16. Kapitel - Das Wiedersehen

Gattlin und Jesse erreichten die Villa von Maddox.

Einen Moment blieb Gattlin stehen und betrachtete die Villa.

Tamara war da drin. Und sie war das Orakel!

Gattlin hatte bei der Wandlung geahnt, dass sie etwas Besonderes sein könnte, aber nie hätte er gedacht, dass sie wirklich ein Orakel sein könnte.

Er schnaubte leise.

Eigentlich hätte nun der Weg für sie frei sein können, wenn sie ihn als Gefährten gewählt hätte. Sie hätten zusammen in Ludokar leben können und er hätte sie beschützt. Doch sie hatte sich für einen anderen entschieden.

Leise knurrte er, was ihm einen fragenden Blick von Jesse einbrachte. Doch er kümmerte sich nicht darum. Zu viele Gedanken gingen durch seinen Kopf.

Wer war der Mann, für den sich Tamara entschieden hatte?

Khedri hatte ihm zwar gesagt, dass er nicht der Gefährte für Tamara sei, aber er hatte immer noch Hoffnung in sich gehabt. Doch die war nun zunichte gemacht worden, mit der Forderung, dass Tamara ihren Gefährten mit nach Ludokar nehmen wollte.

Noch einmal fragte er sich, wer es sein könnte.

Ein unbedeutender Vampir nahm Gattlin an, denn wenn er nicht auf Ludokar willkommen war, dann war seine Wandlung nicht erlaubt gewesen und er hatte ohne seinen Schöpfer hier leben müssen.

Warum hatte sie sich gerade für so jemanden entschieden?

Wusste sie nicht, dass er ihr Schutz geben konnte, den sie benötigte? Er war der General und ein Jäger! Er war ausgebildet worden und lebte nun schon seit Jahrhunderten! Er war ein bedeutender Vampir und kein Niemand. Doch sie hatte sich wirklich für einen Mann entschieden, der nichts zählte. Zumindest nicht in Ludokar. War es das gewesen, was sie so an ihm gestört hatte? Verdammt, er hätte alles für sie aufgegeben! Wusste sie das denn nicht?

Er schüttelte den Kopf.

Nun hatte er erst an etwas anderes zu denken! Er musste sie in Sicherheit bringen. Denn egal, wie sie sich entschieden hatte: Tamara war das Orakel und er als General hatte sie zu beschützen!

Er klopfte herrisch an die Tür.

Er hörte das bekannte Schlurfen und nach einer Weile öffnete Arthur die Tür. Er sah noch mürrischer aus als sonst und hob zur Begrüßung einen Finger.

„Wenn ihr der Herrin nur ein Haar krümmt oder ihr Vorwürfe macht, dann bekommt ihr es mit mir zu tun!"

Gattlin schnaubte.

„Es gibt Wichtigeres, als ihr Vorwürfe zu machen, oder?"

Arthur nickte und drehte sich um. Jesse ließ einen erstaunten Laut aus.

„Ein Guhl? Seit wann darf ein Guhl so reden?"

Jesse knurrte leise, was Gattlin zum Lächeln brachte.

„Arthur ist ein besonderer Guhl. Er ist nicht so dumm wie die anderen. Unterschätze ihn nie."

Jesse knurrte erneut und Gattlin musste zugeben, dass er am Anfang genauso gedacht hatte. Doch nun wusste er, dass Arthur anders war und er akzeptierte das.

Sie liefen ihm hinterher und Arthur blieb vor der Bibliothek stehen. Noch einmal hob er den Finger.

„Kein böses Wort!", warnte er noch einmal.

Gattlin nickte und trat ein.

Sofort sah er Tamara und blieb erst einmal stehen.

Sie saß in einem Sessel und hob den Kopf.

Himmel! Sie hatte sich kaum verändert. Er musste zugeben, dass er den Trotz in ihren Augen vermisst hatte. Sie saß vor ihm in ihrer typischen Kleidung, sie war barfuß und er bemerkte ihre Zehennägel, die sie mit zartrosa Lack angemalt hatte. Ihr Haar hatte sie zu einem schlichten Zopf gebunden und sie kaute an ihrer Unterlippe. Im Leben hatte sie schon jünger ausgesehen, als sie es in Wirklichkeit war, doch nun verstärkte sich der Eindruck noch. Wenn er es nicht besser wissen würde, dann hätte er angenommen, dass sie eine verunsicherte Frau wäre. Doch er wusste, dass dies täuschte. Sie war alles andere, nur nicht verunsichert.

Er lächelte leicht.

„Tamara."

