45. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩
*Kathlyn*
„Jace liegt endlich im Bett und schläft. Ich werde ihn nicht wecken. Und du wirst es auch nicht tun." Ich sah Alec herausfordernd an, der vor unserer Tür stand.
„Deshalb bin ich nicht hier." Erst jetzt fiel mir die Bettwäsche auf, die er in den Armen trug. „Karin möchte, dass ich ein Auge auf ihn habe. Und auf dich."
„Wer ist Karin?" Ich ließ ihn eintreten und er warf das Bettzeug auf die Couch.
„Karin ist die Alpha eines anderen Rudels. Jace hat sie herholen lassen, da sie sich mit Heilkunst besser auskennt als irgendwer sonst, den wir kennen. Momentan ist sie bei Tobias."
„Allein?" Bei dem Gedanken daran bekam ich augenblicklich Panik, nachdem ich den Wolf so erlebt hatte.
„Nein. Josi ist mit unten und noch ein paar andere. Jedenfalls hat sie mich hochgeschickt. Hier bin ich also."
„Jetzt, wo Jace am harmlosesten ist? Wirklich witzig."
„Hat er dir etwas getan?" Alec musterte mich besorgt, doch ich schüttelte gleich den Kopf.
„Er war nur etwas ..." Aufdringlich, notgeil, kontaktfreudig. „... durcheinander." Genau genommen war das wohl eher ich. Mir war heiß und kalt geworden, mein Bauch hatte gekribbelt und ich wusste nicht, ob ich ihn aufhalten oder festhalten sollte. Er hatte jegliche Vernunft und jegliche Vorsätze einfach davon katapultiert. Das hatte mir Angst gemacht. Die Reaktion meines Körpers und meines Verstandes hatte mir Angst gemacht. Das Stolpern meines Herzens, das Stocken meines Atems, das Verlangen nach mehr hatte mir Angst gemacht.
Ja, es gab mindestens eine Sache die schlimmer wäre, als Jace zu vertrauen. Und ich war mitten dabei, auch diesen Fehler zu machen. Ich war mitten dabei, mich in ihn zu verlieben. Das konnte ich unmöglich länger leugnen.
„Bist du dir sicher?" Alec' Augen ruhten nach wie vor auf mir und ich spürte, dass meine Wangen glühten. Niemand durfte etwas von meinem Gefühlschaos mitbekommen. Sonst hatte ich gleich verloren.
„Wieso hat er überhaupt Eisenhut im Körper?", lenkte ich ab. Josi hatte mich nur vorgewarnt, dass es Jace nicht gutging. Ich hatte angenommen, Tobias hätte ihn noch mehr verletzt und war natürlich gleich nach oben gestürmt.
„Wie lange hält der Rausch noch an?", wollte ich wissen, als Alec zu Ende erzählt hatte. Seine Schilderung hatte natürlich nicht dazu beigetragen, meine Meinung über Jace zu revidieren. Ich war wütend das er so leichtsinnig war, gleichzeitig bewunderte ich ihn nur noch mehr. Auch wenn ich es ihm niemals sagen würde.
„Das kommt darauf an, wie viel Eisenhut noch in seiner Blutbahn ist. Jace' Blut baut es schneller ab, als unseres. Morgen ist er sicher wieder fit."
„Und Mike und Caleb?"
„Die auch. Die zwei haben morgen höchstens noch Kopfschmerzen."
„Und Tobias?"
„Solange wir nicht wissen womit wir es zu tun haben, ist es schwer ihm zu helfen." Er starrte in den leblosen Kamin. Diesen Blick hatte ich schon einmal gesehen, nämlich als Jace von Caleb nicht wiederkam. Die Sorge stand ihm ins Gesicht geschrieben. Doch da war noch mehr, dass ich nicht definieren konnte.
„Ich weiß, wie es Tobias geht. Ich weiß was für Vorwürfe er sich machen wird, wenn er erfährt, dass er seine Freunde angegriffen und verletzt hat. Mir ging es genauso." Alec lächelte bitter. „Ich habe sie nicht erkannt. Sie waren einfach schattenhafte Gestalten, von denen eine Gefahr ausging. Hast du jemals in deinem Leben eine solche Angst und gleichzeitig einen solchen Hass verspürt, dass du am liebsten alles um dich herum zerstört hättest Kathlyn?"
