17 ⚜️ Night Changes


Ein sehr uncooler Freitag; 2018

Charlotte

⚜️

„Also habe ich es geschafft?" Hoffnungsvoll sieht sie mich an und ich bin mir sicher, gleich werden ihr die Augäpfel in ihr Frühstück kullern, so weit geöffnet sind ihre wunderschönen Augen. Dass sie mir nicht sabbert, grenzt beinahe an ein Weltwunder. 

Ich muss diese Situation einfach noch ein bisschen ausnutzen, daran führt leider kein Weg vorbei. „Jain. Das kommt ganz drauf an, wovon du sprichst. Wenn wir von einem tollen Date reden, dann auf jeden Fall." Ein klein wenig möchte ich sie noch auf die Folter spannen. Ihre Aufgeregtheit ist viel zu komisch anzusehen, sie amüsiert mich viel zu sehr, als dass ich sie jetzt schon erlösen könnte. Abgesehen davon, möchte ich mir das kleine bisschen Rache noch gönnen und muss meinen Kopf ganz, ganz dringend von dem Andy-Zwischenfall ablenken, für den mir immer noch keine Lösung eingefallen ist. Will ich ihn boxen? Klar. Kann ich das tun? Leider nicht. 

Glücklicherweise springt Luisa direkt auf mein Necken an. „Himmelherrgott, nun lass dir doch nicht immer alles aus der Nase ziehen!" quiekt sie aufgeregt und zieht damit ungewollt ein bisschen zu viel Aufmerksamkeit auf sich. Einige Gäste des kleinen Cafés strafen sie mit bösen Blicken und aufgebrachtem Getuschel, was sie nur dazu veranlagt, tomatenrot anzulaufen. „Jetzt erzähl endlich!", bettelt sie noch einmal um einige Dezibel leiser.  Meine Genugtuung zu verstecken, ist ein wahrer Kraftakt aber ich reiße mich gerade so noch zusammen.

„Kurzfassung: Dank dir habe ich eine neue sehr gute Freundin gefunden. Wir bleiben definitiv in Kontakt aber ich glaube nicht, dass aus uns mehr wird. Ich hab's versucht aber es fühlte sich nicht richtig an." Der gesamten Wahrheit entspricht es nicht. Werde ich ihr das auf die Nase binden? Bestimmt nicht.

„Du bist langweilig." „Und du gleich mausetot, Fräulein." Ein bisschen fassungslos sehe ich sie an. Das meint sie doch nicht ernst, oder doch? Die Antwort ist ein ganz klares Ja.

Wie immer begibt sich Luisa sofort in die Position des Unschuldslamms. Ihre grünen Augen glänzen lieblich, kein Fältchen bildet sich in ihrem Gesicht und auch sonst strahlt sie pure Harmlosigkeit aus. Oder anders gesagt: Ich möchte sie wahnsinnig gerne kräftig durchschütteln, tue es aber nicht. „Ich wollte nur, dass du's mal ausprobierst. Irgendeinen Grund muss es ja geben, warum es mit den Männern nicht klappt." Und nach diesem Satz hätte ich Luisa am liebsten mein Messer in den Bauch gerammt. Allerdings ist es nicht einmal scharf genug, um mein Brötchen ordentlich durch zu schneiden, also fällt diese Option leider weg. Obendrein hat sie ihre Gabel schnell genug versteckt, somit muss ich kreativ werden und mir auf dem Heimweg etwas einfallen lassen. Auch, wenn ich eigentlich dankbar sein sollte, dass sie uns eingeladen hat; ein bisschen Rache muss ich üben. Die Tatsache, dass wir bereits über meine Verwirrtheit in Sachen sexueller Präferenzen gesprochen haben, lasse ich unter den Tisch fallen.

Mich wundert allerdings noch viel mehr, dass sie die versteckte Nachricht in meiner Aussage nicht verstanden hat. Normalerweise ist sie Königin der Zweideutigkeit, umso mehr Spaß macht es, sie ein bisschen zu ärgern.

„Aber eines muss ich dir trotzdem lassen: Du hast eine heiße Wahl getroffen." Anzüglich zwinkere ich ihr zu und beiße ein Stück von meinem Brötchen ab. Himmel, sie hat heute aber auch eine wirklich lange Leitung, denke ich ein bisschen genervt und just in diesem Moment macht es ‚Klick' bei meiner besten Freundin. Sonst wäre ich wohl noch kreativ geworden und hätte mir sonst was ausgemalt, als ich Lu noch nicht kannte. Besonders markante, männliche Züge hat Louis schließlich nicht.