Seine Stimme war leise. Sie verzog einen Moment das Gesicht und er rechnete schon damit, dass sie ihn wieder beschimpfte. Doch dann kam ein schüchternes Lächeln und er ging beinahe in die Knie.

„Hallo, Gattlin!"

Er ging ein paar Schritte auf sie zu, doch dann sah er den Kerl, der sich demonstrativ hinter den Sessel stellte und ihr eine Hand auf die Schulter legte.

Das war ihr Gefährte?

Gattlin hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit einem Kerl, der ihn sogar überragte. Wieso kannte Gattlin ihn nicht? Von der Statur her, wäre dieser Vampir ein geeigneter Jäger gewesen. Er war groß, breitschultrig und er musste im Leben trainiert haben, wie man das nun so schön sagte. Sein Gesicht war kantig, doch seine Augen störten Gattlin etwas. Sie leuchteten in einem unnatürlichen Blau.

Gattlin schaute erneut hin. Ja, die Augen leuchteten wirklich. Und sie hatten einen lila Schimmer. Irgendwas in Gattlin sträubte sich gegen den Kerl, doch er wusste nicht, was es war. Es war einfach nur ein Gefühl.

Tamara nahm die Hand des Kerls und der sah zu ihr hinunter. Sein Blick wurde auf einmal liebevoll.

„Das ist mein Gefährte. Cayden. Ich möchte, dass er mich begleitet!"

Gattlin riss sich zusammen, dass er nicht mit den Zähnen fletschte und diesen Mann herausforderte, der sich das genommen hatte, was ihm gehörte. Stattdessen nickte er Cayden zu. Aber es fiel ihm schwer.

„Wer ist dein Schöpfer?", fragte er ihn.

Cayden drehte wieder den Kopf zu ihm. Sein Blick war arrogant. Gattlin zischte. Er wusste, dass er selbst so aussah, wenn er mit etwas nicht einverstanden war. Unbedeutender Vampir? Gattlin lachte innerlich. Der Kerl war alles, aber nicht unbedeutend.

„Das tut nichts zur Sache."

Wieder leuchteten seine Augen seltsam auf.

In dem Moment trat Maddox ein. Er grinste, als er die seltsame Situation betrachtete.

„Ich sehe, du hast Cayden schon kennengelernt, Gattlin!"

Gattlin knurrte leise, was Maddox zum Lachen brachte.

„Gut. Ich sehe, dass wir uns alle prächtig verstehen! Also, wann gehen wir nach Ludokar?"



„Es gefällt mir nicht! Es gefällt mir wirklich nicht!"

Cayden betete diese zwei Sätze schon eine ganze Weile vor sich hin.

Tamara schnaubte.

„Was gefällt dir nicht? Himmel, sprich doch mal mit mir!"

Sie waren nach Hause gegangen, um ein paar Sachen zu packen. Gattlin hatte ihnen zwar versichert, dass sie Kleidung und Blut auf Ludokar bekommen würden, aber Tamara wollte ihre eigenen Sachen. Sie fühlte sich einfach sicherer mit ihrer eigenen Kleidung.

Er schnaubte leise.

„Dieser Jäger hat etwas gemerkt. Ich habe seine Gedanken gelesen und er fand meine Augen seltsam!"

Sie lachte.

„Nun ja, sie sind ja mit diesen Kontaktlinsen auch seltsam."

Er verzog das Gesicht.

„Was soll ich denn machen? Das Rot schimmert nun mal durch."

Sie ließ ihre Tasche auf das Bett fallen und stellte sich vor ihn. Ihr Kopf kam näher an sein Gesicht und betrachtete seine Augen.

„Ich finde es süß!"

Empört riss er die Augen auf.

„Süß? Dein Ernst? Sie sollen mich tarnen und nicht süß wirken!"

Sie drehte sich lachend um und packte weiter. Dabei fiel ihm auf, dass sie auch seine Sachen einpackte. Einen Moment wunderte er sich. Seit wann hatte er denn so viele Klamotten bei ihr gebunkert? Das war ihr vorher nie aufgefallen, aber es war tatsächlich so, als ob er bei ihr leben würde. Naja, eigentlich tat er das ja auch. Aber es hörte sich intimer an, als es in Wirklichkeit war.

„Brauchst du irgendwas? Noch habe ich Platz in der Tasche!"

Er schnaubte erneut.

„Valium wäre nicht schlecht, wenn es bei mir wirken würde!"

Sie seufzte.

„Meine Güte, hast du schlechte Laune! Das kann doch nicht nur an den Augen liegen!"

Er schüttelte den Kopf.

