2 ⚜️ A Hell Of A Night

Eine turbulente Samstagnacht in 2018

Charlotte

⚜️

„Darf ich?" Hoffnungsvoll blickt Aiden mich an und ich weiß genau, dass ich seinem bettelnden Blick nicht widerstehen kann. Seine großen blauen Augen sehen mich an, sie glänzen und ich bin mir sicher, dass er gleich auf die Tränendrüse drücken wird, wenn ich verneine. Also seufze ich auf, nicke und halte mir so gleich die Ohren zu, weil Aiden los brüllt, als hätte ich ihm gerade seinen allergrößten Herzenswunsch erfüllt. Auch Kennedy mischt sich ein, in dem er, genau wie Aiden es ihm beibrachte „Cool, Cool, Cool", krächzt. Eine furchtbare Eigenschaft und der schlechteste Einfall des Jahrtausends, diesem Vieh das Sprechen beizubringen, wenn man mich fragt. Aber wer tut das schon.

„Und das ist wirklich in Ordnung? Du hast an deinem freien Wochenende doch sicher Besseres vor, als auf eine zehn jährige Nervensäge aufzupassen oder?" Nun bin ich diejenige, die hoffnungsvoll dreinblickt.

Gegen die Tür lehnend schaue ich meinen Nachbarn und mittlerweile guten Freund an, der mich - was auch sonst- mit einem breiten Grinsen anlächelt. Denn ich hoffe, dass er verneint und meinen Sohn mit zum Golfen nimmt. So habe ich nämlich nicht nur die Chance alles für den heutigen Termin in der Kanzlei vorzubereiten, sondern auch den liegen gebliebenen Haushalt zu erledigen und Aiden die versprochene Pizza vor zu bereiten. Dass ich am gestrigen Tage in Fettnäpfchen gebadet habe, weiß ich und es nervt mich. Der missratene, nicht vorhandene Kuchen stört mich aber auch nur, weil meine Befürchtungen Eins zu Eins eingetreten sind. Eine Helikoptermutter nach der nächsten zerriss sich das Maul über mich.

„Ach was, ich nehme den Stöpsel gerne mit." Wieder lächelt Aiden vor Freude, schnappt sich seine Jacke und rennt lautstark schon einmal die Treppen nach unten. „Dann hab' ich wen zum Bälle suchen", flüstert Niall frech und verspricht meinen Sohn todmüde so spät als möglich wieder mitzubringen. „Falls du ihn verlierst, bringe mir einfach ein pflegeleichtes Meerschweinchen mit", feixe ich und schließe nach einem ausführlichen Bedankungs-Prozess die Haustür hinter mir. Prompt lasse ich mich mit dem Rücken gegen diese fallen, fahre mir durch das erdbeerblonde Haar und versuche mich für einen Moment zu sammeln.

„Unterlagen für die Bloomings...Recherche für Chef... Hefeteig... warme Zimmertemperatur...", murmle ich zusammenhanglos vor mich hin. Die Tatsache, dass ich mit mir selbst spreche, bleibt logischerweise unkommentiert, denn der Vogel redet nicht mit mir. Überhaupt hasst er mich und ich bin mir nicht sicher, ob meine Haare ein wortwörtlich rotes Tuch für ihn sind oder ob man diese Viecher auch abrichten kann. Wenn ja, würde es mich nicht wundern, wenn Aiden ihm in einer genervten Phase beigebracht hätte, meine nackten Füße zu zerhacken, an meinen Haaren zu ziehen oder meine Nüsse aus meiner 'Nächtliche-Fressattacken-Schublade' zu klauen.

Wirklich Struktur lässt sich aber leider nicht in meinen Tag bringen. Stattdessen fange ich (gefühlt) fünfzig Aufgaben gleichzeitig an und immer wieder kommt etwas dazwischen. Mein Telefon klingelt, der Postbote schellt an der Haustür oder ich stolpere unglücklich und lande versehentlich für eine Stunde auf der Couch und schlafe ein. Dafür, dass heute mein freier Tag werden soll, fühle ich mich alleine durch die nervigen Anrufe furchtbar gestresst. Dieses ewige „Nein, Tommy, wir können uns keinen Mist aus den Fingern saugen, wir sind nicht die gegnerische Partei" geht mir genauso gegen den Strich, wie seine darauffolgende Frage nach einem gemeinsamen Abendessen.

