20. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩
Aus der Chronik und den Gesetzen von Ilargia
*Jace*
Verflucht! Mit großen Schritten überquerte er den Gang und riss die Tür vollends auf, die nur angelehnt war. Kathe stand vor dem großen Tisch, der die Mitte des Raumes einnahm, und streckte gerade die Hand nach etwas darauf aus.
Zuerst glaubte Jace erschrocken, sie hätte den Brief entdeckt. Dann fiel ihm ein, dass dieser in einer Schublade verstaut war. Doch das auf dem Tisch war nicht weniger brisant: Es waren die ersten Übersetzungen der Briefe, die sie bei Frumos gefunden hatten. Und daneben lag die Ilargia News von heute Morgen. Wie hatte er nur vergessen können abzuschließen? Wenn Kathe jetzt das Titelblatt las ...
„Hrmpf.", räusperte er sich scharf und sie zuckte ertappt zusammen. „Hatte ich dir nicht verboten, mein Arbeitszimmer zu betreten?"
„Hattest du?" Sie setzte eine unschuldige Miene auf, bevor sie sich demonstrativ umsah.
„Du hast wohl Angst, dass ich deine Landkarten anmale?", fragte sie dann und deutete auf mehrere Karten an der Wand und anschließend zurück auf den Tisch, wo sie die Zeitung fokussierte. „Oder, dass ich dir den Sportteil klaue?"
„Du hast hier nichts zu suchen!" Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was Jäger für eine Einzige dieser Karten geben würden.
„Mein Vater hat auch ein Arbeitszimmer. Und er macht darum nicht so ein Geheimnis wie du."
„Ich bin mir sicher, dass dein Vater seine brisanten Unterlagen auch nicht herumliegen lässt, oder es dir zumindest nicht unter die Nase reibt. Verbote und Geheimnisse scheinen ja einen besonderen Reiz auf dich zu haben."
Kathe zog beleidigt einen Schmollmund. „Dann wäre es vielleicht klüger, mir nichts zu verbieten und mir nichts zu verheimlichen."
„Das hättest du wohl gern." Er zeigte auffordernd zur Tür und sie verdrehte die Augen, gehorchte aber. Erleichtert stellte Jace fest, dass er die Zeitung wieder zusammengefaltet und mit dem Titelblatt voran auf den Tisch gelegt hatte. Aber er musste eindeutig vorsichtiger sein. Nachdrücklich schloss er diesmal ab.
„Du hast ein ganz schön rückschrittliches Arbeitszimmer." Immer noch beleidigt öffnete sie die Tür der Suite und trat ins Treppenhaus. „Heutzutage gibt es Computer und Telefone, falls du es noch nicht wusstest. Da hat man keine brisanten Unterlagen mehr, die herumliegen könnten. Und deine Liebesbriefe interessiert mich nicht, falls du davor Angst hattest."
„Liebesbriefe?", hakte er amüsiert nach und folgte ihr die Treppe nach unten.
„'Meine liebe Nicoleta'", zitierte sie und er verspannte sich automatisch. Zwar waren die Briefe bisher harmlos – Nicoletas Bruder kümmerte sich um ihr Grundstück im Ausland und schrieb über seine Familie und seine Arbeit im Krankenhaus – dennoch waren diese Zeilen nicht für Kathes Augen bestimmt gewesen.
„Wenn du ihr eine Email schreiben würdest ginge es schneller und sie könnte es bestimmt besser lesen. Du hast eine Sauklaue."
Er verzichtete darauf ihr zu erzählen, dass die Briefe nicht von ihm waren und die Schrift die von Mike. Stattdessen schnappte er sich ihr Handgelenk und brachte sie zum stehenbleiben. Im Treppenhaus war es Mucksmäuschenstill. Alle waren bereits draußen an der Feuerstelle.
„Ich will dich nicht noch einmal allein in meinem Arbeitszimmer sehen Kathlyn! Haben wir uns verstanden? Dieses Zimmer geht dich überhaupt nichts an!"