„Moment mal!?" quiekt sie wieder viel zu laut und sieht mich mit noch ungläubigerem Blick an. „Willst du damit sagen, dass du sie-" „Jap", unterbreche ich sie direkt, denn in diesem Moment kommt Aiden von der Toilette wieder. Wäre er nicht weggewesen, hätte ich mit Luisa auch niemals so über Lorey geredet. Ich bezweifle, dass sie mich überhaupt hätte aushorchen dürfen, wenn mein Kind anwesend gewesen wäre.

Und egal, wie nervös Luisa vor mir herumrutscht, ich werde kein Wort mehr über den gestrigen Abend verlieren. Die Gefahr, dass ich mich in Sachen Kenzie und Andy doch noch verquatsche ist viel zu hoch. Demnach wird die Unterhaltung solange nicht fortgesetzt, wie Aiden noch hier sitzt und da bei meinem Sohn die ersten beiden Stunden ausfallen, wird das noch eine ganze Weile der Fall sein. Gut für mich.

Stattdessen sprechen wir also über den Elternsprechtag heute Abend, er klärt mich darüber auf, was mich eventuell erwarten wird und auch sonst driften die Gesprächsthemen in keine unsicheren Gewässer ab. Lieber ist mir das alle Male, denn der Moment nach unserem Kuss, ist mir noch immer unangenehm.

Einem so lieben Menschen, wie Lorey, sagen zu müssen, dass es trotz diesem schönen Kuss einfach nicht funkt, macht definitiv keinen Spaß. Umso beruhigter war ich, als sie mir versicherte, dass es ihr genauso ging. „Es war nur ein Test", hatte sie gesagt und irgendwie gehen mir ihre Worte nicht aus dem Kopf, denn sie brachten einen Wunsch in mir hervor: Lorey in männlich, das wäre mein absoluter Traumtyp. Allerdings brauchte ich diesen Gedanken nicht einmal zu Ende zu denken, ich verurteilte mich sofort dafür und ob man das noch mit ‚Präferenz' rechtfertigen konnte, da war ich mir nicht so sicher. Es war nicht richtig so zu denken und dennoch tat ich es. Aber immerhin hatten wir beschlossen Freunde zu bleiben. Vielleicht würde Aiden in ihrem Sohn Lenox auch einen Freund finden? Wer wusste das schon. Ich habe mir aber definitiv vorgenommen, Lorey dazu anzustiften, wenigstens unsere Jungs zu verkuppeln.

„Mum, bist du anwesend?" Erst seine schmalen Finger, die vor meinem Auge herumwedeln, holen mich aus meinen Gedanken und ich muss erst einige Male blinzeln, bis ich vollständig aufnahmefähig bin.

„Entschuldige, Aiden, ich war irgendwie ein bisschen weg. Hast du was gesagt?"

Hatte er tatsächlich, denn, wenn wir uns nicht auf den Weg machen, würde er zu spät kommen.

„Danke, Tante Lu", verabschiedet er sich knapp und läuft bereits voraus. Auch ich drücke meiner besten Freundin einen Kuss auf die Wange und mache mich auf den Weg. „Wir sprechen uns noch!" ruft sie mir nach und ich befürchte es.

Eigentlich geht es sie überhaupt gar nichts an. Wirklich absolut nichts. Da sie den ganzen Mist hier aber angezettelt hat, scheint sie sich eine Art Recht auf Neuigkeiten einzubilden, dem ich mich nicht so wirklich entziehen kann. Für eine Sekunde denke ich sogar darüber nach, ob es nicht auch eine Klausel dazu in ihrem sogenannten Vertrag gibt.

Auf dem Weg zur Schule bleiben mein Sohn und ich eher ruhig. Weder meine eingereichte Kündigung, mögliche Jobperspektiven, noch unser Streit werden zum Thema und eigentlich bin ich ganz froh darüber. Ich möchte, dass Aiden ein bisschen mehr Kind ist, zu viel habe ich ihm zugemutet in letzter Zeit. Kurz überlege ich, ob wir nicht doch noch Zeit finden, um heute die neueröffnete Trampolin-Halle zu besuchen.

Nur kommt mir mein Handy kurz vor der Schule dazwischen.

„Ich schreibe dir, wann du den Termin hast", flüstert Aiden mir zu, drückt mich kurz an sich und verschwindet dann in dem ziemlich trostlos aussehenden Gebäude. Es nervt mich tierisch, dass er wieder irgendwie zu kurz kommt und mein Handy ihn an zweite Stelle rücken lässt. Und dass er sich, wie selbstverständlich hinter dieses blöde Teil stellt, ist am Schlimmsten.

