49. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩
*Kathlyn*
Ich konnte nicht behaupten, dass ich mich auf diesen Abend sonderlich freute. Gleichzeitig klopfte bei dem Gedanken daran mein Herz um einiges schneller. Eigentlich hätte er es verdient, dass ich mich im Geheimgang verschanzte und ihn die gesamte Festung nach mir auf den Kopf stellen ließ. Aber ich wollte das Gespräch nicht noch länger aufschieben. Das hatte ich bereits zu lange getan.
Als ich die Tür zur Alphaetage öffnete, wusste ich nicht was mich erwarten würde und ich wusste nicht, ob der Abend wieder in Streit enden würde. Sollte das der Fall sein, würde ich definitiv ohne seine Erlaubnis bei Josi schlafen. Dann konnte er mich mal gernhaben!
Draußen war es bereits dunkel, es war Halbmond, doch im Wohnbereich flackerte ein angenehmes Licht. Er hatte ein Feuer im Kamin entzündet, das fröhlich vor sich hin flackerte. Die Kücheninsel war liebevoll gedeckt mit allerlei Tellern: verschiedene Fruchtsorten, verschiedener Aufschnitt, Käsestückchen mit Oliven und verschiedene Brotsorten. Sogar eine Flasche Wein stand dort. Er hatte sich richtig Mühe gegeben.
„Da bist du ja." Jace kam aus dem Schlafzimmer. Er trug ein schwarzes, enganliegendes Hemd, dass sich um seine breite Brust spannte und betonte wie gut er aussah, und wie muskulös er war. Sein glänzendes, dichtes, dunkelbraunes Haar war verwuschelt und verriet mir an der Art wie es fiel, dass er es gewaschen hatte. Es sah dann immer so verführerisch weich aus, dass ich am liebsten mit meinen Fingern hindurchstreichen würde.
Seine eisblauen Augen funkelten amüsiert, als er bemerkte wie ich ihn musterte. Ertappt wandte ich den Blick ab und steuerte einen Hocker vor der Kücheninsel an. Das hier war kein Date! Er wollte sich nur einkratzen, weil er sich vorhin wie ein Idiot benommen hatte. Doch so leicht würde ich es ihm definitiv nicht machen!
„Ich soll dir liebe Grüße von Beth und Martin bestellen." Er setzte sich auf den Hocker mir gegenüber. Die Kücheninsel befand sich nun also zwischen uns, was mich ein wenig beruhigte.
Jace griff nach der Weinflasche und schenkte uns ein. Das letzte Mal, als Alkohol meine Hemmschwelle gesenkt hatte, war ich heulend in seinen Armen gelandet. Ich musste dringend aufpassen, dass mir das heute nicht wieder passierte.
„Deinen Eltern geht es gut, auch wenn dein Vater natürlich sehr erschrocken war. Er war übrigens einer von denen, die nicht aus dem Fenster gesprungen sind. Stattdessen hat er mitgeholfen alle in Sicherheit zu bringen. Ich glaube, das habe ich dir noch gar nicht erzählt."
Ja, so kannte ich meinen Dad. Er dachte immer zuerst an andere. Eine Eigenschaft, die meine Mutter des Öfteren in den Wahnsinn trieb.
Eines musste ich Jace jedoch lassen: Ich fand es erstaunlich wie er versuchte mich in Smalltalk zu verwickeln, wo er für gewöhnlich so ungeduldig war. Wie lange er das wohl noch durchhielt, bis er mich anknurren und nach Antworten verlangen würde?
„Es gibt auch einen Zeitungsartikel über den Vorfall. Einer deiner Freunde wird sogar zitiert. Dieser Hunde-Junge. Wenn du möchtest, kannst du ihn nachher lesen."
David. Na das konnte ja nichts Vernünftiges sein. Doch ich schob mir demonstrativ eine Weintraube in den Mund und schwieg beharrlich weiter. Ich hatte keine Freunde in Ilargia. Zumindest keine echten. Denn echte Freunde hätten sich doch wohl für mich eingesetzt, oder?