„Entschuldigung! Ich wusste nicht, dass deine Briefe geheim sind, schließlich lagen sie einfach herum.", gab sie schnippisch zurück und versuchte ihr Handgelenk zu lösen. „Ich werde es deiner Nicoleta schon nicht verraten!"
„Die Briefe sind nicht von mir.", gab er schließlich zu und drängte sie gegen die Wand. „Und es sind auch keine Liebesbriefe. Du hast also keinen Grund, eifersüchtig zu sein."
„Ich bin nicht eifersüchtig! Es ist mir doch egal, wem du was schreibst!", behauptete sie mit hochroten Wangen. Er schmunzelte.
„Vielleicht schreibe ich dir irgendwann einen Liebesbrief?" Mit seinen Lippen streifte er ihren Hals und hörte wie sie aufkeuchte, obwohl sie versuchte es zu unterdrücken.
„Ich kann es kaum erwarten!" Ihre Stimme war ein wenig höher geworden und sie bemühte sich krampfhaft, sie vor Ironie triefen zu lassen. Jace unterdrückte ein Lachen und sah ihr stattdessen ernst in die Augen.
„Schön. Dennoch: Mein Arbeitszimmer ist tabu! Niemand hat dort etwas ohne meine ausdrückliche Erlaubnis zu suchen! Ich denke, dass du das nun verstanden hast." Einen Moment lang lieferten sie sich ein Blickduell, bis sie zähneknirschend den Blick senkte. „Und jetzt lass uns das Mondfest feiern."
„Da seid ihr ja endlich!", wurden sie von Josi begrüßt, die gleich darauf Kathes rote Wangen musterte und Jace einen scharfen Blick zuwarf. „Was ist passiert?"
„Nichts. Sie ist nur aufgeregt."
„WOW! Du siehst umwerfend aus!" Emmely betrachtete Kathe sprachlos. „Ich hoffe, ich habe auch wieder so eine schöne Figur, wenn das Kleine erst einmal da ist."
„Du hast eine schöne Figur!", widersprach Mike und küsste sie aufs Haar. Dann raunte er ihr etwas ins Ohr, was Jace gar nicht hören wollte, und Emmely lief rot an und kicherte.
Josi verdrehte genervt die Augen. „Komm Kathe, wir plündern das Buffet."
„Ich komme mit!", warf Emmely ein und die drei bahnten sich einen Weg durch das Gedränge. Ein großes Feuer prasselte im Zentrum der Feuerstelle und viele Rudelmitglieder standen darum herum oder saßen auf den Baumstämmen, und amüsierten sich. Girlanden, Lampions und Lichterketten schmückten die Bäume. Am Rand der Lichtung war ein großes Buffet aufgebaut worden, wo auch die Platten standen, die Kathe und Brian gemacht hatten. Dorthin steuerten die drei, naschten, lachten und unterhielten sich. Jace beobachtete sie schmunzelnd.
„Wenn man es nicht wüsste, könnte man denken sie wäre eine von uns.", stellte auch Mike fest, ehe er Jace ernst ansah. „Alec sagt, du hättest die Wachen an der Grenze zu Vastus verstärkt. Rechnest du mit einem Angriff von Caleb?"
„Solange wir nicht wissen, wie und warum sie unbemerkt über die Grenze kommen, sollten wir mit allem rechnen."
Mike nickte, ehe er im Geist weitersprach: „Ich habe heute die letzten Untersuchungen abgeschlossen. Die Munition aus Frumos Haus ist identisch mit dem Geschoss , das wir aus Alec geholt haben."
Das hatte Jace bereits geahnt. Und angesichts des Hasses, den Frumos so offen an den Tag legte, hatte er bereits einen Plan gefasst. Er brauchte dringend Antworten, doch die würde er nicht aus der Ilargia News bekommen.
