19 ⭐️ Isn't It Romantic




Eine frustrierende und nervige Freitagnacht ; 2018

Niall

⚜️

Ein nerviges Gespräch folgt auf das nächste und schon nach dem dritten Termin verfluche ich mich selbst. Warum genau habe ich noch einmal ja gesagt? Mach nur die Notenverkündung, haben sie gesagt. Am Arsch! Jede Helikoptermutter und jeder Businessdad quetscht mich über ihre Brut aus und ich kann absolut nichts sagen. Nur, weil meine werte Kollegin bei einem lächerlichen Preisausschreiben zwei Karten für das »Phantom der Oper« gewonnen hat, muss ich mir diesen Blödsinn geben. Offiziell liegt die Arme natürlich mit einer Grippe im Bett und ich vertrete die gute Frau liebend gerne.

Ich jedoch fiebere einfach einem der letzten Termine entgegen und ertrage tapfer all diesen Müll, den man mir ans Ohr labert. Der Kleine habe es schwer, schließlich wäre er per Kaiserschnitt zur Welt gekommen – ich denke, dass ist bisher meine liebste Ausrede für das ekelhafte Verhalten eines 9-Jährigen und die versagte Erziehung der Eltern.

Interessant wird es erst, als es um die Eltern von diesem Braten Lenox geht. Warum auch immer, sind für jedes Gespräch dreißig Minuten eingeplant. Dass ich eigentlich nach nur fünf davon fertig wäre, interessiert nicht.

Dass mich die werte Familie dieses bescheuerten Kindes ganz zwanzig Minuten warten lässt, interessiert mich dagegen schon. Gerade, als ich beschlossen habe, die nächsten Kandidaten einfach früher aufzurufen, stürzt eine junge Frau ins Zimmer.

Hektisch atmend stützt sie sich auf ihren Knien ab. Ihre braunen Haare mit den pinken Highlights fallen ihr wüst ins Gesicht. „Kann ich Ihnen vielleicht ein Glas Wasser anbieten?" frage ich ein bisschen überfordert, doch sie lehnt ab. „Ich habe nicht viel Zeit, mein Ex-Mann, Lenox' Vater, ist bereits auf dem Weg." Okay, jetzt habe ich doch mehr, als nur eine Frage.

„Setzen Sie sich doch erst Mal, Miss-" „Lorey, nennen Sie mich einfach Lorey, sonst fühle ich mich so alt", fällt sie mir direkt aber nicht unfreundlich ins Wort. Inzwischen scheint sie sich gefangen zu haben und lächelt mich freundlich an. Manche Menschen mag man einfach sofort, ohne dass etwas passiert ist und sie gehört definitiv zu dieser Kategorie. Vielleicht auch, weil sie mich ein bisschen an Chic erinnert, doch diesen Gedanken muss ich verdrängen, um mich auf meinen Job konzentrieren zu können.

„Ich muss einen schrecklichen Eindruck machen", fängt Lorey an, nachdem sie noch einmal tief durchgeatmet hat. Bevor ich ihr jedoch widersprechen kann, fährt sie fort: „Aber mein Ex-Mann hat es ziemlich gut geschafft, mich von meinem Sohn fern zu halten. Ich hoffe aber, dass sie mir ein bisschen erzählen können. Wie er sich entwickelt hat, wie seine schulischen Leistungen aussehen und so weiter."

Das kann ich in der Tat. Allerdings muss ich mir vorher eine Wortwahl überlegen, die der hübschen und sehr, sehr verzweifelten Frau vor meiner Nase nicht den Boden unter den Füßen wegzieht, ihr aber trotzdem verklickert, was ihr Sohn für ein Scheißkerl ist. Unparteiisch zu sein ist schrecklich anstrengend.

„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll", beginne ich und lasse eine Kunstpause, um meinem Hirn Zeit zu geben die richtigen Worte zu finden. Doch die zierliche Frau fällt mir wieder ins Wort. „Am besten mit der Wahrheit, Mr. Horan. Seien Sie ruhig ehrlich, ich bin mir durch aus bewusst, was für einen Einfluss sein neues Umfeld auf Lenox hat."

Für einen Moment sehe ich der Frau tief in die Augen. Als würde sie stumm noch einmal nachdringlich bitten, erwidert sie meinen Blick. Tief atme ich durch. Sie will Ehrlichkeit? Okay. „Gut, wenn ich wirklich ehrlich sein darf – und bitte verzeihen Sie mir meine Wortwahl – manchmal wünsche ich mir die Prügelstrafe zurück." Kurz sehe ich sie schlucken. Irgendetwas in diese Richtung wird sie wohl erwartet haben. Trotzdem zügle ich mich wieder. „Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin gerne Lehrer. Aber bei ihrem Jungen bin ich mit meinem Latein am Ende. Seine Noten sind unterirdisch in allen Fächer, außer Musik. Das wundert mich in seinem Alter allerdings wenig. Wenn wir ehrlich sind – ich war ein grottenschlechter Schüler in seinem Alter." Wieder halte ich inne. Dieses Mal nicht aus Rücksicht auf die junge Frau, sondern aus Zweifel.

