47. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩
*Jace*
„Wieso hat das so lange gedauert?" Jace hielt ihr die Tür zum Kellergewölbe auf und Cindy lief vor ihm die Treppe nach unten.
„Es tut mir leid. Ich war nur überrascht, weil Kathlyn ..." Sie blieb stehen, wodurch auch er stehen bleiben musste, und druckste herum. Seine Geduld neigte sich dem Ende. Karin wartete auf das Wasser. Er hatte keine Zeit für Zickenkrieg.
„Weil Kathlyn was?", herrschte er ungeduldig.
„Als ich reinkam haben sich Brian und Kathe umarmt. Und dann hat sie ihn geküsst." Sie bemühte sich zerknirscht zu klingen. Er starrte Cindy ungläubig an und suchte nach einem Anzeichen dafür, dass sie ihm gerade dreist ins Gesicht log.
„Du kannst ihn fragen. Er wird es sicher nicht leugnen.", verteidigte sie sich sofort. „Die beiden verbringen eine Menge Zeit miteinander. Was hast du da erwartet?"
Cindy belauerte seine Reaktion und er zwang sich, emotionslos zu bleiben. Schlagartig wurde ihm jedoch bewusst, wie nachlässig er in Bezug auf Kathe gewesen war. Die Ereignisse um sie herum hatten ihn derart eingenommen, dass er die Dinge einfach hatte laufen lassen. Ein schwerer Fehler.
Wenn das, was Cindy behauptet hatte stimmte, würde Brian den Rest seines Lebens sämtliche Toiletten im Rudel schrubben. Mit seiner Zahnbürste.
„Brian kann nichts dafür. Er ist wie ein Welpe. Er vergöttert Kathe und sie genießt es.", fuhr Cindy fort, nachdem er nicht reagierte. „Sie ist nicht so unschuldig, wie sie immer tut Jace. Sie glaubt, nur weil du sie hierher geholt hast wäre sie etwas Besonderes und genauso benimmt sie sich. Sie hält sich an keine Regel, sie mischt sich überall ein und sie versucht dich zu beeinflussen. Sie bringt nur Unruhe ins Rudel!"
„Es reicht!" Sofort verstummte sie und er bedeutete ihr weiterzugehen. Es passte ihr nicht, doch sie schwieg den Rest des Weges.
„Da seid ihr ja." Karin bedeutete Cindy die Schüssel auf den Tisch zu stellen, den sie vor Tobias Zelle gestellt hatten. Dann schüttete sie Kräuter hinein und legte anschließend das Verbandsmaterial dazu. „Das muss noch ein wenig einziehen."
„Wie geht es ihm?" Jace warf einen Blick in die Zelle. Tobias kauerte in Wolfsgestalt in einer Ecke und beobachtete sie. Er trug noch immer den Maulkorb. Er brauchte ihn noch immer.
„Es geht ihm deutlich besser, auch wenn es nicht so aussieht. Er kann uns noch nicht zuordnen, aber solange wir genügend Abstand halten nimmt er uns nicht mehr als Bedrohung wahr. Im Gegensatz zu gestern möchte er uns also nicht permanent töten. Außerdem versucht er nicht mehr sich selbst zu verletzen. Ich denke, dass Schlimmste haben wir überstanden."
„Wird er wieder der alte?", fragte Cindy leise.
„Das lässt sich noch nicht einschätzen." Karin strich ihr sanft über die Wange. „Aber bisher spricht auch nichts dagegen."
„Hast du eine Idee, was mit ihm los sein könnte?", wollte Jace wissen.
„Ich habe so etwas noch nie gesehen.", musste die ältere Alpha gestehen. „Es wirkt wie eine Überdosis Eisenhut, und doch ist es so vollkommen anders. Und ich befürchte, auch Tobias selbst wird es uns nicht sagen können. Alec hat mir berichtet, noch zwei andere Rudelmitglieder wären betroffen?"
„Nicht in diesem Ausmaß. Anna war ewig bewusstlos und Colin konnte seinen Körper nicht mehr kontrollieren. Die beiden fühlen sich immer noch merkwürdig, sind soweit aber wohlauf."