„Ich habe dir gleich gesagt, Reilly ist für sowas nicht geschaffen", meint meine beste Freundin etwa gegen dreizehn Uhr. Sie kaut so unappetitlich auf ihrem Stück Hähnchen herum, dass ich angeekelt wegschauen muss. Es war also doch eine Schnapsidee Luisa, meine beste Freundin und Patentante meines Sohnes, zum Mittagessen einzuladen. Zwar ist mir alles lieber, als Tommy an der Backe kleben zu haben, doch diese Entscheidung fällt offensichtlich auch eher in die Kategorie 'Muss echt nicht nochmal sein'.

„Weiß ich auch", antworte ich widerwillig, denn leider hat sie Recht. Tommy Reilly ist ein netter, gutaussehender aber eben auch sensibler Mann. Dass ich von Anfang an nie mehr wollte, als seinen athletischen, attraktiven Körper wusste er von der ersten Sekunde an. Bei dem riesigen Fiasko, welches sich leider Aiden's Vater nennt und sich erfolgreich in eine lange Reihe mindestens gleichschwerer Fehltritte einreiht, will ich mir keine Beziehung aufhalsen. Aber seit kurzem scheint Tommy einen anderen Kurs zu fahren. Er wird anhänglicher, zutraulicher und schaut mich mit einem Blick an, der mir ganz und gar nicht gefällt.

„Sieh es ein, er steht auf dich. Und ich habe dir von Anfang an gesagt, er ist genauso wenig was für dich, wie dieser knochentrockene Mist, den du Job nennst."

„Ja, ja, komm lass gut sein", winke ich ab. Ewigkeiten hängt Lu mir mit diesem Mist in den Ohren. Dabei scheint sie zu vergessen, dass ich nicht nur unfassbar hart für diese Stelle geackert habe, sondern dabei auch gutes Geld verdiene, was man als alleinerziehende Mutter mit dazugehörigem Arschloch-Versager-Vater sehr gut gebrauchen kann.

Die Augen beinahe schon provisorisch rollend, schiebe ich mir eine Gabel voll Salat in den Mund und zähle innerlich von drei herab. Keine zwei Sekunden später beginnt Lu's nächste Dauer-Schallplatte zu spielen. „Belangloser Sex mit Tommy macht dich auf Dauer nicht glücklich"- „Oh glaube mir, wenn du wüsstest", lüstern zwinkere ich und überlege kurz Pseudo-Sexy an der Gabel zu lutschen, unterlasse es aber sicherheitshalber. Schließlich liegt auch vor Lu ein scharfes Messer. „Mensch Chic, jetzt bleib doch mal ernst. Ich mein' das so, wie ich das sage. Wir sollten dir endlich mal einen zuverlässigen, anständigen Mann suchen, der auch mit Aiden gut kann. Jemand kinderlieben, der so einen Volltrottel, wie dich auch mal zurück auf den Boden der Tatsachen bringt. Er muss aber auch witzig sein, Spaß verstehen und deinen hin und wieder langweiligen Arsch in die Luft treten." - Drei, zwei, eins- „Jemanden, wie meinen Louis." Und spätestens ab diesem Punkt schalte ich ab.

Lu schaut verträumt an die Decke, stützt ihren Kopf in der Hand ab und versucht ihren Salat Spaghetti-like aufzudrehen. Mit anderen Worten: Sie schwebt in ihrer eigenen verliebt-rosa-roten Welt und wird so schnell nicht wieder auf den Boden zurückkommen. Wolke sieben ist für sie und ihren ach-so-tollen Louis noch untertrieben. Entgegen der allgemeinen Ansicht, dass 'Luisa und Louis' als Pärchen nicht gut klingt, haben die beiden bisher allen Strapazen den Mittelfinger gezeigt und auch wenn ich es ungern zugebe: Meine beste Freundin hat in dem semi-erfolgreichen Produzenten ihr Gegenstück gefunden. Der durchgeknallte Vollpfosten ist eine männliche Luisa.

