12⚜️ Too Much To Ask
Ein erschreckender Donnerstag (Morgen) ; 2018
Charlotte
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Mit einem schrecklich hämmernden, fast schon brennenden Kopfschmerz werde ich wach. Meine Zunge klebt nahezu an meinem Gaumen, mein ganzer Mund ist staubtrocken und schmeckt nach toter Ziege. Zumindest stelle ich mir den Geschmack eben jener genauso vor.
Mir ist unglaublich schlecht und mein Orientierungssinn, ist genau wie meine Klamotten: Absolut nicht vorhanden. Dafür scheint es meinem Herzen besser zu gehen, denn je. Es schlägt mir bis zum Hals und mein Puls beginnt zu rasen.
„Verdammte Scheiße", grummle ich und reibe mir über das angespannte Gesicht. Um mich herum ist alles dunkel, als ich mich aufrichte dreht es sich und ich bereue es sofort, dass ich meine Augen geöffnet habe. Was zur Hölle geht hier vor sich? Völlig verwirrt, deplatziert. Es sind gemischte Gefühle - ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Mir ist furchtbar schlecht, ich weiß absolut nichts mit mir selbst anzufangen.
Meine Haare kleben mir im Gesicht, ich bin schrecklich verschwitzt und das Knarren der Tür klingt wie ein fürchterlicher Donnergroll.
Ein nicht mehr ganz so blond gefärbter Haarschopf lugt vorsichtig durch die Tür. Dank des sanften Lichts, welches durch die geöffnete Tür fällt, kann ich mich im Raum umsehen und realisiere warum ich mich nicht orientieren konnte: Ich bin nicht in meiner Wohnung, ich liege in einem fremden Bett. Okay, vielleicht nicht ganz so fremd, jedoch ist es nicht mein eigenes.
Zwar weiß ich absolut nicht, wie ich hier gelandet bin aber es beruhigt mich schon einmal um 0.1 Prozent, dass Nialls Gesicht das erste ist, was ich in diesem Zustand sehe. Realistisch betrachtet hätte es nämlich weitaus schlimmer kommen können, als bei einem Freund aufzuwachen.
„Hey, wie geht's dir?" fragt er leise flüsternd und tritt ein. Als er sich auf dem Bett niederlässt, befürchte ich, seekrank zu werden. Niall ist nicht schwer, seine Matratze nicht übermäßig weich, doch mir scheint jede noch so kleine Bewegung zuzusetzen. Wirklich helfen wird es nicht, trotzdem ziehe ich die Beine an den Körper heran und kauere mich zusammen wie ein kleines Kind.
„Es würde mir bessergehen, wenn-", aus zwei verschiedenen Gründen kann ich meinen Satz nicht beenden. Einerseits fühlt sich mein Hals an, als hätte ich drei Kilo Scherben im Fließband-Modus verschlungen. Andererseits zaubert Niall ein großes Glas Wasser und zwei Aspirin hervor und macht mich damit wohl zum glücklichsten Menschen der Welt. „Ich schlage vor, du rückst ein Stück zur Seite, ich bin in fünf Minuten wieder da und fülle dann sämtliche Lücken, die ich füllen kann."
Und mit diesen Worten verschwindet Niall aus meinem Sichtfeld. Eigentlich müsste ich mir absolut bescheuert vorkommen, wie der letzte Penner, liege ich in seinem Bett. Doch gleichzeitig fühle ich mich durchgekaut, ausgespuckt und anschließend aus Spaß an der Freude nochmal überfahren und durch den Fleischwolf gedreht.
Und so bleibe ich in seine weichen Decken und zahlreichen Kissen eingekuschelt und warte darauf, dass er wieder zurück kommt.
„Chic?" Sanft berührt mich eine Hand an der Schulter, Niall streichelt mich fast schon wach. Noch desorientierter und erschlagener, als vorher, wache ich aus diesem seltsamen Dämmerzustand auf. Inzwischen wurde der Rollladen zur Hälfte hochgezogen, eine Lichterkette schlängelt sich am Kopfteil des Bettes entlang und wirft sanftes, warmes Licht auf Niall und mich. „Bin ich ernsthaft nochmal weggenickt?" Mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen nickt er nur, bevor er ein Tablett auf seinen Schoß hebt. Erst jetzt kommt die Information, dass er ebenfalls im Bett liegt und sich unsere Beine berühren, in meinem Kopf an. Unverzüglich rücke ich ein Stückchen zur Seite. Ich muss fürchterlich riechen, bin verschwitzt und auch sonst ziemlich angeekelt von mir selbst; das kann ich ihm einfach nicht antun.