„Ich möchte mit ihnen sprechen."
„Natürlich."
„Konntest du schon in Erfahrung bringen, ob die Menschen ebenfalls Probleme haben?"
„Nein. Beth und Martin werden heute im Laufe des Tages Bericht erstatten. Dann wissen wir mehr."
„Bei diesem Gespräch wäre ich ebenfalls gern dabei."
„Ich werde dich holen lassen." Jace musterte die ältere Frau liebevoll. „Du solltest dich ein wenig ausruhen. Ich habe dir ein Zimmer vorbereiten lassen. Cindy wird Tobias im Auge behalten und dich informieren, sollte sich sein Zustand ändern."
„Zuerst der Verband." Sie lächelte und umfasste sein Gesicht mit beiden Händen. „Es tut gut dich zu sehen Jace."
Einen Moment lang sahen sich die beiden einfach nur an. In Karins Blick schwang so viel Stolz und Liebe mit, dass er hart schlucken musste. Er fühlte sich unwürdig. Vor allem, sie unter diesen Umständen in die Wolfshöhle zurückgebeten zu haben.
Karin bemerkte von seinem schlechten Gewissen nichts. Sie ließ ihn los und wandte sich der Schüssel zu. „Ich denke es ist genug Zeit vergangen. Jace, du fixierst seinen Körper. Cindy, du hältst seine Pfote fest. Ich versuche mich zu beeilen."
Der Verbandswechsel war wesentlich leichter verlaufen, als er es sich vorgestellt hatte. Auch Karin schien darüber erleichtert. Er hatte sie auf ihr Zimmer gebracht und sich anschließend auf den Weg in die Küche gemacht. Cindys Worte hatten ihn die ganze Zeit nicht losgelassen.
Als er den Speisesaal betrat, hörte er Kathe bereits lachen. Sie war bester Laune und auch Brian kicherte über irgendetwas. Unbemerkt lehnte er sich in die Küchentür und beobachtete die beiden.
Sie standen mit dem Rücken zu ihm. Kathe stand am Herd, rührte in einigen Töpfen herum und erzählte irgendeine Geschichte aus dem Café. Brian schälte Kartoffeln und lachte darüber.
In seiner Nähe war sie nie so losgelöst, im Gegenteil. In letzter Zeit war sie noch angespannter, als hätte er ihr je einen Anlass dazu gegeben. Brian dagegen behandelte sie wie einen vertrauten Freund. Zu vertraut?
„Dir muss die Stadt bestimmt fehlen.", sagte Brian da. Kathe versteifte sich ein wenig.
„Meine Eltern fehlen mir.", gab sie leise zurück.
„Das kenne ich. Meine Eltern fehlen mir auch."
„Wo sind sie?"
„In meinem alten Rudel." Brian klang nicht nur wie ein Häufchen Elend, er sah auch so aus. Kathe sah ihn mitleidig an.
„Dann besuch sie doch einfach. Oder ist es zu weit weg?"
„Nein. Aber ich ... Ich bin hier noch Anwärter, weißt du? Es ist kompliziert."
Sie drehte sich zu ihm und strich zärtlich über seinen Rücken. Gleichzeitig öffnete sie den Mund, um etwas zu erwidern. Jace atmete scharf ein und beide schnippten zu ihm herum und fuhren ertappt auseinander.
„Ich habe eine Aufgabe für dich, Kathlyn." Seine Miene war völlig ausdruckslos. Doch seine Augen flackerten und auch in seiner Stimme schwang unterdrückte Wut mit. „Ich möchte, dass du nach Emmely siehst und bei ihr bleibst. Jetzt!"
„Jetzt? Wir bereiten gerade das Mittagessen vor."
„Anna wird Brian weiter unterstützen." Einen Moment lang öffnete sie protestierend den Mund, schloss ihn aber gleich wieder, als sie seinen Blick bemerkte. Verunsichert sah sie von ihm zu Brian als wüsste sie nicht, ob sie die beiden allein lassen könnte. Das steigerte seine Wut noch mehr.
