25. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩
Für luisesumm
Danke für deine Motivation und den lieben Kommi!
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Verfasser Unbekannt
*Kathlyn*
Ich hatte die Karte eilig wieder zusammengefaltet und in einem dicken Buch versteckt, ehe Emmely zurückkam. Ich war immer noch ganz aufgeregt von meinem Fund, vor allem angesichts des ernüchternden Gespräches zuvor, doch ich war natürlich nicht dumm. Die Karte war nicht von Geisterhand dorthin gekommen und ob sie wirklich echt war, wusste ich auch nicht. Doch ganz offensichtlich wollte jemand, dass ich sie fand. Offensichtlich wollte mich jemand loswerden, und ich hatte auch eine vage Vermutung, um wen es sich dabei handelte.
Um mich von meinen Grübeleien abzulenken stibitzte ich ein belegtes Brötchen von Emmely und begann ein unverfängliches Gespräch über ihre Schwangerschaft. Wir kannten das Geschlecht des Babys nicht, doch Emmely tippte auf ein Mädchen, während Mike natürlich von einem Jungen ausging.
„Wie hast du Mike eigentlich kennengelernt? Oder stammt ihr aus demselben Rudel?", fragte ich nun neugierig und sie lächelte verschmitzt.
„Nein, ehrlich gesagt bin ich seinetwegen nach Iluna gekommen. Früher waren Rudel verschiedene Familien, die sich zusammengeschlossen haben. Heute bildet sich ein Rudel aus Gleichgesinnten – zum Beispiel was unsere Lebensweise oder unsere Einstellung betrifft. Wir wachsen im Rudel unserer Eltern auf, doch sobald wir alt genug sind müssen wir uns entscheiden, ob wir in diesem Rudel bleiben wollen. Entscheidet man sich dagegen, zieht man herum und sucht sich ein Rudel, dem man sich anschließen möchte."
„Darf man das Rudel beliebig oft wechseln?"
„Nein, dafür braucht man triftige Gründe. Du musst bedenken, dass man viel über das Rudel weiß, das man verlässt. Damit wird man zu einer Gefahr. Ein Rudel hat das ausgenutzt. Es gab ein paar Wölfe die von Rudel zu Rudel zogen, angeblich um sich ihnen anzuschließen. In Wirklichkeit spionierten sie sie aus und kehrten dann in ihr eigentliches Rudel zurück. Sie nutzten die Schwachstellen der anderen, um sie anzugreifen und sich das Rudel einzuverleiben."
„Das ist nicht sehr fair!"
„Nein. Und es dauerte eine ganze Weile, bis dieser Trick durchschaut wurde. Seitdem sind alle vorsichtiger geworden. Wenn jetzt jemand ein Rudel wechseln möchte, muss er dem Alpha des neuen Rudels Rede und Antwort stehen. Auch der Alpha beantwortet Fragen, die er für richtig erachtet. Anhand der Befragung kann er herausfinden, ob es der Bewerber ernst meint und der Bewerber kann herausfinden, ob das Rudel das Richtige wäre. Sind dann beide einverstanden, wird der Bewerber ein Mitglied auf Probe. Besteht er die Probezeit, darf er bleiben. Besteht er sie nicht, muss er gehen. Und diese Probezeit ist nicht einfach. Es wird streng darauf geachtet, dass der Bewerber so wenig wie nötig über Rudelabläufe und interne Strategien erfährt. Brian ist zum Beispiel noch Bewerber."
„Aha. War das bei dir auch so streng?"
„Nein, ich hatte Glück. Es gibt auch einen einfacheren Weg das Rudel zu wechseln – nämlich durch den Partner. Ich bin damals im Rudel meiner Eltern geblieben. Mein Vater fungierte als Bote und wenn er mit Iluna zu tun hatte, nahm er mich manchmal mit. So lernte ich Josi kennen und wir wurden Freunde. Sie war es auch, die mich zu dem Mondfest einlud, von dem ich dir erzählt habe. Mike hat auf seiner Gitarre gespielt und gesungen, so wie beim letzten Mondfest. Da war es um mich geschehen." Sie lachte leise. „Und um ihn zum Glück auch."
