17. So rein wie Vergebung
Lied
- Way Down We Go
- KALEO
Vergebung
"Die Überwindung negativer Gefühle und Einstellungen gegenüber einer Person, von der man verletzt wurde."
~ by julislifestyle ~
Tomura
Im ersten Moment hätte man denken können, dass es ein ganz normaler Montag Vormittag war.
Das Datum war nicht besonders und es handelte sich ebenfalls um keinen Feiertag. Die Sonnenstrahlen zeigten in diesem ganz bestimmten Winkel durch das Glas des kleinen, beinahe schon lukenartigen Fensters, sodass sie direkt in Tomuras Gesicht strahlten und seine Haut wärmten.
Die Luft in dem Raum war ein wenig schwül und stickig, doch Tomura hatte jahrelang in einem Heim voller schwitzender und pubertierender Kinder überlebt. Er hatte Schlimmeres durchgestanden.
Der Stuhl unter ihm bestand aus hartem Kunststoff und erinnerte ihn ein wenig an die Stühle in der Schule.
Ein ganz normaler Montag Vormittag.
Hätte man denken können.
Nur, dass es das nicht war.
>>Todoroki-San, wann haben diese Feindseligkeiten zwischen Ihnen und Imasuji-San begonnen?<<
Die Stimme der Polizistin war klar und fest.
RUMI USAGIYAMA stand in schwarzen Großbuchstaben auf ihrem Namensschild.
Tomura vermeidete es jedoch, die Frau für eine zu lange Zeit direkt anzustarren. Ihre perfekte Sommerbräune und die dazu im Kontrast stehenden schneeweißen Haare stellten zwar einen echten Hingucker dar, doch ihr bis aufs Limit durchtrainierter Körper und der ernste Blick der roten Augen zeigten deutlich, dass man es sich mit dieser Frau nicht verscherzen sollte.
Nun hatte er nur noch mehr Mitleid mit Touya.
Die Hand des Jungen zitterte in seinem Griff, während der Andere steif wie ein Brett neben ihm saß. Die Polizistin zog skeptisch eine Braue hoch, nachdem sich die Stille zu lange hingezogen hatte. Es brauchte einen leichten Tritt von Tomura gegen Touyas Knöchel, bevor sich dieser wieder fing und leise räusperte.
>>Ab dem Moment, in welchem wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Ich ähm ... Also ich wäre eigentlich gerade in die fünfte Klasse gekommen, als ich mir diese Verletzungen zugezogen habe.<<
Touya deutete wage auf die dunklen Narben, welche seinen Körper bedeckten. Tomura spürte ein wehmütiges Ziehen in seiner Brust, welches sich nur schwer ignorieren ließ.
>>Durch diese Verbrennungen lag ich drei Monate lang im Koma. Aus diesem Grund kam ich erst ab der sechsten Klasse auf das Gymnasium. In diesem Zeitraum bin ich auch zum ersten Mal Imasuji-San begegnet. Ich hatte nie irgendwelche ... Feindseligkeiten gegen ihn. Wir kannten uns immerhin nicht, aber ich glaube, dass ... Dass Imasuji-San von Anfang an eine Art gutes "Opfer" in mir gesehen hat. Er hat sich ... Naja, er hat mich für mein Aussehen beleidigt und andere Schüler dazu animiert, es ihm gleichzutun. Die körperlichen Attacken haben erst ab diesem Schuljahr angefangen.<<
Nachdem er seinen letzten Satz beendet hatte, schrumpfte Touya instinktiv ein wenig in sich zusammen. Der Junge wirkte wie ein verängstigtes Kind, welches sich auf das Geschrei seiner Eltern vorbereitete. In dieser Situation konnte es Tomura ihm jedoch nicht verübeln. Die Polizistin am Tisch vor ihnen murrte nachdenklich und warf einen flüchtigen Blick auf das Sprachaufnahmegerät, welches ihr Gespräch aufzeichnete.
Der ganze Prozess kam ihm schmerzhaft vertraut vor.
Ihm waren die Scham und die Angst nur allzu gut bekannt, welche Touya in diesem Moment empfand. Es fühlte sich wie eine schmerzhafte Kälte an, welche tief in den Knochen einsetzte und das Blut gefrieren ließ. Ein alles überwältigendes Gefühl der Scham und der Übelkeit. Eine Reizüberflutung, welche geradezu lähmend wirkte. Der Verstand schrie, dass man weglaufen und flüchten sollte, während der Körper gleichzeitig keinen Muskel bewegen konnte.
Tomura wusste, wie Touya sich in diesem Moment fühlen musste. Er wusste, dass der Junge litt.
Es hatte Tomura vollkommen aus dem Kalten heraus erwischt, als er heute Morgen Touyas Anruf erhalten hatte. Der Andere hatte sich aufgewühlt und den Tränen nahe angehört, während er Tomura angefleht hatte, mit ihm gemeinsam zur Polizeistation zu kommen.
Diese Bitte war ... überraschend gewesen, um es milde auszudrücken.
Nachdem Muscular Touya traumatisiert und krankenhausreif geprügelt hatte, hatte sich Touya die gesamte restliche Woche lang nicht mehr aus dem Haus getraut. Rei und Tomura hatten ihr Bestes gegeben, um Touya so viel Rückhalt und Stärke zu geben, wie sie beide aufbringen konnten, doch der Junge war ganz klar traumatisiert und verängstigt.
Tomura konnte es nur mit seinen eigenen Erfahrungen vergleichen, doch er bezweifelte, dass dies ausreichte. Muscular hatte Touya gewürgt und hätte ihn beinahe umgebracht, wenn Tomura und seine Freunde nicht gewesen wären. Die Angst, welche Touya durch dieses Ereignis verspüren musste, war nur schwer vorstellbar.
Seit letzter Woche war Tomura fast jeden Tag für Touya da gewesen. Er hatte den Jungen so oft besucht, wie es ihm möglich gewesen war. Sie hatten nie viel miteinander gesprochen. Meist hatten sie still auf Touyas Bett gelegen, die Körper aneinander geschmiegt und die Hände miteinander verwoben. Tomura wusste, dass dies nicht ausreichen würde, um die Angst des Anderen zu nehmen. Es hatte Touya jedoch sichtlich glücklich gemacht, Tomura in seiner Nähe zu haben und das hatte gereicht.
Keiner von ihnen hatte die Situation mit Muscular in dieser Zeit noch einmal angesprochen und auch der Brief von der örtlichen Polizeibehörde, welcher geöffnet und erwartungsvoll im Flur lag, war in stille Vergessenheit geraten. So hatte er zumindest geglaubt, bis er heute Morgen Touyas Anruf erhalten hatte.
Wenn er ehrlich sein sollte, dann waren seine ersten Gedanken zu einem polizeilichen Verhör nicht gerade positiv ausgefallen. Tomura war sich schmerzhaft bewusst, dass er selbst, genau so wie seine besten Freunde, ein Teil von Muscular Gruppe gewesen waren. Diesen Fakt konnte man nicht verschweigen. Egal, welche Ausrede sie sich möglicherweise hätten einfallen lassen können, die Wahrheit wäre doch irgendwann ans Licht gekommen. Das tat sie immer.
Mit diesem Wissen hatte sich auch jede von seinen Hoffnungen auf einen glücklichen Ausgang in Luft aufgelöst. Tomura wusste, dass er nicht unschuldig war. Er hatte Touya vielleicht niemals körperlich angegriffen, doch seine alleinige Präsenz in all diesen Momenten war eine Tortur für sich gewesen. Er ... Er hatte Angst. Das war die Wahrheit. Er hatte Angst, dass man ihn und seine Freunde in dieselbe Schublade wie Muscular stecken würde. Dass man sie für immer für ihre Taten bestrafen würde. Dass die Menschen in ihre Gesichter sehen und lediglich Ekel empfinden würden.
Dennoch hatte er keine einzige Sekunde lang gezögert, als er zugestimmt hatte, Touya zu begleiten. In dieser Situation ging es nicht um Tomura und seine Ängste und Sorgen.
Hier ging es um Touya. Der Junge hatte es verdient, endlich gehört zu werden.
Der Raum, in den man sie beide geführt hatte, war klein. Fast schon ein wenig beengend. Es war kein Zimmer zum Verhören von Verbrechern, wie man es aus Filmen kannte. Die Wand hatte eine zarte, hellblaue Farbe. Ein wenig intensiver und sie würde Touyas Augenfarbe wiederspiegeln. Es gab ein kleines, lukenartiges Fenster und die Mitte des Raumes wurde von einem kantigen Metalltisch eingenommen.
