18 ⚜️ Step № 05: Arrival in Hell
Ein ein bisschen zu rechter Freitag ; 2018
Charlotte
⚜️
„Und du hältst das wirklich für eine gute Idee?" Ein bisschen skeptisch sehe ich zu Niall. Dass er nur die Vertretung für seine Kollegin und Aidens Klassenlehrerin übernommen hat, ist mir im Endeffekt egal. Dass mein Sohn kein Theater macht, weiß ich auch so und auch über seine Noten bin ich im Bilde, deshalb halte ich solche Elternsprechtage meist für überflüssig. Für gewöhnlich warte ich ewig, um dann nach zwei Minuten lächelnd das Zimmer zu verlassen. Nur heute nicht. Heute sitzt mir aber auch nicht eine alte Dame gegenüber, die diesen Abend genau so schnell hinter sich bringen will, wie alle anderen anwesenden Elternteile. Heute ist es ein enger Freund.
„Das tue ich. Zum einen weißt du, dass ich gerne Zeit mit ihm verbringe. Zum andern wäre es eine Möglichkeit für ihn, neue Kontakte zu knüpfen und nicht mehr so viel alleine zu sein." Was Niall da sagt, macht Sinn. Auf rein sachlicher Ebene hat er vollkommen Recht. Doch mir gefällt dieser besserwisserische, selbstgefällige Unterton ganz und gar nicht.
Also verschränke ich trotzig die Arme vor der Brust, lehne mich in dem viel zu kleinen Stuhl zurück und starre ihn an. „Aha, ist das so?" antworte ich mindestens genau so selbstgefällig wie er. Ich weiß, dass er zurückrudern wird, es ist nur eine Frage der Zeit. Anstarrwettbewerbe habe ich bisher immer gewonnen.
So auch heute.
„Du weißt genau, dass ich das nicht so gemeint habe, Chic." Er rutscht ein Stückchen näher zu mir und ich kann die Sorgenfalte auf seiner Stirn sehen. „Ich halte einfach nichts von Luisas komischem Plan aber deshalb sind wir nicht hier." Das will ich aber auch meinen, denke ich, sage aber nichts. Stattdessen bin ich nun diejenige, die unruhig auf ihrem Stuhl umher rutscht. Niall hat etwas an sich, was ich nicht genau definieren kann. Irgendwie schafft er es, dass es seinem Gegenüber unangenehm wird, ihn anzulügen. Ihn umgibt eine gewisse Ehrlichkeit – ach Himmel nochmal, ich drehe noch durch, wenn er mich weiter so ansieht.
„Können wir dann jetzt bitte kurz über, naja du weißt schon reden?" durchbricht er schließlich die aufgekommene Stille und ich würde mich am liebsten verkriechen. Doch der Erdboden tut sich nicht auf. „Ich bin dir eine Erklärung schuldig, Chic."
Eigentlich ist er das nicht. Er kann tun und lassen was und mit wem er will. Weder Erklärungen noch Rechtfertigungen schuldet er mir. Trotzdem spielt er nervös mit dem geflochtenen Stoffarmband an seinem rechten Handgelenk. Seinen Blick hebt er nicht, als er mir erklärt, dass er mit dieser Anna längst abgeschlossen hatte, als sie vor seiner Tür auftauchte. „Ich habe ihr nur erzählt, ich wäre in dich verknallt, damit sie versteht, dass ich kein Interesse an ihr habe." Kurz hebt er seinen Blick, sieht mir tief in die Augen und hält diesen Blickkontakt. Aber nicht lange. Nicht lange genug, damit ich ihn lesen kann.
„Das ist natürlich Blödsinn", schließt er ab, bevor ich auch nur die Chance habe seine gesprochenen Worte vollständig zu verarbeiten. Dieses Kichern macht mich irre.
Was genau es ist, weiß ich nicht, ich kann es nicht definieren. Eines weiß ich aber genau. Ich muss hier raus. „Dann haben wir das ja geklärt", beschließe ich dieses seltsame Gespräch und stehe auf. Niall will es mir gleich tun, doch ich winke ab. „Ich kenne den Weg. Danke Mr. Horan", verabschiede ich mich und lächle ihm zu.
Vor der Tür atme ich erst einmal tief durch.
