommen steht uns im Weg. Es schützt nicht uns, sondern die Wölfe."

„Hier geht es nicht nur um Ilargia. Viele Menschen schweben in Gefahr und wissen es nicht einmal. Diese Monster leben überall auf der Welt und tarnen sich als Menschen. Wir müssen sie zwingen, aus ihren Verstecken zu kriechen, damit wir sie bekämpfen können. Und zwar weltweit.", erklärte Nicoleta.

„Früher sind sie unter ihresgleichen geblieben. Sie haben zurückgezogen gelebt und waren eher eine Randerscheinung. Doch inzwischen haben sie sich ausgebreitet. Das Werwolfgen setzt sich durch. Das bedeutet, dass jedes Kind von ihnen auch ein Werwolf wird. Eine übernatürliche Kampfmaschine ohne natürliche Feinde, die uns immer überlegen sein wird. Niemand weiß, wie viele es inzwischen gibt. Und diese Bedrohung wächst mit jedem Tag. Je länger wir wegsehen und all das ignorieren, desto größer wird diese Bedrohung Kathlyn."

„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ihre Überlegenheit ausnutzen werden. Wir müssen der Welt zeigen, dass sie existieren und wozu sie fähig sind." Erschreckenderweise hatten sie damit gar nicht einmal so Unrecht, wenn man an Claus dachte.

„Nicht jeder von ihnen ist böse oder hat böse Absichten.", rutschte es mir über die Lippen. „Sie beschützen uns sogar."

„Vor Ihresgleichen!", spottete Marius. „Das sagt doch schon alles aus. Ein ganzes Rudel ist nötig, um uns vor einen von ihnen zu schützen. Da möchte man nicht wissen was passiert, wenn sich mehrere oder sogar ein ganzes Rudel gegen uns wendet."

„Man hat es schon gesehen.", widersprach Nicoleta. „In dem Krieg vor 80 Jahren. Die Leidtragenden waren nicht die Wölfe, sondern wir Menschen. Beinahe hätten sie die ganze Stadt ausgelöscht. Und anstatt dieses Problem anzugehen, hat man sie noch beschützt, wegen des Abkommens. Man hat ihre Morde gerechtfertigt und vertuscht."

„Aber die Zeiten haben sich geändert. Wir Menschen haben uns weiterentwickelt. Wir sind nicht mehr so leichte Beute, wie sie es uns glauben machen wollen. Wir sollten zum Befreiungsschlag ausholen, solange das Überraschungsmoment auf unserer Seite ist."

„Wie bei einem Elefantenbaby, das mit einem Pflock festgebunden wurde. Es zerrt und zieht, aber es hat noch nicht die Kraft sich zu befreien. Ist der Elefant ausgewachsen versucht er es gar nicht mehr. Er sieht den Pflock und glaubt, es sei unmöglich. Wir müssen den Menschen zeigen, dass es möglich ist.", ereiferte sich Nicoleta und stellte die Pfanne auf den Tisch. Marius nickte zustimmend.

„Ihr wollt also einen weltweiten Krieg gegen sie? Weil ihr glaubt, wir können ihn gewinnen?"

„Wir wollen sie dorthin zurück wo sie hingehören: Auf die Abschussliste.", antwortete Marius. Ich nahm einen Schluck Wein, bevor ich noch etwas Falsches sagte. „Es mag barbarisch klingen. Aber es gibt Aufzeichnungen über ihre Pläne. Ein Rudel, dass alle anderen unter einem Alpha vereinen soll, um sich über die Menschen zu erheben. Die Gefahr ist real Kathlyn."

„Es gibt auch Aufzeichnungen von Menschen, die andere Rassen auslöschen wollen. Deshalb sind alle anderen noch lange nicht damit einverstanden."

„Sollen wir also einfach abwarten, ob es sich bewahrheitet oder nicht? Bei diesem Gegner?", fragte Marius und lachte ungläubig auf. Ich nahm einen weiteren Schluck Wein. Mit Vernunft würde ich hier nicht weit kommen. Sie waren Jäger, da würde ich meinen Namen darauf verwetten. Ihnen wurde beigebracht die Wölfe zu hassen, wie man Claus beigebracht hatte die Menschen zu hassen. Feinde, die als solche dazu erzogen worden waren. Und ich war nicht hier um sie eines besseren zu belehren, sondern um ihnen Informationen zu entlocken. Um zu verhindern, dass es dieses Blutbad geben würde, das sie so herbeisehnten.

„Ich habe immer noch nicht verstanden, welche Rolle das Abkommen dabei spielt. Warum enttarnt ihr die Wölfe nicht einfach? Warum muss das Abkommen aufgelöst werden?"

„Ilargia ist die einzige Stadt weltweit, die von der Existenz der Wölfe weiß. Sie ist die einzige Stadt, die Kontakt zu den Wölfen pflegt und von der wir wissen, dass ein Rudel direkt nebenan wohnt. Die Enttarnung eines einzelnen Wolfes, vielleicht auch einer kleinen Gruppe, konnten die Menschen bisher immer vertuschen. Man schob sie ins Reich der Mythen und Legenden. Man drehte Filme und schrieb Bücher über sie, um sie zu verharmlosen oder zu romantisieren. Um die Geschichte eines Märchens zu untermauern.", erklärte Nicoleta. „Und es hat funktioniert. Wir könnten den Menschen Filmmaterial vorlegen, du könntest ihnen deine Geschichte erzählen, man würde uns nur für verrückt halten. Unsere Beweise sind nichts wert."

