6 | my muse
H A I L E Y
Nur noch zehn Minuten und ich musste diese Aussicht vor mir nicht mehr ansehen. Ich hoffte einfach diese Minuten würden so schnell, wie möglich vorübergehen und ich durfte verschwinden. Die ganze Stunde über versuchte ich nicht auf ihn Acht zu geben, aber um ehrlich zu sein viel es mir unglaublich schwer.
Evils drehte sich zu mir um und legte einen Zettel auf meinen Tisch. Skeptisch betrachtete ich diesen und nahm ich letztendlich doch in meine Hand, um ihn zu lesen. Vorsichtig öffnete ich den zusammengefalteten Zettel und die unordentliche Schrift, des Jungen vor mir kam zum vorscheinen.
Meine Augen fuhren über die einzelnen Zeilen, Wörter, Buchstaben und als ich mit Lesen fertig war, verdrehte ich die Augen. Wie konnte man nur auf so einen Schwachsinn kommen, mein Gott!
Wir müssen den beiden ja nicht zu schauen, sondern können ja auch selbst kleine Haileys oder Codys zeugen. Dann hätten wir weitere Exemplare von uns und du könntest ihnen zeigen was ihre heiße Mom so kann.
Unauffällig ließ ich den Zettel in meiner Hosentasche verschwinden und wartete darauf, dass Mister Johnson die Hausaufgaben endlich anschrieb. Mein Blick wanderte zur Uhr und es wurden noch drei Minuten, bis zum Klingeln angezeigt. Grinsend drehte ich mich wieder nach vorne und sah wie mein Lehrer mit dem Rücken zu uns stand und zum Glück die Hausaufgaben anschrieb.
Ich erhob mich etwas von meinem Stuhl, lehnte mich nach vorne zu Evils und holte mit meiner Hand aus. Meine Handfläche klatschte lautstark auf seinen Hinterkopf und er zuckte daraufhin zusammen. Grinsend setzte ich mich wieder und lehnte mich in die Stuhllehne. Von Kira und Noah bekam ich verwirrte Blicke zu geworfen, genauso wie von den anderen Schülern.
Cody fuhr herum und hielt sich hinten am Kopf. Böse funkelte er mich an und nuschelte: "Das bekommst du gleich zurück, Thompson."
"Jetzt habe ich, aber Panik, Evils", lachte ich und packte mein Zeug zusammen, um sofort wegrennen zu können, denn auf irgendwelche Aufmerksamkeit in dieser beschissenen High School konnte ich voll und ganz verzichten. Gerüchte und Dramen verbreiteten sich hier, um eine Millisekunde und am nächsten Tag war es Gesprächsthema Nummer ein.
Das Klingeln ertönte und ich sprang schleunigst auf. Schnappte mir meinen Rucksack und rannte aus der Klasse raus. In den Fluren liefen schon die ersten Schüler und Tratschtanten rum. Entweder alleine oder mit Freunden.
Sobald ich meinen Spind sah, atmete ich erleichtert aus und lehnte mich mit dem Kopf dagegen. Das kühle Metall schmiegte sich an meine Stirn und kühlte meine Haut ab. Ich atmete tief durch und legte die Hände neben mein Gesicht. Meine Augen waren geschlossen und ich versuchte irgendwie Ruhe in meinen Körper zu bringen. Ich dachte ja immer ich sei sportlich, aber anscheinend ja doch nicht so ganz.
Keine Ahnung wie lange ich so an meinem Spind lehnte, aber neben mir sagte jemand laut Buh und ich schreckte mit einem schrillen Schrei hoch. Dabei fuhr ich zusammen und sah zu der Person neben mir. Und ratet mal wer da stand und bescheuert grinste?
Genau! Evils mit Noah und Kira.
"Erschreck mich doch nicht so! Oder willst du, dass ich sterbe? Verdammt", fauchte ich und hielt mir mein Herz, welches stark gegen meinen Brustkorb pochte. Ich könnte diesem Jungen die Augen auskratzen und mich nicht einmal schlecht fühlen. Er ging mir gerade auf die Eierstöcke und das war nie gut.
Kira kam zu mir und legte einen Arm, um meine Schulter. Sie zog mich an sich und meinte dann: "I'm sorry, boys, aber we both need dringend to go", verwirrt blickte ich zu der Latina hoch und schlug mir wegen diesem Satz mit der flachen Hand gegen meine Stirn.
