4 ⚜️ Sounds Good, Feels Good!
Von einer turbulenten Samstagnacht
und einem wunderschön-schaurigen Sonntag; 2018
Charlotte
⚜️
„Lieblingsfilm?" Genussvoll schiebt er sich eine fettige Pommes in den Mund und sieht mich an. „Schwierige Frage", antworte ich und klaue von seiner durchgesifften Pappe, anstatt meine eigenen Gitterkartoffeln zu essen. Es ist keine schwierige Frage. Die ehrliche Antwort wäre ‚Pretty Woman' aber das kann ich schlecht zugeben, nachdem wir auf dem Weg von der Bar zu meinem Lieblingsimbiss die ganze Zeit über Lu und ihre Obsession mit meinem Beziehungsleben gesprochen haben. „Du zuerst", verlange ich also von Anton, um mir in der Zwischenzeit etwas zu überlegen, was nicht nach verzweifelter Heulsuse klingt und sich irgendwie mit seiner folgenden Antwort verträgt.
„Ganz klar ‚Wie werde ich ihn los in zehn Tagen' aber ich freue mich auch auf den neuen Lara Croft", sagt er völlig selbstbewusst und ich kann nichts weiter tun, als ihn stumm zu bewundern.
Seine weichen Gesichtszüge lassen keine andere Annahme zu, als dass er mir die Wahrheit gesagt hat. „Respekt. Nicht jeder Typ gibt gerne zu, dass er eine Memme ist." Diesen Spruch hätte ich mir vielleicht verkneifen sollen. Vor allem, da wir beschlossen hatten unsere Pommes To Go zu nehmen.
Denn innerhalb kürzester Zeit spüre ich das Geländer der Tower Bridge im Rücken. Böse funkelt er mich an, seine dichten Augenbrauen sind verengt, das Strahlen aus den Augen gewichen und er schnaubt bedrohlich. „Wie war das, junge Dame? Du willst den harten Kerl? Bitte schön, kannst du haben." Er spielt seine Rolle wirklich gut. „Schließe die Augen. Sofort!" befiehlt Anton und ich gehorche.
Allerdings dauert es nicht lange, bis ich verstehe, dass er mich verarscht. „Loser!" ertönt seine Stimme aus einiger Entfernung. Die kleine miese Ratte hat mir meine Kartoffeln geklaut! Und die Sour Cream gleich mit. „Ey, bleib stehen!" rufe ich ihm hinterher und sprinte los. Zumindest versuche ich es, denn die hohen Schuhe waren sicher nicht meine beste Idee. Abgesehen davon ist es gar nicht so einfach lachen, sprinten und nicht-hinfallen unter einen Hut zu bekommen. Am Ende der Brücke bleibe ich schwer atmend stehen. Wo ist dieser Depp? Nach Luft japsend sehe ich mich um, stemme die Hände in die Hüfte. Seitenstechen stellt sich sehr schnell ein und ich realisiere, dass ich das Gefasel mit dem 'Ausgleich zur Arbeit' ernster hätte nehmen sollen.
„Also wenn du so schnell außer Puste bist, sollte sich Lu erst mal um deine körperliche Fitness kümmern, bevor sie dich verkuppelt und so einen armen Kerl ins Unglück stürzt." Als Antons ruhige Stimme hinter mir auftaucht hätte ich mich theoretisch freuen können. Praktisch sieht das Ganze aber etwas anders aus: Ich schreie erschrocken auf, fahre ruckartig mit schlenkernden Armen herum und haue ihm unseren Mitternachtssnack aus der Hand.
„Och, Chic", seufzt er auf, schaut traurig und Schmollmundziehend nach unten und klingt dabei, als kenne er mich schon Jahrzehnte lang und erwarte gar nichts anderes von mir. „Und jetzt?" fragt er lächelnd- fast schon über mich lachend und fährt sich durch die dunklen Haare.
Gleich nachdem ich mich schrill und ein bisschen zu laut über diesen unnötigen Schock beschwert habe, frage ich: „Wie stehst du zu Sushi?"
Dass sich im Endeffekt herausstellen wird, dass Anton ein wahrer Sushi-Snob ist, habe ich in diesem Moment nicht gedacht. Das rauschende Wasser der Themse hat mich lediglich an Fisch erinnert und Himmel nochmal, ich hatte in diesem Moment wahnsinnigen Hunger.
„Also, nächster Versuch: Was ist dein Lieblingsfilm?"
Inzwischen sitzen wir auf einer eigentlich viel zu kalten Bank -Aiden würde ich sofort aufstehen lassen, damit er sich nichts wegholt - und Anton verschlingt seine Avocado-Lachs-Röllchen, während ich mich spontan für simple gebratene Nudeln entschieden habe. Ich brauche einfach etwas, dass die zuckersüßen Cocktails ein bisschen konterkariert.