„Doch die Enttarnung eines ganzen Rudels kann man nicht so leicht erklären. Schon gar nicht die Geschichten der Bewohner einer ganzen Stadt. Selbst wenn man einen mundtot machen würde, würden hundert andere dieselbe Geschichte erzählen. Man würde uns endlich glauben, verstehst du Kathlyn?", fuhr Marius fort. Ich verstand ihren Plan tatsächlich. Er war erschreckend genial. „Wir wollen keinen Krieg, wie vor 80 Jahren. Wir wollen nur, dass das Abkommen aufgelöst wird. Doch dafür brauchen wir deine Hilfe."

„Aber zuerst", unterbrach ihn Nicoleta und legte eine Hand auf seine, „sollten wir essen, bevor es kalt wird."

Die restlichen Unterhaltungen verliefen ähnlich. Ich verstand, wie Marius die halbe Stadt hinter sich gebracht hatte. Er konnte sehr überzeugend sein und vielleicht wäre ich für seine Überzeugungen offener gewesen, hätte ich das besagte Rudel nie so nah kennengelernt.

Sie erhofften sich von mir, dass ich mich öffentlich für eine Auflösung des Abkommens und eine Neuwahl des Bürgermeisterpostens aussprach. Denn sollte ich das tun, hätten Carola und der Rat keinerlei Chance. Plötzlich wurde mir bewusst, wie gefährlich ich auch hier für die Menschen geworden war und weshalb Carola mich so schnell wie möglich aus der Stadt haben wollte. Ich entschied wieder, ob ich wollte oder nicht, über die Zukunft Ilargias. Über die Zukunft der Wölfe.

Natürlich stellten sie mir auch Fragen über das Rudel. Vor allem über ‚den Alpha'. Es interessierte sie, weshalb er der Stadt so vehement fern blieb. So war ich gezwungen ihnen ein wenig entgegen zu kommen. Also erwähnte ich, dass Jäger aus Ilargia ein Familienmitglied von ihm vor 16 Jahren getötet hatten. Dem Blick nach zu urteilen, den Marius und Nicoleta sich daraufhin zuwarfen, war ihnen der Vorfall damals nicht unbekannt.

Ich wäre gern noch länger geblieben und hätte mehr erfahren, doch meine Mutter rief ständig an und schrieb Nachrichten. Sie hatte herausgefunden, dass ich gelogen hatte und nicht bei Thea war.

„Es tut mir leid.", entschuldigte ich mich, als das Paar mich zur Tür brachte.

„Du musst dich nicht entschuldigen. Deine Eltern machen sich zu Recht Sorgen um dich. Man kann inzwischen niemanden in Ilargia mehr trauen."

Ich nickte geistesabwesend, in Gedanken bekniete ich bereits meine Mutter und sandte ein Stoßgebet Richtung Decke. Da blieb mein Blick an zwei Rauchmeldern hängen und ich runzelte perplex die Stirn. Hatte ich zu viel Wein getrunken, dass ich bereits doppelt sah?

„Man kann niemandem mehr trauen. Nicht einmal vermeintlichen Bürgern Ilargias." Marius war meinem Blick gefolgt. „Bei uns wurde eingebrochen, deshalb haben wir mehrere Kameras installieren lassen. Und das war gut so, wie wir feststellen mussten."

„Vermeintlichen Bürgern Ilargias?", wiederholte ich. In meinem Hals bildete sich ein Kloß.

„Nicht jeder ‚Bürger' Ilargias ist auch ein Mensch." Nicoleta sah mich bedeutungsvoll an.

„Wie Beth und Martin." Meine Stimme klang rau und ich hoffte, die beiden würden es als Abscheu oder Ekel auffassen.

„Die Kameras nahmen sie auf, als sie erneut eingebrochen sind. Aber das ist eine andere Geschichte. Du musst nach Hause. Sollen wir dich noch ein Stück bringen?", bot Marius freundlich an.

„Nein, vielen Dank." Mir zitterten die Knie und ich war mir nicht sicher, wie lange ich noch durchhielt, ehe die beiden mich durchschauten.

„Es war ein schöner Abend. Wir sollten das wiederholen!" Nicoleta umarmte mich, als wäre ich eine Freundin. Beth war meine Freundin gewesen.

„Wenn meine Eltern mich jetzt nicht zu Hause anketten.", scherzte ich. Oder befürchtete ich.

„Vielleicht nehmen wir das nächste Mal einen unauffälligeren Ort und Zeitpunkt. Gehst du gern ins Einkaufszentrum?"

„Nein, eigentlich nicht." Die Begegnung mit Nancy gestern hatte voll und ganz gereicht. Allerdings hatte Thea diesen Vorschlag auch schon gemacht. Die Mall bot Anonymität. Etwas, dass ich gerade dringend brauchte. Genauso wie ein weiteres Treffen. „Aber wir wollen ja auch nicht shoppen, oder?"

„Nein. Vielleicht können wir uns dort auf einen Kaffee treffen."

„Das klingt gut.", versuchte ich mich selbst zu überzeugen. „Ich melde mich, wenn ich den Abend heute überstanden habe."

„Ich schicke dir Nicoletas Nummer.", versprach Marius und öffnete die Tür. Kurz darauf atmete ich auf, als ich mich immer weiter von ihrem Haus entfernte.

Der Abend heute hatte mir einige erschreckende Dinge eröffnet. Doch er hatte mir auch gezeigt, dass ich an dem Tod von Beth und Martin nicht schuld war. Eine riesige Last fiel von meinen Schultern. Tränen rannen mir über die Wangen, als ich meine Freunde dachte. Ich war nicht schuld. Ich hätte es nicht verhindern können.

Sie waren gestorben, weil Marius und Nicoleta niemandem trauten. Sie waren gestorben, weil sie ihren Auftrag erfüllen wollten.

Ich war nicht schuld.

Aber ich würde ihren Auftrag verdammt noch mal zu Ende bringen!


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