„Wenn du mich für den Rest des Abends anschweigst, wird es ein sehr einseitiges Gespräch." Jace sah mich abwartend an. Ich lächelte charmant zurück und nahm einen großen Schluck Wein. Eine Weile schwiegen wir beide und aßen einfach. Ich überlegte, wie weit ich das Ganze wohl noch treiben konnte. Jace schien zu überlegen, wie er mich zum Reden bringen konnte.
„Ich habe dir versprochen, dass du mich mit Fragen löchern darfst. Willst du mich denn nichts fragen?", lockte er schließlich und ich schnaubte laut auf. Das Spiel kannte ich schon. Ich durfte Fragen stellen, ja. Aber es war ihm überlassen, ob er sie beantworten würde.
„Probier es aus." Eine fiese Taktik. Aber eine Frage beschäftigte mich heute tatsächlich schon den ganzen Tag. Eine Frage die er mir wohl normalerweise nie beantworten würde.
„Was hat dir Cindy erzählt?" Ich konnte zusehen, wie sich sein Gesicht augenblicklich verschloss. Seine ganze Körperhaltung wurde abweisend und in mir machte sich bereits Enttäuschung breit.
„Sie hat mir erzählt, was sie in der Küche gesehen hat.", antwortete er schließlich. Ich wurde aus dieser Antwort immer noch nicht schlau.
„Und was hat sie gesehen?"
„Wie du Brian umarmt und geküsst hast." Seine Augen spießten mich förmlich auf, als hätte ich etwas Verbotenes getan. Oder hatte ich das? Bei diesem Blick wusste ich gar nichts mehr. Es war derselbe Blick, mit dem er mich auch heute Nachmittag angesehen hatte. Und da machte es klick.
„Du glaubst, ich würde wegen Brian ein eigenes Zimmer wollen!", rief ich und fiel bei dieser Erkenntnis fast vom Hocker. „Du denkst, ich wäre in ihn verliebt?"
„Man muss nicht gleich verliebt sein, um jemanden zu küssen." Seine Worte trafen mich härter, als ich gedacht hätte. „Aber zumindest fühlst du zu Brian eine Verbindung, oder nicht?"
„Ja, schon.", gab ich zu und etwas in seinen Augen blitzte auf. War er etwa eifersüchtig? „Hast du ihn deshalb aus der Küche verbannt?"
„Ich habe ihn nicht verbannt, er hat lediglich eine andere Aufgabe bekommen."
„Weil ich ihn geküsst habe."
„Weil er immer noch ein Anwärter ist."
„Weil du eifersüchtig bist."
„Weil ich Alpha bin und es meine Aufgabe ist, alle Anwärter zu prüfen."
„Weil Cindy dir nicht erzählt hat, dass ich ihn nur auf die Wange geküsst habe. Stimmt's?"
„Nein, weil ...", begann er, hielt inne und sah mich perplex an. Sein Blick verriet ihn, bevor er sich wieder im Griff hatte, und mein Herz geriet ins Stolpern. Taylor war nie eifersüchtig gewesen.
„Die Wintervorräte müssen eingelagert werden. Es gibt viel zu tun, damit das Rudel über den Winter genug zu essen hat. Besonders jetzt, wo wir in der Stadt nicht willkommen sind.", erklärte er betont sachlich, mied dabei meinen Blick und schob sich eine Olive mit Käse in den Mund.
Ich verkniff mir ein wissendes Grinsen. Wieso gefiel mir seine Eifersucht? Wieso schmeichelte sie mir? Es war kindisch und Brian gegenüber unfair. Er war nur wie ein kleiner Bruder für mich, aber das würde ich Jace nicht sagen.
Wohin würde er wohl Cindy stecken, wenn ich sie vor ihm auf die Wange küssen würde? Durfte sie dann wieder Nachtschicht schieben, damit ich sie nicht mehr sah? Bei dem Gedanken musste ich schmunzeln.
Jace bemerkte das Zucken meiner Wangen und schmunzelte ebenfalls. Hoffentlich sah er endlich ein, wie idiotisch er sich verhalten hatte!