„Warum bist du so versessen auf meinen Lieblingsfilm? Sagt das irgendetwas über mich aus, irgend so einen tiefenpsychologischen Mist, von dem ich nichts weiß?" „Das nicht, aber ich studiere Musikproduktion und würde später gerne wenigstens einmal Musik für einen Film schreiben. Das steht auf meiner Bucket-List." Fasziniert sehe ich zu Anton rüber. Das seichte Mondlicht spiegelt sich in der Themse, es erhellt sein sanftes Gesicht nur bedingt und trotzdem überkommt mich das Gefühl, dass ich nun ganz tief in ihn hineinblicken kann. Was genau mich zu diesem Gedanken verleitet, weiß ich nicht. Vielleicht ist mir der Alkohol doch mehr zu Kopf gestiegen, als gedacht. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass Anton der erste Mensch seit einer verdammt langen Zeit ist, der sich nicht mit mir über länger Aufbleiben oder über Scheidungsrecht streitet. Er unterhält sich mit mir, zeigt Interesse an mir. Allen voran ist es aber einfach schön jemanden über seine Träume, seine Leidenschaften sprechen zu hören.
Gespräche, wie dieses habe ich immer schon gerne geführt. Es hat einfach etwas furchtbar Attraktives, wenn mein Gegenüber derart leidenschaftlich spricht, wie Anton es gerade tut.
„Habe ich was im Gesicht?" Verunsichert wischt er sich über das Gesicht. Tatsächlich hat sich ein bisschen Wasabi in seinem Dreitagebart verirrt aber wichtig ist dieser Fakt nicht. „Du hast mich so komisch angeschaut, da dachte ich"- „- Nein, nein. Ich habe' nur nachgedacht."
„Über deinen Lieblingsfilm?" fragt er und schiebt sich mit wackelnden Augenbrauen noch ein Stück California Roll in den Mund. Dass nicht alles dort ankommt, wo es soll, lässt ihn peinlich berührt wegschauen. Wenn auch nur für einen kurzen Moment.
„Nein, ich würde gerne mehr von deinem Studium hören. Erkläre mir, wie man Musik produziert. Dann verrate ich dir auch, dass ich gerne 'Fast & Furious schaue und bevor du mich anzweifelst: Mein Lieblingsteil ist der sechste, Owen Shaw ist der coolste Bösewicht, ich habe schrecklich geweint im siebten und finde sie hätten es dort beenden sollen." Ich lüge nicht, diese Fakten sprechen tatsächlich zu aber trotzdem sind sie nicht meine Lieblingsfilme.
„Bullshit."
Verwundert sehe ich ihn an. „Was?" Seine Aussage kommt aus dem Nichts, er zeigt keine Regung und isst einfach ein weiteres Stückchen Sushi. „Bullshit", wiederholt er noch kauend, sieht mich dabei wieder nicht an. „Was redest du?" frage auch ich wieder nach. Doch Anton erwidert nichts mehr. Irgendwie scheint er auf etwas zu warten, ich verstehe bloß nicht auf was.
Es dauert eine ganze Weile in der ich verwirrt neben ihm sitze, ihn anstupse und fast schon anbettle, doch Anton sagt nichts. Vielleicht vergehen zehn Minuten, vielleicht sind es nur zwei. Der Punkt ist, es dauert verdammt lange, bis ich verstehe auf was er hinauswill. „Du Arsch", lache ich, als der Groschen endlich gefallen ist. Er hat schlicht weg seinen Lieblingsfilm rezitiert und darauf gewartet, dass ich darauf anspringe.
„Ich wusste doch gleich, du bist ein Rom-Com-Mädchen." „Bitte was?" „Lass uns das Bullshit-Spiel spielen. Wir erzählen uns gegenseitig Fakten und immer, wenn wir dem anderen nicht glauben, rufen wir 'Bullshit'."
„Und was bekommt der Gewinner?"
Anstatt mir zu antworten, steht er auf, wirft seine leere Plastikschale in den nebenstehenden Mülleimer und wischt sich die Hände an der Hose ab, bevor er sie mir reicht. „Es geht nicht immer nur ums Gewinnen. Aber wenn du es so möchtest: Der Gewinner bekommt etwas Cooles, was ich mir noch einfallen lasse. Und jetzt komm." Dass ich plötzlich an Aladdin denken muss, als er mir eine Hand entgegenstreckt, lässt mich schmunzeln. Den Ohrwurm werde ich wohl noch eine Weile an mir hängen haben. Auf die Nase binde ich es ihm allerdings nicht. Stattdessen lasse ich mir aufhelfen, werfe meine Nudel Box ebenfalls in den Abfalleimer und lasse mich einfach führen.
Dass ich mein Zeitgefühl völlig aus den Augen verloren habe, merke ich erst, als Anton die schwere Metalltür eines verlassenen Parkhauses aufstößt. „Kopf einziehen", warnt er mich vor bevor er mit mir auf dem Rücken nach draußen auf das oberste Parkdeck tritt.
Ein bisschen außer Atem lässt er mich wortwörtlich 'seinen Buckel' runterrutschen und ich lande lachend auf den Füßen. „Du hättest mich nicht tragen müssen." „Du kannst bei dem Wetter aber auch nicht barfuß rumrennen." Wenn ich seinen schweren Atem höre tut es mir fast schon leid, aber er hat es ja nicht anders gewollt. Nichtsdestotrotz sollte ich vielleicht mal über die ein oder andere Trainingsstunde nachdenken.
