5⚜️ The Last Straw
Von einer turbulenten Samstagnacht in einen wunderschön-schaurigen Sonntag; 2018
Charlotte
⚜️
Die Stille hält vermutlich keine drei Sekunden lang an aber es kommt mir schrecklich lange vor. Ich erwarte, dass er ‚Bullshit' sagt, dass er aufsteht und geht, irgendwas in diese Richtung. Schließlich bin ich es nicht anders gewohnt. Spontan würde ich vielleicht sogar behaupten, es gibt keine Reaktion, keine Antwort, die ich noch nicht erlebt habe. Aber ich habe nicht erwartet, dass er mich anlächelt und sagt: „Ehrlich? Das ist extrem cool! Meine Schwägerin ist gerade im siebten Monat und mein Bruder dreht völlig durch. Magst du dich nicht mal mit ihm unterhalten? Vielleicht chillt er dann mal ein bisschen." Völlig überfordert mit der Gesamtsituation drehe ich mich in seinem Arm um und sehe zu ihm auf. „Was?"
Jetzt ist er derjenige, der ein bisschen überfordert wirkt. Ein bisschen ängstlich schaut er nun zu mir, fährt sich unsicher durch die dunklen Haare: „Habe ich was Falsches gesagt?" „Nein. Absolut nicht." Ohne darüber nachzudenken, richte ich mich auf, sehe in die Augen, von welchen ich mir immer noch nicht hundertprozentig sicher bin, welche Farbe sie eigentlich haben, sage: „Was Richtigeres hättest du gar nicht sagen können" und küsse ihn. Dass er überrumpelt ist, bemerke ich sofort aber es ist mir egal. Für diesen einen Moment fühlt es sich gut an. Vielleicht liegt es an den Cocktails, vielleicht an der Wodkaflasche, die wir zwischendurch doch noch angefangen. Im Endeffekt ist es jedoch egal, woran es eigentlich liegt. In diesem Moment ist es perfekt, genauso, wie es ist und das reicht mir vollkommen. Ich habe mir selbst und auch Luisa bewiesen, dass ich kein hoffnungsvoller Fall bin und abgesehen davon küsst Anton wirklich gut. Seine linke Hand liegt sanft auf meiner Wange während sein Daumen weiche, warme Kreise malt.
Noch immer liege ich in seinem Arm und lasse mich von seinem Duft völlig benebeln. Keinen Millimeter bewegen wir uns. Zärtlich streichelt seine rechte Hand über meinen Oberschenkel, während ich undefinierbare Muster auf seine Wange zeichne. Als er plötzlich in einen weiteren Kuss hinein lächelt, holt er mich in die Realität zurück.
Unsicher löse ich mich von ihm und setze mich aufrecht hin. Irgendwie ist es mit einem Male ziemlich frisch, die Magie scheint verflogen; zum ersten Mal seit einer Stunde hält er mich nicht warm. „Du musst nicht gleich wegrennen, du hast mich nur gekitzelt", grinst er und rückt wieder zu mir. Die Erleichterung steht mir leider ins Gesicht geschrieben, denn er spricht es sofort an. Generell besteht unsere gesamte Unterhaltung aus Neckereien und spitzen Bemerkungen und doch habe ich das Gefühl ihn immer besser kennen zu lernen, je mehr wir uns gegenseitig herausfordern und ansticheln.
Um sein Gesagtes zu unterstützen, küsst er mir erneut. Dieses Mal viel kürzer aber definitiv nicht schlechter als zuvor und zieht mich wieder in unsere Ausgangsposition. Mein Kopf an seiner Schulter, seine Hand auf meinem Oberschenkel.
„Also, weiter geht's: Wie ist das mit deinem Job, machst du das gerne?"
„Ja", antworte ich ohne nachzudenken und sofort schüttelt er den Kopf. „Bullshit." Lügen bringt ohnehin Nichts also zicke ich zurück: „Wenn du die Antwort weißt, warum fragst du dann?" Dieses Mal braucht nicht eine Sekunde, um zu Kontern. „Weil ich von dir hören will, warum du den Mist dann machst."
Dafür brauche ich nun einige Sekunden um nachzudenken. Ich könnte einfach ehrlich sagen, was mich dazu geritten hat oder aber - nein, ich antworte ehrlich: „Ich habe hart und verdammt lange dafür geackert. Dieser Job hat mich mehr gekostet, als ich zugeben will. Ich habe eine ganze Menge verloren, damit ich es denen, die es absolut nicht verdient haben beweisen kann. Es ist gutes Geld, was Aiden und ich sehr gut gebrauchen können, weil sein Vater ein riesengroßer Vollidiot ist. Soll ich weitermachen? Denn mir fallenganz bestimmt noch mehr super lustige Argumente ein."
