15⚜️ Experiment № 01

Ein abwechslungsreicher Donnerstagabend ; 2018

Charlotte

⚜️


Seit Aiden und ich zurück in die Küche gelaufen sind, wo Luisa bereits am Herd stand und Spinat, Kartoffelbrei und Fischstäbchen zubereitete, sitzt Kennedy auf der Schulter meines Sohnes. Der Vogel weicht nicht von seiner Seite, egal, wie oft Aiden sich erschrocken die Augen zu hält, wie oft und ausgelassen er lacht- Kennedy bleibt sitzen, als wisse er genau, dass er seinen besten Freund trösten muss und schaut mit uns fern. Zu seinem Glück lässt er sogar den Schnabel von den Knabbereien, die Luisa in einer kleinen Pause besorgt hat.

Zum ersten Mal, seit der Papagei bei uns eingezogen ist, hasse ich ihn nicht ganz so sehr. Zu sagen, ich würde ihn mögen, wäre vielleicht ein bisschen zu weit gegriffen. Dankbarkeit trifft den Nagel eher auf den Kopf.

Gerade als Han, einer meiner liebsten Charaktere der Action-Filmreihe, eine wichtige Lektion lehrt, schrickt Luisa aus ihrem Sekundenschlaf hoch. „Boa, der Mist läuft ja immer noch", meckert sie gähnend und streckt sich erst einmal ausgiebig, bevor sie sich zu mir dreht. „Möchtest du dich eigentlich auch noch mal fertig machen für dein Date heute Abend?"

Vor lauter Schreck bleiben mir die zerkauten Chips beinahe im Hals stecken. Nach Luft ringend pruste und huste ich los und verschlucke mich schrecklich. Das ist nicht wirklich ihr Ernst oder?

„Warum?" fragt sie schließlich, nachdem ich meine Gedanken laut und eigentlich sehr, sehr deutlich ausgesprochen habe, als würde ich mich nicht grade von einem emotionalen Schock erholen.

„Das fragst du nicht grade wirklich oder?" So sehr ich es auch genieße, dass sich Aiden den gesamten Filme-Marathon über bei mir angelehnt hat, ich kann nicht anders, als mich entsetzt aufzurichten. Somit ist es einfacher für mich, meine beste Freundin entsetzt, fassungslos und entgeistert zugleich anzuschauen. Sie jedoch, zuckt mit den Schultern und gibt sich völlig ahnungslos. „Du verarschst mich oder?"

Statt direkt auf meine Frage einzugehen, oder zumindest in irgendeiner Weise über ihren grotesken Vorschlag nachzudenken, sieht sie mich neutral an und wiegt sich in Sicherheit, ein absolutes Totschlagargument parat zu haben: „Was machst du hier eigentlich so ein Theater? Du hast einen Vertrag unterschrieben."

Das konnte nicht wirklich ihr Ernst sein? Ein eben dahingeschmiertes Blatt Papier, welches sie mir in nach zwei verkackten Dates absolut betrunken unter die Nase gehalten hat, ist ihr finales Argument? Aus Spaß an der Freude müsste ich eigentlich mit meinem Law Degree vor ihrer Nase herumwedeln, ihr meine Zeugnisse und Lizenzen auf die Stirn tackern, für die Andy und ich so unfassbar lange und hart gebüffelt haben.

„Ich glaube du hast nicht mehr alle Latten am Zaun, wenn du ernsthaft denkst, dass ich nach dieser Katastrophe noch-" „Ich suche dir ein Kleid aus."

Erst jetzt werde ich wieder daran erinnert, dass ich meinen Streit mal wieder vor meinem Sohn austrage. Statt, wie noch vor zehn Minuten seinen Blick auf dem Fernseher kleben zu lassen, sieht er mich nun an. Was genau es ist, dass dort unterschwellig in seinem Blick mitschwingt, kann ich nicht genau sagen. Es ist absolut verunsichernd. „Aiden, ich muss nicht-"

„Naja, zum einen hast du es Tante Lu versprochen und außerdem kannst du einen Drink gebrauchen, oder nicht?" „Wie alt bist du, mein Freund?" „Was denn?" Abwehrend hebt er die Hände und sieht mich fragend an. „Das sagt Onkel Louis doch immer, wenn sein Typ im Studio kacke singt."