Und während sie weiter vor sich hin schwärmt, mir erklärt wie toll er ist und dass er gerade mit einem Zitat- supersüßen, smarten und ultra-talentierten Typen- Zitat Ende arbeite, esse ich mein Mittagessen auf. Und räume die Spülmaschine ein, wasche die Pfanne auf, wische den Herd ab und schaffe es sogar noch eine Maschine Wäsche anzustellen, um meine Kostüme sauber zu bekommen.

Eine geschlagene Stunde später sitzen wir endlich, wie wir es vereinbart hatten, an dem Hefeteig für die versprochene Pizza. Dass es viel zu früh ist, ist mir durchaus klar aber ich weiß auch, dass ich es ohne Lu's Hilfe nicht hinbekommen werde. Also lasse ich sie Hefe, Mehl, Salz und was noch alles seinen Weg in die Schüssel findet, zusammen kneten und verziehe mich aus der viel zu warmen Küche. Auch wenn ich ihr versprochen habe Pilze, Schinken, Paprika und Knoblauch zu schnippeln, werfe ich einen kurzen Blick in die Bloomings-Unterlagen. Wie nicht selten lasse ich meine Gedanken kreisen. Was bringt einen Menschen dazu, sich derart zu verändern? Um den menschlichen Aspekt nicht aus den Augen zu verlieren - anders als neunundneunzig Prozent der Kanzleimitarbeiter es tun - habe ich mich mit Mrs. Bloomings getroffen, um mir von ihr und ihrem Mann erzählen zu lassen. Eine Romanze, wie aus dem letzten Nicholas Sparks Roman wandelte sich in die neueste Folge ‚The Walking Dead' und ich verstehe es nicht.

„Du kleine, miese Lügnerin!" Lu's Stimme lässt mich derart hochfahren, dass ich meine lose Zettelsammlung quer durch das Wohnzimmer schmeiße. All die Wochen an Notizen, natürlich nicht ordentlich datiert, liegen in einem hässlichen Wirr-War vor mir und ich würde meiner zeternden besten Freundin am liebsten den Kopf abreißen. „Du hast es versprochen!" keift sie schließlich und verstummt. Erst jetzt bemerke ich, dass sie mir wieder einen 'gut gemeinten' Vortrag gehalten hat. „So und zur Strafe kommst du heute mit Louis und mir Abendessen und danach was trinken. Keine Widerrede!" Und wie ich widerspreche! „Hast du dein Patenkind vergessen? Soll ich ihn solange ins Gefrierfach schieben damit er frisch bleibt?" Ziemlich siegessicher stemme ich die Hände in die Hüfte. Gegen dieses Argument wird sie sicher nicht ankommen.

„Hast du vergessen, dass er heute bei seinem Kumpel pennt, weil sie ein Referat für Religion vorbereiten müssen?"

Scheiße. Sie kommt doch gegen mich an. Und schlimmer noch; ich habe es tatsächlich vergessen.

Als mein Sohn also gegen 19 Uhr Sturm klingelt, erwartet ihn nicht nur eine dampfende selbstgemachte Pizza, sondern auch eine Mutter mit riesigem, schlechten Gewissen. Nur deswegen findet er einen fertig gepackten Rucksack mit allerlei Süßkram in seinem Zimmer. Während Niall derjenige ist, der völlig kaputt und schnaubend vor meiner Tür steht, springt Aiden fröhlich pfeifend durch die Wohnung, als wäre nichts gewesen. „Wolltest du ihn nicht fertigmachen?" frage ich und bin dieses Mal diejenige, die dümmlich grinst. Dass der Nachmittag für den Lehrer so ausfallen würde, hätte ich ihm ganz bestimmt auch vorher sagen können. Wollte ich aber nicht, diesen Triumph wollte ich mir einfach gönnen.

„Ja, ja. Mach dich ruhig lustig", schnaubt er, wünscht uns einen guten Abend und verkriecht sich erschöpft in die nebenan liegende Wohnung.

