Kapitel 3
Seraphina
Der Goldene Palast
Seraphinas Mund war trocken geworden und ungläubig starrte sie den König vor ihr an. "Königin?", murmelte sie leise. Sie bemerkte, wie der König zu Morgana blickte, welche bloß leicht nickte. "Wieso kann ich mich nicht erinnern?", fragte sie, kniff dabei ihre Augen zusammen, als würde dies ihrer Erinnerung auf die Sprünge helfen. Doch nichts erschien vor ihrem Inneren Auge. Frustriert atmete sie aus und öffnete die Augen wieder. König Cedric schaute sie besorgt an.
"Ihr hattet eine Wunde am Kopf. Gedächtnisverluste können oft bei Kopfverletzungen auftreten", sagte der König mit zusammengezogenen Augenbrauen. Sie blinzelte, langsam fuhr ihre Hand an ihren Kopf. Wie ein kurzer Blitz, zuckten Bilder vor ihre inneren Auge auf. Von einem Schloss, Asche in der Luft und ihre Eltern, die sie an den Händen hielten und um ihr Leben rannten. Doch ehe sie verstehen konnte, was sie dort sah, legte sich wieder Schwärze um die Erinnerungen.
"Meine Eltern", murmelte sie, das Atmen fiel ihr schwerer. Der König atmete tief ein.
Tiefe Trauer spiegelte sich in seinen Augen wider, während er jede Bewegung von ihr beobachtete.
"Sie sind nicht mehr unter uns", flüsterte er, legte dabei die Hände auf seinen Schoß und betrachtete sie qualvoll. Die Trauer wirkte aufrichtig und ehrlich
"Wie?", hauchte sie, während ein stechender Schmerz sich in ihrer Brust ausbreitete. Sie legte ihre Hände auf ihr Herz, welches sich anfühlte, als würde es jemand zerquetschen. Auch wenn sie sich nur bruchstückhaft an ihre Eltern erinnern konnte, waren die Gefühle noch da. Ihr Herz erinnerte sich scheinbar an diese beiden Menschen, die sie großgezogen hatten. Und es zerbrach mit dem Wissen, dass sie nicht mehr unter ihnen weilten. Das letzte bisschen Hoffnung, dass dort draußen noch etwas war, zu dem sie zurückkehren konnte.
"Ermordet, von den Rebellen", antwortete der König und stand langsam auf. Seine Schritte waren sicher, stark und entschlossen, als er zu ihr trat und ihr seine Hand anbot. Sie schaute zu ihm auf, blinzelte die Tränen weg, die sich in ihren Augen gesammelt hatten. Sie fühlte sich hilflos und verloren. Ihre Erinnerung und das Wissen, wer sie war, verschwanden in der Dunkelheit. Ihre Eltern tot. Und hier war der König, der ihr die Hand anbot. Ein leises Versprechen, dass er ihr helfen würde. Dass er gemeinsam an ihrer Seite diese Unsicherheit bekämpfen würde. Sie legte vorsichtig ihre zarte Hand in seine und stand auf.
"Lasst uns ein wenig spazieren gehen", sagte er. Sie standen dicht voreinander, sodass sie erneut den Geruch von Amber wahrnehmen konnte. Wärme ging von ihm aus, etwas, was ihr vertraut war und doch auch neu vorkam. Seine Hand war stark und weich zugleich. Ein Leben in einer feinen Welt, in der er nie etwas selbst verrichten musste, zeichnete sich darauf ab. Doch sie strahlten Sicherheit und Geborgenheit aus. Seraphina wusste nicht, ob sie diesem Gefühl in ihrem Inneren trauen konnte. Aber ihr blieb keine andere Wahl, er war der einzige Anker, der ihr aus der Dunkelheit heraushelfen konnte.
Sie nickte und schaute zu Morgana und den Wachen hinüber.
"Alleine", fügte der König hinzu, bedachte die anderen mit einem herrschenden Blick, sodass sie bloß nickten und sich zurück zogen.
