40. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩
Dieses Lied stimmt euch auf das Kapitel ein.
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Aus den geheimen Forschungsunterlagen von Ilargia
*Jace*
Kaum hatte er es ausgesprochen, bereute er es auch schon. Doch nun konnte er seine Worte nicht mehr zurücknehmen. Nein, heute war ganz und gar nicht sein Tag! Auch wenn dieser Tag zweifellos auch etwas Gutes gehabt hatte.
„16 Jahre? Vor 16 Jahren wurde das Abkommen zuletzt gebrochen?", bohrte Kathlyn nach und er wandte sich ab, doch natürlich folgte sie ihm. „Da musst du etwas verwechseln Jace. Der letzte Vorfall ist 80 Jahre her. So haben wir es in der Schule gelernt."
„Und wir wissen wie zuverlässig das ist, was ihr in der Schule über uns lernt. Hast du dort je etwas von Venandi und Rimor gehört? Haben sie euch beigebracht, wie Vampire entstanden sind? Oder warum die Regierung beschlossen hat, unsere Existenz ins Reich der Mythen zu verbannen?" Ziellos durchlief er das Wohnzimmer.
„Aber warum sollten sie uns so etwas verschweigen? Warum sollten sie verschweigen, wie eng befreundet euer Rudel und unsere Stadt einmal waren?" Sie hielt seine Hand fest, als er die Tür erreicht hatte. „Ich höre heute zum ersten Mal davon. Und ich verstehe nicht warum."
„Das musst du auch nicht. Der damalige Bürgermeister und der damalige Alpha haben sich darauf geeinigt den Vorfall totzuschweigen. Alle die davon wissen, wurden zur Geheimhaltung verpflichtet. Stattdessen wurden neue Gesetze aufgestellt."
„Aber warum?"
„Weil niemand mit der Schuld leben wollte. Niemand wollte zugeben, was er getan hatte. Niemand wollte die Verantwortung übernehmen. Und niemand wollte einen Krieg. Also gab es diesen Vorfall einfach nie." Sie öffnete den Mund, doch er schnitt ihr mit einer harschen Handbewegung das Wort ab. „Es ist nicht das erste Mal, dass so entschieden wurde Kathlyn. Und es wird nicht das letzte Mal sein. Also lass es einfach auf sich beruhen!"
Nachdrücklich riss er die Tür auf. „Du kannst deine Eltern sehen, wenn sich die Lage entspannt hat. Ich halte mein Wort!" Damit ließ er sie stehen.
Bis zum Abend ging er ihr aus dem Weg - was nicht weiter schwierig war, denn es gab viel zu tun. Kathe half Brian in der Küche und er zog sich erneut in sein Arbeitszimmer zurück. Caleb leistete ihm Gesellschaft, bis es langsam Zeit für die Forderung und das Ritual wurde.
Als die beiden nach draußen traten waren alle emsig damit beschäftigt die Lichtung vorzubereiten. Kathe stand vor einem Baumstamm und versuchte eine Lichterkette an einem Ast zu befestigen. Er musste schmunzeln wie sie sich verzweifelt auf die Zehenspitzen stellte, sich nach Leibeskräften streckte, und dennoch nicht herankam.
Für Jace war es ein leichtes sie hochzuheben. Doch so wenig wie Kathe damit gerechnet hatte, hatte er mit ihrer Reaktion gerechnet. Sie schrie erschrocken auf und stieß ihm den Ellenbogen ins Gesicht.
„Autsch.", beschwerte er sich und verzog das Gesicht, ließ sie jedoch nicht fallen.
„Musst du dich immer so anschleichen?", fauchte sie zurück und hing die Lichterkette auf. „Du kannst froh sein, dass ich dir nicht zwischen die Beine getreten habe!"
„Dann würde dir jetzt der Fuß wehtun." Er ließ sie herunter und sie schnaubte demonstrativ auf, während er sich die schmerzende Nase rieb.
„Hier sieht es aus wie zum Mondfest.", stellte sie fest und sah sich um. „Erklärst du mir jetzt, wie das Ritual funktioniert?"
„Das kann ich nicht."
„Und wieso nicht? Unterliegt das auch der Geheimhaltung?" Etwas an ihrem Ton war äußerst angriffslustig und ließ ihn aufhorchen.
„Hast du versucht Brian auszuhorchen?" Ihr Blick flackerte ertappt auf, ehe sie streitlustig die Schultern straffte. „Das war weit vor seiner Zeit in unserem Rudel Kathlyn. Und sagte ich nicht, dass du es auf sich beruhen lassen sollst?"
„Du sagtest auch, dass Verbote und Geheimnisse einen besonderen Reiz auf mich haben. Also müsstest du es besser wissen."
„Manche Dinge sind aber nicht für deinen hübschen Kopf bestimmt."
„Weil es mich überfordern würde?"
„Weil es dich belasten würde."
„So wie das Ritual?"