„Was ist, wenn jemand das Rudel verlassen und bei Menschen leben möchte?", fragte ich betont beiläufig und ihr verträumtes Lächeln verschwand schlagartig.
Gerade setzte sie zu einer Antwort an, als es draußen einen Tumult gab. Viele Stimmen sprachen wild durcheinander, teilweise waren entsetzte Rufe, teilweise lautes Geschrei zu hören. Emmely und ich sahen uns fragend an, bevor wir nachsahen was los war.
Im Eingangsbereich hatte sich eine Traube aus Rudelmitgliedern versammelt. Sie standen auf der Treppe, in der Tür zum Speisesaal, im Gang, überall. Den Ursprung des Aufruhrs konnten wir von unserer Position aus nicht feststellen, dazu standen zu viele im Weg. Und da alle zu durcheinander redeten, verstand ich auch nichts.
„Komm, lass uns zurück in die Bibliothek gehen.", bat mich Emmely plötzlich. Sie war blasser geworden und ich kam ihrer Bitte sofort besorgt nach.
„Ist alles in Ordnung? Soll ich dir ein Glas Wasser holen?"
„Nein, es ist nichts.", behauptete sie und ließ sich wieder auf das Kanapee sinken.
„Das glaube ich dir nicht! Hast du Wehen? Ist dir schlecht?" Ich musterte sie, als sie den Kopf schüttelte. „Oder liegt es an dem Auflauf draußen? Was ist passiert? Wer ist eben gekommen?"
Sie schien mit sich zu ringen, schließlich gab sie jedoch nach: „Das waren Grenzposten. Sie bewachen den Fels-Pass, die Grenze zu Vastus, unserem Nachbarrudel im Osten."
„Da wo Jace und die anderen heute Morgen hingegangen sind?", erinnerte ich mich und sie nickte, nun noch besorgter dreinschauend.
„Sie haben die Leiche von Amos, einem Grenzposten, gebracht."
Ich hatte den Aufenthaltsraum noch nie so voll gesehen. Sämtliche Sitzplätze waren besetzt – dank Emmely hatten wir einen auf der bequemen Couch ergattern können. Dennoch war es gespenstisch still, denn niemand sprach ein Wort. Zumindest nicht laut. Alle saßen hier und warteten auf Neuigkeiten.
Vor einige Zeit waren Alec und Josi zurückkehrt und mit Fragen bombardiert worden. Sie hatten alle auf eine Besprechung am Abend, im Besprechungsraum, vertröstet und waren anschließend dort verschwunden. Emmely und ich waren ihnen kurzerhand gefolgt. Nach einigem Zögern erzählten sie uns knapp was passiert war.
Als Emmely erfuhr wo Mike und Jace nun waren, hatte sie eine Art Schwächeanfall. Diese Aufregung tat ihr und dem Ungeborenem absolut nicht gut, doch es sollte noch schlimmer kommen: Mike und Jace kehrten nicht wie verabredet zurück. Schließlich machten sich Josi, Alec und einige andere auf die Suche nach ihnen. Uns blieb nichts weiter übrig als zu warten. Und hier saßen wir nun, mitten in der Nacht.
Als wir Schritte hörten, drehten wir uns alle automatisch zur Tür um. Ich sah Josi vorbeirauschen, die uns nicht einen Blick schenkte. Dann erschien Alec im Türrahmen. Sein dunkelblondes Haar klebte ihm nass im Gesicht und er strich es sich zerstreut aus den Augen.
„Es geht ihnen gut, sie übernachten bei Vastus. Morgen sind sie zurück.", informierte er das Rudel und ein raunen, das ich nicht einordnen konnte, erhob sich. Emmely stöhnte leise neben mir auf.
„Das ist doch eine gute Nachricht, oder nicht?", wollte ich wissen.
„Nicht unbedingt. Vastus ist Jace' altes Rudel."
„Und das ist nicht gut?", fragte ich verständnislos, ehe mir die Gerüchte wieder einfielen, die in Ilargia kursiert hatten.