"Wir haben einen herrlichen Garten, lasst uns dort ein wenig spazieren und reden", lächelte er. Dabei kamen seinen geraden, strahlend weißen Zähne zum Vorschein. Seraphina nickte, war jedoch gedanklich wieder zu ihren Eltern abgedriftet.
Gemeinsam liefen sie aus dem Speisezimmer, den langen Gang entlang Richtung Garten. Die Wachen, die ihnen entgegenkamen, zeigten keine Regung. Anders jedoch war es mit den Hofdamen. Sie kicherten entweder oder bedachten Seraphina mit einem stechenden Blick, welcher Unbehagen in ihr auslöste.
"Ich befürchte, der Spaziergang mit mir könnte für falsche Schlussfolgerungen sorgen", sagte sie, als sie den Garten betraten und eine Frauengruppe sie musterte.
"Klatsch und Tratsch gehören wohl genauso zu einem Schloss wie ein Thron und eine Krone", sagte Cedric lachend. Es klang warm, sodass sogar Seraphina ein wenig lächeln musste. Das schmerzhafte Gefühl in ihrer Bruste, wollte dennoch nicht weichen.
"Guten Morgen, eure Majestät", sagte einer der Frauen an ihn gewandt. Sie hatte lange, korallfarbene Haare, die ihre grünen Augen hervorstechen ließen.
"Guten Morgen, Lady Rosalind Sterling", erwiderte König Cedric.
Die Frau musterte Seraphina argwöhnisch.
"Außergewöhnliches Haar, ihr seid noch sehr jung für solch weißes Haar", sagte Rosalind mit gehässigem Ton.
"Sie stammt nicht von hier", erklärte König Cedric höflich, doch seine Geduld mit ihr schien dünner zu werden
"Freut mich euch kennenzulernen, Lady Sterling", lächelte Seraphine bloß freundlich.
"Wenn ihr uns entschuldigt", sagte der König und führte Seraphine ohne lange zu zögern weiter, tiefer in den Garten. Je mehr er sich vom Schloss entfernte, desto mehr schien seine Anspannung abzufallen. Er wirkte entspannter, beinahe befreit.
"Das alles muss sehr überwältigend für euch sein", sagte er irgendwann leise, schaute sich ein wenig um, während sie gemeinsam an schönen Blumenbeeten und einem kleinen angelegten Teich vorbei liefen. Sein Ton war weich und warm.
Seraphine nickte: "In der Tat. Ich verstehe das alles nicht". Ihr Puls ging schneller, während sie die letzten Stunden Revue passieren ließ.
Sie war in diesem goldenen Palast aufgewacht, ohne jegliche Erinnerungen. Dieser Mann neben ihr wusste wohl mehr darüber.
Sie blieb stehen, wodurch auch Cedric langsamer wurde und sich zu ihr drehte. "Ich verstehe nicht, was passiert ist und wieso ich hier bin. Ich verstehe nicht, wo meine Erinnerungen hin sind", sie spürte die Unruhe in sich stärker werden. Es wirkte nicht so, als seien ihre Erinnerungen gänzlich fort. Vielmehr, als würde ein dunkler Schleier versuchen, sie zu verbergen. Cedric schaute sie mit zusammengezogenen Augenbrauen nachdenklich an, ehe er an ihr vorbei Richtung Schloss blickte.
"Das Volk hat sich gegen die Königshäuser gewandt", sagte König Cedric ernst. "Sie haben euer Land, euer Königshaus gestürzt. Wir sind zu spät gekommen, um sie aufzuhalten." Seine Lippen hatten sich zu einem schmalen Strich verzogen und er wirkte erneut gequält. Er schloss die Augen, ehe er ihre Hände in seine nahm und sie wieder anschaute. Seine bernsteinfarbenen Augen waren trüb, wirkten, als tobe in ihnen ein Sandsturm. Er schien mit sich zu ringen, schien von Schuldgefühlen und Reue geplagt.
"Wir fanden euch zwischen den Trümmern. Vermutlich dachten sie, ihr wärt tot. Um ehrlich zu sein, denken das vermutlich alle da draußen. Daher muss das geheim bleiben", erklärte er dann und schaute sie eindringlich an. Seine Hände waren angenehm warm, im Gegensatz zu ihren und sein Blick, brannte sich ihr unter die Haut.
