48. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩
*Jace*
Inzwischen war es Nachmittag. Beth und Martin waren noch immer nicht eingetroffen, doch Jace nutzte die Zeit und stöberte in den alten Büchern aus seinem Arbeitszimmer. Vielleicht wurde er dort fündig, was einen Werwolf derart ausrasten ließ. Außerdem lenkte es ihn von allen weiteren, unliebsamen Gedanken ab.
„Hallo? Jemand hier?" Zumindest, bis Kathe die Tür aufriss. Eine Sekunde lang starrten sie einander erschrocken an, dann klopfte sie provisorisch und trat ohne Aufforderung ein.
„Ich habe dir etwas mitgebracht. Obwohl du eigentlich alt genug bist, es dir selbst zu holen." Sie schob seine Bücher beiseite und stellte ihm einen beladenen Teller hin. „Wir machen uns nicht die Mühe zu kochen, damit du dann nicht aufkreuzt! Das ist unhöflich!"
„Ich habe keinen Hunger.", erwiderte er knapp, um das Ganze abzukürzen. Sein grummelnder Magen verriet jedoch das Gegenteil.
„Dann isst du eben ohne Hunger." Sie ließ sich neben ihn auf einen Stuhl fallen und sah ihn abwartend an.
„Was willst du Kathlyn?" Sein Blick glitt zu ihrem hohen Kragen und er fragte sich unwillkürlich, was sich dahinter verbarg.
„Das du etwas isst. Ich vergifte dich schon nicht. Aber wenn du weiter so unfreundlich bist, überlege ich es mir noch mal."
„Ich bin nicht unfreundlich, ich bin misstrauisch. Du hast mir noch nie etwas zu essen nach oben gebracht." Er nahm die Gabel und pickte etwas von dem Geschnetzelten auf, bevor er es sich in den Mund schob. „Zufrieden?"
„Es ist ein Anfang." Eine Weile beobachtete sie, wie er aß. Dann hielt sie es wohl nicht mehr länger aus: „Brian ist ab morgen nicht mehr in der Küche?"
„Nein. Du kannst ab morgen Anna helfen."
„Und warum ist Brian nicht mehr in der Küche?"
„Weil es für Anwärter völlig normal ist, dass sie verschiedene Aufgaben übernehmen und die Abläufe des Rudels so besser kennenlernen. Warum muss ich mich dafür rechtfertigen?" Er warf ihr einen scharfen Blick zu. „Was hast du heute überhaupt wieder in der Küche zu suchen gehabt? Ich hatte dir doch eine andere Aufgabe zugeteilt."
„Stell dir vor: Emmely muss ab und an etwas essen und ich zufälligerweise auch. Denn im Gegensatz zu anderen wissen wir, wann es Mittag gibt."
„Und warum bist du jetzt nicht bei ihr?"
„Soll ich ihr beim Schlafen zusehen? Das wäre doch etwas merkwürdig." Sie hielt kurz inne. „Ich muss mit dir reden."
„Aha." Sein Misstrauen war also doch nicht unbegründet gewesen. Ihrer Miene zufolge fiel es ihr nicht leicht und ihn beschlich ein ungutes Gefühl.
„Ich habe heute mit Josi geredet. Ihr Zimmer steht doch jetzt leer.", begann sie schließlich vorsichtig. Er spürte, wie seine Wut schlagartig zurückkam. „Und da du immer betonst ich würde zum Rudel gehören, dachte ich mir stünde auch ein eigenes Zimmer zu. Es würde doch nichts dagegensprechen, dass ich ihr Zimmer bekomme."
Er aß schweigend weiter, den Blick starr auf die Wand gerichtet. Krampfhaft versuchte er sich im Zaum zu halten, obwohl er bereits ahnte wie dieses Gespräch enden würde. Er hätte mit dieser Forderung rechnen müssen. Dennoch war er nicht darauf vorbereitet gewesen. Wut und Enttäuschung vermischten sich gleichermaßen.
„Das hat nichts mit gestern zu tun!", beteuerte sie nun, weil er nicht reagierte. „Aber ein wenig Privatsphäre wäre nicht schlecht. Und außerdem ..." Erneut geriet sie ins Stocken.
„Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll Jace. Ich habe es dir bisher verschwiegen, weil ich ... Ich hatte Angst und ich war durcheinander und ich wusste selbst nicht, wie ich damit umgehen sollte."
„Es ist seinetwegen.", schlussfolgerte er. Er wollte sich ihr Gestammel nicht länger anhören. Er wollte dieses Gespräch nicht führen. „Cindy hat mir davon erzählt."
„Sie hat es dir erzählt?" Kathlyn sah sowohl bestürzt, als auch ungläubig aus.