„Nein! Ich mag seine Gedanken nicht. Er vergleicht sich mit mir. Erst war er neidisch und dann fragte er sich andauernd, was du an mir findest!"

Sie murmelte leise vor sich hin.

„Was?"

Tamara drehte den Kopf zu ihm.

„Ich meinte, dass ich mich das gerade auch frage. Wenn ich gewusst hätte, dass du so eine miese Laune hast, dann hätte ich dich bei Maddox gelassen! Ich denke, ihr hättet viel Spaß miteinander gehabt."

Er schnappte leicht nach ihr, dabei grinste er aber. Endlich! Sie konnte es nciht ausstehen, wenn er schmollte.

„Ja, klar. Ich bei diesen zwei arroganten Jägern! Einer ist dämlicher als der andere und beide halten sich für das Geschenk Gottes an die Vampire!"

Sie lachte laut auf.

„Du bist lustig!"

Er stand auf und trat hinter sie.

„Wenn es anders ginge, würde ich mit dir verschwinden. Ich habe ein schlechtes Gefühl wegen Ludokar!"

Sie hörte mit dem Packen auf, drehte sich aber nicht zu ihm um.

„Ich auch, Cayden. Diese Visionen...wenn ich ehrlich sein soll, habe ich Angst!"

Er schlang die Arme um sie. Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt, an dem sie erstarrte und er spürte, dass sie sich unwohl fühlte. Doch dieses Mal schmiegte sich ihr Rücken an ihn, so dass er sich erlaubte, ihr einen Kuss auf das Haar zu drücken.

„Ich bin immer in deiner Nähe! Dir kann nichts passieren!"

Sie schüttelte leicht den Kopf.

„Es geht dabei nicht um mich. Ich habe Angst um dich. Dieser Xavier sagte..."

Er drehte sie zu sich um und drückte sie an sich.

„Vergiss, was er gesagt hat. Erstens ist es noch nicht passiert. Zweitens werde ich mich von diesem Arsch nicht umbringen lassen. Und drittens..."

Sie legte ihm einen Finger auf den Mund.

„Es hat sich so real angefühlt.", flüsterte sie.

Er nahm ihren Finger weg und küsste sie sanft auf den Mund.

„Denkst du wirklich, ich lasse zu, dass er dich vergewaltigt?"

Sie zuckte mit den Schultern.

„Wenn du tot bist, kannst du wohl nichts dagegen tun!"

Er schüttelte entschieden den Kopf.

„Hast du mir überhaupt zugehört? Ich werde nicht sterben, also wird er dich nicht in die Finger bekommen! Außerdem sind da die Jäger. Auch wenn ich sie nicht ausstehen kann, wird gerade der arrogante Sack auf dich achten."

Sie lachte leise und schmiegte sich an ihn.

„Du bist eifersüchtig!"

Er nickte.

„Oh ja! Und du weißt warum!"

Sie lachte leise.

„Das brauchst du nicht sein, Cayden! Ich bin deine Gefährtin, schon vergessen?"

Er schnaubte.

„Noch nicht ganz!"

Sie hob fragend den Kopf.

„Noch nicht ganz?"

Er nickte.

„Du sträubst dich dagegen und ich akzeptiere deine Bedenken. Erst wenn ich das Gefühl habe, dass du es vollkommen akzeptierst, wirst du in meinen Augen meine Gefährtin sein! Bis dahin bist du eine Freundin, bei der ich zufällig wohne! Sozusagen bin ich dein Mitbewohner."

Es klopfte leise und Cayden knurrte.

Verdammt, gerade hatte er das Gefühl, dass sie beide weiterkamen und gerade jetzt musste David vor der Tür stehen!

Tamara löste sich von ihm und öffnete die Tür.

„David? Was ist los?"

David war bisher nur einmal hier gewesen. Wenn er wieder zu ihnen kam, dann hatte er wohl etwas auf dem Herzen.

„Ich störe nicht gerne..."

Cayden schnaubte.

„Das tust du aber!"

Tamara sah ihn böse an und zischte.

„Hör nicht auf ihn, David. Er hat miese Laune wegen Gattlin!"

David nickte.

„Das hätte ich an seiner Stelle auch. Gattlin ist ein Arschloch!"

Cayden sah David überrascht an, dann begann er zu grinsen.

„Oh ja. Er ist ein Arschloch! Da sind wir uns wirklich einig!"

David grinste zurück.

„Du musst wirklich auf unser Mädchen aufpassen, Cayden!"

Cayden nickte.

„Selbstverständlich."

Tamara verdrehte genervt die Augen.