Augen verdrehend zog sie mich mit sich und steuerte auf die Toiletten zu. Sie öffnete die Tür zu dem stinkenden Raum und schubste mich unwillkürlich rein. Drinnen rümpfte ich meine Nase und blickte mich angewidert um. Wie gut, dass ich in der Schule nie aufs Klo musste und deshalb nicht in dieses ekelhafte und stinkende Bad musste. Kira lehnte sich an den Fliesen an und mit großen Augen musterte ich sie. Abwartend sah sie mich an und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Was war das gerade im Unterricht? Warum hast du ihn geschlagen?", amüsiert ließ sie ihre Augen meinen Körper auf und ab gleiten, bevor sie heftig grinste.
Bitte lass sie nicht das Gleiche denken oder auch noch fragen, wie mein Dad. Das konnte ich jetzt nicht gebrauchen.
"Er ist doch selbst schuld, wenn er mir solche Sachen schreibt", ich kramte den Zettel aus meiner Hosentasche und gab ihn Kira rüber. Mit gierigem Blick nahm sie den Zettel entgegen und setzte zum Sprechen an. Genauso wie bei mir glitten ihre Augen über seine schmutzige Handschrift und direkt verschwand ihr dreistes Grinsen.
Sie hob ihren Kopf und blickte mich mit tierisch großen Augen an. Kira schluckte und las das Geschriebene laut vor. Schon als sie das erste Wort aussprach, rannte ich zu ihr und legte meine Hand auf ihren Mund. Warnend blickte ich sie an und flüsterte dann: "Spinnst du? Du kannst den doch nicht einfach so laut vorlesen. Was wenn hier noch andere sind?"
"Wer sollte hier bitte sein? Aber mal ganz ehrlich: Ich mag ihn. Er soll am Freitag mitkommen."
"Was? Nein! Auf gar keinen Fall. Ich hab dir gestern schon gesagt, dass dieser Tag mit Evils eine einmalige Sache war und ich keine Lust auf weitere Jungs in meinem Leben habe, die einem das Herz brechen können", schnaubte ich unglaubwürdig und machte auf meinen Versen kehrt. Mit federleichten Schritten schwebte ich über den Boden der Schule und suchte meinen nächsten Raum auf. Zum Glück hatte ich jetzt nur mit Noah Unterricht, aber der würde mich auch nicht in ruhe lassen, sondern mich eher damit aufziehen.
Brummend trat ich in den Kunstraum ein und setzte mich auf meinen gewöhnlichen Platz in der vierten Reihe. Ich legte die Beine hoch und nahm mein ganzes Kunstzeug schon einmal raus. Dabei ging mir die Sache, dass Kira Cody mochte, nicht mehr aus dem Kopf und spukte wie verrückt. Am liebsten würde ich ihn einfach ignorieren und keine Acht auf ihn geben, so wie als wir noch nichts miteinander zu tun hatten.
Fröhlich trällernd kam Noah in den Raum und pfiff irgendeine dumme Melodie. Als er mich bereits hier sitzen sah, zuckten seine Mundwinkel nach oben und ein breites Grinsen legte sich in seinem Gesicht. Noah kam auf mich zu und setzte sich rittlings auf den Stuhl neben mir. Dabei stellte er seinen Rucksack ab und packte ebenfalls aus.
Da die Pause nur recht kurz war, kamen auch schon die anderen rein und suchten sich ihren Platz. Genervt sah ich nach vorne und versuchte das dämliche Grinsen von neben an zu ignorieren. Noah stupste mich an meiner Schulter an und gereizt drehte ich meinen Kopf zu ihm. Fragend sah ich ihn an und betrachtete meinen besten Freund.
Seine dunkelbraunen lockigen Haare - fast schwarz, fielen ihm in seine Stirn und standen verwuschelt in alle Richtungen ab. Seine schokoladenbraunen Augen strahlten mich voller Rache an und seine vollen Lippen waren zu einem Grinsen geschwungen. Die Narbe an seiner rechten Wange war deutlich zu sehen und ließ mich schmunzeln. Immer wenn Noah sang oder lachte, stachen besonders seine Venen an seinem Hals hervor und mir war es immer noch ein Rätsel, dass diese nicht platzten. Ich liebte diesen Jungen, wie meinen biologischen Bruder und könnte ihn niemals zurücklassen.
"Evils kommt am Freitag mit."
"Er weiß ja nicht mal worauf er sich da einlässt", brachte ich seufzend hervor und zuckte mit den Schultern.
Unser Kunstlehrer kam rein und begrüßte alle mit einem freundlichen Lächeln. Er war der einzige Lehrer, der jemals beliebt war und dem es wichtig war wie sich die Schüler fühlten oder was in ihnen vorging. Jeder mochte ihn und alle verstanden sich mit Mister Fulley.