„Und die hast du echt selber gemacht?" prüfend inspiziert Aiden das Stückchen auf seinem Teller. Mit Zeigefinger und Daumen hält er es über das Porzellan, als befürchte er, es könne spontane Radioaktivität ausstrahlen. Naiv rede ich mir ein, dass seine Skepsis nur an dem ‚selbst gebackenen' Teig liegt und beichte sogleich, dass Lu diejenige war, die ihn zubereitet hat. „Na war ja klar", stänkert er zur Antwort und beißt beherzt in das warme Prachtstück, als gäbe diese Auskunft die nötige Sicherheit. Ohne mich selbst loben zu wollen, bin auch ich wenig später ziemlich begeistert von dem Endresultat. Das davon mindestens sechzig Prozent auf Lu's Kappe gehen, ignoriere ich gekonnt.

„Und benimm' dich, ja?" rufe ich Aiden wenig später hinterher, als er samt Rucksack auf das Wohnhaus in der Kensington Street zu läuft. Zwar höre ich ihn noch brabbeln, verstehe es jedoch nicht. Vermutlich wollte er mich nur irgendwie aufziehen, so wie er es immer tut.

Wartend, dass sich die Türen auch wirklich öffnen und Aiden sicher im Haus verschwindet, stehe ich einen Moment in der Einfahrt. Mit müden Gliedern winkt mir die alte Frau zu, schenkt mir ein nicht minder schwaches Lächeln und verschwindet mit ihm im Haus. Am Wohnzimmerfenster des kleinen aber schicken Hauses taucht ein kleines Mädchen auf und winkt so euphorisch in meine Richtung, dass ich nicht anders kann, als breit zu grinsen. Mrs. Robinson wird heute definitiv ihren Spaß haben, denn so wie es aussieht, ist auch Laurie noch nicht sonderlich müde.

Schließlich setze ich meinen Wagen wieder in Gang, lenke ihn gezielt zu Louis' schnuckeligem Haus und bereue keine Stunde später mein Vorhaben zu tiefst. Wobei ‚Vorhaben' auch nicht ganz der Wahrheit entspricht. Erpressung, Nötigung, Zwang – diese Begriffe treffen es da schon deutlich besser.

Was eigentlich als entspannter Abend zu dritt geplant war, entpuppt sich in ein Pärchen Fiasko aller erster Sahne und ich hasse sie dafür. Abgrundtief und aus vollster Seele.

Mir gegen über sitzen Liam und Maya Payne, ich werde von Lu und Louis umzingelt und kann geradewegs auf einen mit dem Barkeeper flirtenden Harry Styles blicken. Ich muss mich nicht einmal anstrengen und ich finde auch Mackenzie und Andy Robinson. Die ganze Clique ist anwesend. Prima. Ich freue mich.

Verdammte Scheiße, ich bin in der Hölle.

Ob ich mich wohl ganz klamm heimlich wieder verkrümeln kann? Noch bevor ich aber in Versuchung komme meinen Gedankengang in die Tat umzusetzen, treffen stahlblaue Augen auf meine. In Bruchteilen einer Sekunde ist meinem Gegenüber klar, was mir gerade durch den Kopf geht. Für den stark gebauten Mann mit der schwarzen Hornbrille auf der Nase war ich schon immer ein offenes Buch. Somit ist es kein Wunder, dass sich in den nächsten Momenten eine tonlose Kommunikation abspielt, die in etwa so läuft:

„Vergiss es Chic, beweg deinen Arsch hierüber" – „Ich will das nicht, komm schon, mich hat noch niemand gesehen." – „Komm her, ich hab auch einen Erdbeer Colada für dich." „Ich hasse dich." „Du liebst mich." „Okay vielleicht. Aber nur ein bisschen."

„Hey Leute", begrüße ich also meine Freunde, mehr oder minder motiviert nachdem Andy mich stumm zu sich beorderte. Mit zwei großen Schritten steht er auch schon neben mir, legt mir den Arm um die Schulter und drückt mir einen Kuss auf den Scheitel. „Hey Pookie", begrüßt er mich grinsend und schiebt mich gekonnt in Richtung des letzten freien Stuhls.

Tief atme ich durch, lasse mir auch von Andys Frau einen leichten Kuss auf die Wange hauchen und bete, dass sich meine schlimmsten Befürchtungen nicht doch noch bewahrheiten.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top