Allerdings ist er längst in den Schülermassen verschwunden, was mich nur hoffen lässt, dass diese Trolle ihn heute in Ruhe lassen.

Ein kurzer Blick aufs Display reicht, um meine Laune zum Gefrierpunkt zu treiben. Schon als ich den Absender der Nachricht sehe, dreht sich mir der Magen.

„Ich weiß ja nicht, wie Sie das sehen aber die Urlaubstage stehen mir zu, ich habe den Antrag vorschriftsgemäß eingereicht und Sie haben ihn genehmigt." Damit hat sich der Zirkus für mich erledigt und ich bin gerade dabei einfach wieder aufzulegen, als ich meinen Namen höre.

„Ich habe ein Angebot für Sie."

Ich hoffe für ihn, dass es ein gutes ist. In letzter Zeit bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich meiner Intuition wirklich hundertprozentig vertrauen kann. Trotzdem tue ich es und mache mich auf den Weg in die Kanzlei.

Zum letzten Mal trete ich ihn Chandlers Büro, denn wie sich herausstellt, habe ich mich mal wieder getäuscht. Es ist kein gutes Angebot. Es ist ein lächerlicher Versuch seine dümmste Ja-Sagerin nicht zu verlieren.

„Wir können Ihnen andere Aufträge anbieten. Reilly wird die Bloomings-Scheidung über die Bühne bringen und dann gehen. Seine Kündigung liegt bereits auf meinem Schreibtisch. Ich weiß, dass Sie sich nicht unbedingt um Familienrecht geschlagen haben, als Sie in diese Kanzlei kam. Vielleicht können wir noch einmal über den Criminal-Law-Trakt sprechen?" Dass er mir diese eigentlich vertraulichen Daten zwecks Tommys Kündigung gar nicht mitteilen darf, zeigt nur, wie verzweifelt er ist und auf eine Art und Weise gibt es mir ein Stück meines Vertrauens wieder. Es pusht mein Ego. Und nur deshalb gehe ich mit viel zu hoch gereckter Nase aus dem Büro.

„Ms. Ashford, bitte überlegen Sie es sich doch noch einmal!" ruft er mir nach und das habe ich. Ich habe mich endgültig entschieden, dass jeder Job dieses Universums besser ist, als diese bekloppte Kanzlei. Von vorne herein hätte ich mich nicht dazu hinreißen lassen sollen, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten. Was hat es mir denn schon bisher gebracht? Ich habe geglaubt Anwältin werden zu wollen und meinen Kindheitstraum hinten angestellt, ich habe einen Sohn, der mir immer mehr entgleitet, einen Ex-Mann, dem ich die Krätze an den Hals wünsche und mehr Geldprobleme, als mir lieb ist und ich zugeben würde. Und wozu? Damit ich mich nach über 20 Jahren meinem Vater ein bisschen näher fühlen kann, als es je wieder möglich sein wird.

Das einzig Positive an diesem letzten Besuch, ist Tommys Blick. Er ist so jämmerlich, so weinerlich, dass es mich schadenfroh die Treppen nach unten hüpfen lässt. Er hat sich diese Suppe selbst eingebrockt, nun soll er sie auch wieder auslöffeln.

Schwungvoll stoße ich die Türen am Fuße der Treppe auf und genieße die Sonnenstrahlen, die mir glücklicherweise ins Gesicht fallen. Allerdings habe ich ein wenig zu viel Schwung.

„Wow, Ms. Ashford. Sie haben aber gute Laune." Freundlich lächelt er mich an und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich diesen Fall retten kann. Woher die plötzliche Erkenntnis kommt, kann ich beim besten Willen nicht erklären aber mit einem Male ist sie da. Also setze ich meinen angeblichen Charme ein. Dass es Tommys letzten Fall ruinieren wird, ist mir bewusst. Doch das ist nicht der Hauptgrund.

„Das habe ich in der Tat, Mr. Bloomings. Wie geht es Ihnen denn? Haben Sie einen Termin?"

„Das habe ich in der Tat. Sagen Sie, haben Sie meine Frau schon gesehen?"

Langsam streiche ich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr und lächle ihn lieb an, während ich den Kopf schüttle. Er nimmt es gar nicht wahr und auch die Tatsache, dass meine Bluse ein Stückchen nach unten gerutscht ist, interessiert ihn nicht die Bohne. Bingo! Mein Bauchgefühl ist also doch nicht gänzlich im Eimer.