„Das hat mir aber wenigstens die Möglichkeit gegeben, alles aufzubauen."
Fragend sehe ich ihn an und unaufgefordert antwortet er: „Mission Anti-Kater kann beginnen." Auch wenn er mich anlächelt, ehrlicher, als beim letzten Mal, als er dies getan hat, wirft es nur mehr Fragen auf und Niall beginnt zu erklären. Ich sei mitten in der Nacht an meiner Haustür herunter gesegelt und zusammengeklappt. Es muss fürchterliche Schläge getan haben und dies dürfte meine immensen Kopfschmerzen erklären. Außerdem betrachte ich während Nialls Erklärungen, meine Oberschenkel und Arme unter der Decke. Ich bin übersäht von blauen Flecken und weiß nicht, woher sie eigentlich kommen. Doch auch das dürfte mit meinem kurzen Flug erklärbar sein.
„Und alles, was ich gesehen habe, waren zwei Kerle. Ich habe dich gefunden und die zwei Gestalten aus dem Haus laufen sehen. Bevor der Notarzt kam, habe ich dich zu mir ins Bett verfrachtet, weil du keinen Schlüssel bei dir hattest und den Stinkstiefel von Hausmeister wollte ich nicht aus dem Bett klingeln."
„Das erklärt zumindest, wieso ich bei dir liege. Aber die Fragen, warum ich dein Shirt trage und warum ich zusammengeklappt bin, kannst du mir nicht zufällig auch noch beantworten?"
„Doch. Der Arzt dich an irgend so einen komischen Tropf gehängt. Damit wollte er deinen Mineralhaushalt aufbessern und den Kreislauf auf pushen. Du hast davon aber nur angefangen alles aus dir raus zu reiern. Dein Outfit ist im Müll."
Und als wäre die Tatsache, dass ich mich in sein Bett gezeckt habe, nicht schon peinlich genug, fährt er fort und erzählt mir allerhand Müll, den ich von mir gegeben habe. „Oh Scheiße", fluche ich und vergrabe mein heißes, krebsrotes Gesicht in der Decke. Am liebsten würde ich anfangen zu heulen und noch bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht habe, passiert es einfach. Denn so wie es aussieht, musste Niall Aiden regelrecht bestechen, in die Schule zu gehen. Er erzählt mir, wie viele Sorgen sich mein Sohn gemacht hat, als er von seiner Übernachtung zurückkam und mich nicht fand. „Was hast du ihm erzählt?" hake ich nach, das Gesicht noch immer in der Decke vergraben, damit er mich nicht auch noch heulen sieht. Ob ich die Antwort darauf wirklich wissen möchte, glaube ich nicht. „Nur, dass dir dein Date Nüsse vorgesetzt hat, dass er sich keine Sorgen machen muss und ich dich schon wieder aufpäpple."
Meinen letzten Rest Würde über den Haufen werfend, hebe ich meinen Kopf und sehe Niall aus verheulten Augen an. Jetzt ist es ohnehin egal. Ich bin halbnackt, habe mich ohne hin schon bis auf die Knochen blamiert. Da kommt es auf aufgequollene, rote Augen und leise laufende Tränen auch nicht mehr an, denke ich und schniefe. „Du bist ein Engel, hat dir das schon mal jemand gesagt?" Mit dem Kopf auf den Knie schaue ich ihn schief an. „Vielleicht", antwortet er keck zwinkernd. „Du bist mit Geld nicht zu bezahlen. Ich schulde dir schon so unglaublich viel und ich weiß nicht, wie ich das jemals wiedergutmachen soll", sage ich leise, fast schon zu mir selbst.
Lange schaue ich ihm in die Augen und merke erst jetzt, dass sie dem tiefblauen Ozean gleichen. Obendrein fällt mir auf, dass auch er angespannt und übermüdet wirkt. Sofort frisst mich das schlechte Gewissen auf und ich wende meinen Blick peinlich berührt nach einer gefühlten Ewigkeit wieder ab. Eine bessere Reaktion, als mir stumm seufzend die Haare zu raufen, fällt mir nicht ein. Wo hat der Mann bitte geschlafen, wenn ich mich in seinem Bett aufgehalten habe? Bei mir? Oh Gott, ob ich im Schlaf geredet habe?
