2. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩
*Kathlyn*
„Uuunnd?", wurde ich von Thea empfangen, kaum dass er weg war. „Worum ging es? Hat er etwas von der Ratssitzung erzählt?"
„Nein." Ich hatte keine Lust, ihnen von den Tierfunden zu erzählen. Das würde nur gleich für neuen Gesprächsstoff sorgen. Ich meine: War das in einem Wald wirklich so ungewöhnlich? Es gab hier schließlich Bären, Luchse und andere wilde Tiere. Aber nein, natürlich waren es ‚weder ein Mensch, noch ein Tier'. Genauso wenig, wie der ‚verschwundene' Mann nicht einfach weggefahren sein konnte, ohne sich irgendwo abzumelden. Wer legte schon Wert auf seine Privatsphäre? Nein, er war verschwunden. Wir waren hier schließlich in Ilargia, da konnte es nie mit rechten Dingen zugehen.
„Wie schade. Oh, seht mal. Sie kommen aus dem Rathaus!" Thea klebte fast an der Scheibe, um einen Blick auf sie zu erhaschen. „Kann uns dein Vater nicht einen von ihnen vorstellen? Am besten einem männlichen Exemplar."
Das wünschten sich viele Mädchen. Immerhin schrieb man ihnen ungeahnte Kräfte, einen muskulösen Körper, sehr gutes Aussehen und Treue bis zum Tod zu. Okay, das klang auch nicht schlecht. Aber seien wir realistisch: Solche Männer gab es einfach nicht.
„Geh doch rüber und sprich sie an.", schlug ich vor und kassierte einen beleidigten Blick.
„Du weißt genau, dass das verboten ist!" Ja, noch eins dieser tollen Gesetze Ilargias. Der Kontakt zu ihnen – egal in welcher Form – war uns strengstens untersagt.
„Richtig. Weil wir dann nämlich feststellen würden, wie menschlich die angeblichen Werwölfe in Wahrheit sind."
Thea schlug sich entnervt mit der Hand vor die Stirn. „Jetzt geht das schon wieder los! Wie kann man nur so ungläubig sein?"
„Wie kann man nur jeden Mist glauben?"
„He, Kaffeetante!", brüllte der unhöfliche Typ mit den braunen Augen plötzlich quer durch das Café. Die drei Männer hatten sich erhoben, einer von ihnen legte gerade einen Schein auf den Tisch. „Du solltest auf deinen Papi hören! Das ist nur zu deinem Besten!"
Ich lief beschämt rot an. Was sollte das denn? Und woher wollte er wissen, was mein Vater gesagt hatte? Das konnte er unmöglich gehört haben! Ehe ich etwas erwidern konnte, öffneten sie die Tür und verschwanden. Alle im Café starrten mich an.
„Was meint er?", wollte David neugierig wissen, da vibrierte sein Handy. Und das von Thea. Und das aller anderen.
„Das gibt es doch nicht! Eine Ausgangssperre?", fluchte sie und warf mir einen misstrauischen Blick zu. „Und dein Vater hat davon nichts erwähnt?"
„Nein.", log ich, während alle murrend begannen ihre Sachen zusammen zu räumen. Sie schüttelte ungläubig den Kopf, holte ihr Portmonee heraus und legte zwei Euro auf den Tisch.
„Was denn? Kein Trinkgeld?" Ich fasste mir theatralisch ans Herz.
„Sorry, ich bin pleite. Das ist mein letztes Geld."
„Von mir bekommst du welches, Kaffeetante." David reichte mir einen Fünfer, ich schob ihm jedoch lachend Theas Geld als Wechselgeld zu.
„Lass mal stecken. Spar lieber für dein Auto und bring Thea nach Hause."
Nachdem ich alle abgerechnet und sämtliche Tische abgeräumt hatte, öffnete sich die Cafétür erneut. Herein kamen diesmal die Bürgermeisterin und einige Ratsmitglieder, die es offensichtlich nicht eilig hatten nach Hause zu gehen. Die Meisten wollten Sandwiches essen und ich hatte gut zu tun. Obwohl sie leise miteinander sprachen, bekam ich mehr mit als ich eigentlich wollte.
„Ich bin immer noch davon überzeugt, dass das alles inszeniert ist! Warum sollte sich der Alpha sonst weigern, persönlich an den Ratssitzungen teilzunehmen, wenn sie nichts zu verbergen hätten? Das ist alles sehr merkwürdig.", redete eines der Ratsmitglieder verschwörerisch auf die anderen ein.
„Seien Sie nicht so laut! Sie könnten immer noch in der Nähe sein!" Die Bürgermeisterin sah sich unbehaglich um.
„Umso besser! Vielleicht würden sie dann endlich ihr wahres Gesicht zeigen." Er sah Carola vorwurfsvoll an. „Sie bringen die ganze Stadt in Gefahr, wenn Sie diesen Bestien weiterhin vertrauen! Was muss noch passieren, bis Sie endlich die Augen aufmachen?"
„Was schlagen Sie denn vor Marius? Einen Krieg?"