Immer wieder habe ich mir den Kopf über diese beiden zerbrochen und ich war mir sehr, sehr sicher, dass beides hoffnungslose Sturköpfe sind, die rational bedacht einfach absolut nicht zusammen passen. Ganz so sicher bin ich mir bei dem letzten Fakt allerdings nicht mehr und ich werde es beweisen.

Inwiefern und ob es überhaupt etwas gebracht hat, werde ich wohl so schnell nicht erfahren, also hetze ich von einem Termin zum Nächsten.

Angefangen mit finanziellen Vorbereitungen informiere ich mich darüber, wann mir mein vor Jahren abgeschlossener Bausparvertrag ausgezahlt werden kann, ich löse meine Sparbücher auf und lasse sie auf mein Konto überweisen. Mit dem Bausparvertrag habe ich gleichzeitig einen Puffer, den ich in zwei Jahren einlösen kann. Mit all diesem Finanzkram fühle ich mich meinem Großvater auf seltsame Weise fast nahe und lasse kurz zu, dass ich ein bisschen nostalgisch werde. Seine deutschen Wurzeln hat er nie geleugnet. Fan davon war er aber nie.

Trotz all den Erinnerungen, die nach meinem Bankbesuch an mir vorbeiziehen, zwinge ich mich wieder rational zu denken. Denn meine nächsten Wege führen mich zu einem Zeitungsstand und in die Drogerie. Ausgestattet mit Bewerbungsmappen und potenziellen Jobs, mache ich mich auf den Weg nach Hause, um die Stellenanzeigen zu durchforsten.

Wirklich weiter bringen tut es mich aber nicht und so bin ich beinahe schon froh, als Aiden mich wissen lässt, wann ich in der Schule aufzulaufen habe. In der Zwischenzeit wird er mich Freunden Zeit verbringen. »Was für Freunde? Und wo geht ihr hin?« antworte ich besorgt. So sehr ich mich für meinen Jungen auch freuen möchte, ich habe ein seltsames Gefühl in der Magengegend, denn er antwortet mir nicht mehr.

Bin ich eine uncoole Mum? Wird man ihn nur ärgern, wenn ich ihm hinterher telefoniere?

Ich möchte seinem ohne hin schon lädierten Ansehen unter gar keinen Umständen weiter schaden. „Ach Fuck!" seufze ich und werfe mein Handy frustriert auf die Couch neben mir.

Ohne Aiden noch einmal zu schreiben.

Während ich also am Abend vor Aidens Klassenraum sitze, starre ich wie hypnotisiert auf mein Handy. Kein Signal, nichts. Ich bin mir sicher, ich werde wahnsinnig. Nicht einmal Andys vermutlich eher kläglicher Versuch Laurie auszuhorchen bietet mir ein bisschen innere Ruhe. Die kleine Mause ist schließlich zwei Stufen unter Aiden und bekommt daher weniger mit, als mir lieb ist. Mit dem guten Riecher für Gerechtigkeit ihres Vaters ausgestattet, war meine Patentochter schon immer der Richtig-oder-Falsch-Radar meines Sohnes.

Glücklicherweise geht die Tür im genau richtigen Moment auf. Zu behaupten ich wäre überrascht, wäre allerdings die Untertreibung des Jahrhunderts. „Niall?" flüstere ich verwirrt und werde mit großen Augen angestarrt, kaum merklich schüttelt er den Kopf und ich wiederhole ein wenig lauter: „Mr. Horan? Bei allem Respekt, was machen Sie denn hier? Wo ist Mrs. Pearce?"

„Das erkläre ich Ihnen gerne drinnen, Ms. Ashford", antwortet er und ich kann nicht anders, als den spitzbübischen Glanz in seinen Augen mit einem Schmunzeln zu quittieren. Kurz bevor ich die Tür hinter mir schließe, sehe ich einen großen Anzugträger in das neben Zimmer hetzen. Eigentlich ist mir sowas absolut egal, doch es ist sein Rasierwasser, was mir so schrecklich bekannt vorkommt. Ich weiß bloß nicht woher.

Niall holt sich schließlich meine Aufmerksamkeit. Nicht ungeteilt, mein Hirn durchforstet sämtliche Erinnerungsschubladen, aber immer hin meine Aufmerksamkeit. „Können wir reden Chic? Nicht über Aiden, sondern über uns?"

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