Die Blicke der anderen Eltern mustern mich und ich weiß, was sie denken. Als alleinerziehende Mutter habe ich es schwer, ich bin übermüdet und gestresst und dann macht mein Sohn auch noch Probleme in der Schule. In gewisser Weise haben sie sogar Recht aber es kostet mich einen ganzen Arsch voll Überwindung, diesen arroganten Übermenschen keine Szene zu machen. Diesen Aufwand haben sie nicht verdient. Ich mache drei Kreuze, wenn Aiden diese Schule endlich verlässt.
Gerade als ich glaube, gleich völlig die Fassung zu verlieren, werde ich abgelenkt. Das Parfum von vorhin schleicht wieder in mein Bewusstsein und ich sehe mich prüfend um. Ich weiß, ich kenne diesen Gang. Diesen trotteligen Gang, der so gar nicht zu dem edlen Anzug passt aber ich weiß auch genauso gut, dass er es nicht sein kann.
Kopfschüttelnd, wenngleich ziemlich zerstreut verlasse ich die Schule eine halbe Stunde vor dem letzten Date, welches Luisa für mich veranstalten wird. Dieser ganze Marathon war alles andere, als erfolgreich und ich bin froh, dass der Spuk nun ein Ende hat. Trotzdem bin ich auch meiner besten Freundin dankbar, dass sie mich erinnert hat. Sonst hätte ich es verpennt und meine Bestrafung für die nicht durch geführte Wette, wäre furchtbar gewesen. Mein Verlangen danach, nackt über den Leicester Square zu rennen hielt sich in Grenzen. Dass dieser Wetteinsatz alles andere als verantwortungsbewusst und erwachsen ist, wundert mich nicht. Was an ihrem beschissenen Plan ist das schon?
»Outfit einfach ein bisschen schicker, nicht zu bequem, ok?« schreibt sie mir in dem Moment, als ich die Haustür wieder hinter mir zuziehe. Kurz sehe ich prüfend an mir runter. Die Seiten meiner Haare habe ich hinten zu einem kleinen Zöpfchen zusammengebunden, sodass mir meine erdbeerblonden Haare zwar in Wellen über die Schulter fallen aber nicht im Gesicht hängen. Die weiße Bluse, die der Form eines Rollkragen-Pullovers ähnelt, ist edel aber bequem und auch der schwarze Rock schmiegt sich eng aber nicht schlampig an meine Rundungen. Reintheoretisch sollte es also in Ordnung sein.
Praktisch laufe ich aber trotzdem ins Schlafzimmer und öffne eine Seite des Kleiderschranks, die ich schon eine ganze Weile nicht mehr geöffnet habe. In Sekundenschnelle wandert mein Blick in die Richtung eines Kleides, dass ich bestimmt schon Jahre lang nicht mehr getragen habe und trotzdem versuche ich es. Irgendwas in mir ist wohl im Selbstbewusstseins-Zerstörungs-Modus. Umso überraschender ist es, dass die orangene Spitze gar nicht so eng an meiner Haut sitzt, wie befürchtet. Im Gegenteil. Durch die Veränderungen, die ich offensichtlich hinter mir habe, sitzt das Kleid noch besser, als ich es damals geschenkt bekommen habe. Allen voran erinnert es mich aber auch daran, dass ich mich noch einmal bei Andy melden muss; der selbstverständlich nicht ans Handy geht.
Ein letzter Blick in den Spiegel; passt schon, denke ich und mache mich auf den Weg. So, wie es aussieht, liegt das Restaurant, in welches sie mich schickt, gar nicht so weit weg von meiner Wohnung, also mache ich mir gar nicht erst die Mühe mein Auto anzuschmeißen. Durch den Outfit-Wechsel und das wenig erfolgreiche Telefonat werde ich ohnehin nicht hundertprozentig pünktlich auftauchen, doch über die fünf Minuten, mache ich mir keine Gedanken.
Mit einem Kopfhörer in den Ohren lausche ich Bebe Rexha und denke darüber nach, was ich am heutigen Tag alles gelesen habe. Stellen werden überall angeboten, nur ob ich das auch machen kann, ist die nächste Frage. Viele Berufe erwarten absolute Sprunghaftigkeit und Flexibilität – etwas, was ich mit einem kleinen Jungen nicht garantieren kann. Abgesehen davon möchte ich, dass Aiden nicht mehr so viel alleine ist. Wie ich das bewerkstelligen soll, ohne bei meiner Mutter vor der Tür zu stehen, weiß ich nicht. Auch meine Großmutter möchte ich ungern mit in meinen Dreck ziehen. Mir wird sicher etwas einfallen, hoffe ich, als ich die Tür des Zaibatsu aufstoße.