„Jace hat das Rudel nach einem heftigen Streit mit seinem Alpha verlassen. Also nein." Emmely erhob sich und ich folgte ihr zum Besprechungsraum. Ich erinnerte mich an diesen Raum, da er ein bisschen aussah wie ein Klassenzimmer. Überall standen Stühle und Tische.
„Das ist doch Blödsinn!", brüllte Josi gerade. Ihr langes, braunes Haar war rabenschwarz und pitschnass. Auch ihre Sachen waren komplett durchnässt und klebten ihr am Körper, doch sie schien nicht zu frieren. Sie schien es nicht einmal zu bemerken. „Du kannst diesem flohverseuchten Köter kein Wort glauben!"
Alec stand ganz ruhig da und ließ sich von ihr anschreien.
„ES REGNET! Kannst du noch nachvollziehen, ob Jace und Mike angegriffen wurden? Ob die Erde blutgetränkt ist? Ob es wirklich stimmt, was Caleb behauptet? Willst du weiter abwarten, bis sämtliche Spuren weggewaschen wurden?"
„Jace hat darauf vertraut, dass Caleb nicht angreifen wird, sonst wäre er nicht persönlich gegangen. Und wir sollten Jace vertrauen!"
„Ist das dein Ernst? Wo haben wir die Leiche gefunden Alec? Und wohin führen die Spuren der Mörder? Ist das immer noch nicht Beweis genug, wie sehr man Caleb trauen kann? Glaubst du mir erst, wenn wir die Leichen von Jace und Mike an der Grenze finden?"
Emmely gab das Geräusch von sich, nach dem ich mich fühlte und plötzlich bemerkten die beiden uns.
„Verdammt!", fluchte Josi und fing die Schwangere ab, als ihr die Beine wegknickten. Wir stützten Emmely und setzten sie auf einen der Stühle. Sie war noch blasser als vorhin.
„Du sollst dich doch nicht aufregen. Du solltest gar nicht hier sein!", schimpfte Josi liebevoll.
„Und wo soll ich sonst sein? Im Bett, friedlich schlafend, während mein Mann in Lebensgefahr ist?"
„Er ist nicht in Lebensgefahr.", widersprach Alec nachdrücklich und sah sie fest an. „Es geht ihm gut. Ein Bote von Vastus hat uns das persönlich ausrichten lassen. Ich kenne Darius und ich glaube ihm."
Josi schnaubte demonstrativ auf und schüttelte den Kopf.
„Caleb hat keinen Grund uns zu belügen! In ein paar Stunden erfahren wir die Wahrheit ohnehin, also was hätte er davon? Außerdem hat er uns noch nie belogen! Wir sollten persönliche Gefühle aus dem Spiel lassen und das Ganze sachlich angehen."
„Du findest es also unsachlich, dass sich Caleb noch Zeit erkaufen will? Er hat unseren Alpha und er hat eine Möglichkeit gefunden, ihre Fährten zu verbergen. Vielleicht bereitet er in diesem Augenblick einen Angriff vor! Wir sollten dasselbe tun, aber nein! Lieber vertrauen wir darauf, dass er uns wohlgesonnen ist, weil er uns schließlich noch nie belogen hat!"
„Du bist voreingenommen Josi und ich werde deshalb keinen Krieg riskieren! Schlaf ein paar Stunden und komm wieder zur Vernunft, dann reden wir weiter!"
Sie schien etwas zu erwidern, dass nicht für Emmelys und meine Ohren bestimmt war, denn die beiden starrten sich lange Zeit böse an. Dann riss Josi die Augen auf, machte auf dem Absatz kehrt und stürmte hinaus. Wir sahen ihr sprachlos nach. Alec schüttelte entnervt den Kopf, wobei feine Wasserspritzer herum flogen.
„Willst du wirklich einfach abwarten?", fragte Emmely vorsichtig.
„Ich habe hinter unserer Grenze Späher postiert. Sie werden uns rechtzeitig mitteilen, wie viele von Vastus die Grenze überqueren und ob Jace und Mike dabei sind. Wir werden vorbereitet sein. Wenn es nach Josi ginge, würden wir sofort angreifen. Zum Glück hat sie das nicht allein zu entscheiden. Du weißt wie impulsiv sie ist, sobald es um Caleb geht."