„Das Ritual funktioniert durch Magie. Wie das genau funktioniert weiß ich auch nicht Kathe. Deshalb kann ich es dir nicht erklären. Aber du wirst schon sehen, was du tun musst."
„Ich? Wieso ich?"
„Jeder aus dem Rudel nimmt daran teil. Du gehörst zum Rudel."
„Aber ich kann nicht zaubern."
„Ich auch nicht. Aber es wird ein magischer Abend, das verspreche ich dir."
„Und wann beginnt er? Es ist schon dunkel. Man sieht kaum noch etwas."
„Genau darauf haben wir gewartet. Zuerst wird Caleb seinen Anspruch auf Josi geltend machen. Dann werden wir mit dem Ritual beginnen."
Beide sahen auf, als die Lichterketten und Lampions eingeschaltet wurden und die Lichtung in buntes Licht tauchten. Wie aufs Stichwort traten die Rudelmitglieder an die Lichtung heran, unter ihnen auch die Rudelmitglieder von Vastus. Die Gespräche verstummten, als Caleb in die Mitte trat. Er strotzte vor Selbstbewusstsein, doch Jace wusste es besser. Er wusste genau, wie angespannt sein Freund wirklich war.
„Ich habe Anspruch auf Josi, Beta des Rudels Iluna, erhoben. Möchte mir jemand den Anspruch streitig machen?", ertönte seine Stimme, scharf und drohend. Niemand trat in den Kreis, doch etwas anderes hatte Jace auch nicht erwartet.
„Komm zu mir Josi.", forderte Caleb sie auf und Josi trat betont widerstrebend zu ihm. „Willst du mich herausfordern?"
Einen Moment lang zögerte sie, dann verschränkte sie seufzend die Arme.
„Nein."
„Dann ist es mir eine Ehre, dich in unserem Rudel willkommen heißen zu dürfen." Damit war es besiegelt. Die Rudelmitglieder von Vastus johlten bekräftigend.
Jace spürte wie Kathe zu ihm aufsah. Ihm war sehr wohl bewusst, was er gerade verloren hatte. Josi war nicht nur seine Beta - und das aus gutem Grund -, sie war auch seine beste Freundin. Sie kannte ihn von Kindheit an, wusste ihn zu nehmen, mit ihm umzugehen, verstand ihn. Sie kannte seine Dämonen. Sie war immer für ihn da. Auch als er Alpha wurde stand sie sofort hinter ihm, unterstützte ihn, uneingeschränkt.
Natürlich verlor er Josi nicht vollkommen, doch es würde sich einiges ändern. Sowohl für ihn, als auch für Kathlyn, die sich recht schnell mit ihr angefreundet hatte. Und das Rudel musste neu strukturiert werden. Es würde alles komplizierter werden und der Zeitpunkt dafür war nicht der Beste. Dennoch hatten Josi und Caleb ein Recht auf ihr eigenes Glück. Das gönnte Jace den beiden von Herzen, egal was es für ihn bedeutete.
Kathe schien seine Gedanken zu erahnen, denn einen Moment lang lehnte sie sich tröstend gegen ihn. Seine eigene Anspannung lockerte sich sofort. Die Wirkung dieses Mädchens überraschte ihn immer wieder und brachte ihn durcheinander.
„Heute wurde nicht nur ein Bund zwischen Josi und mir, sondern auch zwischen Vastus und Iluna geschlossen. Ich verspreche euch, dass ihr auf uns zählen und uns vertrauen könnt, solange ich Alpha dieses Rudels bin. Ich habe geschworen, Josi treu zu sein, für sie zu sorgen und sie zu beschützen. Dasselbe verspreche ich hiermit Iluna und eurem Alpha Jace."
Diesmal erfüllte ein ohrenbetäubender Lärm die Lichtung, als sämtliche Werwölfe laut losjohlten. Einzig Eric blieb stumm und lehnte sich mit dem unverletzten Arm gegen einen Baumstamm. Der andere hing in einer Schlinge, doch Jace empfand kein Mitleid bei diesem Anblick.
„Beobachte die anderen und mach es ihnen nach.", forderte er Kathe auf, bevor auch er in den Kreis der Lichtung trat. Sofort kehrte wieder Ruhe ein, denn jeder wusste, was nun folgen würde. Die Lichterketten erloschen, sodass die Lichtung in vollkommener Dunkelheit lag.
Jace sah sich um. Er sah in viele vertraute Gesichter: Alec, Josi, Caleb, Emmely, Mike, Beth, Martin und so viele mehr. Freunde, die wie Familie für ihn waren. Er schob den Gedanken von sich, dass es ihnen so ergehen könnte wie Amos und Leo. Er schob den Gedanken von sich, wie oft sie dieses Ritual noch wiederholen würden, bis endlich Frieden einkehren würde. Er schob den Gedanken von sich, wie oft er dieses Ritual bereits durchgeführt hatte. Wen er bereits alles verloren hatte. Und es fiel ihm schwer, keine alten Erinnerungen aufsteigen, alte Wunden aufbrechen zu lassen.