Das Einzige, das tatsächlich den Verdacht erweckte, dass es sich hierbei um kein gewöhnliches Gespräch handelte, war das Aufnahmegerät vor ihnen auf dem Tisch und die Polizistin, welche mit strenger Miene und ihrer Arbeitsuniform dahinter saß. Es fiel schwer, in diese unachgiebigen, roten Augen zu schauen und nicht kleinlaut den Blick abzuwenden.
Tomura wusste, wovon er sprach.
Touya war nicht der Einzige, welcher heute sein Geständis abgegeben hatte.
Tomura hatte erwartet, dass der Andere nur ihn für diese Aktion kontaktiert hatte. Umso überraschter war er gewesen, ebenfalls Jin, Shuichi und Himiko vor dem Polizeirevier anzutreffen. Seine Freunde waren Touya geradezu zu Füßen gefallen und hatten sich in einer endlosen Schleife dafür entschuldigt, was sie ihm angetan hatten. Zuerst war Touya verlegen und schüchtern gewesen und hatte nicht gewusst, wie er auf dieses Verhalten reagieren sollte.
Es hatte gute zehn Minuten derselben Entschuldigungen und Versprechen gedauert, bis schließlich auch Touyas zäher Geduldsfaden gerissen war. Keiner von ihnen hatte wirklich gewusst, was sie erwarten würde, als Touya sie alle in die Polizeistation hineingescheucht hatte. Am Ende war jedoch alles ganz schnell gegangen.
Nachdem die glorreiche Aufgabe an Tomura hängen geblieben war, dem Polizist am Empfang zu erklären, wieso sie hier waren, hatte man sofort gewusst, worum es ging. Fast zwei Stunden waren seitdem vergangen. Die Verhöre ihrer Zeugenaussagen waren einzeln und nacheinander getrennt abgelaufen. Lediglich Touya hatte man es erlaubt, eine mentale Unterstützung mithinzuuziehen, wodurch dessen Verhör auch das letzte für diesen Tag war.
Nun saßen sie beide nebeneinander an dem wuchtigen Metalltisch. Ihre Hände waren miteinander verschränkt, sodass Tomura jedes kleine Zittern und ängstliche Zucken in Touyas Körper spüren konnte.
>>Todoroki-San, welche Personen waren in Imasuji-Sans Taten eingeweiht?<<
Touya schluckte und warf ihm einen zögerlichen Blick zu. Tomura wusste ganz genau, was gleich folgen würde, dennoch schenkte er dem Junge ein ermutigendes Lächeln.
>>Imasuji-San hat immer nur in seiner Gruppe agiert. Ich denke, dass es ihm das Gefühl von Sicherheit gegeben hat. Es waren Ausnahmefälle, wie das Ereignis von letzter Woche, in denen er mir tatsächlich allein gegenüber getreten ist.<<
Es war eine hübsche Umschreibung, welche keine konkrete Antwort lieferte. Das wehmütige Ziehen in Tomuras Brust verstärkte sich nur noch durch das Wissen, dass Touya ihn dadurch schützen wollte. Er konnte den Gedanken nicht stoppen, dass er Touyas Güte nicht verdient hatte.
>>Und welche Personen haben zu dieser Gruppe gehört?<<
Der Blick, welchen Touya ihm danach zuwarf, war schmerzhaft und hilflos. Tomuras Lächeln saß ein wenig schief und wacklig auf seinen Lippen, sodass er stattdessen Touyas Hand ein wenig fester drückte.
Ist schon okay ...
>>Himiko Toga. Jin Bubaigawara. Shuichi Iguchi. ... Und Tomura Shigaraki.<<
Usagiyama-Sans Blick war nun so bohrend und intensiv, dass er sich zusammenreißen musste, nicht zusammenzuzucken.
Tomura hatte vorhin bereits seine eigene Aussage abgegeben und seine Situation in Musculars Gruppe ausführlicher geschildert, als ihm lieb gewesen war. Dennoch musste es für alle Außenstehenden einen Schock darstellen, von Touya höchstpersönlich zu hören, dass die Personen, welche er zu seiner Unterstützung hinzugezogen hatte, gleichzeitig die Personen waren, welche zu seinem Mobbing beigetragen hatten.
Usagiyama-Sans weiße Brauen berührten nun beinahe ihren Haaransatz, während ihre irritierten, roten Augen immer wieder zwischen Touya und Tomura hin- und herwechselten. Sollte die Frau zu Beginn des Verhöres befürchtet haben, sie alle würden nur ihre Zeit mit irgendeinem Kleinkinderstreit zwischen zwei befeindeten Schülern verschwenden, so war nun defintiv ihr Interesse geweckt.
>>So, so. Erlauben Sie mir die Anmerkung, dass es höchst ungewöhnlich ist, Sie heute hier genau mit den Personen anzutreffen, welche Ihrer Aussage nach zu Imasuji-Sans Gruppe gehören und zu seinem Verhalten beigetragen haben. Wie genau kam es zu dieser Wendung?<<
Die Frage war an Touya gerichtet, doch die Augen der Polizistin verließen für keine Sekunde lang Tomuras Gestalt. Seine Muskeln waren vollkommen starr und verkrampft, so sehr versuchte er, gerade sitzen zu bleiben. Standhaft und von dieser bewusst provokant gestellten Frage ungerührt zu bleiben, statt sich einzurollen, wie ein verschreckter Igel.
Touya schien diesen Kampf bereits zu Beginn ihres Gesprächs aufgegeben zu haben, wenn er von der zusammengesackten Haltung und den zitternden Händen des Jungen ausging. Dessen Stimme war so leise, dass man ihn kaum verstand, als er schließlich zu einer Antwort ansetzte.
>>Naja, also ich ... Ich selbst hatte relativ wenig damit zu tun. Bis vor Kurzem hatte ich noch keinen Kontakt zu Toga-San, Iguchi-San und Bubaigawara-San. Außer den Malen, in denen wir ... unfreiwillig aufeinander getroffen sind. Diese Wendung ist Tomu - Shigaraki-Sans Verdienst. Er war der Erste aus Imasuji-Sans Gruppe, welcher mir gegenüber Reue und Verständnis gezeigt hat. Zuerst war es nur er, der sich geweigert hatte, Imasuji-San weiterhin in seinem Verhalten zu unterstützen. Später konnte er schließlich auch die restlichen Personen in Imasuji-Sans Gruppe umstimmen. Ab diesem Zeitpunkt haben sie mir gegen ihn geholfen.<<
>>Todoroki-San, bitte beschreiben Sie etwas präziser. Wie genau kann ich mir vorstellen, dass diese Personen Ihnen "geholfen" haben?<<
Vermutlich handelte es sich um einen Trick seiner Wahrnehmung und seines schlechten Gewissens, doch für Tomura fühlte es sich so an, als würde die Stimme der Polzistin nur so vor Hohn und Unglaube triefen.
Ihm war bewusst, dass Usagiyama-San nur ihren Job machte. Es war ihre Aufgabe, kritisch nachzuhaken und ihre Skepsis zu bewahren. Nur so bestand die Chance für sie darauf, die Wahrheit aus diesem verworrenen Netz aus Lügen und Geheimnissen herauszufiltern. Nur so gab es eine Hoffnung darauf, dass Muscular endlich für seine Taten zur Rechenschafft gezogen wurde. Dass dieser Tyrann nicht frei nach Lust und Laune die Leben von Unschuldigen zerstören konnte und mit einem Grinsen von der Szene verschwand.
Dieses Gespräch diente dazu, Touya zu helfen.
Muscular würde endlich das bekommen, was der Junge schon so lange verdient hatte und Touya hätte endlich die Chance dazu, zu leben.
Dies war vermutlich der einzige Grund, wieso Tomura in dieser Sekunde nicht aufstand und aus dem Raum flüchtete. Dieses Gespräch war wie Russisch Roulette, nur dass Usagiyama-San die Einzige von ihnen mit einer Pistole war. Tomura fühlte sich, als würde er vollkommen nackt vor der Polizistin sitzen. Jeglichen Schutzes beraubt. All seine Sünden und Fehler vor ihnen auf dem Tisch ausgebreitet.
Er wusste, dass es zu viele waren.
Dass er nicht länger erwarten konnte, unbeteiligt aus dieser Sache herauszugehen. Touya konnte so oft, wie er wollte, beteuern, dass Tomura unschuldig war und nichts mit Musculars Verhalten zu tun hatte. Dennoch war er ein Teil von dessen Gruppe gewesen. Dennoch hatte er immer und immer wieder dabei zugesehen, wie sich Touyas Leben in die absolute Hölle verwandelt hatte. Tomuras Schweigen und seine Feigheit hatten Touyas Schmerz nur noch vergrößert.