„Du willst Josis Zimmer also nicht wegen Brian.", wurde er wieder ernst und ich schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Sondern wegen meinem Onkel?", schlussfolgerte er weiter und ich nickte zögernd. Sah so aus, als wäre meine Schonfrist vorüber.
„Ich hatte einen Weg gesucht, die Wette zu gewinnen. Deshalb habe ich viel Zeit in der Bibliothek verbracht." In meinem Kopf hatte ich dieses Gespräch bereits unzählige Male geführt, doch das machte es nun nicht leichter.
„An dem Abend, als du und Mike bei Caleb übernachtet habt, da fand ich in der Bibliothek eine Karte. Sie steckte zwischen ein paar Büchern im Regal." Jace hörte mir aufmerksam zu, während ich nervös meine Finger knetete. Er war nicht dumm. Auch ihm war bewusst, dass die Karte nicht zufällig dorthin gelangt war.
„Sie zeigte die Wälder rund um Ilargia. Sie zeigte die Stadt. Und auf ihr war der See hinter der Festung eingezeichnet, sodass ich wusste, wo ich mich befand. Sie zeigte mir einen Weg nach Hause." Ich hatte geahnt, dass mich jemand loswerden wollte. Dennoch war ich gegangen. Ich war so naiv gewesen. So leichtgläubig.
„Leo hat mich entdeckt und wollte mich zurückbringen. Da kamen sie. Ich wusste nicht, dass sich im Wald wirklich noch Späher befanden.", beteuerte ich und kämpfte gegen die aufsteigenden Erinnerungen an. Jace' Blick verdüsterte sich, doch er sagte weiterhin nichts.
„Sie waren meinetwegen noch dort Jace. Claus wusste, dass ich ihnen in die Arme laufen würde. Die Karte stammte von ihm." Und Leo war derjenige, der für meine Dummheit den Preis zahlen musste.
Tränen brannten mir in den Augen. Ich sah ihn wieder vor mir, wie er die Augen aufriss. Wie sich die schlammige Hand auf seinen Mund presste. Ich hörte das Geräusch, als sich die Silberklinge in sein Fleisch schnitt. Ich roch sein Blut. Verzweifelt grub ich meine Fingernägel in die Handflächen und konzentrierte mich auf den Schmerz.
„Kathlyn, sieh mich an!" Jace' Hand legte sich auf meine Wange. Sein Daumen strich sacht darüber, wie ich es erst letzte Nacht bei ihm getan hatte. Seine Handfläche war warm, seine Berührung unglaublich sanft. Sein Blick verhakte sich in meinen. Keine Spur eines Vorwurfes war darin zu sehen, nur Sorge, und tatsächlich beruhigte ich mich allmählich.
„Er will, dass ich dich töte.", sprach ich es endlich aus. Meine Stimme zitterte. Jace umfasste noch immer meine Wange. In seinen Augen flackerte es, doch er wich nicht zurück.
„Niemand käme so leicht an dich heran wie ich. Er gab mir einen silbernen Dolch und sagte, ich solle dich auf der Alphaetage töten, damit das Rudel mir nichts anhaben kann. Dann soll ich mit deinem Blut ein Kreuz auf die Tür zeichnen. Er würde davon erfahren, hat er gesagt. Er würde kommen und das Rudel übernehmen. Und dann würde er mich freigeben."
Nun zog er seine Hand zurück. Seine Miene hatte sich verhärtet. Sein ganzer Körper war angespannt, sein Kiefer fest aufeinandergepresst. Er kochte.
„Sollte ich mich weigern ...", fuhr ich fort und mied den Blick in seine Richtung. „Er hat gedroht meine Eltern zu töten, und die Menschen aus Ilargia. Ich wäre nicht die erste und nicht die letzte, der er ein Angebot machen würde. Es wäre nur eine Frage der Zeit, wann du sterben würdest. Dann läge Ilargia in seiner Hand."
Jace sprang auf und kam um die Kücheninsel herum. Einen Moment lang überlegte ich panisch, ob ich wegrennen sollte. Doch da stand er bereits vor mir und sah mich wütend an.
„Warum hast du mir nichts erzählt?"