„Ja, sie hat es mir erzählt. Aber ich werde es euch nicht einfacher machen Kathe. Meine Antwort lautet nein. Du wirst hierbleiben."
„Was hat sie dir erzählt?", wollte sie nun misstrauisch wissen, doch er schüttelte abwehrend den Kopf.
„Ich habe keine Zeit und keine Lust, jetzt mit dir zu diskutieren. Du bleibst hier. Das ist mein letztes Wort!" Er schob ihr den leeren Teller zu. „Danke für das Essen."
Fassungslos starrte sie ihn an. Dann erröteten ihre Wangen und sie sprang zornerfüllt auf. „Gern geschehen Meister! Es war mal wieder eine Freude, dass Sie mir fünf Minuten Ihres wertwollen Tages geopfert haben. Warum bin ich überhaupt hier Jace? Leg dir doch eine Zimmerpflanze zu, die du in die Ecke stellen kannst! Oder ein Kuscheltier, dass dir im Bett Gesellschaft leistet. Das stellt weder Fragen, noch Forderungen, noch verplempert es deine wertvolle Zeit."
„Bist du fertig? Ich erwarte noch jemanden."
„Du bist so ein ..." Wuttränen funkelten in ihren Augenwinkeln und sie wandte sich aufgebracht der Tür zu. „Vielleicht hätte ich das Angebot deines Onkels annehmen sollen!"
Ungläubig sah er ihr nach, doch sie war schon aus der Tür verschwunden. Und ehe er darüber nachdenken konnte, war er ihr hinterher gesprungen. Jace packte sie am Handgelenk, bevor sie die Suite verlassen konnte.
„Was hast du gesagt?"
„Lass mich los! Deinen Teller kannst du selbst wegbringen!" Sie versuchte vergeblich sich zu wehren und er drängte sie gegen die Tür.
„Was ist mit meinem Onkel? Welches Angebot?", knurrte er warnend.
„Ach? Ich dachte Cindy hat es dir erzählt?", spottete sie und sah unnachgiebig zurück.
„Antworte mir Kathlyn!"
„Tut mir sehr leid, aber meine fünf Minuten Audienz sind für heute bereits vorüber. Vielleicht erzähle ich es dir morgen, falls du ein paar Minuten für mich erübrigen kannst. Und vorausgesetzt du hörst mir mal zu!" Nun liefen ihr Tränen über die Wange und er kam sich plötzlich wie ein Idiot vor.
Er ließ sie los, blieb jedoch vor ihr stehen und hielt sie zwischen seinen Armen gefangen, aus Angst sie würde sonst gehen. Er könnte es ihr nicht einmal verübeln.
„Du willst mehr Zeit mit mir? Zufällig muss ich genauso etwas essen wie du. Wir werden also ab heute jeden Abend zusammen essen. Nur du und ich, hier oben. Dann kannst du mich mit deinen Fragen löchern, Forderungen stellen und mir anschließend im Bett Gesellschaft leisten." Seine Hand fuhr zu ihrer Wange und strich ihre Tränen fort. Bei seiner Berührung schlug ihr Herz augenblicklich schneller.
„Ich gehöre jeden Abend ganz dir. Vorausgesetzt du hast keine Angst mit mir allein zu sein."
Perplex von seinem Angebot starrte sie zurück, ohne etwas zu erwidern. Dabei sah er deutlich, wie es in ihrem hübschen Kopf arbeitete. Doch er würde ihr sowieso keine Wahl mehr lassen. Ihm gefiel die Idee ausnehmend gut – das hätte er schon viel eher machen sollen.
Das Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Sie blinzelte zweimal und schüttelte schließlich den Kopf.
„Nein, so –"
„Doch Kathe.", schnitt er ihr das Wort ab und gab sie frei. „Du hast Recht. In letzter Zeit hatte ich kaum Zeit für dich. Also sehen wir uns heute Abend, und dann reden wir. Entweder kommst du freiwillig oder ich werde dich holen."
„Die Stadt steht unter Schock. Wir waren noch am Abend bei Mary und Steven. Die Ratsmitglieder wissen nicht, wie sie den Vorfall deuten sollen. Das Abkommen wurde nicht verletzt, aber es war eine Absicht erkennbar. Sie wollen keine Wölfe mehr in der Stadt, bis die Sache geklärt ist.", erläuterte Beth.
„Das war absehbar.", stellte Alec fest.
„Haben die Menschen irgendwelche Symptome? Hautreizung, Magenprobleme, Taubheitsgefühle oder ein Kribbeln? Atemnot oder Krampfanfälle?", wollte Karin wissen.