Daran gab es keine Zweifel.
>>Sie haben sich für mich in Imasuji-Sans Weg gestellt. Ohne ihre Hilfe hätte ich die Situation letzte Woche vermutlich nicht überstanden. Imasuji-San hatte mich völlig überrumpelt, als ich allein in der ersten Etage unseres Gymnasiums war. Er hat mich in die Jungentoilette gezogen, mich geschlagen und gewürgt. Ich glaube nicht, dass er ... Von sich aus aufgehört hätte. Ich hatte Glück, dass Iguchi-San mich vorher zufällig im Schulhaus gesehen und seinen Freunden Bescheid gesagt hatte. Sie alle haben sofort damit begonnen, nach mir zu suchen. Als sie mich gefunden hatten, haben sie alle keine Sekunde lang gezögert, sich in Imasuji-Sans Weg zu stellen. Ich glaube, Toga-San, Iguchi-San und Bubaigawara-San haben Imasuji-San festgehalten, sodass er keinen weiteren Schaden anrichten konnte. Shigaraki-San hat in der Zwischenzeit nachgesehen, wie es mir geht. Ohne ihre Hilfe hätte ich keine Chance gehabt.<<
Die spontane Standhaftigkeit in Touyas Stimme kam völlig unerwartet.
Tomura benötigte eine Sekunde, um zu begreifen, dass es mittlerweile nicht mehr er war, der Touyas Hand hielt, sondern, dass es stattdessen die beschützende Hand des Jungen war, welche die seine festhielt. Tomura selbst hatte gar nicht bemerkt, wie er langsam immer kleiner und verschreckter gewurden war, während er sich auf jeden Vowurf und auf jedes giftige Wort vorbereitet hatte.
Touya hatte es jedoch bemerkt.
Als er nun zögerlich aufsah und verunsichert Touyas Blick begegnete, wurde er vollkommen von der Wärme und Güte darin überwältigt.
Er wusste, dass er diese Güte nicht verdient hatte. Tomura hatte zu Touyas Schmerz beigetragen. Er war ein Teil des Grundes, wieso der Junge in diesem Moment in einer Polizeistation sitzen und seine Aussage abgeben musste, statt ein befreites und glückliches Leben führen zu dürfen.
Er hatte Touyas Güte nicht verdient und doch ...
>>Ich gebe weder Shigaraki-San, noch Toga-San, Iguchi-San oder Bubaigawara-San die Schuld an diesen Ereignissen. Sie haben Fehler gemacht, aber sie haben erkannt, dass ihre Taten falsch waren. Sie haben Reue gezeigt und mir geholfen. Das sollte anerkannt werden. Imasuji-San hatte nichts davon getan. Ihm hat es einfach Spaß gemacht, mich so zu behandeln.<<
Touya war schon immer eine Wundertüte gewesen, von der man nie genau wissen konnte, was dich erwartete.
Noch vor einem Moment war der Junge klein und verängstigt gewesen. Jetzt jedoch erklang dessen Stimme in einem festen und deutlichen Ton, welcher keine Zweifel daran ließ, dass dessen Worte seinen eigenen Willen wiederspiegelten.
Tomura begriff es nicht so recht. Jin, Shuichi und Himiko hatten Touya beinahe täglich gedemütigt. Sie hatten ihn geschlagen und beleidigt, weil Muscular ihnen eingeredet hatte, dass dies Spaß war. Sie alle hatten die Gestalt der Dämonen angenommen, welche den Anderen in seinen finstersten Momenten heimsuchten. Tomura hatte all das schweigend mitangesehen und nichts getan, um es zu stoppen.
Er begriff es einfach nicht.
Touya hatte jedes gottverdammte Recht dazu, sie alle zu hassen!
Und doch hatte sich der Junge in diesem Moment wie ein schützender Wall vor Tomura aufgebaut, der ihn von all dem Hass und all den Vorwürfen abschirmte.
>>Ich vergebe ihnen. Sie sollen nicht dieselbe Strafe wie Imasuji-San bekommen. Das verdienen sie nicht.<<
Das Ding in Tomuras Kehle war kein Kloß mehr. Es fühlte sich eher, wie ein fester Würgegriff an, der ihn nicht zu Atem kommen ließ. Er prustete und versteckte das Schluchzen, welches aus seiner Kehle hervordringen wollte hinter einem rauen Husten.
Abwägig war er sich Usagiyama-Sans bohrendem Blick bewusst, doch er konnte nicht ...
Er konnte sich selbst nicht dazu bringen, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, als auf Touya.
Nicht, wenn der Junge soeben vollkommen klar und deutlich erklärt hatte, dass er Tomura vergab.
Trotz allem. Trotz all seiner Fehler und all den Dingen, welche dunkel und unausgesprochen zwischen ihnen lagen.
Er verstand es nicht.
Er verstand es einfach nicht ...
>>Touya ... <<, wisperte er atemlos.
Der Andere drückte seine Hand zur Bestätigung fester. Für einen unendlich langen Moment fühlte es sich so an, als wären sie beide die einzigen Seelen in diesem Raum. So als wären Touyas warme Hand und dessen sanfte Stimme, voller Vertrauen und Vergebung, das Einzige, was in diesem Moment zählte.
Bitte verzeih mir ...
Die Worte steckten in seiner Kehle fest. Seine Zunge fühlte sich taub an. Keine Silbe drang über seine Lippen. Touyas blaue Augen waren jedoch von einem wissenden Ausdruck erfüllt, so als könnte der Junge mühelos jeden seiner Gedanken lesen.
Ich vergebe dir.
Als schließlich ein Räuspern die Stille durchschnitt, brannten Tomuras Augen von unvergossenen Tränen.
Er konnte sich nicht dazu durchringen, den Blick zu heben und zu Usagiyama-San aufzuschauen. Dennoch vernahm er den kleinen, aber deutlich erkennbaren Unterschied in ihrer Stimme. Die Sanftheit, welche den schroffen und misstrauischen Ton von vorhin ablöste.
>>Todoroki-San, ich kann verstehen, dass Ihnen diese Ereignisse sehr nahe gehen. Dennoch brauche ich noch ein paar mehr Details. Bitte erzählen Sie mir etwas genauer, was Imasuji-San getan hat.<<
Die Aufforderung hinterließ ein Zögern in der Luft. Für eine Sekunde lang glaubte Tomura, dass Touya sich von der Frage überwältigen und verschrecken lassen würde.
Der Junge überraschte ihn erneut an diesem Tag, als er tief Luft holte und mit fester Stimme zu sprechen begann.
°
Tomuras Lippen waren das gesamte restliche Gespräch über versiegelt. Er ließ Touya reden, während er selbst still zuhörte.
Usagiyama-San stellte noch einige tiefgreifende Fragen, welche Touya jedoch voller Ehrlichkeit und Standhaftigkeit beantwortete. Am Ende ihres Gesprächs hatte Tomura den Eindruck, dass ein völlig neuer Junge neben ihm saß. Nicht der Touya, welcher ihn heute Morgen unter Tränen angefleht hatte, ihn zu begleiten. Dieser Touya war stark und mutig und schien keine Angst vor einen Kampf zu haben.
Diesmal war Tomura derjenige, der mit seinen Tränen zu kämpfen hatte.
In seinem Inneren tobte ein unerbitterlicher Krieg der zwiegespaltenen Emotionen. Glück und Verzweiflung. Hoffnung und Scham. Reue. So sehr er sich in diesem Moment auch für Touya freuen wollte, so wurde sein Optimismus doch jedes Mal von seinen bitteren Schuldgefühlen im Keim erstickt ...
Als Usagiyama-San schließlich verkündete, dass sie am Ende ihres Gesprächs angekommen waren und sie beide darum bat, von ihren Plätzen aufzustehen, waren Tomuras Knie weich und zittrig. Allein der Griff von Touyas warmer Handfläche half dabei, ihn aufrecht zu halten.
Tomura blinzelte überrascht, doch fand nicht die Kraft in sich selbst, um nachzufragen, als Touya ihn nicht losließ, sondern ihn mit verschränkten Händen hinter sich her zog. Die Verabschiedung von Usagiyama-San und all die kurzen, belanglosen Gespräche, welche danach kamen, verschmolzen zu einem zusammenhangslosen Wirrwarr.