Sofort schüttelt er mit dem Kopf, streicht mir kurz über den Oberarm und schenkt mir ein Lächeln. Ein müdes, knappes Lächeln aber immerhin ein Lächeln. „Und was würdest du lieber machen? Was würde dein Herz sagen, wenn du deinen unfassbar sturen Kopf endlich mal ausschalten würdest?" Auch die Antwort auf diese Frage ist einfach. Und unter normalen Umständen hätte ich ihn angelogen, die wenigsten verstehen es aber er, als kreativer Mensch, der sein Geld mit dem Musizieren verdienen möchte, nachdem das BWL Studium an den Nagel gehangen wurde, dürfte mich eigentlich nicht auslachen. „Ich habe eine fast abgeschlossene Trilogie auf meinem Computer. An dem Plottwist muss ich nochmal arbeiten, der gefällt mir noch nicht und das Ende ist noch nicht ganz rund."
„Und warum genau hast du sie nur dort und nicht in den Buchhandlungen?"
„Weil es nicht so einfach ist. Weißt du wie lange ich daran saß? Das ist als würde ich Aiden von jetzt auf gleich zu seinem Vater schicken; das geht nicht." Alleine der Gedanke daran versetzt mir einen gewaltigen Stich. Alexander ist der wohl größte Fehler meines Lebens und trotzdem würde ich die Zeit für nichts auf der Welt zurückdrehen wollen: Ohne Alex gäbe es Aiden nicht. „Und jetzt bin ich dran: Wie ist das bei dir? Hast du eine abgeschlossene Ausbildung?" Wirklich verletzen möchte ich ihn nicht, ich möchte nur auch einmal erleben, wie ihm etwas unangenehm ist und das Gespräch möglichst weit von mir lenken. Irgendeine dunkle Ecke muss es doch selbst bei diesem Strahlemann geben. Vielleicht ist es ein bisschen krank aber ich möchte mich auch einmal kurz überlegen fühlen. Zwar scheint es Anton nicht zu genießen, wenn er bei unangenehmen Themen nachbohrt, aber das heißt nicht, dass es sich für mich nicht so anfühlt, als wäre genau, dass der Fall.
Doch dem ist ganz und gar nicht der Fall. Nichts scheint diesem Mann unangenehm zu sein. „Ich bin gelernter Konditor und verkaufe immer noch in der kleinen Konditorei meiner Mutter. Das mache ich aber nur unter der Woche, wenn ich keine Kurse habe. Also von Montag bis Donnerstag."
„Bullshit", flüstere ich leise, nehme es aber sogleich lautstark zurück als ich den Ausdruck in seinem Gesicht sehe. „Krass", schiebe ich stattdessen nach. Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet und irgendwie passt es doch wieder zu ihm. „Du bist dran", sage ich schließlich in die aufgekommene Stille hinein. Abwartend, was er fragen wird, nehme ich dieses Mal seine Hand und spiele mit dem Ring an seinem Finger, so wie er es zuvor bei mir getan hat.
Die nächste Stunde halten wir uns gezielt fern von irgendwelchen tiefgründigen Fragen. Während sich der Himmel über uns langsam lila färbt, sprechen wir über meine Liebe zu Queen, dass Aiden am Todestag Freddie Mercurys; dem 24. November, zur Welt kam. Wir sprechen über seinen Bruder, wie sie beide schon im Alter von vier Jahren an das Klavier gesetzt wurden, wie sehr er die Musik liebt und dass er schon einige Songs geschrieben hat, die dämlicher Weise abgelehnt wurden. Als ich mir Notizen von ihm durchlese, bin ich mir sicher, dass den Plattenfirmen ein riesiger Deal durch die Lappen gegangen ist.
„Also, mein Lieblingssong von Bowie ist Heroes" – „Bullshit!" fahre ich sofort dazwischen. „Stimmt, der Vogel ist gar nicht meins." „Du verletzt meine Gefühle", ergriffen presse ich meine Hände auf mein Herz und lasse mich aus seinen Armen heraus auf den Boden fallen. „Bullshit", lacht er und er hat recht. Einige wenige Songs kenne ich, ich kann sie vielleicht auch ganz gut leiden aber den Hype habe ich nicht verstanden. „Okay Anton, nächste Frage."