Zweifel, die ich allerdings schnell wieder begrabe, schließlich habe ich mein Wort ohnehin schon gebrochen.

„Was mir jedoch am meisten Sorge bereitet, ist sein Sozialverhalten."

„Inwiefern?"

„Er mobbt zahlreiche Schüler, von Prügeleien bis hin zu verbalen Attacken und das ist einfach nicht richtig." Ich schlucke hart, bevor ich ihr und vor allem mir selbst etwas gestehe, was mir eigentlich schon lange klar ist: „Einen davon habe ich sein halbes Leben lang aufwachsen sehen, Aiden Ashford ist beinahe so etwas, wie mein Sohn und das tut besonders weh."

Wieder warte ich auf ihre Reaktion und muss feststellen, dass ich eine deutliche Grenze übertreten habe und das nicht nur in Sachen Lorey. Während ich selbst gemerkt habe, dass mir das Thema näher geht, als es vermutlich rechtlich und richtig ist, habe ich bei ihr einen Sturm ausgelöst. Überwältigt beginnt sie sich stotternd zu entschuldigen. Offensichtlich weiß sie überhaupt nicht, wohin mit sich selbst und ich weiß nicht, wie ich reagieren soll.

„Es tut mir unendlich Leid", bringt sie schließlich hervor und springt einfach auf. In Kreisen läuft sie vor meinem Tisch auf und ab, sie rauft sich die Haare, nuschelt und schüttelt den Kopf.

„Lorey?" frage ich und bekomme nur einen ratlosen Blick zu geworfen. Dass sie mit den Worten: „Ich habe seine Mutter geküsst" einfach aus dem Klassenraum stürzt, lässt mich verwirrt zurück. Verdammte Scheiße! Wie bitte was?

Was habe ich jetzt schon wieder für einen Mist gebaut? Wie bitte soll ich das wieder gerade biegen? Und was zur Hölle hat Chic angestellt? Diese Fragen stelle ich mir sekündlich, während ich abwesend vier weiteren Elternpaaren von ihren Kids erzähle. Erst dann tritt Chic in den Raum.

Der Abend ist gespickt mit Verwirrungen, denn auch Chic sieht mich an, als wäre ich ein Geist. Die ersten Minuten unserer halben Stunde verbringe ich also damit, ihr zu erklären, warum ich hier sitze. Über Aidens schulische Leistungen brauche ich sie nicht aufzuklären. Der Junge ist dahingehend der Traum einer jeden Mutter, die sich auch nur Ansatzweise für ihren Spross interessiert. Über Lorey spreche ich aber auch nicht. Das Thema habe ich definitiv noch nicht verarbeitet.

Stattdessen spreche ich an, was mir auf der Seele liegt. Vielleicht nicht die hundertprozentige Wahrheit aber es kommt nahe heran: „Ich habe ihr nur erzählt, ich wäre in dich verknallt, damit sie versteht, dass ich kein Interesse an ihr habe."

Der ideale Zeitpunkt oder die richtige Umgebung ist es für diese Art Gespräch ganz bestimmt nicht. Nur bekomme ich Chic dank Luisas grandiosem Plan ja nicht mehr zu Gesicht. Abgesehen davon war sie wegen dieser ganzen Anna-Geschichte zurecht sauer auf mich. Trotzdem überlege ich es mir anders, als ich ihren Blick sehe. Panik, Überraschung: Was immer es ist, es nimmt mir den Wind aus den Segeln.

„Das ist natürlich Blödsinn", schieße ich also nach und versuche meine Unsicherheit unter Kontrolle zu bringen. Dümmster Kommentar der Welt aber leider der einzige, der mir eingefallen ist.

Und das hat nur einen Effekt: Schneller als mir lieb ist, ist für Chic das Gespräch beendet und ich muss sie gehen lassen, im Wissen, dass sie sich heute Abend wieder mit einem fremden Kerl trifft. Vielleicht aber auch mit einer weiteren Lorey, wer wusste das schon. Sie traf sich mit jemand anderem.

Was leider keineswegs bedeutet, dass ich besser bin, denn auch ich bin nach dieser bekloppten Veranstaltung noch verabredet. Das einzige, was mich aufheitert, ist das Wissen, dass das Date ganz alleine meine Entscheidung gewesen ist. Und vielleicht auch ein bisschen die Tatsache, dass heute der letzte Tag des Dating-Marathons sein wird. Wie und wann ich aber das nächste Mal auf Chic treffen werde, weiß ich leider nicht.