Beth und Martin warfen sich einen Blick zu. „Steven hatte Kopfschmerzen. Ihm war kalt und er wollte nichts essen. Auch heute lag er nur im Bett und hat sich nicht wohl gefühlt. Aber wir dachten, dass läge am Schock. Tobias wollte ihn anspringen, bevor Anna dazwischen ging."
„Eisenhut ist hochgiftig für die Menschen. Ihr müsst unbedingt in Erfahrung bringen, ob auch andere Ratsmitglieder Probleme hatten. So haben wir einen Anhaltspunkt, wonach wir suchen müssen."
„Glaubst du, jemand hat alle im Raum mit Eisenhut vergiftet?", wollte Jace wissen.
„Ich denke es wäre ein Teil der Lösung."
„Aber warum hat dann nur Tobias so heftig reagiert?", warf Alec ein.
„Jeder Körper reagiert anders auf das Gift. Und wir wissen nicht, wie es ihnen zugeführt wurde. Colin und Anna jedenfalls haben mir versichert, dass sie zuvor nichts gegessen oder getrunken hatten. Ich weiß nicht, ob man das auch von Tobias sagen kann."
„Sind die Symptome für Eisenhut nicht zu heftig? Ich habe gehört, Tobias wäre regelrecht ausgerastet. Und dass er immer noch nicht wieder klar ist. Ich dachte, bei Eisenhut käme es schubweise?", überlegte Martin.
„Ich glaube auch nicht, dass es reiner Eisenhut war. Deshalb sagte ich, es wäre nur ein Teil der Lösung. Zuerst sollten wir jedoch sichergehen, dass wir mit dieser Vermutung richtig liegen. Denn dann müssen auch die Menschen Symptome haben."
„Wir werden uns umhören!", versprach Beth und Karin nickte zufrieden.
„Könntest du bitte nach Emmely sehen? Es geht ihr seit gestern nicht so gut.", bat Jace.
„Ich war heute Nachmittag bereits bei ihr. Sie sammelt Kräfte für die bevorstehende Geburt. Es wird nicht mehr lange dauern." Die ältere Alpha lächelte matt. Sie spürte, dass die vier noch etwas allein besprechen wollten. „Aber wenn du es wünschst, werde ich jetzt noch einmal nach ihr sehen."
Jace nickte und sie wandte sich zum Gehen, als ihm noch etwas einfiel: „Es könnte sein, dass sie nicht allein ist.", begann er zögernd und sie hielt inne.
„Josi hat mir bereits berichtet, dass das Mädchen hier ist. Doch ich denke jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, mit dir darüber zu reden.", stellte sie fest und sah ihn ernst an. „Der Zeitpunkt wird kommen."
„Oh oh.", murmelte Alec, kaum dass Karin gegangen war. „Das gibt noch Ärger." Davon war Jace überzeugt.
„Marius und Nicoleta haben uns für morgen zum Essen eingeladen.", platzte es stolz aus Beth heraus.
„Sie haben uns zwar offiziell wegen unserem ‚Hochzeitstag' eingeladen, aber es ist ein Fortschritt.", erzählte Martin weiter. „Marius ist bester Laune, seit dem Vorfall."
„Das kann ich mir vorstellen."
„Wir haben die Hoffnung, dass sie uns ein wenig mehr ins Vertrauen ziehen. Sicher wird er zu dem Vorfall einiges zu sagen haben. Falls sie irgendwie daran beteiligt sind, finden wir es vielleicht heraus."
„Für deinen Spezialauftrag brauchen wir aber noch ein wenig Zeit." Beth sah Jace entschuldigend an. „Nachdem was gestern passiert ist, sind momentan alle sehr vorsichtig. Wir müssen warten, bis sich die Lage wieder beruhigt hat."
Sie sprachen noch über Gerüchte, die in Ilargia kursierten, und über den Zustand von Tobias, bevor sich die beiden schließlich verabschiedeten. Jace beneidete sie. Beth und Martin gingen so liebevoll und freundschaftlich miteinander um. Sie waren ein richtiges Team, seit über 10 Jahren.
„Und was hast du heute noch für Pläne?", wollte sein Beta wissen, der mal wieder seine Gedanken zu erraten schien.
„Ich werde den Abend mit Kathlyn verbringen. Ich will nicht gestört werden, wenn es keinen wichtigen Grund dafür gibt."
Alec verkniff sich ein Grinsen. „Zu Befehl! Versprich mir nur, dass du heute auch noch mal irgendwann schlafen wirst."
Da war sich Jace noch nicht so sicher, wenn auch aus anderen Gründen als Alec andeutete. Eine Frage beschäftigte ihn schon die ganze Zeit: Was hatte sein Onkel wirklich von Kathe gewollt?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top