Noah verdrehte die Augen und sah mich eindringlich an. "Stimmt, aber der Abend kann doch ganz cool werden - auch mit ihm, Hailey. Du bist immer so negativ eingestellt gegenüber neuen Personen und das solltest du ablegen", nörgelte er und mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich ihn an.
"Vielleicht bin ich einfach nicht so naiv, wie du, Noah. Evils ist und bleibt ein Arsch, der manchmal nicht weiß wie man sich zu benehmen hat. Wir hatten diesen Abend für uns sechs geplant und nicht noch für einen, den wir kaum kennen. Weißt du, ob er irgendjemanden von diesem Trip erzählen wird und wir dann gearscht sind? Nein, also sind meine Gedanken berechtigt und jetzt fertig mit diesem Thema", gab ich angepisst von mir und wandte mich nach vorne.
Das Stundenklingeln ertönte und Mister Fulley fing an mit sprechen: "Wenn ihr euer letztes Projekt bereits beendet habt, dann fangt etwas Neues an und wenn nicht, dann weiter daran arbeiten. Noah, wie sieht's mit deinen Songs aus?"
Fulley kam zu Noah und mir. Er schenkte mir ein warmherziges Lächeln und schaute dann auf Noahs Notizbuch, in dem er immer seine ganzen Ideen reinschrieb. Noah gab sehr viel Acht auf dieses schwarze Buch und entweder trug er es bei sich oder er versteckte es bei sich im Zimmer. Ich war die Einzige, die von seinem Versteck wusste und durfte auch immer meine Ideen abgeben, wenn es denn erwünscht war.
Gähnend erhob ich mich von meinem Platz und stiefelte nach hinten, um mir meine Mappe zu holen. Hockend durchsuchte ich die Fächer und blieb bei meinem stehen, griff rein und erfasste gar nichts, nur einzelnes Papier auf das ich mal gezeichnet hatte. Mit meiner Hand durchwühlte ich das Fach, aber konnte meine Kunstmappe mit meinen guten Zeichnungen nicht finden.
Augenverdrehend stand ich auf und lief zu meinen Platz zurück. Fulley war immer noch da und quatschte mit Noah. Noah schien von seinen Texten überzeugt und das erhellte gerade mein Leben, denn er war glücklich und zufrieden mit sich selbst. Auch Fulley gefielen die Sachen von Noah und stolz klopfte er ihm auf die Schulter.
"Und, Hailey, was ist bei dir los? Du siehst so betrübt aus", Fulley hockte sich neben mich und schaute mich von unten an. Ich stieß die angestaute Luft aus und wank mit einer Handbewegung ab. "Ach nichts, ich finde meine Mappe bloß nicht. Liegt wahrscheinlich Zuhause, also muss ich wohl was anderes machen."
"Gut, ich gebe dir was vor: Und zwar entweder nimmst du eins deiner Zeichnungen von hinten oder du suchst dir jemanden, der deine Vorlage ist und diese Person zeichnest du dann."
"Noah wird meine Muse", ich wackelte mit den Augenbrauen und zwinkerte ihm zu. Fulley wollte gerade etwas sagen, als ich ihn aufhielt und sofort weitersprach: "Ich hab ein Bild von Noah, welches Kira mal gemacht hat und liebe es. Keine Sorge, Noah kann seine Texte weiterschreiben."
Fulley nickte und lief dann zu den anderen. Ich nahm mir mein Handy und meine Kopfhörer. Die weißen EarPods stöpselte ich in meine Ohren und drückte auf meine Kunst-Playlist. Meinen A1 Block vor mir liegend und mit einem gespitzten Bleistift in der Hand, nahm ich mir das Foto von meiner Muse vor und fing an die Umrisse zu zeichnen.
Ich ließ meine Hand über das dicke Papier schweifen und bewegte nur mein Handgelenk. Das Foto lag direkt daneben und immer wieder schielte ich rüber, um abgucken zu können. Zwischendurch zoomte ich rein, um die ganzen Details sehen zu können. Die laute Musik in meinen Ohren kontrollierte meine sanften und leichten Bewegungen, die ich mit der Hand ausübte.
Alles um mich herum blendete ich aus und versuchte mich nur auf mich zu konzentrieren, da ich gerade Gefallen daran gefunden hatte etwas neues zu machen - zu zeichnen. In diesem Moment gab es nur die Musik, das Bild von Noah, den Block und mich mit einem Bleistift. Auch die anderen wussten, dass ich nicht ansprechbar war sobald ich meine Kopfhörer im Ohr hatte und brauchten mich auch gar nicht erst anzusprechen.