„Wir haben heute Abend ein Versprechen einzuhalten. Unser Versprechen an die Mondgöttin, ihre Schöpfung zurückzugeben, damit unsere Toten nie wieder entehrt werden. Und das Versprechen der Mondgöttin an uns, sie nie zu vergessen und unvergesslich werden zu lassen." Jace nahm eine der unzähligen Kerzen auf dem Tisch und zündete sie an. „Wir ehren heute Abend Amos und Leo. Zwei mutige Krieger, die für den Schutz unseres Rudels ihr Leben gaben. Sie waren unsere Freunde. Unsere Familie. Wir werden sie vermissen."
Langsam kam Bewegung in das Rudel. Auch die Rudelmitglieder von Vastus zollten ihren Toten Respekt. Nacheinander nahmen sie sich eine Kerze und Jace zündete jede einzelne an, bis jeder eine hatte. Niemand sprach ein Wort.
Er ließ den Blick noch einmal schweifen und entdeckte Kathe bei Mike und Emmely. Dann schritt er voran in Richtung See und die anderen folgten ihm. Am Ufer des Sees teilten sie sich auf. Einige gingen an dieser Seite des Ufers entlang, andere an der anderen Seite. Eine lange Kette aus Kerzenschein, die den See einrahmte.
Jace blieb direkt oberhalb des Floßes stehen, auf dem Amos und Leo lagen. Mike und Tobias hatten bei dessen Fertigstellung wirklich ganze Arbeit geleistet. Doch am Zustand der toten Körper darauf gab es nichts zu beschönigen, wenngleich sie zugedeckt und nur die Gesichter zu sehen waren.
Grausam bleiche und verzerrte Gesichter, die nur noch schwache Ähnlichkeiten mit den Werwölfen hatten, die er gekannt hatte. Lebenslustige, mutige und loyale Männer, denen er jederzeit sein Leben anvertraut hätte. Männer voller Träume und Hoffnungen. Männer die an ihn geglaubt hatten. Für die er verantwortlich war.
Der Geruch von Tod und Verwesung füllte die Luft, legte sich bleiern auf seine Brust und raubte ihm den Atem. Alte Dämonen krochen an die Oberfläche und erinnerten ihn an das Monster das er war, als hätte er sie selbst zerfetzt.
Er verabscheute sich selbst. Er war ein Monster. Egal wie sehr er sich dagegen wehrte, es steckte in ihm. Totgeweiht waren alle, die ihm folgten. Alle, die ihn liebten. Und alle, die ihn je geliebt hatten. Es war nur eine Frage der Zeit.
Eine leichte Berührung am Arm riss ihn aus seinen Gedanken und er erkannte Emmely und Kathe neben sich. Beide musterten ihn besorgt. Doch er hatte ihre Sorge nicht verdient. Er schloss seine Emotionen weg und schenkte ihnen ein beruhigendes Lächeln.
„Jace?" Mike war bereits auf dem Weg nach unten. Schweren Schrittes folgte er ihm und zusammen schoben sie das Floß vorsichtig ins Wasser, ehe sie wieder ihren Platz am Ufer einnahmen. Schweigend sahen sie zu, wie es auf den See hinaustrieb. Einzig der Wind und das leise schwappen des Wassers waren zu hören.
Jace ließ den Blick gen Himmel schweifen. Die Nacht war bewölkt, die Mondsichel hinter einer dunklen Schicht aus Wolken verdeckt. Als würde auch die Mondgöttin trauern. Doch kaum war das Floß in der Mitte des Sees angelangt, brach die Wolkendecke auf. Der Mond strahlte auf den See hinab, spendete ihm sein bleiches, silbernes Licht und ließ das Floß unübersehbar werden.
Einen Moment lang schloss Jace die Augen, bat die beiden Toten um Vergebung und hielt dann seine Kerze nach vorn ausgestreckt, als wolle er sie ihnen reichen. Auch die anderen taten es ihm gleich und hielten ihre Kerzen auf den See hinaus, Kathe eingeschlossen. Und dann geschah es:
Zunächst wurde das Licht der Kerzen silbern wie das Mondlicht selbst. Dann stieg die silberne Flamme empor, losgelöst von der Kerze, und schwebte auf den See hinaus. Auch mit den Flammen der anderen verhielt es sich so, bis unzählige kleine, silberne Lichter über dem See schwebten, hin zu dem Floß.
Er warf einen Blick zu Kathe, die das Ganze staunend beobachtete. Dann hatten die Flammen das Floß erreicht und ließen sich darauf nieder. Sie setzten sich überall hin, bis es regelrecht zu leuchten schien. Minutenlang verharrten sie auf ihm, bis sie erneut aufstiegen, nacheinander, dem Mond entgegen.
Jace und die anderen blieben stehen, bis auch die letzte Flamme verschwunden war. Zurück blieben trauernde Rudelmitglieder, eine verblüffte Kathlyn und ein leeres Floß.
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Urlaubsgrüße aus Dänemark.
Das Internet ist hier sowas von grottig!!! 😪😖
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