Und so schafft es, das einzig Gute, was ich in meinem Leben jemals auf die Kette bekommen habe, wieder einmal meine Laune immens zu steigern und mich zum Lachen zu bringen. Dass ich ihm schallend lachend durch die Haare wuschle gefällt ihm weniger, aber mir ist es in diesem Moment egal.

Somit steht er gespielt grummelig von der Couch auf, ohne dass Kennedy ihm von der Seite weicht, und verschwindet in meinem Schlafzimmer.

Blitzartig, sobald die Tür hinter ihm zufällt, drehe ich mich mit erhobenem Zeigefinger und ernstem Blick zu Luisa: „Ich schwöre dir, wenn das wieder eine seltsame Kaschemme ist, mit irgendwelchen hirnrissigen Psychos, die mich häuten oder ertränken, dann komme ich als Geist wieder und quäle dich auf ewig, ist das klar?"

„Das wird nicht nötig sein." Seelig lächelt sie mich an, schreibt mir die Adresse auf ein Stückchen Papier und ich bete zu Gott, dass es nicht wieder in einer absolut bescheuerten Katastrophe endet.

Bevor mich mein Sohn und meine Patentante jedoch aus der Wohnung scheuchen können, holt sich ein ganz bestimmter Nachrichtenton meines Handys meine Aufmerksamkeit. „Wann geht's los?" frage ich Lu und versuche dabei so unauffällig, wie nur irgendwie möglich zu klingen. „Um 9", kommt es in völlig normalem Ton zurück und ich bin froh. Nachfragen müssen nicht sein. Diesen ewigen Streit brauche ich nicht, schaue auf die Uhr und beantworte erst dann seine WhatsApp.

Noch immer sehe ich die Ganze Mystery-Date-Sache äußerst skeptisch und habe beschlossen um einiges vorsichtiger an die Sache heran zu gehen. Und somit stehe ich schließlich nervöser, als an den Abenden zuvor, an meiner Zieladresse.  Das Kleid, was ich seit Jahren nicht mehr getragen habe, zurechtrückend, stehe ich im Londoner Stadtteil Soho herum und fühle mich unglaublich bescheuert. Die kleinen Herzchen auf meinem schwarzen, enganliegenden Kleid sollen mir Glück bringen, meinte Aiden. Als ich jedoch die Türen zur 'Kings Arms' öffne, bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Mich erwartet eine vollgepackte, hochmoderne Bar mit einer bereits jetzt, um 21 Uhr doch leicht angetrunkenen, feiernden Menge und ich bin mir ziemlich sicher, dass es keine gute Idee ist. Trotzdem beuge ich mich dem unterschriebenen Stück Papier, welches Lu so liebevoll 'Vertrag' genannt hat und setzte mich auf einen der Barhocker, in Sicht- und Fluchtrichtung.

Trotz der Tatsache, dass die Bar nur von zwei Mitarbeitern bewirtet und der Club schon ordentlich gefüllt war, musste ich nicht lange warten. Gott sei Dank, denn Aiden hat Recht. Ich brauchte diesen Drink. Die Zettel, die er mir gezeigt hat, werde ich erstmal verdauen müssen. 

Mit einem guten Old Fashioned vor der Nase sitze ich also da und lasse meinen Blick schweifen.

Auf den ersten Blick erkenne ich, sowohl eine alte Jukebox, als auch eine nigelnagelneue Karaoke- Anlage und erinnere mich sofort an mehrere Abstürze im College. Luisas Singstimme ist genau so schief, wie meine und so komme ich nicht drum herum, in mein Glas zu schmunzeln.

Gerade, als ich mir ein weiteres Glas bestellen will, räuspert sich eine junge Damen neben mir. „Hey, kennen wir uns nicht von irgendwo her?"

Verwirrt runzle ich meine Stirn und mustere meine Gegenüber genau. Doch ich bin mir sicher, dass mir ihre auffällig grün-schwarz gefärbten Haare und die stechend blauen Augen in Erinnerung geblieben wären. Eine Klientin kann es nicht sein, dann hätte ich mir ihren Fall definitiv gemerkt und auch sonst macht sie nicht den Eindruck, als hätte sie irgendwas mit meinem Privatleben am Hut. Somit verneine ich mit einem freundlichen Lächeln und wende mich wieder von ihr ab. Für mich ist die Unterhaltung damit beendet. Für sie anscheinend nicht.