Niall hingegen legt seinen Zeigefinger sanft unter mein Kinn und zwingt mich so vorsichtig meinen Blick wieder zu ihm zu wenden. Eindringlich bittend sieht er mich an und spricht fast schon flüsternd: „Versprich mir einfach nur, dass du während diesem ganzen Marathon-Quatsch beim nächsten Mal besser auf dich aufpasst. Der Notarzt warf nämlich die Worte K.O. Tropfen in den Raum. Und wenn du dich irgendwie revanchieren willst, dann versprich mir lediglich das, in Ordnung?" Schuldbewusst, als spräche ein enttäuschter Vater mit seiner kleinen Prinzessin sehe ich ihn an und möchte am liebsten wieder weinen. Stattdessen nicke ich und versuche elegant das Thema zu wechseln. K.O. Tropfen? Das kann doch nicht wahr sein. Ich erinnere mich an absolut gar nichts mehr, ich glaube mir fehlt ein ganzer beschissener Tag.
Aus dem Thema Ablenkung wird leider nichts.
„Was hast du eigentlich hier? Ich sterbe vor Hunger." Blödsinn. Alleine bei dem Gedanken an Essen dreht sich mir der Magen.
Lachend schüttelt er den Kopf. „Du bist echt unmöglich, Chic." Und damit endet das ernste Gespräch. Es ist beinahe so, als wende jemand die Seite eines Buches und ein neues Kapitel beginnt.
Ein Kapitel, in dem er mir eine Banane in den mit Honig gesüßten Haferbrei schnippelt und ich ihm zum Dank den Puderzucker seines Muffins ins Gesicht puste.
Ein Kapitel, in dem wir streiten, ob wir uns den Vormittag mit »Suits« oder lieber »House of Cards« um die Ohren schlagen. Ob ich wirklich eine Serie über meinen Job sehen will, weiß ich zwar nicht aber naja. Es ist ein unbeschwertes Kapitel, in welchem ich mich ganz ungeniert genauso benehmen kann, wie ich es möchte. Ich denke nicht an die bevorstehende Kündigung, die ich schreiben muss, an das unangenehme Gespräch mit Aiden, welches ich nicht führen möchte und auch nicht an die weiteren Dates, die Luisa für mich parat hält und von denen ich wirklich wenig überzeugt bin. Ich denke an gar nichts und dieses Gefühl ist unbeschreiblich schön.
Allerdings hält es nur so lange an, bis es an Nialls Haustür klingelt. Überrascht sieht er mich an, als kenne ich die Antwort. Natürlich tue ich das nicht, woher denn auch. Also steht er genervt, fast schon wütend auf, gräbt sich durch die vielen Decken und stolpert zur Tür.
Erst, als ich eine Frau schreien höre, werde ich neugierig. "Okay, wer ist die Schlampe?!"
„Oh fuck, oh fuck, oh fuck", flüstere ich panisch zu mir selbst und suche nach einer möglichst unauffälligen Fluchtmöglichkeit. Oder zumindest nach etwas mehr Stoff, damit ich mehr am Körper trage, als sein ausgewaschenes Shirt und einen Slip. „Shit, shit, shit", zische ich während ich versuche mich aufzurichten. Auf der Stelle wird mir schwindelig, als ich aus den Laken krieche. Himmel Herr Gott, das kann doch nicht so schwer sein?
Alles was ich in der Hektik finden kann, ist ein paar dunkelblaue Boxershorts und in dieser Sekunde, in welcher ich fürchterlich schrilles Geschrei höre, bete ich zu Gott, dass sie nicht getragen ist.
Noch bevor ich meinen Po mit Nialls Unterwäsche bedecken kann, kommt er zurück ins Schlafzimmer. Er sieht genervt aus, rollt mit den Augen, doch eine Erklärung bekomme ich nicht. Stattdessen greift er nach meinem Handgelenk, zieht mich zu seiner Wohnungstür und legt seine Hand ungeniert auf meinen Arsch. „So Schatz, erklärst du dieser freundlichen Dame hier bitte, dass wir uns nochmal eine Chance geben möchten, weil wir uns einfach zu sehr lieben?"
Wie bitte was? Habe ich Halluzinationen? Bin ich mal wieder eingeschlafen?