Während Anton weiter ein bisschen atemlos neben mir her läuft, richte ich den Platz her. In meiner Handtasche habe ich nicht ganz so viel Platz, aber für zwei kleine Wasserflaschen und eine Packung Gummibärchen hat es gereicht. Anton bestand darauf fünf Pfund für eine hässliche Decke hinzublättern, die er am Rande des Parkdecks ausbreitet. Die Wodkaflasche und die kleinen Pappbecher stellt er auf den Boden und lässt sich neben sie fallen. „Also, warum hast du mich hergebracht?" frage ich und setze mich neben ihn auf den Boden. Sich Ladylike in einem Kleid auf eine Decke zu setzen ist nicht so einfach, wie gehofft, also eiere ich eine ganze Weile rum, bis ich bequem und möglichst nicht-schlampig neben ihm sitze. Mühe mit meiner Unterwäsche habe ich mir beim Anziehen heute nicht gegeben, aber das muss Anton ja nicht gleich wissen. „Dieser Platz ist gerade bei Sonnenaufgang ein unfassbar guter Dosenöffner." Pseudo-Sexy zwinkert er mir zu und in dem Moment wo ich ebenso Pseudo-erotisch 'Bullshit' hauche, verzieht er sein Gesicht zu einer Grimasse.
„Es ist mein Lieblingsplatz. Du hast deine Ruhe, niemand erwartet dich hier. Du bekommst einen rundum Blick über die Stadt und warte mal ab, wenn die Sonne aufgeht, wirft sie klasse Licht auf dein rotes Haar."
„Haarfetisch also, huh?" Ich zwinkere ihm zu, strecke ihm die Zunge heraus und grinse.
Kurz lacht er auf: „Lu hat Recht. Romantik ist nicht dein Ding."
„Ha-Ha. Wenn ich will kann ich den ganzen Kitsch mitmachen! Ich will nur nicht."
„Beweis es!" - Gott, dieser Kerl macht mich noch wahnsinnig. Aber ich will es mir auf keinen Fall nehmen lassen. Er will mich herausfordern? Bitte, kann er haben.
Ohne darüber nachzudenken, rutsche ich zu ihm rüber, hebe seinen rechten Arm, lege ihn um meine Schulter und lege meinen Kopf auf seine Schulter. Sofort benebelt mich sein Geruch, der mir den ganzen Abend über gar nicht wirklich aufgefallen ist. Es ist ein minziger Duft, frisch und irgendwie auch nach Lavendel. Ich mag es mehr, als ich zugeben möchte. „So und jetzt frag weiter."
„Wenn dir kalt ist, hättest du dich dicker anziehen sollen. Meine Jacke kriegst du nicht", erwidert er lediglich trocken und kassiert einen Schlag gegen den Oberschenkel, einfach, weil es das einzige ist, wo ich in dieser Position mit genug Nachdruck drankomme. „Jetzt sag nochmal ich wäre unromantisch, du Klotz."
Eine ganze Weile sitzen wir einfach da, Anton beginnt mit meinen Fingern zu spielen, wir stellen stumm fest, dass meine Finger seltsam schlank und viel zu lang sind. Mein Ring passt nicht einmal ansatzweise auf seinen kleinen Finger und das obwohl ich weder sonderlich dünn, noch er irgendwie korpulent ist. Wir stellen fest, dass meine feuerroten Nägel zu lang sind, dass ich ihn ganz einfach kratzen könnte und sein Daumen im Gegensatz zu meinem komisch krumm ist. Mit anderen Worten: Es sind absolute Nichtigkeiten, die irgendwie interessant wirken und eine angenehme Pause zu unserem Bullshit-Spiel bilden.
„Okay, weiter geht's", meine ich schließlich irgendwann - mein Zeitgefühl ist endgültig im Eimer zu diesem Zeitpunkt. „Gut, dann sag mir, was du gerne machst."
„Ich bin Anwältin. Nicht besonders gut, sonst würde ich mich nicht ewig mit den Bloomings rumschlagen aber, ja."
Anton schüttelt den Kopf, sein Kinn reibt dabei sanft über meinen. „Ich will wissen, was du gerne machst. Nicht, womit du deine Brötchen verdienst. Erzähle mir von deinen Hobbys." Kurz überlege ich. Der heutige Abend, diese Nacht ist seltsam schön und ich bin mir sicher, dass Anton meine Gegenthese sein kann. Er kann dieser jemand sein, der Lu dazu bringt mich in Ruhe zu lassen. Also ist doch jetzt der perfekte Zeitpunkt um den ultimativen Deal-Breaker auszupacken und Anton genau das zu gestehen, was so viele Dates zuvor gesprengt hat. Komischerweise habe ich keine Angst.
„Ich habe keine Hobbies. Ich schreibe hin und wieder aber auch das nicht besonders gut. Vermutlich fehlt mir dazu die Zeit, denn mein Hobby ist mein zehnjähriger Sohn."
Stille.
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