11. 𝔎𝔞𝔭𝔦𝔱𝔢𝔩

*Jace*

„Was zum Kuckuck habt ihr mit ihr gemacht?" Josi war extrem aufgebracht, als sie zurückkam. „Sie sieht furchtbar aus! Und wo sind ihre Sachen?"

„Sie wollte nichts mitnehmen." Und als sie es wollte, war es zu spät.

„Nicht einmal Schuhe?" Ungläubig verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah ihn vorwurfsvoll an.

„Nein." Jace sah so gleichgültig wie möglich zurück, doch natürlich glaubte sie ihm kein Wort. Alec begann zu lachen, das war auch nicht hilfreich.

„Du bist unmöglich! Kein Wunder, dass sie nicht mit dir allein sein will! Ich hätte gleich auf mein Gefühl hören, und mitkommen sollen!"

„Wieso?" Nun wurde er hellhörig.

„Nachdem ich ihr von der Suite erzählt habe, hat sie sich geweigert mit nach oben zu kommen."

„Wo ist sie?"

„Im Gemeinschaftsraum. Ich habe ihr erlaubt, dass sie dort erst einmal bleiben kann."

„Du hast was?" Nun war es Jace, der verärgert war.

„Wo soll sie denn sonst hin? Sie braucht Zeit, Jace! Sie muss das alles erst einmal verarbeiten.", versuchte Josi ihn aufzuhalten, als er sich in Richtung Wolfshöhle aufmachte. „Ich glaube nicht, dass du ihr dabei eine große Hilfe bist!"

Zähneknirschend blieb er stehen. „Na schön. Ich gebe ihr eine Stunde."

„Eine Stunde?" Josi schnaubte, hielt sich angesichts seiner Miene jedoch zurück. Sie hatte Glück, dass sie zu seinen engsten Freunden zählte, weshalb sie so mit ihm sprechen durfte. Und normalerweise schätzte er ihre rücksichtslose Offenheit. In Bezug auf Kathe war das jedoch etwas anderes. Weder wollte er sich hineinreden lassen, noch gesagt oder gezeigt bekommen, wie dämlich er sich anstellte.

Ihm war selbst bewusst, dass er nicht einfach so über ihre Lippen hätte herfallen dürfen. Er hatte seinem Verlangen nur für einen kurzen Moment nachgegeben. Dass er sie dadurch verschreckte, hatte er nicht beabsichtigt. Dennoch bereute er den Kuss nicht. Schon die Erinnerung an ihn ließ seine Gier erneut anschwellen und seine Selbstbeherrschung gefährlich bröckeln.

Kathlyn löste einen Sturm an Emotionen in ihm aus, die er noch nie zuvor erlebt hatte. Sie war das Feuer, an dem er sich verbrennen würde. Und doch wusste er in dem Moment, in dem er sie kostete, dass er süchtig nach ihr war. Schlimmer noch: Er war nicht mehr in der Lage, rational zu denken oder zu handeln.

In seiner Position konnte er sich das absolut nicht leisten. Wenn er das nicht schleunigst in den Griff bekam ... Es konnte schneller seinen und auch ihren Tod bedeuten, als ihm lieb war.

„Ich bringe ihr etwas zu Essen und versuche ihr gut zuzureden. Vielleicht kann ich noch etwas retten.", teilte Josi ihm mit, bevor sie sich umdrehte und in der Wolfshöhle verschwand.

Alec schnalzte mit der Zunge. „Eine Verbündete scheint sie schon mal zu haben. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das für dich so vorteilhaft ist."

Jace seufzte. Er hatte gewusst, dass seine Bedingung neue Probleme mit sich bringen würde. Dass sein Rudel über die neuen Anweisungen nicht glücklich wäre, war klar gewesen. Sie hatten sich tief in den Wald zurückgezogen, damit sie ihre Triebe ausleben und ungehindert sie selbst sein konnten. Nun war das nicht mehr möglich – vorerst zumindest.

Das Kathe Schwierigkeiten machen würde, hatte er ebenfalls einkalkuliert. Doch dass er seine Not hätte, sich ihr gegenüber zurückzuhalten und einen klaren Kopf zu bewahren, das hatte er nicht gedacht. Eines seiner Ziele, weshalb er die Bedingung überhaupt erst gestellt hatte, war eigentlich gewesen, dass sie ihm nicht mehr ständig im Kopf herumspukte.