Eigentlich möchte ich Niall fragend ansehen, ihn wegstoßen und fragen, ob er noch alle Tassen im Schrank hat. Seine Hand drückt allerdings einige Sekunden stärker zu und ich verstehe. „Natürlich, Spatz. Also Miss. Ich würde es wirklich, wirklich sehr toll finden, wenn Sie mir den Gefallen tun und mich und meinen Freund in Frieden lassen würden." Ich setze ein wirklich liebes Lächeln auf und mustere meine Gegenüber. Sie ist klein, kleiner als ich, doch sie sieht nicht zu jung aus, um Niall anzuschmachten. Ihre blonden Locken stehen wild vom Kopf ab, sie macht einen frechen, kecken Eindruck und Himmel nochmal, sie ist wunderschön. Warum will Niall sie unbedingt loswerden?
„Ich fasse es nicht, Niall. Ist das etwa die Trulla, die-" „Anna, halt doch einfach die Klappe und verpiss' dich okay?"
Verwirrt sehe ich Niall an, seine Hand von meinem Po schlagend, trete ich zur Seite. „Was meint sie, Niall?" Doch statt mir zu antworten, funkelt er sie böse an. „Genau, Niall. Was meine ich denn?" Provokant grinst diese Anna meinen Nachbarn an, sie verschränkt die Arme vor der Brust und ich fühle mich, wie im falschen Film. Ich kann nichts weiter tun, als die beiden bei ihrem Blickduell zu beobachten, niemand sagt etwas und vor allem redet niemand mit mir.
„Okay, ich habe hier definitiv die Nase voll, das wird mir zu doof", sage ich und dränge mich an Anna vorbei. Niall mochte meinen Schlüssel nicht gefunden haben aber er weiß auch nichts von dem Ersatzschlüssel, den ich für den Fall der Fälle hinter der Klappe des Briefschlitzes meiner Haustür verstecke. Mein betrunkenes, zugedröhntes Ich von gestern Abend hatte das Ganze wohl auch nicht auf dem Schirm.
„Chic, warte!" bittet er mich. Aber ich habe definitiv keine Lust auf diesen Kindergarten. „Danke, für deine Hilfe, Niall aber für solch einen Quatsch habe ich weder Zeit noch Nerven." „Bitte, jetzt lass' mich doch erklären, wirklich, es ist ganz plausibel, Chic. Ich habe-" Das Ende seines Satzes bekomme ich nicht mehr mit, vorher hat er die Wohnungstür im Gesicht. „Wehe dir, du klingelst! Mein Kopf platzt ohnehin schon!" Und das tut er wirklich, denn was gestern und vor allem gerade passiert ist, kommt nicht bei mir an. Mein Gehirn ist einfach nicht in der Lage zu verarbeiten, was momentan vor sich geht.
Also beschließe ich das zu tun, was ich schon mein ganzes Leben lang getan habe: Ich verdränge und widme mich wichtigeren Aufgaben.
Ich dusche und das wirklich lange und eine Spur zu heiß und danach versuche ich etwas zu Essen. Nur wenig schafft den Weg in meinen Magen, aber es reicht um mich ein bisschen besser fühlen zu lassen. Allen voran genügt es, um drei wichtige Dinge zu erledigen: Ich schreibe Luisa, dass ich mich dringend mit ihr treffen muss und ich schreibe Aiden, dass ich ihn heute von der Schule abholen werde und wir zusammen sein Lieblingsessen kochen werden. Wobei das Kochen eigentlich eher in Anführungszeichen stehen sollte, denn mein Sohn liebt Tiefkühl-Fischstäbchen mit Kartoffelbrei und Rahmspinat. Tat Nummer drei ist es, meine Kündigung endlich fertig zu machen, um sie auf dem Weg zu Aidens Schule auf der Arbeit abgeben zu können. Jetzt ist es mir endgültig egal, mir wird sicherlich noch etwas einfallen.
Trotz meiner erfrischenden Dusche dauert es eine ganze Weile, bis ich mein Gesicht einigermaßen ordentlich zusammengebastelt bekomme. Es kostet mich eine große Menge mehr Concealer, um meine Augenringe abzudecken und auch meine Haare machen nicht unbedingt das, was sie sollen. Im Endeffekt ist es eigentlich auch egal, also lasse ich es sein, werfe mir noch eine Kopfschmerztablette ein und greife nach meiner Tasche. Trotz der Tatsache, dass Niall seltsame Männer gesehen haben will, scheine ich noch alle Wertsachen zu besitzen und dieser Fakt macht mich mehr als glücklich.