Hätte man ihn in diesem Moment gefragt, so hätte er nicht sagen können, ob oder welche weiteren Maßnahmen von den Polizisten eingeleitet wurden waren ...
Tomura hatte das Gefühl, dass er seit einer Ewigkeit zum ersten Mal wieder einen richtigen Atemzug nehmen konnte, als er sich zum zweiten Mal an diesem Tag vor dem Gebäude der Polizeibehörde befand.
Diesmal jedoch mit Erleichterung, welche kribbelnd in seinen Knochen pulsierte, statt lähmender Angst. Die frische Luft klärte automatisch seinen Kopf, während der Anblick der trubeligen Stadt, im Gegensatz zu dem stillen und kargen Verhörszimmer, schon beinahe etwas Erlösendes hatte.
Sie hatten es geschafft! Nun, Touya hatte es geschafft ...
Er hätte sich niemals erträumen lassen können, in diesem Moment hier zu stehen. Über die Zeit in Musculars Gruppe zu sprechen, hatte ihn zwar einiges an Schmerz und Überwindung gekostet, doch am Ende hatte es sich tausende Male ausgezahlt.
Und Touya ... Touya war einfach nur großartig gewesen.
Er hatte den Jungen noch nie so reden hören. So standhaft und mutig, während er all die heimlichen Grauen aufgedeckt hatte, welche Muscular ihm angetan hatte. Für den Jungen hatte sich dieses Gespräch sicher wie ein Gang durch die Hölle anfühlen müssen und doch war Touya ...
Er war einfach nur großartig gewesen.
Er schloss die Augen, atmete tief ein und ließ die warme Sommerluft durch seine Zellen strömen.
Als er blinzelte und die Augen wieder öffnete, wirkte die ganze Welt ein wenig klarer und schärfer. Nur wenige Meter neben ihnen hatten seine Freunde eine kleine Traube gebildet, während sie sich angeregt unterhielten.
Er entdeckte den glühenden Zigarettenstümmel zwischen Jins Lippen und erkannte die beinahe verzweifelte Art, mit welcher Shu sich den Inhalt seines Energydrinks hinunterkippte. Himiko sprang derweil wie ein Wirbelwind zwischen den beiden hin und her und gestikulierte beim Sprechen wild mit den Händen.
Bevor er es überhaupt realisierte, stahl sich ein dankbares Schmunzeln auf Tomuras Lippen.
Das dort waren seine besten Freunde. Genau so, wie er sie kennengelernt hatte. Ohne Musculars schmutzige Finger und dessen verdammte, manipulative Spielchen.
Das dort waren die Freunde, welche er in sein Herz geschlossen hatte und nicht einfach irgendwelche nutzlosen Bauern auf Musculars Schachbrett.
Instinktiv trat Tomura einen Schritt auf die Anderen zu. Er stoppte, als er den leichten Widerstand von hinten spürte und sein Blick zu seiner und Touyas verschränkten Händen wechselte, welche ihn zurückhielten.
Als seine Augen das Gesicht seines Gegenübers einfingen, erkannte er die misstrauische Art, mit der Touya Jin, Shuichi und Himiko beäugte. Dessen schwarze Brauen waren skeptisch zusammengezogen, während ein rastloser und unentschlossener Ausdruck das Blau seiner Augen erfüllte.
Es gab so viele Dinge, welche Tomura in diesem Moment gern gesagt oder getan hätte.
Touyas Vertrauen in Tomuras beste Freunde war immer wieder von Neuem gebrochen und zertrampelt wurden. Für Touya waren Jin, Shuichi und Himiko lediglich die hungrigen Bluthunde an Musculars Seite. Die Anspannung des Jungen, sobald er in ihrer Nähe war, war spürbar. Wie ein verschrecktes Reh, welches sich mit einem Bein schon zum Asprung bereit machte.
Es gab zu viele Dinge, welche Tomura in diesem Moment hätte sagen oder tun sollen.
Er hätte Touya davon überzeugen sollen, dass seine Freunde nicht die Monster waren, welche dieser in ihnen erkannte. Sie hätten zu fünft ein unbeholfenenes Gespräch beginnen und eine unmögliche Freundschaft anfangen sollen.
Als Touyas Blick jedoch in diesem Moment auf Tomuras traf, verblassten all diese Gedanken wie Rauch in der Ferne. Touya musste nichts sagen. Die Erschöpfung in dessen Gesicht und der wehmütige, verlorene Glanz in dem Blau seiner Augen sprachen von ganz allein.
Es waren keine Worte notwendig, sodass Tomura verstand.
Jin, Shu und Himiko hatten ihnen die Rücken zugewandt, sodass niemand es bemerkte, als sie beide mit leisen Schritten und verschränkten Händen von der Szene verschwanden. Noch vor wenigen Augenblicken war es Touya gewesen, der Tomura gestützt und unter dem strengen Blick von Usagiyama-San aufrecht gehalten hatte.
Nun gab Tomura den Gefallen zurück und hielt Touyas Hand in einem sicheren und warmen Griff fest, während er den Jungen hinter sich her zog.
Der Parkplatz befand sich versteckt hinter dem Gebäude der Polizeistation. Bereits von Weitem erkannte er Kurogiris vertraute Form an ihrem Auto stehen. Der Butler trug seinen üblichen schwarzen Anzug und hielt einen dampfenden Kaffeebecher in der Hand.
Es war weder geplant, noch abgesprochen gewesen, dass Touya ihn nach Hause begleiten würde.
Nach Hause ...
Der Begriff war noch immer stockend und holprig in Tomuras Gedanken. Dennoch hatte sich dieses Wort noch nie so richtig angefühlt, wie in diesem Moment.
Tomuras Zuhause war schon immer kein echter Ort gewesen. Sein Leben lang war er umhergeirrt und hatte an vielen Plätzen Unterschlupf gesucht. Nichts davon hatte sich jedoch richtig angefühlt.
Das Haus seines Vaters, in welchem er geboren wurden war, war vielleicht ein Zuhause für ihn gewesen. Es ging jedoch nicht um die Wände aus Stein und Mörtel. Es ging um das Gefühl. Das warme und geborgene Gefühl, mit welchem seine Mutter ihn in ihre Arme geschlossen hatte. Die sanfte und liebende Art, mit der seine Schwester ihn durch ihren Garten gezogen und im Winter mit ihm Schneeskulpturen gebaut hatte.
Zuhause war kein Ort für Tomura. Es war ein Gefühl.
Mit Touya an seiner Seite fühlte sich jeder Ort nach Zuhause an.
Touyas Griff wurde für keine Sekunde lang schwächer oder verunsichert, während sie beide in Kurogiris Richtung liefen. Ein warmes Kribbeln blühte in Tomuras Bauch auf, als er daran dachte, wie selbstverständlich es für Touya war, ihn zu begleiten.
Er erwähnte es mit keinem Wort. Stattdessen hielt er die Hand des Jungen fester und grinste still in sich hinein.
Es war ein warmer Tag.
Die Sonne hatte ihren stolzen Platz im Zenit des Horizontes eingenommen, während ihre goldenen Strahlen auf sie hinab schienen.
Der breite, unheilverkündende Schatten hob sich deshalb besonders gut vom Boden ab.
Tomuras Körper gefror, als er die Schritte vernahm. Diese dumpfen und schweren Schritte, welche sich gleich eines Albtraums in seinen Verstand eingefressen hatten. Das knirschende und schabende Geräusch von Schuhsohlen, welche faul über den Boden schleiften. So als wäre die Erde selbst dem Besitzer dieser Schuhe unwürdig.
Vielleicht wäre es klüger gewesen, zu rennen, doch Tomura konnte seine eigenen Füße nicht dazu zwingen, sich vom Boden zu lösen. Die Kälte, welche ihn augenblicklich erfasste, kam tief aus seine Knochen und war ihm viel zu gut vertraut. Ein schmerzhaftes Gefühl, so als hätte eine eiskalte Hand von hinten seine Kehle gepackt und ihm die Luft abgeschnürt.
Die Schritte kamen von der Seite, doch Tomuras Blick war starr nach vorn gerichtet. Das Geräusch dieser dumpfen und schabenden Schritte allein hatte sein Blut zum Gefrieren gebracht. Er wusste, dass seine zittrigen Beine in dem Moment nachgeben würden, in welchem er seinen Kopf zur Seite drehen würde. In welchem er dem Monster geradewegs in die glühenden Augen starren würde.
Wieso?
Dieses eine Wort steckte in einer Endlosschleife in seinem Verstand fest.
Wieso?
Sie hatten es ungestört bis zur Polizeistation geschafft.