Ich schüttelte den Kopf, während ich seiner Erzählung gebannt lauschte. Ich wusste nicht, wann und dass es ihm so ergangen war. Doch es tat mir unglaublich leid.
„Deine Angst treibt dich an, deinen Gegnern keine Zeit zu geben. Sie unablässig zu bekämpfen. Du kämpfst um dein Leben, zumindest fühlt es sich so an. Dein Hass will dich deinen Gegner um jeden Preis töten lassen. Er will Blut fließen sehen, es schmecken. Er will alles auslöschen, was dir im Weg steht. Und du kannst dich selbst nicht aufhalten, weil es da nur diese zwei Gefühle gibt. Nichts anderes mehr." Seine Hände verkrampften sich zu Fäusten. „Du würdest alle töten. Egal wen."
„Das klingt furchtbar."
„Es ist ein Alptraum, aus dem du nicht erwachen kannst. Hätte das Silber mich nicht halb gelähmt, hätte ich sie alle getötet. In meinem Kopf habe ich sie unzählige Male getötet." Er zwang sich, seine Hände zu lockern und atmete tief durch. Ich ließ ihm Zeit um sich zu sammeln.
„Wenn Tobias endlich wieder klar ist, ist sein Alptraum noch nicht zu Ende. Er wird sich hassen für das, was er getan hat.", stellte Alec leise fest.
„Alle wissen, dass er das niemals absichtlich getan hätte! Niemand wird ihm einen Vorwurf machen!" Sonst bekam er es nämlich mit mir zu tun. Und mit Sicherheit auch mit Jace!
„Er wird sich selbst Vorwürfe machen. Wir hatten Glück, dass bisher niemand getötet wurde. Doch wie lange haben wir dieses Glück noch, Kathlyn?"
Ich dachte noch lange über seine Worte nach. Es bedeutete mir viel, dass er mir das erzählt hatte. Alec sagte jedoch er hätte alle getötet, hätte das Silber ihn nicht halb gelähmt. Also musste der Vorfall in Verbindung mit dem Schuss stehen. Hatte Silber auch so eine Wirkung auf die Wölfe?
Jace warf sich neben mir herum und seinen Lippen entwich ein gequälter Laut. Davor hatte Alec mich bereits gewarnt. Es konnte eine Nebenwirkung des Eisenhuts sein. Schlimme oder schmerzhafte Erinnerungen, die schlimmsten Ängste, wurden im Schlaf Realität.
Leise seufzend setzte ich mich auf. Mit Alpträumen kannte ich mich aus. Jace sah nicht so aus, als würde er allein aufwachen. Ich war es ihm schuldig, schließlich war er auch für mich dagewesen.
Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt auch noch mit ihm in einem Bett zu schlafen. Alec' Auftauchen hatte meine Pläne jedoch durcheinandergebracht. Da er auf der Couch schlief, hatte ich nun keine Wahl.
„Jace!" Ich packte ihn vorsichtig am Oberarm und rüttelte daran. Gott, diese Muskeln! Er stöhnte auf, seine Augenlider flatterten, doch er war immer noch gefangen.
„Jace!", rief ich erneut und rüttelte etwas fester. Seine Haut glühte und ich begann langsam mir ernsthaft Sorgen zu machen. Sollte ich Alec wecken?
Plötzlich schlug er die Augen auf und bevor ich irgendetwas realisierte, wurde ich auf den Rücken geworfen und er beugte sich über mich. Einen Moment lang fühlte ich mich an den Tisch erinnert. Bis sich seine Hände um meinen Hals legten.
„MENSCH!" Seine Stimme klang seltsam dunkel und rau. Überhaupt nicht nach ihm.
„Jace, ich bin's!", krächzte ich und spürte, wie er zudrückte. Er starrte mich direkt an und doch war es, als würde er mich nicht sehen. Langsam bekam ich Panik. Doch als ich nach seinen Händen griff verstärkte er den Druck, und ich ließ sie augenblicklich wieder sinken.
„Lass sie los." Alec stand im Durchgang. Er sprach ganz ruhig und sanft. Als wäre sein Alpha nicht gerade dabei mich zu erwürgen. „Sie ist keine Bedrohung Jace."
„MENSCH!", wiederholte er knurrend, mit dieser fremden Stimme. Sein hasserfüllter Blick bohrte sich wie ein Messer in mich hinein. Der Druck seiner Hände verstärkte weiter und ich bekam keine Luft mehr.