„Brauchst du eine Wegbeschreibung?", knurrte er leise.
„Nimm Emmely einen Ingwertee mit. Es ging ihr gestern nicht gut." Brian holte eine Tasse aus dem Schrank und tat Ingwerstückchen hinein. „In der Thermoskanne draußen ist noch heißes Wasser."
Kathe nahm ihm die Tasse ab und lief widerstrebend auf die Tür zu. Neben Jace blieb sie stehen und sah zu ihm auf.
„Sieht so aus, als wärst du wieder ganz der Alte.", stellte sie spitz fest. Etwas lag in ihrem Blick und in ihrem Ton, dass sie versuchte durch Zorn zu überspielen. Jace konnte es nicht zuordnen, doch das wollte er momentan auch nicht.
Als er nicht reagierte wandte sie sich ab und ließ die beiden endlich allein. Jace wartete, bis sie auch den Speisesaal verlassen hatte. Dann löste er sich aus dem Türrahmen und spazierte ruhiger, als er sich fühlte, in die Küche hinein.
„Wie lange bist du schon in unserem Rudel, Brian?"
„Ähm, zwei Monate?" Der Junge rührte sich nicht von der Stelle. Nervös beobachtete er Jace.
„Und ist es so, wie du es dir erhofft hast?"
„Hier sind alle sehr nett. Ich wurde gut aufgenommen, denke ich. Oder hat sich jemand über mich beschwert?" Nun war er ganz kleinlaut und Jace fiel es schwer, wütend zu bleiben.
„Nein. Du bist zuverlässig und pünktlich. Du versuchst Konflikte entweder zu lösen oder du gehst ihnen aus dem Weg. Lieber machst du die Arbeit allein. Du beschwerst dich nicht. Du lernst dazu und nimmst Rat an. Du bringst dich ein und du hast bereits Freunde gefunden." Jace konnte zusehen, wie Brian unter seinen Worten regelrecht aufblühte. Seine Wangen wurden rot und er senkte den Blick beschämt auf den Fußboden.
„Ich bin stolz auf dich.", musste Jace zugeben. „Du machst dich gut, obwohl du es bisher nicht leicht hattest."
„Danke." Brians Stimme war kaum mehr als ein flüstern.
„Ab morgen erhältst du eine andere Zuteilung. Alec wird dir später alles weitere erklären. Ich hoffe, dass du genauso fleißig und gewissenhaft bleibst, wie bisher."
„Danke. Das werde ich."
„Gut." Er nahm sich einen Apfel und betrachtete ihn interessiert. „Kathe scheint dich sehr zu mögen. Ihr verbringt viel Zeit miteinander."
„Wir sind Freunde, schätze ich." Nun klang er wieder verunsichert.
„Freunde.", wiederholte Jace und spürte, wie sich die Hand um den Apfel verkrampfte.
„Sie ist sehr nett, wir verstehen uns gut. Und wir haben einiges gemeinsam.", plapperte Brian nervös weiter. „Wir sind beide noch nicht lange im Rudel. Wir vermissen beide unsere Eltern. Und wir kochen beide gern. Aber ich glaube, dass tut ihr auch gut. Sie hat eine Aufgabe gebraucht. Dass macht es ihr leichter, sich hier einzuleben. Und ich bin ihr wirklich dankbar für ihre Hilfe."
Er spürte wie der Apfel unter seinen Fingern nachgab. Wie die harte Frucht weich und matschig wurde. Wie der klebrige Saft in seiner Handfläche entlangrann und auf den Boden tropfte.
„Außerdem ist es schön nicht der Einzige zu sein, der vom Rudel noch nicht so viel Ahnung hat oder alle Mitglieder kennt. Kathe stellt viele Fragen, aber ich kann gar nicht alle beantworten. Vieles weiß ich ja selbst nicht. Dann müssen wir beide darüber lachen und kommen uns nicht mehr so dumm vor. Ich glaube, dass verbindet uns am meisten."
Der Apfel in seiner Hand explodierte. Brian zuckte zusammen, als Apfelstückchen durch die Küche flogen. Jace hatte ihn ganz unabsichtlich zerquetscht. Er hatte sich nicht einmal angestrengt.