Freundlich lächelt man mir zu und ich frage mich ernsthaft, wann ich das letzte Mal hier war. Es muss Ewigkeiten her sein, denn mit rohem Fisch brauche ich zuhause nicht um die Ecke kommen. Alles, was über Fischstäbchen hinaus geht, ist tabu. Demzufolge freue ich mich schon fast auf den Abend, denn mir kommt ein wirklich, wirklich gut aussehender junger Mann entgegen. Vielleicht hat Luisa sich ja einfach das Beste zum Schluss aufgehoben?
Selbstsicher tritt er mir entgegen und mustert mich aus tiefbraunen Augen. Mir gefällt, was ich sehe und trotzdem kann ich mich nicht richtig entspannen. Der junge Mann mit den perfekt gestylten, fast schwarzen Haaren benimmt sich wie ein wahrer Gentleman. Er rückt mir den Stuhl zu recht, lässt mich die Vorspeise wählen und betreibt leichte Konversation. Vielleicht bin ich pedantisch, vielleicht einfach pessimistisch – egal, was es ist, ich weiß es kommt ein Haken, wenn ich nur lang genug warte. Dieser Mann mir gegenüber ist einfach eine Spur zu perfekt.
Also probiere ich es direkt mit dem größten Hammer. Normalerweise ist er meine Notbremse aber ich habe dazu gelernt. So ein Fauxpas, wie mit diesem Puppenfreak Anton wird mir nicht noch einmal unterlaufen.
Unterschwellig lege ich mein Handy auf den Tisch und sehe hin und wieder aufs Display. Das sich tatsächlich hoffe, dass Aiden sich meldet, verdränge ich, es ist nur nebensächlich. Vielleicht habe ich auch Glück und bekomme endlich eine Antwort von Andy.
Eine volle halbe Stunde lässt Brandon sich gefallen, dass ich abwesend bin. Immer mal wieder folgt sein Blick meinen Fingern und ich merke, er wird sauer.
„Musst du noch irgendwo hin?" fragt er schließlich. Hat aber auch lange genug gedauert.
„Nein, nein", wehre ich beiläufig ab und kurz bevor meine Lippen das Glas berühren, schiebe ich absichtlich beiläufig hinterher: „Ich warte nur auf einen Anruf meines Sohnes."
Stille.
Bingo! Ich bin mir sicher, da ist der Haken! Und er kommt, denn in den nächsten zwanzig Minuten spricht er über nichts anderes, als seine Erziehung in einem Schweizer Internat, er spricht fließend Deutsch, was er mir sogleich demonstriert und als wäre das nicht schon genug, kommt er mit einem größeren Hammer um die Ecke, als ich es je könnte.
Auf unserem Weg zur Bar, lässt er mir den Vortritt, eben ganz der Gentleman und ich verstehe wenig später auch, warum. Er ist kein Gentleman. Er ist ein Volldepp.
Das Zaibatsu ist ein populäres japanisches Restaurant und abgesehen von der komischen Gesellschaft hatte ich einen schönen Abend. Mein Magen ist absolut überfüllt und ich bin mir sicher, nicht einmal ein Schnaps, würde mich retten. Aber aufgrund seiner Popularität, nicht nur bei mir, sind die Kellner wahnsinnig ausgelastet.
Das erklärt, warum wir warten müssen. Jeder normale Mensch würde dafür Verständnis aufbringen. Brandon, der geborene Amerikaner, sieht das alles etwas anders und kommentiert: „Wenn die sich bei Pearl Harbour auch so viel Zeit gelassen hätten, wären die schönen Schiffe verschont geblieben."
Okay, das ist mir zu viel, denn ich weiß genau, dass ich mich nicht verhört habe, als er sein Telefon aus der Tasche nimmt. Es ist eine dieser blöden Lederhüllen mit Kartenfächern. Und in genau dieser Hülle prangt ein ausgelutschter Sticker, der mir beinahe die Hutschnur hochgehen lässt. Eigentlich habe ich absolut keine Lust irgendwie politisch zu diskutieren. Es gibt Fachgebiete, die mir eher liegen. Aber ich habe einen klaren Punkt, was Menschlichkeit betrifft und nach diesem äußerst beschissenen Tag, fühle ich mich jetzt zwar sehr scheinheilig aber ich kann meinen Mund mal wieder nicht halten.
„Trump, huh? Du hättest doch auch gerne die Mauer um Mexiko oder?"