Denn sie öffnet erneut ihren Mund und ich muss tierisch aufpassen, ihr nicht meinen Drink ins Gesicht zu spucken. „Aber, wenn du hier bist, wer spielt dann gerade im Himmel die Harfe?"

„Bitte was?" Prustend und ein bisschen peinlich hustend, rutsche ich auf meinem Sitz herum, denn erst jetzt sickert die Erkenntnis durch. Um mich herum sind überraschend viele Männer, die an überraschend vielen Männern kleben und unter normalen Umständen wäre mir das völlig egal. Immerhin lebe ich nicht im 19. Jahrhundert und bin mir mit meiner Heterosexualität auch gar nicht so sicher, glaube ich. Allerdings bedeutet dies und auch die Tatsache, dass mich die durchaus hübsche Frau mit solch plumpen Sprüchen anzumachen versucht, nichts weiter, als dass mich Luisa in eine Gay Bar geschickt hat. Manchmal ist es mir ein Rätsel, wie meine schulische Karriere so super verlaufen konnte, wenn ich mich manchmal so unsagbar dämlich anstellte.

„Ach komm schon, ich habe doch genau gesehen, wie du mich beobachtest hast." Als die mir völlig unbekannte Frau, sich anzüglich über die Lippen leckt, wird mir für einen Moment ganz anders und ich rutsche von meinem Stuhl. „Also, sag mir: Wie heißt meine zukünftige Freundin?"

Noch bevor ich dieser viel zu forschen, blöden Kuh eine scheuern kann, werde ich gerettet. Sanft legt sich eine Hand um meine Taille, ein Kuss wird mir auf die Wange gehaucht und eine liebe Stimme spricht: „Sorry, dass es so lange gedauert hat, Schatz. Ich habe noch ewig auf Arbeit festgesteckt. Du kennst ja Peggy, wenn sie einmal anfängt von ihrem Baby zu reden, kommt man gar nicht mehr los." Als wäre es das selbstverständlichste der Welt, greift die zweite, mir völlig fremde Frau nach meinem Glas und nimmt einen kräftigen Schluck.

„Pf.", zischt der ungehobelte Klotz einfach nur, wirft sich die schwarzgrünen Haare arrogant über die Schulter und zieht Leine.

Die nächsten zwei Minuten ziehen, wie in einem Film an mir vorbei und es fühlt sich eher an, als würde ich mich selbst von oben herab beobachten. So schnell, wie meine Retterin ihre Hand in meine gleiten lässt, dem Barkeeper ein paar Pfund auf den Tresen legt und mich nach draußen zieht, kann ich gar nicht reagieren.

Erst, als die große, schwere Tür des 'Kings Arms' hinter uns zu fällt, sieht sie mir direkt in die Augen, ich jedoch scheine endlich zu mir zu kommen und trete reflexartig einen Schritt zurück. „Bitte entschuldige meine schroffe Art, aber ich kenne Liz. Sie hätte nicht lockergelassen, wenn ich nicht dazwischen gegangen wäre." Ihr darauffolgendes Lachen klingt hell und klar. Unter normalen Umständen wäre sie mir sicherlich schon alleine deswegen sympathisch gewesen. Jetzt überwiegt allerdings nur riesige Verwirrung und mein Blick verrät mich eiskalt.

„Und nun muss ich mich nochmal entschuldigen", Sie scheint nervös, als sie sich durch die pink gefärbten Haare fährt. Bevor sie mir die Hand reicht, schenkt sie mir ein warmes Lächeln und klärt mich endlich auf: „Ich bin Lorey Pitchford, seit 28 Jahren vorhanden, dein heutiges Date und ich schlage vor, wir verlassen die schlechteste Gay Bar Londons und ziehen uns einen ordentlichen Milchshake rein, was sagst du, Chic?"

Ich werde Luisa umbringen! Das sage ich ihr. Nur Lorey kann ich das nicht sagen.

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