„Du bist wohl nicht da, um über Gattlin zu schimpfen. Also, was ist los?"

David nickte.

„Es geht um Jala. Ich will nicht, dass sie mit euch geht!"

Cayden runzelte die Stirn.

„Das haben wir nie verlangt. Mir wäre es sogar lieber, wenn sie hier bei dir bleibt! Ich weiß nicht, was da vorgeht, aber sie sollte nicht dort sein!"

David nickte.

„Das sage ich auch, aber sie will unbedingt zu ihrer Herrin. Tut mir leid, Khedri kann noch so ein Engel sein, aber ich traue ihr nicht. Und wenn ich ehrlich sein soll..."

Tamara klatschte freudig in die Hände.

„Du hast dich in sie verliebt! Oh David, ich freue mich für dich!"

Sie ging an einen Schrank und holte eine Kiste heraus.

„Das wollte ich dir sowieso noch geben. Wenn wir nicht zurückkommen, gehört dir das Haus alleine! Wir haben einen Anwalt aufgesucht und ich will, dass dir das Haus gehört. Er regelt das alles. Und die Villa in Grunewald bekommst du auch!"

David starrte sie entsetzt an.

„Was? Maddox vererbt mir seine Villa?"

Sie nickte.

„Dir und Jala. Aber du solltest Arthurs Vermächtnis weiterführen, dass ist seine Bedingung. Ihr sollt euch um die Obdachlosen kümmern. Konrad wird auch die Blutreserven brauchen. Aber da kümmert er sich selbst darum. Die Obdachlosen wissen auch Bescheid. Da ihr ja kaum beide Häuser bewohnen könnt, ist immer einer dort und hält Wache."

David schluckte.

„Du weißt, nach was sich das anhört! Das hört sich verdammt nach dem Ende an."

Sie lachte.

„Nur eine Vorsichtsmaßnahme, mehr nicht. Wenn wir wiederkommen, wird alles beim Alten bleiben." Sie seufzte. „Ich habe für Jala ein Konto eingerichtet. Ihr nagt nicht am Hungertuch oder müsst von deinem Polizeigehalt leben."

Sie reichte ihm die Kiste und er sah sie nur an. Dann warf er die Kiste auf das Bett und umarmte Tamara.

„Du kommst zurück! Ansonsten hole ich euch!"

Er sah zu Cayden.

„Euch beide!"



Das Flugzeug startete und rollte die Landebahn entlang.

David hatte Jala in seinen Armen und tröstete sie, denn sie weinte leise vor sich hin.

„Warum weinst du, Jala? Du hast sie gehört! Du bist frei!"

Sie nickte und legte ihren Kopf an seine Schulter.

„Ich habe es gehört, aber ich kann es einfach nicht glauben. Khedri hat es mir nicht erlaubt!"

David seufzte.

„Hör zu, Jala. Du bist ihr keine Rechenschaft schuldig. Wie lange warst du bei ihr?"

Jala überlegte eine Weile.

„Ich weiß es nicht mehr genau. Aber sehr lange."

David nickte.

„Denkst du nicht auch, dass es nun genug ist? Kein Mensch sollte ein Sklave sein. Und so wie ich Maddox verstanden habe, wird Khedri Verständnis dafür haben. Es kommen gefährliche Zeiten auf Ludokar zu und ich bin froh, dass du nicht in der Nähe bist!"

Sie senkte ihren Kopf, ohne seinen Arm los zu lassen.

„Aber die anderen..."

David tätschelte ihre Hand. Das Flugzeug hob ab und flog in den Himmel. Sie schauten ihm nach, bis es nicht mehr zu sehen war. Trotzdem blieben sie stehen und starrten in die Richtung, in die es verschwunden war.

David hatte das ungute Gefühl, dass er Tamara wirklich nicht mehr zu sehen bekam. Es hatte alles so endgültig geklungen.

Jala sah zu ihm hoch und ihm fiel auf, dass er ihren angefangenen Satz nicht zu Ende gedacht hatte.

„Die anderen haben jetzt gute Karten, Jala! Du kennst Tamara nicht so gut wie ich. Sie lässt sich nichts von den Vampiren gefallen und sie ist immer noch mehr Mensch als Vampir. Sie wird sie alle beschützen!"

Jala seufzte.

„Dann sollten wir mal schauen, was uns in der Villa erwartet. Ich muss sagen, ich kann nicht kochen."

Er grinste sie an.

„Da haben sie aber Glück, Mademoiselle. Ich kann kochen. Und es wird mir eine Freude sein, in Arthurs Küche einiges durcheinander zu bringen!"

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