"Wieso? Wieso spielt es noch eine Rolle, wer ich bin, wenn mein Land in Schutt und Asche liegt", flüsterte sie leise. Sie konnte nicht glauben, dass all das passiert war und sie sich nicht erinnern konnte.
"Ihr seid nun eine mächtige Geheimwaffe. Eure Kräfte sind unglaublich stark", erklärte er ihr und ließ die Hände sinken, ehe er sie losließ.
„Wir sollten Euch einen neuen Namen geben, solange das hier geheim bleiben soll. Wie wäre es mit Elara?"
Nachdenklich schaute sie ihn an. Ihr war nicht wohl dabei, einen anderen Namen zu tragen. Aber vielleicht war es wirklich besser, sich erstmal verdeckt zu verhalten. Sie nickte.
„Elara", murmelte sie und blickte auf ihre ineinander verwobenen Finger.
„In Ordnung", langsam verließen die Worte ihren Mund, ehe sie Cedric anschaute. Er lächelte leicht, ehe er seufzte.
"Wir müssen ihnen diesmal zuvor kommen", gequält schloss er seine Augen und fuhr sich über das Gesicht. Er ließ ihre Hände los. Unruhig begann er auf und ab zu laufen, seine Hände tief in den Taschen seiner Hose vergraben.
Seraphina wusste nicht, was sie tun sollte. Sollte es wirklich der Wahrheit entsprechen, dann musste ihre Familie das Volk so furchtbar regiert haben, dass diese sich zu einem Aufstand zusammengetan haben mussten. Waren ihre Eltern wirklich diese grausamen Herrscher gewesen, fragte sie sich. Ihre Erinnerungen würden ihr die Antwort darauf geben, aber sie waren fort. Alles war fort. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
"Mein Königreich...", flüsterte Seraphina.
"Es liegt in Schutt und Asche. Obwohl wir zu spät da waren, um eure Eltern zu retten, konnten wir die Rebellen jedoch von dort vertreiben", erklärte er dann leise. In seinen Augen konnte sie die Schuld erkennen.
Seraphina lief zu ihm. Diesmal nahm sie seine Hände in ihre. "Was auch immer passiert ist, es ist nicht eure Schuld", flüsterte sie. Sein Gesichtsausdruck wurde umso gequälter, als sie diese Worte aussprach.
"Oh doch ist es", hauchte er leise, während er wieder seine Augen schloss und tief einatmete. "Ist es".
Sie liefen noch eine Weile durch den Garten, schweigend. Beide hingen ihren Gedanken nach. Während Seraphina das Gespräch immer wieder durchging, schien Cedric mit seinen Schuldgefühlen zu kämpfen. Irgendwann liefen sie wieder zurück Richtung Schloss. Cedric hatte angemerkt, dass er noch eine Versammlung hatte und schleunigst zurück musste.
Zwar wusste Seraphina nicht mehr viel aus ihrem Leben, aber sie konnte bestimmt durch andere Wege etwas über die Vergangenheit lernen. Bevor sie das Schloss erreichten, ließ sie nach ihrer Kammerzofe rufen und Linn kam wenige Minuten später herbeigeeilt. Sie verneigte sich vor dem König, der noch so lange gewartet hatte.
"Nun seid ihr ja in guten Händen", hatte er gesagt, ehe er mit den Wachen den Gang Richtung Konferenzraum entlang gelaufen war. Er hatte nicht mehr zurückgeblickt, seine Schultern waren wieder straff und er strahlte nicht mehr diese gequälte Unsicherheit aus, wie ein paar Minuten zuvor. Nun war er wieder ganz der König. Sie blickte ihm eine Weile hinterher, ehe sie sich wieder zu Linn drehte.
"Gibt es hier eine Bibliothek?", fragte sie an ihre Kammerzofe gewandt, welche nickte.
"Ja, eine riesige sogar", lächelte sie, "ich kann euch dorthin begleiten".
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