Er musterte das Chaos und dachte daran, was er noch mit seinen Händen hätte anrichten können. Kathes Hals hatte weniger Widerstand geboten, als dieser Apfel. Weich und warm hatte er unter seinen Händen gelegen, während sie ängstlich um jeden Atemzug kämpfte.
Es war kein Desinteresse das ihn dazu bewog, Kathe nicht an sich heranzulassen. Es war zu seinem und auch ihrem Schutz. Nun hatte sie das Monster kennengelernt, dass Claus herangezogen hatte. Zumindest einen Bruchteil davon, denn das wahre Monster hätte sie innerhalb eines Wimpernschlags getötet. Es kannte keine Reue, keine Gnade, keinen Schmerz, keine Angst. Nur Hass, Wut und Abscheu.
„Was ist denn hier los?" Alec tauchte hinter ihm auf und musterte die Überreste des Apfels. Sein dunkelblondes Haar war noch verwuschelt, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen.
Brian hatte sich ganz klein gemacht und gab keinen Laut mehr von sich. Ängstlich starrte er von Alec zurück zu Jace, sodass dieser schließlich zerknirscht die Küche verließ. Der Junge konnte nichts dafür. Und Jace wollte ihn auch gar nicht einschüchtern.
„Warte doch mal. Ich wollte mir einen Kaffee holen. Du siehst aus, als bräuchtest du auch einen." Sein Beta musterte ihn. „Du hast nicht noch einmal geschlafen oder?"
„Es gab genug zu tun. Caleb und sein Rudel sind heute Morgen abgereist. Ich musste nach Tobias sehen, mit Karin sprechen, Beth und Martin kontaktieren, und mit Anna und Colin reden."
„Caleb wäre auch gegangen, ohne dass du ihn verabschiedest. Außerdem kommt er wieder. Tobias kann nicht weglaufen. Karin hätte dich geweckt, wenn was Ernstes gewesen wäre. Beth und Martin hätte jemand anderes kontaktieren können und mit Anna und Colin hättest du auch später sprechen können.", stellte Alec trocken fest und drückte Jace eine Tasse der heißen, schwarzen Flüssigkeit in die Hand. „Sind wir jetzt irgendwie schlauer, was während der Ratssitzung passiert ist?"
„Nein. Den beiden ist nichts aufgefallen, bis Tobias anfing zu knurren. Erst dachten sie, jemand würde vor der Tür stehen und lauschen. Dass Tobias jemanden draußen gehört hätte, weil er an der Tür saß. Bis er dann auf sie losging."
„Wie geht es ihm?"
„Besser. Allerdings hat Karin auch keine Idee, was die Ursache sein könnte. So etwas hat sie noch nie gesehen."
„Mist." Alec schwieg einen Moment lang und nahm einen Schluck Kaffee. „Und was hat Brian angestellt?"
„Nichts. Ich möchte, dass er sich ab morgen um die Wintervorräte und um die Plantage kümmert. Leite dafür bitte alles in die Wege."
„Oh, da wird Kathe aber enttäuscht sein. Oder hilft sie mit?"
„Nein!" Sein Tonfall musste etwas schroffer gewesen sein, als er beabsichtigt hatte, denn Alec riss die Augen auf.
„Darum geht es also?" Er lachte leise auf. „Ich dachte es würde dich freuen, dass sich Kathe und Brian so gut verstehen."
Ja, er war froh darüber gewesen, dass sie so schnell Freunde fand. Doch dass sie sich zu gut mit jemanden verstehen könnte hatte er nicht kommen sehen. Und Brian hatte er schon gar nicht als eine ‚Gefahr' gesehen.
Erneut musste er an die letzte Nacht denken. An den Schreck in Kathes Augen. An das Monster, das in ihm schlummerte. Er war wie ein tollwütiges Tier. Brian dagegen war wie ein Welpe, wie Cindy so schön gesagt hatte. Ein Welpe, mit dem sie sich verbunden fühlte.
Was hatte er da erwartet?
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