Sie war in Sicherheit. Er konnte in ihrer Nähe sein – sie berühren, hören und fühlen – wann und so viel er wollte. Sie gehörte ihm! Wieso also beruhigte er sich nicht? Wieso war dieser Drang, nachzusehen was sie tat, noch stärker als je zuvor?

„Weißt du, ob Mike schon etwas über die Silberkugel herausgefunden hat?", wandte er sich an Alec, um sich abzulenken. Er hatte Mike ebenfalls eine Frist gesetzt, die heute ablief.

„Heute Morgen hat er noch ein paar Tests gemacht. Ich denke, dass er inzwischen fertig sein dürfte."

„Gut. Dann sag ihm, dass ich in einer Stunde in die Waffenkammer komme. Und schick Tobias nach Ilargia. Ich will wissen, was in der Stadt los ist."

„Dort herrscht bestimmt Aufregung. Erst erscheinen wir nicht im Rathaus, und dann ist das Mädchen spurlos verschwunden. Ehrlich gesagt wundert es mich, dass sie sich nicht in der Küche verschanzt hat. Mit Pfannen und Messern bewaffnet."

Jace schmunzelte. Das konnte er sich gut vorstellen. Dann stieß er sich vom Gebäude ab und lief in Richtung Eingangshalle. Er wollte sich wenigstens ganz kurz vergewissern, dass alles in Ordnung war.

Josi kam ihm auf halber Strecke entgegen und er blieb verwundert stehen. „Was ist los?"

„Sie hat keinen Hunger und möchte allein sein. Ich wollte ihr einige Anziehsachen von mir holen, damit sie erst einmal etwas hat. Aber das ist keine Dauerlösung! Es wird Winter und meine Sachen sind ihr sicher zu lang. Sie braucht etwas Eigenes!"

„Ich weiß Josi. Ich werde mich darum kümmern.", erwiderte er hörbar genervt. „Wir treffen uns im Übrigen nachher bei Mike in der Waffenkammer. Er hat die Kugel untersucht."

„Oh, na endlich! Soll ich dabei sein? Oder soll ich bei Kathe bleiben?"

„Das weiß ich noch nicht. Welchen Eindruck macht sie?"

„Einen sehr verschlossenen und zurückhaltenden. Und ich bezweifle stark, dass wir sie heute aus dem Gemeinschaftsraum heraus bekommen. Ich könnte ihr dort ein Bett machen, wenn du willst."

„Nein!" Das würde er gar nicht erst anfangen. „Ich werde sie nach oben bringen. Du kannst mit den Sachen nachkommen."

Josi standen die Zweifel ins Gesicht geschrieben, doch sie widersprach nicht und lief mit ihm zusammen in die Eingangshalle, ehe sie die Treppe nach oben nahm. Jace wandte sich dem Gemeinschaftsraum zu und versuchte sich zu fassen. Es würde nichts bringen, wenn er Kathe noch mehr verschreckte. Er musste sich beherrschen.

Doch als er den Raum betrat und feststellte, dass er leer war, zerplatzte dieser Vorsatz sofort wieder. Suchend sah er sich um, konnte sie jedoch nirgends entdecken. Ihr Geruch hingegen hing deutlich in der Luft und leicht verärgert folgte er ihm bis zum Speisesaal, den sie betreten und erst vor kurzem wieder verlassen hatte. Geradewegs in Richtung Ausgang.

Sie hatte sich dort versteckt, während er zum Gemeinschaftsraum lief. Nun lächelte Jace breit. Sein Jagdinstinkt war geweckt und ohne zu zögern folgte er ihrem Duft aus der Wolfshöhle hinaus, und am Gebäude vorbei in den Wald.

Ihr Vorsprung war nicht groß, kurz darauf sah er sie auch schon. Verzweifelt versuchte sie hinter Bäumen Schutz zu suchen und Abstand zwischen sich und die Wolfshöhle zu bringen. Und da sie ihr Tempo plötzlich beschleunigte, hatte sie ihn wohl ebenfalls bemerkt.