„Klar." Erwidert er trocken und das ist mein Signal. Für gewöhnlich bestehe ich darauf, die Rechnung zu teilen. Heute nicht.
„Auf Nimmerwiedersehen", spreche ich deshalb und mache auf dem Absatz kehrt. Noch im Gehen zücke ich mein Handy und schicke Luisa eine Sprachnachricht. „Wenn du Aiden los werden willst, dann sag mir das. Aber schaffe mir kein rechtes Arschloch ran, was Kids einfach nur in die Schweiz abschieben will." Woher kramt Luisa bitte all diese Vollidioten? War es in London nicht möglich entweder Menschen zu finden, die nicht völlig irre sind oder aber in Frieden als Single zu leben? Das kann doch nicht wahr sein, dass es allen um mich herum so einfach fällt, nur ich kriege den Käse nicht auf die Kette.
Plötzlich packt mich eine starke Hand am Arm. „Hey, was soll denn das?" keift Brandon, wie aus dem Nichts und mir schlägt das Herz bis zum Hals. „So läuft das nicht. Ich zahle hier für diese Asiaten-Scheiße und du verpisst dich? Hast du den Sinn von Tinder nicht verstanden?"
Nun bin ich wirklich, wirklich verwirrt. „Tinder? Was willst du von mir?"
Besserwisserisch, arrogant und beängstigend sauer rollt er mit den Augen: „Ach, jetzt stell dich doch nicht so dumm. Du hast mich doch gematched."
Einen Scheißdreck habe ich gemacht! Aber so langsam beginnt der Groschen zu fallen und aus meiner Verwirrung wird pure Wut. Gerade, als ich mich von ihm losreißen will, um ihm zu sagen, dass er sich verdammt nochmal verpissen soll, wird mir diese Aufgabe abgenommen.
Wie es aussieht habe ich mich in der Schule nicht geirrt. Ich kenne das Parfum durchaus und ich weiß nicht, was mir in diesem Moment mehr Angst macht. Der Mann in meinem Rücken oder der vor meiner Nase.
„Schatz, da bist du ja. Ich habe dich überall gesucht, Lu hat erzählt, du bist hier. Bitte lass uns doch nochmal über alles reden, ja? Ich liebe dich, mein Mausepupsi! Wir müssen uns doch gemeinsam um unsere Prinzessin kümmern." Weinerlich sprechend und absolut mitleiderregend fleht er mich an. Und ich muss tierisch aufpassen, nicht vor Lachen in die Hose zu machen, während er mich absolut überzogen liebevoll ansieht und die flache Hand über meinen Bauch kreisen lässt. Damian hat wirklich dick aufgetragen aber besonders sein letzter Satz zeigt Wirkung. Ohne ein weiteres Wort verpisst sich der Vollidiot. Sicher, ich höre ihn murmeln und fluchen, doch alleine die Tatsache, dass er noch im Gehen das Handy zückt, lässt mich ihn verabscheuen. Mein gesamtes Hab und Gut würde ich darauf verwetten, dass er sich gerade in dieser Sekunde einen Plan B an Land zieht. Die arme Kreatur tut mir jetzt schon leid.
„Na die Nummer beherrscht du aber wirklich gut", spreche ich ein bisschen zu unsicher und sehe ihm in seine stechend blau-grünen Augen. Seine Gesichtszüge werden weicher, der Dreitagebart steht ihm wahnsinnig gut und allerlei gemischte Gefühle zischen wie Blitze durch mich. „Und ich dachte schon, ich hatte Halluzinationen", bricht er schließlich die Stille und kichert verlegen.
„Also warst du in der Schule? Warum?" Statt meine Frage direkt zu beantworten, stellt die Gegenfrage, auf die ich fast ein bisschen gehofft habe. Schließlich ist er der Grund dafür, warum ich der Männerwelt den Krieg erklärte. „Gehen wir ein Stückchen?"
Das tun wir. Tatsächlich bringt mich mein Ex-Ex-Chef sogar nach Hause.
Auf dem Weg dorthin erfahre ich mehr, als ich gedacht habe. Mehr, als ich mir je erträumt hätte, um ehrlich zu sein. Damian hat sich kurz nach uns von seiner Frau scheiden lassen. Das ist jedoch nicht der Grund, warum ich erleichtert aufatme. Ich bekomme endlich die Antwort auf eine Frage, die ich mir lange, lange gestellt habe.
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