„Zu dir oder zu mir?"
„Bitte was?"
„Zu forsch?"
„Nein. Genau richtig."
Dieser plötzliche Selbstbewusstseinsschub, den dieser eigentlich eher süße, junge Mann gerade bekommen haben muss, ist durch aus anziehend und alleine die Tatsache, dass wir uns vorher Ewigkeiten lang unterhalten haben, lässt mich nicht nur die Wette mit Lu gewinnen, sondern allen voran wirklich gut fühlen. Anton ist ein guter Kerl und wenn er den ersten Schritt macht, warum nein sagen? Wann wurde ich schon das letzte Mal mit Blicken halb ausgezogen, so richtig angeschmachtet und begehrt? Ich habe mir das verdient.
Hand in Hand laufen wir die Parkdecks herab nach unten, er ruft uns auf dem Weg ein Taxi und keine halbe Stunde später stehen wir im Fahrstuhl zu seiner Wohnung. Ohne Worte beginnen wir uns zu küssen und an der verlangenden Art, die er mit einem Mal an den Tag legt, erkenne ich, dass dies ein grandioser Abschluss für eine wundervolle Nacht wird. Beziehungsweise ist es strenggenommen schon ein wundervoller, sehr früher Morgen.
Forsch drückt er mich gegen die Fahrstuhlwand, ich spüre seine Hand unter meiner seidenen Bluse, seine Lippen an meinem Hals. Dieser kleine Metallkasten wirkt mit einem Male noch viel enger, viel heißer. Erst als wir tatsächlich in seiner Wohnung stehen, komme ich dazu nach Luft zu schnappen. Die Art, wie er mich fordernd berührt und keinen Widerstand zulassen zu scheint, ist aufregend und anziehend und umso ungeduldiger werde ich, als er mich bittet meine Schuhe auszuziehen und kurz auf ihn zu warten. „Beeile dich!" rufe ich ihm nach und lache. Ich muss ihm doch vorkommen, wie ein dummer Teenager. Wartend sehe ich mich also ein bisschen um, in der Hoffnung meine Hormone ein bisschen beruhigen zu können. Der Flur ist weiß gestrichen, er wirkt unpersönlich. Die Garderobe ist super ordentlich und auch sonst wirkt alles fast schon steril. Kurz bin ich versucht die erste Tür neben mir zu öffnen, lasse es jedoch bleiben. Was ich erwartet habe kann ich nicht sagen aber diese Kälte verwundert mich dennoch.
„Genau da möchte ich mit dir rein."
Als er wiederauftaucht, trägt er nur noch seine Jeans. Ich erkenne fein definierte Muskeln, er ist nicht übermäßig trainiert, sieht aber immer noch verboten gut aus. Dieser ganze Hype um V-Line, Sixpack und Co. ist genauso an mir vorbeigegangen, wie die Vorliebe für Bowie aber dies tut auch nichts zur Sache. Anton kommt auf mich zu, er küsst mich zärtlich und drückt mich mit dem Rücken gegen die Tür. Während ich mit meinen Händen selbstverständlich durch seine Haare fahre, legt er eine auf meinen Po und die andere drückt die Türklinke nach unten. Zusammen stolpern wir in den Raum.
Das Licht ist aus, es stört mich nicht im Geringsten. Was mich stört, ist, dass er mit einem Mal aufhört.
„Hey", beklage ich mich süßlich schmollend und will mich an dem Bund seiner Hose zu schaffen machen. Er jedoch schlägt leicht meine Finger von seinem Reißverschluss. „Oh okay. Dann mache ich halt bei mir weiter." Doch auch von meinem Reißverschluss haut er meine Finger weg. „Was soll das denn?" frage ich nun doch ein bisschen verwirrt und grinse schief.
„Es gibt eine Sache, die du nicht über mich weißt, Charlotte. Ich bin mir zwar sicher, dass es dir gefallen wird aber ich möchte dir die Chance geben, dich dagegen zu entscheiden."
„Was wird das denn jetzt? Machst du jetzt einen auf Christian Grey oder was?" lache ich und möchte eigentlich nur meine Lippen auf seine legen, meine Hand liegt auf seiner Wange, ich streichle über seinen Bart. Doch statt mir zu antworten, macht er wortlos das Licht an.
Mein Lachen erlischt.
✖️✖️✖️
Anton Borza; 31 und definitiv nicht Schwiegermama's Liebling.
Vermerk: Schicke ihn zu Anastasia Steel!
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