Als mich fast die ganze Klasse immer unterbrochen hatte beim Zeichnen oder Malen, habe ich allen Leuten in diesem Raum gesagt, dass sie sich an meinem Zeug bedienen können solange es erstens wieder bei mir auftaucht und zweitens sie mich dann in frieden lassen. Dass war mit Abstand die schrecklichste und nervigste Kunststunde in meinem Leben und seitdem ließen mich alle in ruhe. Nicht einmal Noah schenkte ich Beachtung, aber dieser mir auch nicht, wenn er ins Schreiben vertieft war.
Versunken in meiner Arbeit, kaute ich auf meiner Unterlippe rum und radierte alle unnötigen Striche weg. Wieder zoomte ich in das Bild rein und konzentrierte mich auf den Kiefer von Noah und seinen Hals bei dem man seinen Adamsapfel deutlich sehen konnte. Noahs Eltern hatten gute Arbeit bei ihm geleistet und neben ihm stand ich als hässliches Entlein da, aber war ja relativ egal, denn ich hatte mich mittlerweile damit abgefunden. Was mich aber von Anfang an gewundert hatte, war dass Noah nie eine Freundin hatte in der Zeit, die wir uns jetzt schon kannten.
Seufzend lehnte ich mich zurück und platzierte das gelbe Holz zwischen meine Lippen. Mit der rechten Hand hob ich das Papier hoch und hielt es vor mich. Zufrieden nickte ich und stupste Noah an, der gerade so aussah als würde er verzweifeln. Sein Kopf hob sich und er starrte mir in die Augen. Mit dem Kopf deutete ich auf mein Bild und harsch wandten sich seine Augen von mir ab und direkt auf das bezeichnete weiße und dicke Papier.
"Du willst mich doch verarschen. Hat Fulley dir geholfen? Verdammt, Hail, das ist toll", seine braunen Augen waren groß und er lächelte überrumpelt.
Ich stand auf und sah auf sein Buch. Fragend deutete ich darauf und Noah seufzte. Er gab mir das Buch, welches mit schwarzem Leder gebunden war. Ich las mir die ersten drei Strophen durch und blickte dann zu Noah, der verzweifelt zu mir sah.
"Es geht also ums Vermissen", auch wenn es eher eine Aussage war als eine Frage, nickte mein bester Freund und ich fing an mit grübeln. Die Melodie hatte er mir schon einmal gezeigt und auch auf mein Handy geschickt, weshalb ich schnell zu dem Song übersprang.
Die ersten Töne erklangen und ich fügte seine Stimme in meinen Gedanken mit hinzu. Ich versuchte genau hinzuhören und mich zu erinnern ab wann er am Samstag nicht mehr weiterkam. Schwer dachte ich nach bis die Stelle kam und ich einen Einfall hatte. Meine Augen erleuchteten und ich sah über das Buch rüber. Vorsichtig legte ich es auf seinem Tisch ab und sagte dann voller Begeisterung: "Take a piece of my heart. And make it all your own. So when we are apart. You'll never be alone."
Ich drehte mich um und lief mit meiner Zeichnung zu Mister Fulley, der ein Buch vor der Nase hatte. Leicht räusperte ich mich und mein Kunstlehrer sah zu mir auf. Überrascht blickte er mich an und setzte sich dann aufrecht hin. Sein Buch legte er zur Seite und ich legte ihm das starke Papier auf den alten Holztisch, welcher unendlich viele Farbkleckse hatte.
Fulleys Augen wanderten über das Weiß und Grau. Er verlangte das Original und ich gab ihm mein Handy. Staunend nickte er und sah dann zu mir hoch. "Gute Arbeit, Hailey. Willst du noch was daran verändern?"
Ich nickte: "Jap, ich wollte jetzt mit den Farben anfangen, wenn es denn ginge. Außerdem wollte ich wieder fragen, ob ich die Pause hier durcharbeiten kann?"
"Aber natürlich, Hailey. Ich freue mich auf das Endergebnis", er lächelte mir freundlich zu und ich erwiderte es. Fulley gab mir meine Zeichnung wieder und ich lief ganz hinter in den Raum.
Hinten waren die ganzen Farben, Blöcke und das restliche Zubehör. Andere, aber wenige Schüler standen an den Staffeleien und beendeten ihr Bild. Ich ließ mich bei meinem, an dem Fenster, nieder und holte meine Pinsel, wie Farben und Palette aus meinem Fach, welches direkt daneben war. Danach zog ich mir mein dunkelblaues, aber mit Acrylfarben beschmutztes Hemd über und band meine Haare zu einem Messy Bun zusammen.
Bevor ich wieder in meiner Welt abtauchte, schaute ich zu Noah, der fleißig am Schreiben und Nachdenken war.
Aus Noah würde noch so einiges werden.
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