Das Verhör war zwar schmerzhaft persönlich und intim gewesen, doch es war gut verlaufen.
Touya war stark und mutig und einfach großartig gewesen!
Also Wieso?
Wieso konnte ihr Glück nicht einmal einen Tag lang anhalten?
Wieso musste nach jeder verdammten Stunde des Sonnenscheins sofort ein Sturm aufziehen?
Wieso hielt ihr Glück nicht, egal was sie taten?
Gottverdammte Scheiße, wieso?!
Mit jedem Moment polterten die dumpfen Schritte näher an sie beide heran. Tomura wusste, dass es nur noch ein paar Sekunden waren, welche seinen friedlichen Tag von einem absoluten Albtraum trennten.
Er wusste, dass er etwas tun musste. Dass diese wenigen verbleibenden Sekunden über sein Schicksal entscheiden würden und dennoch konnte er nicht .... Er konnte nicht ...
Der Ruck, mit welchem sein Arm von hinten gezogen wurde, kam vollkommen unerwartet.
Der Schmerz unterschied sich so ganz und gar von der lähmenden Kälte in seinen Knochen. Es handelte sich um keinen ungebetenen Gast, sondern um ein willkommenes Gefühl. Ein elektrischer Schlag, welcher seine Muskeln erneut in Bewegung setzte und in seinem Verstand auf den Play Button drückte.
In Sekundenschnelle wirbelte sein Kopf in Musculars Richtung herum.
Der Tyrann war ihnen bereits viel näher gekommen, als Tomura angenommen hatte. Mit jeder seiner Bewegungen erkannte er deutlich, wie sich die Muskeln in dessen Schultern verschoben und dessen spitze Wangenknochen eine harte Linie in dessen Fratze zeichneten.
Egal, wie lange man sich Muscular vorstellte oder wieviel Zeit man mit dem Jungen verbrachte. Den Tyrann direkt auf sich zustürmen zu sehen, löste ein Gefühl in Tomuras tiefsten Ängsten aus, welches sich nicht mit Worten beschreiben ließ.
Automatisch verhärteten sich seine eigenen Muskeln. Spannten sich an und bereiten sich vor. Ob auf einen Kampf oder eine Flucht wusste er dabei selbst nicht. Er wusste nur, dass er sich darauf vorbereitete, brutale Worte an seiner Haut abprallen zu lassen und den Schmerz schweigend in sich aufzusaugen.
Das war jedoch, bevor Touyas leise Stimme von hinten in sein Ohr drang.
>>Tomura, ich schwöre bei Gott, wenn du nicht dein Handy dabei hast, bringe ich dich um!<<
Ihm blieb keine Zeit, den Sinn der Worte zu entnehmen, als Touya auch schon einen Schritt nach vorn trat.
Von all den Szenarien, wie diese Situation hätte ausgehen können, war das hier die Wendung, welche er am wenigsten für möglich gehalten hatte. Hölle, welche er sich nicht einmal mit sehr viel Mumm und Langeweile hätte ausmalen können!
Ohne das geringste Zögern oder Stocken machte Touya einen Schritt nach vorn und stellte sich Muscular direkt in den Weg.
Für eine Sekunde lang stand die Welt still.
Instinktiv hielt Tomura die Luft an und verschluckte beinahe seine eigene Zunge vor Entsetzen. Die Luft um sie herum war elektrisch aufgeladen und knisterte vor Spannung. Selbst Muscular, der Tyrann, welcher immer seinen eigenen Willen durchzog, hielt inne und starrte für einen Moment verblüfft drein.
Eine Sekunde lang stand die Welt vollkommen still.
Als sich die Räder schließlich wieder in Bewegung setzten, schlugen Tomuras panische Gedanken wie Bomben in seinem Verstand ein.
Bist du verrückt gewurden? Was machst du denn da? Komm zurück!
All diese Fragen schwollen zu einem verzweifelten Schrei in seinem Schädel an, während ihn in der Realität nur ein leiser und kläglicher Laut verließ.
>>Touya! Was - <<, zischte er.
Vor ihm erkannte er, wie sich Touyas Schultern versteiften.
Der Körper des Jungen war zu einer harten Linie gewurden, während er sich wie ein Trennwall zwischen Tomura und Muscular aufgebaut hatte. Dessen Arme hingen steif und angespannt an seinem Körper herunter, während er die Hände zu Fäusten geballt hatte.
Touyas Kopf war stur nach vorn gerichtet, sodass er Muscular für keine einzige Sekunde lang aus den Augen ließ. Bis auf ein kurzes Zucken seiner Schultern reagierte dieser nicht auf Tomuras Frage.
>>Was zur Hölle machst du da? Komm her!<<
Die Worte hätten als Befehl, vielleicht als Drohung, herauskommen sollen. Seine Stimme wurde jedoch zu sehr von der Besorgnis und dem Entsetzen in seinem Inneren verschluckt.
Ohne Erfolg zog er an Touyas Hand und versuchte verzweifelt, den Anderen von diesem Selbstmordkommando abzubringen. Selbst, als er versuchte, sich vor den Jungen zu schieben, trat dieser nur einen weiteren entschlossenen Schritt nach vorn und drückte Tomura zurück hinter seinen Rücken.
>>Tomura.<<
Ein warnendes Knurren, welches tief aus Touyas Brust zu dringen schien.
Er hatte Touyas Stimme noch nie so ihm gegenüber gehört. Zuerst wollte er protestieren, doch die Worte erstarben sofort auf seiner Zunge, als Touya den Kopf in seine Richtung drehte. Es war nur ein flüchtiger Anblick, doch der Ausdruck in Touyas Augen brannte sich in Tomuras Gedächtnis ein.
Das Blau darin schien zu glühen.
Touyas Augen hatten schon immer diese intensive und prägnante Farbe gehabt, doch in diesem Moment loderten sie, wie tausend helle Flammen. Die Entschlossenheit, welche darin lag, war so standhaft und kraftvoll wie ein brennendes Feuer selbst.
Instinktiv schloss sich Tomuras Mund, während sein Widerstand erstarb.
>>Spiel einfach mit, okay?<<
Dies waren die letzten Worte, bevor Touya sich endgültig zu Muscular drehte und geradewegs in die Augen von genau dem Jungen starrte, welcher ihn beinahe ermordet hatte.
>>Schau an, die beiden Pussys sind zurück! Dachte nicht, dass ihr genug Schwanz in der Hose habt, um zur Polizei zu gehen!<<
Musculars vulgäre Worte wurden davon untermauert, dass der Junge den Kopf zu Boden drehte und direkt vor Touyas Füße spuckte. Sein Gegenüber krampfte kurz zusammen, doch wich ansonsten keinen Schritt zurück. Muscular war gute zwei Köpfe größer, als Touya. Aus der Nähe wirkte dieser Höhenunterschied noch viel drastischer.
Selbst in ein schlichtes, dunkelgrünes Shirt und eine Cargohose gekleidet, wirkte Muscular wie ein Dämon, welcher aus der Hölle höchstpersönlich gesandt wurden war.
Er hatte absolut keine Ahnung, wie Touya in diesem Moment so verdammt ruhig bleiben konnte!
>>Angst davor hattest du aber schon, nicht wahr? Sonst hättest du nicht so zielsicher hier auf uns gewartet.<<
Touyas Antwort war ein Schock.
Nicht dessen Worte selbst, sondern eher ... Dass er Muscular tatsächlich antwortete.
Erst recht mit so viel Selbstbewusstsein und Provokation in der Stimme.
Auch Muscular zog skeptisch eine buschige Braue hoch, während etwas in dessen Augen gefährlich aufblitzte.
>>Glaubst du tatsächlich, dass diese Idioten irgendeine Maßnahme gegen mich einleiten werden? Wegen verdammtem Schulmobbing?! Vielleicht muss ich einen Monat lang senilen Pennern den Arsch abwischen, aber mehr wird da nicht! Dachtest du etwa, dass sich irgendein Spinner für deine armselige Geschichte interessiert?<<
Musculars Stimme war bereits jetzt zu einem dröhnenden Bellen angeschwollen. Es hatte nur ein Widerwort von Touya gebraucht und schon jetzt stand dessen Zündschnur kurz davor, zu reißen.
Touya verschränkte dagegen die Arme vor der Brust und spielte einen unbeeindruckten Gesichtsausdruck vor.
Was hast du nur vor?