Jace hätte sie schnell einholen können, doch er ließ sich Zeit. Beinahe gemütlich spazierte er ihr nach, schloss dennoch langsam zu ihr auf und gab sich nicht die geringste Mühe, das Geräusch seiner Schritte zu verbergen.

Kathe hörte ihn stetig näher kommen, egal wie schnell sie lief. Noch immer trug sie keine Schuhe und kam nur beschwerlich voran. Der Boden war eiskalt und übersät mit Blättern, Ästen, Steinen und Früchten, die die Bäume verloren hatten. Sie entkam ihm nicht und er würde nicht einfach ohne sie umkehren.

„Was soll das eigentlich werden?", fragte er, als er nur noch wenige Meter von ihr entfernt war. „Willst du die Nacht im Wald verbringen?"

„Lieber als bei dir!" Sie griff sich einen dicken Ast, drehte sich angriffslustig um und funkelte ihn trotzig an. „Verschwinde!"

„Glaubst du, du kannst mir mit deinem Stöckchen Angst machen?" Er grinste unverhohlen.

„Eigentlich hatte ich gehofft, dass du ihm nachrennst, wenn ich ihn wegwerfe."

Er machte so schnell einen Satz zu ihr und presste sie gegen einen Baum, dass sie erschrocken aufschrie. Der Ast war dabei zwischen ihnen, doch Jace brach ihn einfach durch und er fiel nutzlos zu Boden.

„Hältst du mich für einen Hund?", raunte er bedrohlich, obwohl er äußerst amüsiert war. Mut hatte sie, das musste man ihr lassen. Sie erwiderte seinen Blick unnachgiebig, obwohl sich ihre Brust immer schneller hob und senkte und sie kurz davor war, in Panik auszubrechen.

Einen Augenblick lang lieferten sie sich ein Blickduell, bis er bemerkte wie kalt sie wieder war. Er hatte ihr auf dem Weg zur Wolfshöhle schon wärme gespendet und dafür extra seine Temperatur ansteigen lassen. Es war dumm gewesen, sie ohne Jacke und Schuhe mitzunehmen.

Als er zurücktrat atmete sie kurz auf, bis er blitzschnell zugriff und sie zum zweiten Mal an diesem Tag über seiner Schulter landete. Dann setzte er sich in Bewegung und machte sich auf den Rückweg, diesmal deutlich schneller, ihre Beschimpfungen und Schläge ignorierend.

„Schick mir Leo hoch.", befahl er Cindy, die mit ein paar anderen auf der Lichtung saß und vergnügt beobachtete, wie er die tobende Kathe zurück in die Wolfshöhle trug.

Josi stand bei ihm vor der Tür und bekam riesige Augen, als er die Treppe nach oben kam.

„Gib uns noch 10 Minuten.", forderte er und trat ein.

Die Suite war in mehrere Bereiche aufgeteilt: das Schlafzimmer, ein offener Wohnbereich mit Terrasse, dem gegenüber das Bad war, eine offene Küche mit Kücheninsel und sein Arbeitszimmer.

Das Wohnzimmer war der Mittelpunkt der Etage. Eine große graue Couch vor einem Kamin dominierte den Raum. Auf ebendieser Couch ließ er Kathe nun fallen, doch sie sprang sofort wieder auf und sah sich unbehaglich um.

Ein Stück von ihnen entfernt stand (auf der rechten Seite) die große Kücheninsel, die den Übergang zur Küche einleitete, und vor der zwei Hocker standen . Die Küchenzeile dahinter war etwa vier Meter lang und beinhaltete alles, was eine normale Küche brauchte, wenngleich Jace sie noch nie benutzt hatte. Sie endete vor einem Gang, der in sein Arbeitszimmer führte.

Kathes Blick glitt hinter die Couch zur Terrasse. Diese war vom ganzen Haus sein Lieblingsort. Sie zeigte auf den See, der hinter der Wolfshöhle lag und, umgeben vom Wald, einen atemberaubenden Anblick bot. Das Schlafzimmer befand sich links von ihnen und war durch einen offenen Durchgang erreichbar.

Aber es gab nur einen Ausgang. Und Jace stand mitten im Weg.

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