Deshalb versuche ich sie auch weitestgehend aus meinen Gedanken zu verbannen, als ich um Punkt 21 Uhr vorm Kino stehe und Ausschau nach der jungen Frau halte. Dunkle Haare und dunkelblaue Kleidung, mehr als das und ihren Filmwunsch hat sie mir als Anhaltspunkt nicht gegeben.

Statt der jungen Frau, begegne ich aber zwei anderen Menschen und zumindest einer davon freut sich riesig mich zu sehen. „Was machst du denn hier?" fragt er freudig und lächelt mich breit an. Seine Patentante hingegen versucht ihre Abneigung hinter einem dezenten Augenrollen zu verstecken. Dass Luisa nie mein größter Fan wird, ist mir bewusst. Interessieren tut es mich aber nicht im Geringsten. Also spendiere ich Aiden eine Tüte Gummibärchen und beschließe im Inneren des Kinos zu warten.

Viel zu spät bekomme ich eine Absage und atme frustriert aus. „Hast du keine Lust neben uns zu sitzen?" fragt mich Aiden ein bisschen zu enttäuscht, nachdem sich herausgestellt hat, dass wir für dasselbe Netflix Special hier sind. »Isn't it romantic« lautet der Titel des Films für welchen ich im Vorfeld zwei Karten bezahlt habe. „Quatsch", erwidere ich direkt und wuschle dem Knirps durch die Haare, wissend, dass er es hasst. „Weißt du was, ich lade euch ein."

Luisa protestiert, lässt mich schließlich aber doch machen. Die reservierten Karten gebe ich ihm in die Hand und kaufe mir ein weiteres Ticket.

Durch das Theater mit der Tinder-Tante kommen wir immer hin um die Werbung herum, schleichen gemeinsam auf unsere Sitze und machen es uns im hinteren Bereich des Kinos gemütlich.

Leider merke ich aber zu spät, wie verdammt gut dieser Film eigentlich passt. Der beste Freund der Hauptdarstellerin wird bis zu letzten Minute in die Friendzone abgeschoben und ich könnte mich nicht mehr mit dem armen Kerl identifizieren. Immer wieder sehe ich zu Luisa, die ein bisschen angesäuert am Rand sitzt, da Aiden mich unbedingt neben sich wissen wollte. Anstatt sich aber zwischen mich und seine Tante zu setzen, hat er lieber mir die Arschkarte zugeschoben und liegt mit seinem Kopf an meinem rechten, mittlerweile sehr tauben Arm.

Somit bietet sich mir aber zumindest eine Gelegenheit und ich hasse mich beinahe schon selbst dafür, dass mir die Idee nicht früher gekommen ist.

Während der abschließenden, riesigen und viel zu überzogenen Tanznummer, ohne ersichtlichen Grund, die in keiner Romantic Comedy fehlen darf, lehne ich mich unauffällig zu Luisa.

„Ich habe einen Vorschlag für dich."

Verwirrt sieht sie mich an. Eigentlich rechne ich mit einem vernichtenden Konter, doch stattdessen blickt sie mich nach kurzer Verwirrung abwartend an.

„Ich möchte, dass du mich als letzten Kandidaten zum Marathon hinzufügst. Schicke sie einfach nur zur Adresse, die ich dir zukommen lasse, den Rest erledige ich." Es kostet mich einiges an Überwindung, deshalb atme ich erleichtert aus und wende mich wieder der Leinwand zu, auf der noch immer peinlich getanzt wird.

Es fühlt sich an, wie eine Ewigkeit, bis Lu endlich antwortet. „Vergiss es", erwidert sie völlig emotionslos und mir rutscht das Herz in die Hose.

„Ist das dein ernst?" zische ich ihr genervt zu. Was will sie hören? Ich bin seit Jahren verliebt in ihre beste Freundin und kriege es alleine nicht auf die Kette, dass sie mich sieht, dass sie mich als jemanden wahrnimmt, der nicht bloß ein kostenloser Babysitter ihres Sohnes ist, wenn sie mal wieder von Mistkerlen verarscht wird?

Gerne, wirklich nur zu gerne hätte ich Luisa das an den Kopf geworfen, doch sie ist schneller weg, als ich mich durch das Gedränge kämpfen kann, welches entsteht, sobald die Credits über die Leinwand laufen.

Auch das Aiden sich mehrfach nach mir umdreht und mich sogar ruft, juckt sie nicht die Bohne. Unbarmherzig zerrt sie den Jungen hinter sich her.


Das Letzte, was ich von ihr mitbekomme, ist wie sie innehält, kurz bevor sie in ihren Wagen steigt. „Ich bin froh, Chic bei Tinder angemeldet und dich blockiert zu haben."








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https://youtu.be/xCocubmMdbY

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