>>Wegen Schulmobbing, ganz genau. Ich wusste nicht, dass du diesen Begriff selbst verwendest. Anscheinend ist dir der Scheiß, den du abziehst, aber wirklich bewusst. Manchmal war ich mir nicht ganz sicher, ob du überhaupt so etwas wie ein Bewusstsein für deine Handlungen hast.<<
>>Wie war das gerade, Schwuchtel?<<
Musculars Fuß kam donnernd auf dem Boden auf, als dieser einen Schritt auf Touya zumachte.
Zwei Widerworte und der Tyrann hatte sich kaum noch unter Kontrolle.
Tomura war die Art zu gut vertraut, mit welcher der Junge die Zähne fletschte und die Hände zu Fäusten ballte. Dessen Augen glühten vor unverhohlenem Wahnsinn.
>>Du hast mich schon gehört. Wenn dir tatsächlich bewusst ist, dass es sich bei dem Scheiß, den du abgezogen hast, um Mobbing handelt, mildern sie vielleicht deine Strafe. Kommt darauf an, wie dämlich du dich anstellst.<<
Die kurze Pause reichte kaum dafür aus, dass Muscular seine stumpfen Gedanken sammeln konnte. Bevor der Tyrann überhaupt erst zu einer Antwort ansetzen konnte, stemmte Touya auch schon die Hände in die Hüften und fuhr fort.
>>Ach, und im Übrigen. Ja. Ich bin schwul und ich komme sehr gut damit zurecht. Such dir beim nächsten Mal also bitte eine bessere Beleidigung.<<
Es handelte sich um ein wahres Wunder, dass Muscular nach diesen Worten noch nicht auf sie beide zustürmte, um sie sechs Fuß unter die Erde zu setzen. Stattdessen biss der Tyrann die Zähne aufeinander, sodass dessen Wangenknochen als harte Linie in seinem Gesicht hervorstachen und ballte die Hände zu Fäusten.
Tomura wäre am liebsten gerannt.
Sein erster Instinkt war es, nach Hilfe zu suchen. Jin, Shuichi und Himiko mussten sich noch hier in der Gegend befinden. Gemeinsam hatten sie Muscular schon einmal aufgehalten, auch wenn sie nur einige Minuten lang darin durchgehalten hatten. Es war auf jeden Fall besser, als dem Monster allein gegenüber zu stehen.
Kurogiri ...
Ja, er hatte Kuro an ihrem Auto stehen sehen!
Touya und er befanden sich noch ein Stück entfernt vom Parkplatz. Wenn er jedoch schnell genug lief, könnte er den Butler noch erreichen, bevor Muscular explodierte! Die Absichten des Tyranns waren nie positiv, doch Touyas Provokationen würde sich dieser sicher kein weiteres Mal gefallen lassen. Er würde schnell handeln müssen, bevor Muscular ...
Es war genau dieser Moment, in dem es ihm wie Schuppen von den Augen fiel.
"Ich hoffe, du hast dein Handy dabei!"
"Spiel einfach mit, okay?"
Oh Fuck. Er ... Er wusste ganz genau, was Touya vorhatte ...
Es war Tomura noch nie so schwer gefallen, sich aus Musculars Scheiß herauszuhalten, wie in diesem Moment. Auf eine schmerzhafte Art und Weise fühlte es sich geradezu ironisch an.
Er hatte eine Unendlichkeit damit verbracht, Abstand von Musculars Taten zu halten. Seine Distanz zu Touya und dessen Schmerz zu bewahren. Seine Augen vor dem Leid zu verschließen, so als würde es aufhören zu existieren, wenn er nur lang genug wegsah.
All diese Zeit lang hatte er sich gewünscht, unsichtbar zu sein.
In diesem Augenblick war er es und es fühlte sich so falsch an, wie noch nichts davor.
Die Reue und seine bitteren Schuldgefühle brannten so heiß in ihm, dass sie jede andere Emotion zu Asche zermalmten. Er wollte schreien, doch es war nicht genug Luft in seiner Lunge übrig.
Tomura hätte derjenige sein sollen, welcher in diesem Moment vor Muscular stand und dem Monster direkt in die glühenden Augen starrte.
Es hätte seine Aufgabe sein sollen, dem Hass und dem Schmerz entgegenzutreten und dagegen anzukämpfen.
Stattdessen war es erneut Touya, der Muscular allein gegenüberstand, während Tomura im Hintergrund langsam verblasste.
Mal wieder.
Das Schicksal hatte einen verdammt schwarzen Humor. Vielleicht war es aber auch ganz genau das, was er verdient hatte ...
Die Geräusche und Stimmen um ihn herum verloren allmählich an Klang, während er einen Schritt zurücktrat. Vielleicht konnte er in diesem Moment nicht an Touyas Seite stehen, doch er konnte zumindest dafür sorgen, dass dessen Opfer nicht für umsonst war ...
Muscular brüllte irgend etwas in Touyas Richtung, doch es war lediglich das Donnern von dessen Stimme zu hören, nicht jedoch dessen Worte selbst. Touyas Schultern spannten sich an, doch der Junge ließ sich nichts von seiner Nervösität in seinem Gesicht ablesen. Stattdessen wirkte er vollkommen unbeeindruckt, geradezu gelangweilt, als er Muscular antwortete.
Diese Teilnahmslosigkeit heitzte die züngelnde Wut im Bauch des Drachen nur noch mehr an. Muscular war es gewohnt, Touya mit einem einzigen Blick auf die Knie zu zwingen. Keine Person hatte es jemals zuvor gewagt, dem Tyrann zu widersprechen. Tomura und seine Freunde hatten es versucht und als Strafe hatte Muscular beinahe die Person umgebracht, welche Tomura das meiste bedeutete.
Touya.
Der Junge wich keinen Schritt zurück.
Nicht einmal, als Muscular gereitzt die Arme in die Luft warf und wild auf ihn einbrüllte. Er konnte nicht sagen, ob es schlussendlich Touyas Widerworte oder dessen Teilnahmslosigkeit waren, welche das letzte Stück von Musculars Zündschnur abfackelten.
So sehr der Tyrann auch mit seiner Kraft und seiner Stärke protzte, so war dessen größte Schwäche seine Durchschaubarkeit. Tomura hatte die Art ganz genau verinnerlicht, mit der Muscular die funkelnden Augen zusammenkniff und die Schultern straffte, bevor er sich auf sein Opfer stürzte. Fast, wie ein Raubtier, welches erst seine Beute fixierte und dann zum Sprung ansetzte.
Meist war Touya die Beute.
Man konnte diesen Fakt als Nachteil ansehen, doch in diesem Moment zog Touya genau daraus seinen Vorteil.
Der Junge wusste ganz genau, was Muscular tun würde, noch bevor sich dieser überhaupt erst bewegt hatte. Es wirkte geradezu mühelos, als Touya einen Satz zur Seite machte und Muscular vor ihm ins Leere stürmte.
>>Du bist zu langsam.<<
Für eine Sekunde war Touyas Stimme das einzige Geräusch zwischen ihnen. Tomura hielt gebannt den Atem an, während er Muscular keinen Moment lang aus den Augen ließ.
Der Tyrann wirkte wie versteinert. Dessen Atem ging schnell und pfeifend, während dessen weit aufgerissene Augen die Leere fixierten, in der sich eigentlich Touya hätte befinden sollen.
Touyas Schulter streifte leicht Tomuras Arm, während der Junge still neben ihm stand und abwartete. Sie warteten beide ab.
Eine Sekunde lang geschah nichts.
Dann drehte Muscular langsam den Kopf in ihre Richtung und Tomura wurde schlagartig bewusst, dass er nicht wirklich unsichtbar war.
>>Tomura. Lauf.<<
Er hatte sich in seinem Leben nie wirklich für Sport interessiert. Er war mehr der Typ für Gaming und Filmabende. Dennoch bezweifelte er stark, dass irgendein Spitzensportler in diesem Moment mitgehalten hätte, als Touya und er herumwirbelten und anfingen zu rennen.
Seine Füße donnerten über den Schotter, während jede Faser in seinem Körper schrie, dass er flüchten sollte.
Beinahe wäre sein Smartphone aus seinen schwitzigen Händen gerutscht, doch im letzten Moment konnte er es mit zwei Fingern auffangen. Hinter ihnen polterten dumpfe Schritte über den Boden, gefolgt von einem tiefen und dröhnenden Brüllen.
Tomura war noch nie so schnell gelaufen, wie in diesem Moment.
Ihre Angst trieb Touya und ihn im Gleichschritt an. Er spürte das Adrenalin in seinen Venen und die Furcht in seinen Knochen.
Noch nie zuvor hatte er sich gleichzeitig so tot und so lebendig gefühlt.