„Weil ich Angst hatte. Weil ich verstört war und weil ich nicht wusste, was ich tun sollte. Ich hatte Angst um meine Eltern. Ich wusste nichts über diesen Claus. Ich wusste nicht, wie du reagieren würdest. Und ich wusste nicht, wem ich trauen konnte.", verteidigte ich mich.
„Du hättest mir trauen können!"
„Ach ja? Du warst bisher auch so mitteilsam und offen. ‚Ich bin der Alpha. Tu was ich sage und stell keine Fragen. Ich habe keine Zeit mit dir zu diskutieren. Ich will deinen hübschen Kopf nicht belasten. Wenn du fertig bist – ich erwarte noch jemanden. Bla bla!'", ahmte ich ihn nach und funkelte ihn herausfordernd an. Jace funkelte zurück, biss sich jedoch auf die Lippe. Er wusste, dass ich Recht hatte.
„Ich habe die ganze Zeit nach einer Lösung gesucht. Josi hat mir geholfen die Wette zu gewinnen, damit ich meine Eltern besuchen kann. Ich wollte sie davon überzeugen die Stadt zu verlassen, aber dazu kam es leider noch nicht."
„Josi wusste es?", knurrte er ungehalten.
„Nein! Ich habe bisher niemanden davon erzählt! Und als ich heute Nachmittag mit dir reden wollte, warst du nicht besonders entgegenkommend!" Ich war so aufgewühlt, dass ich am ganzen Körper bebte.
Plötzlich schloss Jace die Arme um mich. Seine Hände pressten mich an seine feste Brust. Ich roch seinen wilden, würzigen Duft. Spürte seine Wärme und seine angespannten Muskeln unter meinen Fingern. Spürte, wie er sich dazu zwang ruhig zu atmen. Ruhig zu bleiben.
„Es tut mir leid Kathlyn. Es tut mir leid, dass ich dich in all das hineingezogen habe." Seine Stimme klang gefasst und voller bedauern. Ich schwieg, schloss die Augen und erlaubte mir einen emotionalen Moment der Schwäche. Ich erlaubte es mir, diese Umarmung einen Moment lang zu genießen. Mir einzureden, dass nun alles gut werden würde. Dann ließ er mich los und der Moment war vorüber.
„Willst du deshalb Josis Zimmer? Damit du nicht mehr auf der Alphaetage bist?"
„Ja. Ich habe gestern einen Zettel unter der Tür gefunden. Auf dem steht, dass ich nur noch drei Tage Zeit habe. Übermorgen ist die Frist um. Ich weiß nicht, was dann passiert."
Ich rutschte vom Hocker und griff in meine Hosentasche, in die ich diesen Zettel gestopft hatte. Ich hatte ihn völlig vergessen, nach dem was alles passiert war. Meine Finger fanden nichts. Verwundert griff ich in die andere Tasche, bevor ich auch meine Gesäßtaschen absuchte.
„Er ist weg.", stellte ich fassungslos fest und war schon auf halben Weg ins Schlafzimmer. Vielleicht war er herausgefallen.
„Was genau stand auf dem Zettel?" Jace folgte mir nachdenklich.
„Dort stand: ‚Drei Tage, Mädchen'.", zitierte ich und suchte den Boden ab, wurde jedoch nicht fündig. „Vielleicht liegt er in deinem Arbeitszimmer."
„Dann wäre er mir sicher aufgefallen. Und ich bezweifle stark, dass du ihn verloren hast."
„Aber wie soll er sonst –" Meine Augen weiteten sich, als ich seinem Blick begegnete und begriff. Oh Gott!
„Wer immer dir den Zettel zugesteckt hat, hat ihn sich zurückgeholt."
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Ihr habt auch sicher Vermutungen, wer das gewesen sein könnte, nicht wahr? ;)
Ich hoffe, ihr seid mit der bisherigen Aussprache zufrieden. Und soviel sei verraten: Ich liebe das nächste Kapitel (nein, ich Spoiler nicht).
Ich freue mich über votes und wünsche allen schöne Ferien, ein schönes Wochenende oder einen schönen Urlaub. 😊
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