„Ja, Kathlyn ist ein Mensch. Sie ist eine Freundin Jace. Das weißt du auch, sonst hättest du sie längst getötet." Alec kam nicht näher. „Du willst ihr nichts tun. Lass sie los."
Jace starrte unverwandt auf mich hinab. Unschlüssig was er tun sollte. Unschlüssig was er tun wollte. In seinen Augen tobte ein Kampf.
Ich streckte die Hand nach ihm aus und spürte, wie sich seine Finger augenblicklich in meinen Hals bohrten. Meine Handfläche legte sich auf seine glühende Wange. Mein Daumen fuhr sanft über seine Stoppeln. Langsam wurde mir schwarz vor Augen.
Plötzlich ließ der Druck nach. Dann waren die Hände verschwunden und ich atmete gierig ein und hustete. Als ich aufsah blickten zwei eisblaue Augen zurück. In ihnen spielgelte sich das Grauen wieder, das ich immer noch empfand. Mein Körper begann zu zittern. Der Schreck saß tief.
„Verzeih mir." Jace klang sogar gebrochen. Doch ehe ich etwas erwidern konnte, war er aufgesprungen und aus dem Schlafzimmer verschwunden.
„Geht es?" Alec kam immer noch nicht näher, beobachtete mich nur. Ich setzte mich auf und rieb mir über den Hals. Noch immer spürte ich dort seine Finger.
„Was war das eben?" Nur mit Mühe konnte ich meine Tränen zurückhalten.
„Jace' Vergangenheit. Du solltest nie vergessen, bei wem er aufgewachsen ist Kathlyn. Claus hasst Menschen. Wenn es nach ihm ginge, gäbe es keine mehr."
Eine Tür fiel ins Schloss und Alec warf einen Blick über seine Schulter.
„Schlaf noch ein wenig. Ich kümmere mich um ihn." Dann war ich allein.
Zitternd schaltete ich mein Nachtlicht ein. Als würde ich jetzt noch schlafen können! Eine Weile saß ich einfach da und starrte auf den Kleiderschrank. Dann kamen die Tränen. Dieser Tag war ein einziges auf und ab!
Ich wusste selbst nicht, weshalb genau ich weinen musste. In meinem Inneren herrschte absolutes Chaos. Jace' Hass hatte sich nicht gegen mich persönlich gerichtet. Trotzdem hatte es sich so angefühlt. Als hätte ich es verdient gehasst zu werden. Als hätte ich es verdient zu sterben, weil ich ein Mensch war. Selbst seine Blicke wollten mir Schmerzen zufügen, mich zerfetzen.
Ich hatte eine völlig andere Person vor mir gehabt. Einen Fremden.
Und danach sein geschocktes Gesicht, seinen tiefen Schmerz zu sehen, hatte auch etwas in mir zerbrochen. Welcher Alptraum hatte ihn bloß verfolgt? Was war ihm passiert?
Wieder einmal ärgerte ich mich, dass ich keine Ahnung über seine Vergangenheit hatte. Doch nach dem was Alec erzählt hatte, war es kein Wunder, dass Jace nicht darüber sprach. Er war bei Claus aufgewachsen. Claus war sein Mentor.
Josi hatte bereits einmal erwähnt, dass er alles darangesetzt hatte, dass Jace so wurde wie er. Nun hatte ich einen kleinen Einblick bekommen, wie das hätte aussehen können.
Doch Jace hatte sich gegen seinen Onkel gestellt. Er hatte sein Rudel verlassen. Er hatte sich geweigert, seine Pläne fortzuführen. Er hatte sich geweigert, sein Erbe anzutreten. Und er würde alles daransetzen, Claus' Pläne zu verhindern.
Das war der Grund, weshalb Jace sterben sollte. Der Grund, weshalb ich Jace töten sollte. Und es war einer der Gründe, weshalb ich es niemals tun könnte.
Ich musste dringend mit Josi sprechen. Wenn ich Claus einen Strich durch die Rechnung machen wollte, durfte ich nicht auf der Alphaetage bleiben. Und wenn ich mich nicht weiter in Jace verlieben wollte, brauchte ich dringend mehr Abstand, als eine halbe Armlänge.
Obwohl ich mir inzwischen nicht mehr sicher war, ob eine Etage als Abstand dafür reichen würde.
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