„Ich schlage vor, dass wir aufhören uns von ihnen abhängig zu machen! Wir sollten das Abkommen auflösen. Was hat es uns denn gebracht? Es gibt einen neuen Alpha, mit dem man aber nicht reden kann, weil er erst gar nicht auftaucht. Wir wissen nicht einmal, wer er ist und was er plant! Dafür wissen wir, dass die Wölfe ihrer Pflicht, uns zu beschützen, nicht mehr besonders sorgfältig nachkommen. Wir wissen, dass irgendein Geschöpf in die Stadt eingedrungen ist. Wir wissen, dass es schon ein Opfer gibt. Und wir wissen, wie besorgt alle Bürger über die derzeitigen Zustände sind. Wir lange wollen wir noch herumsitzen und warten, bis noch mehr passiert?"
„Wenn Ihnen meine Entscheidungen nicht gefallen, können Sie bei der nächsten Wahl gern selbst kandidieren!", zischte Carola wütend zurück und ein anderes Ratsmitglied räusperte sich umständlich und blickte dabei in meine Richtung. Ich tat, als würde ich nichts hören und belegte weiter Sandwiches.
„Wir können keinen Krieg riskieren, nur weil man uns vielleicht angreifen könnte. Und wir können das Abkommen auch nicht einfach auflösen. Dann wäre unsere Stadt vollkommen schutzlos.", fuhr sie fort, diesmal deutlich leiser.
„Wir sind nicht mehr schutzlos! Zahlenmäßig sind wir ihnen weit überlegen. Wir kennen ihre Schwächen und wissen, wie man sie tötet. Es gibt Waffen –"
„Es reicht! Ich will nichts mehr über Ihre Verschwörungstheorien hören!" Sie packte nachdrücklich ihre Sachen zusammen und erhob sich.
„Wir sollten nach Hause gehen und uns um unsere Familien kümmern. Kathlyn", sprach sie mich plötzlich unerwartet an und ich zuckte überrascht zusammen. „Bitte schließen Sie von innen ab, sobald wir gegangen sind. Wie Sie sicher mitbekommen haben, wurde für heute eine Ausgangssperre verhängt. Sie sollten schleunigst nach Hause gehen!"
Ich nickte brav, weil es von mir erwartet wurde. Allerdings hatten diese Gäste deutlich mehr Chaos hinterlassen, als die Schüler vorhin. Ich räumte das Geschirr und die Essensreste weg, verpackte und verstaute die restlichen Lebensmittel, wischte die Tische ab, fegte den Laden durch und machte die Kasse. Vielleicht hätte einiges davon auch bis morgen warten können, aber wozu? Wegen irgendeiner erfundenen Geschichte, über die bösen Werwölfe?
Ich beeilte mich am Ende nur, weil mir die Strafe wieder einfiel, sollte mich jemand sehen. Die konnte ich gar nicht gebrauchen. Und dass mein Vater vor dem Laden stand auch nicht. Doch als ich endlich abschloss war es stockdunkel und die Straßen waren bereits menschenleer.
Fast zumindest, denn vor mir lief ein Mann. Mist. Hoffentlich bemerkte er mich nicht. Andererseits verstieß er offensichtlich auch gegen die Ausgangssperre, da würde er mich wohl kaum verraten.
Mein Handy vibrierte und ich zog es aus der Tasche und warf einen Blick darauf. Mein Vater hatte schon zigmal angerufen. Gleich würde ich mir zu Hause etwas anhören dürfen, wenn er mir nicht sogar schon entgegen kam. Ich seufzte leise.
Der Mann war stehen geblieben und drehte sich zu mir um, wahrscheinlich genauso erschrocken über die unerwartete Gesellschaft, wie ich. Er war ungewöhnlich blass und schwankte leicht. Entweder war er krank, oder extrem betrunken. Noch dazu kannte ich ihn nicht, er war nicht von hier.
Er lächelte mich breit an, was jedoch mehr unheimlich als freundlich aussah, und kam auf mich zu. Plötzlich wünschte ich mir, wir wären nicht die Einzigen auf dieser Straße. Ich wünschte mir, mein Vater würde um eine Ecke biegen und lautstark mit mir schimpfen. Ich wünschte mir, ich hätte auf ihn und Carola gehört.
Unsinn! Ich klang schon genauso paranoid wie alle anderen aus dieser Stadt. Wahrscheinlich wollte er mich nur etwas fragen. Für einen Fremden musste es schließlich merkwürdig sein, dass bereits alle Läden geschlossen hatten und niemand mehr unterwegs war, ermahnte ich mich.
Ich überlegte gerade, wie ich ihm die seltsamen Sitten unserer Stadt erklären sollte, da schoss ein gigantischer Schmerz durch meinen Kopf und ich fand mich auf dem Boden liegend wieder. Der Fremde war über mir und grinste mich an. Wie er mich so schnell überwältigt hatte, war mir schleierhaft. Und plötzlich schlug mir der gigantische Gestank entgegen, der von ihm ausging. Er roch nach verfaulter Erde und Laub, nach Verwesung. Nach Blut. Nach Tod.
Geschockt starrte ich ihn an und er zischte und röchelte irgendetwas, das ich nicht verstand. Dann grinste er wieder und ich betrachtete entsetzt seine Zähne. Mir wurde schlecht. Mit diesem Gebiss stimmte etwas ganz und gar nicht. Dieser Mann besaß nämlich keine normalen Eckzähne.
Stattdessen hatte er zwei gigantische Reißzähne.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top