Die Welt um ihn herum verschmolz zu einem Wirrwarr aus Farben und Schemen, während er lief. Er wusste nicht mehr, in welche Richtung er rannte. Er rannte einfach.
Er stoppte erst, als er mit dem Oberkörper in etwas Hartes knallte. In Jemanden.
>>Tomura Shigaraki, würdest du mir bitte erklären, was hier vor sich geht?<<
Er kannte diese Stimme.
Diese tiefe Stimme mit dem leichten Aktzent darin, welche immer darauf achtete, so höflich und zuvorkommend wie möglich zu bleiben, selbst wenn ihr Besitzer am liebsten geschrieen hätte. Der nächste Eindruck, welchen er wahrnahm, war der edle Stoff der schwarzen Anzugsjacke, in welche er seine Finger gekrallt hatte. Dann wirbelte sein Kopf nach oben, sodass er geradewegs in Kurogiris vertraute Augen blickte.
>>Kuro - Scheiße! Wir brauchen deine Hilfe! Komm schon - Fuck! Bitte!<<
Der Schock und das Verblüffen des Butlers waren offensichtlich, während Tomura wild auf diesen einschrie und an dessen Schultern rüttelte. Anscheinend saßen dessen Prinzipien jedoch tiefer, als das Überraschen, denn Kuro hob nur warnend eine Hand.
>>Tomura Shigaraki, erstens verbiete ich es dir, in meiner Gegenwart zu schwören. Zweitens verstehe ich kein Wort von dem, was du sagst, wenn du so schnell und schrill auf mich einredest.<<
Am liebsten hätte er die Augen verdreht, doch dafür blieb keine Zeit.
>>Ja, ja. Schon gut! Bitte hilf uns einfach!<<
Tomuras Stimme war noch immer schnell und schrill, doch er war sich nur zu gut der dumpfen Schritte bewusst, welche unerbitterlich auf sie zustürmten. Kuros Blick wechselte kurz zwischen Tomura und dem heranstürmenden Monster hin und her, bevor dieser die Stirn in Falten legte.
Insgesamt wirkte der Butler viel zu ruhig und geordnet für diese Situation.
Bevor Tomura jedoch die Chance dazu bekam, erneut auf Kuro einzubrüllen, verfestigte sich dessen Griff an seinen Schultern und zog ihn beschützend hinter dessen Rücken. Er erkannte den grimmigen Ausdruck in Kurogiris Augen, als dieser sich schützend vor Touya und ihm aufbaute.
Tomuras Körper war derweil in seiner Position gefroren. Mit schwerem Atem und weit aufgerissenen Augen beobachtete er, wie Muscular immer weiter in ihre Richtung stürmte und sich scheinbar von nichts aufhalten ließ.
Dessen alleiniger Fokus schien auf Touya - seinem Opfer - zu liegen, sodass der Tyrann seine Umwelt völlig ausblendete. Es erwischte den Jungen deshalb sichtlich aus dem Kalten heraus, als eine kräftige Hand ihn am Arm packte und ihn abrupt ausbremste.
>>Junger Mann, ich habe den Eindruck, dass Sie diese beiden Jungen bedroht haben und ihnen schaden wollten. Ist das korrekt?<<
Muscular schien Kurogiri gar nicht richtig wahrzunehmen. Dessen Atem ging schwer und stockend, während dessen wahnsinnige Augen allein Touya fixierten.
Dennoch besaß Muscular genug Bewusstsein, um Kuro eine donnernde Antwort entgegen zu brüllen.
>> 'Nen Scheiß hab ich! Nimm gefälligst deine Hände weg, du alter Sack!<<
Muscular wirbelte wie ein wütender Stier in Kurogiris Griff, doch es war zwecklos. Der Butler hatte den Jungen mit nur einer Hand am Oberarm gepackt, so als wäre es das Leichteste der Welt.
Muscular kämpfte und wütete unerbitterlich in dessen Griff, doch selbst der Tyrann, welcher sich normalerweise von Niemandem aufhalten ließ, kam dagegen an.
Tomura kannte nicht alle Details, doch er wusste über Kurogiris dunkle Vergangenheit Bescheid, bevor dieser die Anstellung bei Tomuras Vater erhalten hatte. Der Butler hatte mit weitaus gefährlicheren Personen Seite an Seite gelebt, als Muscular es war.
Für Touya und Tomura war Muscular vielleicht die Personifikation des Teufels. Für Kurogiri war dieser nur ein jaulender Welpe.
>>Junger Mann, ich denke, dass du dich jetzt besser beruhigen solltest. Und maße es dir ja kein zweites Mal an, mich so zu nennen. Haben wir uns verstanden?<<
In Kurogiris Stimme lag die gewohnte Ruhe und Höflichkeit, doch es schwang noch etwas anderes darin mit. Ein drohender Unterton, welcher Tomura zum Schlucken brachte.
Kurogiri war ein wahrer Meister darin, seine Gefühle zu kontrollieren. In all den Jahren mit ihm hatte Tomura den Butler noch kein einziges Mal wirklich wütend erlebt. Er bezweifelte, dass Muscular dazu in der Lage war, diese Reaktion aus dem Mann hervorzulocken.
Das bedeutete jedoch nicht, dass Muscular Kurogiris Warnung nicht ernst nehmen sollte.
>>Halt doch die Fresse, alter Mann! Das hier ist eine Rechnung zwischen mir und diesem Todoroki-Freak, also halt dich gefälligst da raus!<<
Tomura konnte die Emotion in Kuros Augen nicht genau beschreiben, als dieser Touya einen flüchtigen Seitenblick zuwarf. Der Junge stand stockstill und schwer atmend neben Tomura, während er die Szene stumm betrachtete. Allein hätte Touya keine Chance gegen Muscular. Das war vollkommen offensichtlich.
Als Kuro sich erneut zu Muscular wandte, war der Ausdruck in dessen Augen eiskalt, während er den Arm des Tyranns in einem festen Griff packte, der den sonst so selbstbewussten Jungen aufheulen ließ.
>>Alter, jetzt lass mich schon los! Was bist du? So 'ne Art Bodyguard, oder was? Passt zu diesen beiden Pussys!<<
>>Nein, ich bin nur jemand mit weniger großer Klappe und mehr dahinter, als bei dir. Anscheinend bist du das nicht gewohnt.<<
>>Fick dich, du - <<
Es war nur eine leichte Bewegung von Kurogiris Handgelenk. Hätte Tomura nicht so nah an dem Butler gestanden, hätte er es womöglich gar nicht wahrgenommen, doch diese leichte Bewegung brachte Muscular dazu, schmerzhaft die Zähne aufeinanderzubeißen und den Butler vor ihm aus bösen - nein verängstigten - Augen anzufunkeln.
>>Du verdammter, alter - <<
Als Kurogiri einen bedächtigen Schritt nach vorn, auf Muscular zusetzte, verstummte der Junge augenblicklich.
Muscular fürchtete sich vor Niemandem.
Tomura hatte nicht für möglich gehalten, diese Emotion jemals über dessen Gesicht huschen zu sehen. Muscular zeigte niemals Angst oder Respekt anderen Menschen gegenüber. Der Tyrann war es gewohnt, das stärkste und blutrünstigste Monster weit und breit zu sein. Ein Albtraum, welcher dich mit spitzen Klauen und scharfen Zähnen heimsuchte.
Anscheinend behielt Kuro jedoch Recht.
Muscular war womöglich stark und selbstbewusst, doch nur weil der Tyrann noch nie ein Monster mit schärferen Zähnen, als die seinen, getroffen hatte.
Muscular schien eindeutig zu wissen, dass er nicht gegen Kurogiri ankommen konnte, als der Butler einen weiteren, bedächtigen Schritt nach vorn trat. Es verging ein stiller Moment, in welchem Kurogiri den Tyrann mit kalten Augen von oben herab betrachtete.
Dann beugte sich der Butler schließlich mit demselben grimmigen Gesichtsausdruck zu Muscular hinunter und raunte diesem ein paar klar verständliche Worte zu.
>>Das ist genug. Jetzt wirst du deinen Mund halten. Ich will kein weiteres Wort hören. Haben wir uns verstanden?<<
Der Befehl diente rein dazu, die Stellung zwischen Kurogiri und Muscular klarzumachen, denn bereits jetzt hatte der Junge die Zähne fest aufeinander gebissen und gab keinen Mucks aus seiner sonst so großen Klappe. Muscular rang sich erst zu einer leisen, widerwilligen Antwort durch, als Kurogiris Griff an dessen Arm noch ein wenig fester wurde.