„Wir könnten Carola beauftragen, ihn noch einmal zu befragen. Oder wir holen uns die Erlaubnis, es selbst zu tun. Auch wenn ich mir, ehrlich gesagt, nicht viel davon verspreche."
„Nein, ich habe einen anderen Plan. Wir werden ihm die Aufmerksamkeit zukommen lassen, die er sich so dringend wünscht. Früher oder später wird er seine wahren Absichten verraten. Sei es nun der Bürgermeisterposten, oder ein Krieg gegen unser Rudel."
„Bei allem Respekt Jace, aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob wir unsere Zeit überhaupt mit Frumos verschwenden sollten. Jemand kommt irgendwie ungehindert über unsere Grenzen und wir haben nichts als Vermutungen, um welches Rudel es sich handelt oder welche Absichten sie haben. Das ist eine reale Bedrohung."
„Und Frumos nicht?"
„Seine Munition ist gefährlich, das streite ich nicht ab. Aber nur für einzelne Wölfe und nicht für das ganze Rudel. Selbst wenn er die ganze Stadt bewaffnen würde, hätten sie keine Chance. Wir würden sie zerfetzen, bevor sie ein zweites Mal abdrücken könnten. Kräftemäßig bleiben wir den Menschen immer noch überlegen. Doch wenn uns ein anderes Rudel angreift, sieht das Ganze anders aus."
Als Jace schwieg, fuhr Mike fort: „Seien wir mal realistisch: Selbst wenn Frumos tatsächlich ein Jäger ist, dann kein besonders guter. Er hat Alec nicht getötet, sondern ihn nur verwundet. Er hetzt die Stadt auf, weil er offensichtlich komplett allein ist. Auch in diesen Briefen stand nichts Gegenteiliges. Du nimmst ihn zu ernst."
„Ich nehme alle Bedrohungen gegen mein Rudel ernst, Mike! Sei es nun gegen einzelne Rudelmitglieder, oder gegen das Rudel insgesamt. Wenn uns die Vergangenheit eines gelehrt hat, dann doch wohl, dass ein Alpha nichts Schlimmeres tun kann, als etwas nicht ernst zu nehmen!" Jace fixierte seinen Freund, bis dieser den Blick senkte. „Die wahren Bedrohungen erkennt man nicht immer sofort. Man unterschätzt sie oft. Meist erkennt man sie erst dann, wenn es schon zu spät ist. Auch das hat uns die Vergangenheit gelehrt. Oder hast du das vergessen?"
„Verzeih mir.", bat Mike leise.
„Wir sollten diesen Abend nicht mit streiten verbringen. Stimm' lieber ein Lied an.", entgegnete Jace versöhnlich. Er wusste, dass es sein Freund nur gut gemeint hatte. Dann ließ er seinen Blick wieder zu Kathlyn schweifen, die sich noch immer mit Josi und Emmely unterhielt. Das würde er nun ändern.
Gerade bahnte er sich einen Weg zu ihr, da betraten zwei Personen die Lichtung, die sofort stürmisch begrüßt wurden. Sie kamen nur bei besonderen Anlässen oder in außergewöhnlichen Situationen zur Wolfshöhle, ansonsten wohnten sie in Ilargia.
Und ein Blick auf die versteinert wirkende Kathe verriet ihm, dass auch sie die beiden erkannt hatte.
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Habt ihr "peinliche" Hobbys, die ihr versteckt?
Dieses Mondfest unterscheidet sich gravierend von der vorigen Version, passt so aber besser zur Geschichte. (Auch wenn es weniger spannend ist.) Dafür dürftet ihr einiges erfahren haben, was ihr noch nicht wusstet. Auch im nächsten Kapitel gibt es einige Erklärungen und Hintergrundinfos, die für den Handlungsverlauf der Geschichte aber nicht unrelevant sind.
(Und vielleicht gibt es auch ein klein wenig Romantik ...)
Ich wünsche euch ein schönes neues Jahr!
Ps: Wie gefällt euch meine Überarbeitung der Ilargia News im letzten Kapitel?
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