59
"Das Einzige was du ihm nicht zeigen darfst: Angst zu haben". Polizist Thorsten stand mir, dank Carlsons Überzeugungsgeschick, vor der Nervenklinik gegenüber. Ich war ihm durchaus dankbar. Ich brauchte den Mut und die Tipps, die ich bekommen konnte. Am Besten natürlich von einem Polizist, der Ahnung hatte, wie man etwas auswich ohne in Schuld zu gelangen.
"Darf ich attackieren?" Der Wind pustete meine Haare aus meinem Gesicht. Er ließ mir Tränen in den Augen kommen. Meine Kontaktlinsen verrutschten, doch ein Augenaufschlag und sie lagen wieder zentral auf meiner Pupille. Meine Brille wäre um einiges angenehmer gewesen, nur wer würde es glauben, dass ein Werwolf generell eine Brille bräuchte?
Es blieb mein kleines Geheimnis.
"Aus Eigenwehr schon. Das heißt, wenn du glaubst, dass du in Gefahr bist".
"Auch wenn ich theoretisch eine Insassin bin?" Thorsten nickte mir zu.
"Auch Insassen haben das Recht sich bei unnötiger Gewaltausübung zu wehren. Solange sie nicht der Todesstrafe unterliegen, aber das ist bei uns generell nur mit Freiheitsstafe bestraft", klärte er mich auf und verschränkte seine Arme vor seiner Brust. Thorsten war ein feiner Mann mit markantem Kinn und ausdrucksvollen, braunen Augen. Ob er eine Mate hatte?
"Was wäre, wenn mir andere von dieser Abteilung zu Hilfe kommen?"
"Du meinst wie Tyra?" Seine Augen schimmerten gefährlich. Ich hatte keine Geschwister, ich wusste nicht wie es wäre, wenn man ein Geschwisterchen vermisste. Aber ich versuchte es mir vorzustellen.
"Sie war mir mal zur Hilfe geeilt, Thorsten". Seine Mundwinkel zuckten für einen Moment rauf.
"Es ist von der Situation abhängig. Bei unmittelbarer Gefahr, kann man das als Hilfeleistung betrachten".
"Sie wären nicht strafbar?" Thorsten schüttelte seinen Kopf.
"Es würde auf jeden Fall, laut den Gesetzen der Menschen, zur Verhandlung im Gericht kommen. Wo sie aber auf unschuldig plädieren können".
"Wie machst du das?"
"Was?", fragte er interessiert nach. Er verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs Andere.
"Die Angst vom Kommenden zu verstecken? Du bist Polizist!". Ich befeuchtete meine Lippen mit meiner Zunge, bevor ich weitersprach.
".. hattest du es nicht jemals mit der Angst zu tun?"
Er schien die Umgebung nach etwas abzusuchen. Es fiel mir später ein, dass er dabei nach einer passenden Antwort suchte. Was sagte man einer verschreckten 18-Jährigen um sie zu beruhigen?
"Meine größte Angst ist und bleibt, jemanden aus meiner Familie zu verlieren. Genauso wie meine Mate. Ich dachte, ich hätte Tyra verloren, aber es scheint nicht so sein". Er hielt inne, bevor er seine Hände in den Seitentaschen seiner Polizeihose versteckte.
"Du vergisst, du bist kein Mensch, Clementine. Du bist zu allererst ein Werwolf. Wenn du in dich kehrst und deinen Wolf spürst, wirst du wissen wann du zu handeln hast. Du darfst nur keine Angst haben".
Thorsten seufzte und wandte sich zu seinem Polizeiwagen. Kurzerhand darauf tauchte er mit diversen braunen Akten auf.
"Hier", gab er mir die Erste.
"Normal ist niemand befugt diese zu sehen, aber ich schätze Mal Tyra bringt Ausnahmen mit sich mit". Neugierig öffnete ich die Akte und musste staunen. Ein Bild von einem jüngeren Chris rutschte herab.
"Du kennst ihn?"
Ich schluckte und nickte.
"Er achtet auf mich".
Thorsten nickte bloß und nahm mir die Akte sacht aus meiner Hand. Dann gab er mir eine Neue.
"Clara", fiel der Name aus meinen Lippen, als ich das nächste Foto betrachtete. Ohne weiteres gingen wir diverse Akten durch. Ich kannte zwar nicht alle Namen der Patienten und Patientinnen, aber Gesichter merkte man sich. Sie waren alle in dieser Abteilung.
Thorsten schmiss die Akten einzeln wieder in seinen Wagen und wurde mit jeder Verfluchung lauter.
"Weißt du was das brilliante an diesen Fällen ist?" Ich schwenkte meinen Kopf. Ich konnte zwar raten, doch dazu war ich viel zu nervös. Meine Gedanken drehten sich hauptsächlich um heute Abend.
"Sie haben absolut nichts miteinander zu tun. Man kann keinen Massenmörder oder in dem Fall Entführer dahinter rauslesen. Sie gelten bloß als vermisst. Als vermisste Werwölfe" Thorsten rammte seinen Fuß gegen den Wagen und hinterließ dabei eine kleine Beule. Es schien ihm vollkommen egal zu sein.
"Jeder und Jede von denen hat einen anderen Hintergrund, kommt von einem anderen Staat und hat andere Sachen erlebt. Clara Thomas", griff er nach Clara's Akte.
"Angeblich sei sie von einer Party verschwunden, weil sie kurz davor mit ihren Eltern einen Streit hatte. Werwölfe finden immer den Weg zurück, wieso sie gerade nicht? Chris Tyler", suchte er die nächste Akte.
"aus Bolivien. Meilenweit von uns entfernt. Ein angeblicher Autounfall, wo keine Leiche gefunden worden ist. Logisch: Werwölfe überleben, der Fall blieb offen". Wieder schmiss er die Akte in den Wagen zurück.
"Der einzige Zusammenhang: Alle sind harmlose, ranguntergeordnete Werwölfe. Kein Mensch würde darauf kommen. Es passieren zu viele Dinge dazwischen, andere Fälle, dass selbst ich nicht darauf gekommen bin".
"Du trägst keine Schuld", unterbrach ich ihn.
"Du hast dein Bestes gegeben!"
"Scheint zu wenig gewesen zu sein!", warf er mit niedergeschlagener Haltung zurück.
"Zwei lange Jahre, Clementine, wo meine Schwester vor meinen Augen war und ich es nicht bemerkt habe!".
"Thorsten", wollte ich ihn beruhigen. Ihm erklären, dass nichts davon seine Schuld war, doch er ließ es nicht zu.
"Egal, was es ist. Du hast uns alle aufs Kommende heute Abend vorbereitet". Ich hielt mich zurück.
"Was machen wir, wenn er schon zu viel über uns herausbekommen hat?"
"Ihn umbringen und den Anschein geben, dass es aus Eigenwehr war oder er selbst sich das Leben genommen hat. Wäre sogar für die Menschen die plausiblere Antwort. Wer will schon jahrelang ins Gefängnis?"
"Und mit den Spuren?", fragte ich besorgt nach.
"Sie so schnell wie möglich beseitigen. Was jemand nicht weiß, macht ihn auch nicht heiß!"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top