Der Beta hockte sich vor sie und sah sie eindringlich an. „Wir haben keinen ernsthaften Grund, ihm zu misstrauen. Wir kennen seine Seite der Geschichte noch nicht und wir wissen nicht mit Sicherheit, ob er etwas mit der Leiche zu tun hat. Jace hat nicht daran geglaubt und wir sollten dem Urteil unseres Alphas vertrauen."
Nun schenkte er Emmely und auch mir ein tröstendes Lächeln. „Ich bin davon überzeugt, dass es Jace und Mike gut geht. Alles Weitere sehen wir in ein paar Stunden, aber vorher sollten wir alle etwas schlafen."
Ich versuchte es. Ich versuchte es wirklich! Aber ich wälzte mich nur in diesem riesigen Bett herum und starrte die dunklen Schatten an, die immer näher zu kommen schienen. Ich gab es nur ungern zu, aber Jace' Anwesenheit hatte mir ein Gefühl von Sicherheit gegeben, das nun verschwunden war. Ich wusste nicht wovor ich mich eigentlich fürchtete, doch sobald ich die Augen schloss bekam ich Panik.
Am Ende schaltete ich das Licht auf meinem Nachttisch ein und zog die Karte unter meiner Matratze hervor, die ich zusammen mit dem Buch nach oben geschmuggelt hatte. Niemand hatte auf mich geachtet, doch das war nach diesem Abend auch nicht weiter verwunderlich.
Zum widerholten Mal faltete ich sie auseinander und betrachtete sie. Meine Chance die Wette zu gewinnen war verschwindend gering und hier wurde es immer gefährlicher. War nicht jetzt der richtige Zeitpunkt zu verschwinden? Bevor das andere Rudel kam und es vielleicht Krieg gab?
Nachdenklich starrte ich aus dem Fenster. Regen prasselte in einem stetigen, leisen Trommeln auf den Holzboden der Terrasse. Langsam beruhigte das Geräusch meine Nerven und ich gähnte herzhaft. Sicher war bereits ein neuer Tag angebrochen und niemand hatte erwähnt, wann Jace und Mike heute zurückkehren wollten. Vielleicht waren sie schon auf dem Weg und es wäre nicht gut, wenn er mich nicht schlafend im Bett vorfand. Ich wusste ja, wie viel Wert er darauf legte.
Außerdem brauchte Emmely Unterstützung, solange Mike noch nicht zurück war. Das hatte ich nun mehrfach gesehen. Ich konnte sie nicht einfach allein lassen. Und es regnete. Vielleicht war das für Werwölfe, wenn es um Spuren ging, schlecht – was für mich wiederum gut wäre. Aber es war nass und kalt und dunkel. Ich würde nichts sehen, mich verlaufen und obendrein pitschnass werden. Was hätte ich da gekonnt? Genau: Gar nichts.
Eigentlich wäre es doch klüger noch etwas zu warten. Bis es nicht mehr regnete und hell war zum Beispiel. Oder bis Mike und Blauauge zurück waren. Er würde mich hier sehen, wäre zufrieden und würde sich wieder wichtigeren Angelegenheiten widmen – wie dem anderen Rudel, oder der Leiche. Zu tun hatte er eindeutig genug. Und ich hätte immer noch genug Zeit, von hier zu verschwinden.
Mit diesem Plan im Sinn verstaute ich die Karte wieder unter meiner Matratze und betrachtete Jace' leere Bettseite. Nach kurzem zögern schnappte ich mir sein Kissen und warf stattdessen meines hin. Das hier würde er nie erfahren! Ich würde die Kissen selbstverständlich wieder tauschen. Doch jetzt brauchte ich einfach dieses Gefühl von Sicherheit.
Zufrieden kuschelte ich mich hinein und schloss die Augen. Jace' Geruch tat sein übriges und ich fiel schon bald in einen tiefen, ruhigen Schlaf.
Hätte ich geahnt was mich wenig später erwarten würde, hätte ich sein Kissen höchstwahrscheinlich in den See befördert. Und ihn direkt hinterher.
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Ich hoffe die Kapitel konnten euch ein wenig für die lange Wartezeit entschädigen.
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