Als ich schließlich die Stufen nach unten laufe und die Haustür öffne, möchte ich mich am liebsten gleich wieder umdrehen. Ich stehe da, in einem alten, verwaschenen High-School Shirt, in welches ich immer noch rein passe - ob mich das freut oder nicht, weiß ich bis heute nicht - und trage außerdem eine schwarze, sehr, sehr weite Hose und meine kaputten Chucks, die ich einfach nicht wegschmeißen kann. Und so stehe ich dem wunderschönen Wesen gegenüber, welches vor ungefähr einer Stunde noch Terror vor Nialls Wohnung geschoben hat. „Oh nein", spreche ich nur, rolle mit den Augen und gehe prompt in eine andere Richtung. Für mich fühlt es sich schnell an, doch Anna hat mich fix eingeholt. „Jetzt warte halt mal", spricht sie gehetzt und ein wenig außer Puste. Also hat das schöne Wesen wenigstens eine Konditionsschwäche, denke ich mir und muss fast schon grinsen. Zumindest eine Schwäche, die man ihr ankreiden kann.
„Du solltest wirklich mal mit Niall sprechen." Eindringlich sieht sie mich an und erst, als ich nicht reagiere, greift sie ruppig nach meinem Arm und zwingt mich so stehen zu bleiben. Nur schwer kann ich mich von ihr losreißen und sie eben so eindringlich anstarren, wie sie mich. „Ich wüsste wirklich nicht, was dich das angeht."
„Meine Fresse!" keift sie los und was sie mir dann erzählt, lässt meine Kinnlade runterklappen. Ich starre sie fassungslos an und beginne sofort vehement den Kopf zu schütteln. Nein, das stimmt nicht. Sie lügt, da bin ich mir sicher. Die Person, von der sie spricht, ist auf gar keinen Fall mein jahrelanger Freund. Niemals.
„Lass mich in Ruhe", ist alles, was ich erwidere und zu meiner Überraschung, folgt sie meinem Befehl. Kurz bevor ich um die Ecke verschwinde ruft sie mir hinterher: „Du wirst schon noch sehen, dass ich Recht habe!"
Dazu fällt mir nichts mehr ein. Dieser Tag fällt eindeutig in die Kategorie: 'Tage, die ich ganz schnell vergessen will', denn ich weiß nichts mit mir anzufangen. Und so ist meine erste Reaktion auf dieses Theater, für das Mittagessen einkaufen zu gehen. Egal, wie absurd es ist. Man sollte mir einen Weltmeistertitel fürs Verdrängen verleihen. Weil es allerdings so fürchterlich absurd ist, landet auch eine Schachtel Pralinen und eine Schachtel Zigaretten, zusammen mit einem Feuerzeug im Einkaufswagen und bis ich zu Aidens Schule, vorbei an der Kanzlei gelaufen bin, fehlt bereits ein Drittel der Schachtel, so aufgewühlt bin ich. Meinem Kreislauf tut das Ganze viel, viel weniger gut, als meiner Psyche.
Mein Sohn ist es, der mich wieder ein bisschen auffängt. „Mum!" ruft er laut und kommt auf mich zu gerannt. Obwohl es ihm schon lange viel zu peinlich war, rennt er mir in die Arme und drückt mich an sich. „Hey Großer", flüstere ich in seinen Haaransatz und drücke ihm einen Kuss auf eben diesen. „Wie geht's dir?" fragt er sofort und mustert mich von oben bis unten.
Es bricht mir das Herz.
„Schon viel, viel besser. Du musst dir keine Sorgen machen." Es ist kein guter Versuch, ihn zu beruhigen aber für den Anfang genügt es. „Wir gehen erstmal heim und kochen." "Oder versuchen es zumindest", lacht er und zwinkert. Und während ich seinen Schulranzen schultere, beginnt er aufgeweckt von einer neuen Mitschülerin zu berichten, die im nächsten Jahr in seine Klasse wechseln wird. Dieses kleine Stückchen Normalität ist genau das, was ich jetzt brauche und so lasse ich ihn einfach drauf los plaudern und hebe mir meine Fragen für später auf.
Dieses 'Später' muss ich allerdings noch weiter verschieben, denn als wir nach Hause kommen, steht die Wohnungstür einen Spalt offen.
Prompt rutscht mir das Herz in die Hose und ich wünsche mir, Louis' Geschenk, einen Selbstverteidigungskurs ernster genommen zu haben.
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