>>Ich habe gefragt, ob wir uns verstanden haben, Junge?<<
>>Ja. Wir haben uns verstanden ... <<
In jeder anderen Situation hätte Tomura vermutlich gelacht.
Der große und unbesiegbare Muscular, welcher kleinlaut vor einem Butler nachgab und die Klappe hielt. Es war beinahe schon zu einfach für Kurogiri gewesen, den Tyrann in seine Schranken zu weisen.
Vielleicht hatte Muscular tatsächlich auf Touya und Tomura nur wie ein blutrünstiger Dämon aus der Hölle selbst gewirkt, weil sie keinen anderen Vergleich hatten. Vielleicht war Muscular am Ende wirklich nicht mehr, als ein jaulender Welpe ...
Jetzt gerade hatte Tomura jedoch keine Kraft mehr zum Lachen übrig.
Stattdessen fühlte er, wie sich eine knochentiefe Erleichterung in ihm ausbreitete, als er beobachtete, wie Kurogiri den geknickten Muscular mit festen Schritten von ihnen wegführte. Keine Frage, um diesen einer verdutzten Usagiyama-San zu übergeben, welche sicherlich ein sehr interessantes Gespräch mit dem Tyrann führen würde.
Erst, als Kurogiri und Muscular vollständig hinter dem Gebäude der Polizeibehörde verschwunden waren, erlaubte Tomura es sich selbst, sich ganz und gar von der Erleichterung in seinem Inneren überwältigen zu lassen.
Mit einem halb erschöpften, halb glücklichem Seufzen fühlte er, wie er in sich zusammensackte. Er brauchte eine Minute, um all das, was in dieser kurzen Zeit passiert war, Revue passieren zu lassen. Dann brach ein überwältigtes Lachen aus ihm heraus und er schlug sich eine Hand aufs Gesicht.
>>Dude, das war ... Das war die extremste Sache, die ich je in meinem Leben abgezogen habe! Ich dachte, dass wenn mein Leben schon einmal von einem Handyvideo abhängt, dann ist es wenigstens etwas, mit dem ich reich und berühmt werden kann ... <<
Sein Lachen war schnell und hysterisch und ließ ihn für jeden Außenstehenden vermutlich wie einen Wahnsinnigen wirken. Das Adrenalin in seinem Kreislauf, gepaart mit dieser neuen, überwältigenden Erleichterung bildete jedoch einen berauschenden Cocktail, welcher ihm das Gefühl gab, unbesiegbar zu sein.
Touya und er hatten Muscular besiegt!
Naja, ohne Kuros Hilfe wären sie zwar beide in diesem Moment sechs Fuß unter der Erde, doch das trübte ihren Sieg nicht im Geringsten.
Allein waren sie beide vielleicht schwach und leicht zu besiegen. Mit der Hilfe ihrer Freunde - wahrer Freunde - waren sie jedoch unbesiegbar.
Muscular war immer allein gewesen. So oft hatte der Tyrann damit geprotzt, alle schwächeren Personen, als ihn selbst, in seinen kalten Fängen zu halten. Am Ende war dieser jedoch ganz allein gewesen.
Ganz allein ...
Neben ihm ertönte ein erschöpftes Seufzen, bevor sich jemand träge auf den Schotterboden sinken ließ.
Touya.
Beinahe wäre die überschwängliche Freude und Erleichterung in seinem Inneren erneut durch seine bitteren Schuldgefühle erstickt wurden. Er hatte sich von all den chaotischen und überwältigenden Emotionen so sehr berauschen lassen, dass er keinen einzigen Gedanken an seinen Begleiter verschwendet hatte.
Als sich sein Blick nun auf den Jungen neben ihm richtete, erkannte er sofort die Erschöpfung, welche in jede von Touyas Zellen geschrieben stand.
Die Haltung seines Gegenübers war schlapp und kraftlos, wie ein Sidecharacter kurz vor dem KO. . Der Andere hatte die Beine vor sich auf dem Schotter ausgebreitet, während dessen Kopf träge nach unten hing. Tomura hatte Mühe, aus dieser Position aus Touyas Gesicht zu erkennen. Er sah jedoch, dass dessen dunkles Haar von Schweiß durchtränkt war und an dessen Stirn klebte.
Dieser Touya neben ihm hatte nichts mit dem Jungen von vor wenigen Momenten zu tun, welcher sich mutig und standhaft vor Muscular aufgebaut und dem Tyrann die Worte wie Kanonenkugeln entgegengefeuert hatte.
>>Hey Touya, ist alles gut bei dir? Tut mir Leid, ich hätte schon vorhin nachfragen sollen, aber ich fühle mich gerade so unglaublich verwirrt und erleichtert. Ich meine, Muscular hat sich gerade ein sicheres Strafticket gekauft! Das ist der Wahnsinn, oder?<<
Tomura hatte Freude und Dankbarkeit erwartet, so wie sie in seinen eigenen Zellen vibrierte. Vermutlich hatten seine aufgewühlten Worte jedoch nur dazu beigetragen, Touya noch mehr zu überfordern, denn dieser antwortete lediglich mit einem frustrierten Schnaufen.
>>Hast du den Beweis?<<
Touya hatte nicht den Kopf gehoben, doch Tomura spürte dessen intensiven Blick auf seinem Smartphone ruhen.
>>Ähm, ja. Hab ich. Es würde aber auch reichen, wenn wir erst in einer halben Stunde damit zur Polizei gehen. Mit Muscular in diesem Zustand haben diese Leute genug zu tun. Versuch, dich erstmal ein bisschen zu beruhigen, okay?<<
Touya murrte bloß.
Eindeutig nicht in der Verfassung dazu, sich entspannt zurückzulehnen.
>>Ich bin in Ordnung. Wenn wir nicht jetzt gehen, dann lassen diese Leute Muscular vielleicht wieder laufen. Dann wäre das alles für umsonst gewesen.<<
>>Das verstehe ich. Aber es war ein verdammt anstrengender Tag für dich. Erst das Verhör bei der Polizei und jetzt die Situation mit Muscular. Das Ganze war schon für mich die Hölle! Ich will mir gar nicht erst vorstellen, wie sich das alles für dich angefühlt haben muss ... <<
Daraufhin hob Touya schließlich den Kopf und sah ihn aus schimmernden, blauen Augen heraus an. Tomura hatte nicht erwartet, Reue und Trauer in dem Blau zu sehen, doch es war ein ganzes Meer davon.
>>Es tut mir Leid, dass ich dich in diese Scheiße mit hineingezogen habe. Aber es war die perfekte Situation, um endlich einen handfesten Beweis gegen Muscular zu sammeln. Ich wollte nicht - <<
Tomura stoppte Touyas reuevolles Gebrabbel, noch bevor dieser seinen Satz beendet hatte.
>>Denkst du wirklich immer erst an andere Leute, bevor du dich um dich selbst kümmerst? Das muss verdammt anstrengend für dich sein.<<
Diese Frage brachte Touya augenblicklich dazu, den Mund zu halten.
Tomura erkannte, wie der Junge die Zähne aufeinander biss und ihn aus weiten Augen heraus anblinzelte. Das Überraschen und die Verwirrung seines Gegenübers waren vollkommen offensichtlich, so sehr hatte er diesen aus dem Kalten heraus erwischt.
Er wollte darüber lachen, während sich gleichzeitig ein kalter Schleier der Trauer über ihm ausbreitete.
Behutsam ließ er sich an Touyas Seite nieder und kreutzte die Beine auf dem harten Schotterboden. Touyas Hände waren warm und verschwitzt, als er nach diesen griff, während er dem Jungen gleichzeitig in die geweiteten, blauen Augen starrte.
>>Es geht mir gut, Touya. Entschuldige dich nicht dafür, dass du mich um Hilfe gebeten hast. Ich bin dir dankbar, dass du es getan hast. Ich möchte nicht, dass du all das allein durchstehst, okay? Ich bin hier und ich möchte dir helfen.<<
Innerhalb der letzten Tage hatte er diese Worte tausende Male ausgesprochen. So oft, bis sie endlich in Touyas sturem Schädel hängen bleiben würden.
Einen stillen Moment lang starrte Touya ihn einfach sprachlos und mit weiten, blauen Augen an. Auch Tomura blieb stumm und wartete ab. Innerhalb dieses einen Morgens war Touyas Welt zusammengebrochen und hatte sich nur allmählich Stück für Stück wieder zusammengefügt.
Tomura glaubte, genug Anstand zu besitzen, um dem Jungen zumindest einen Moment zum Nachdenken zu geben.
Es hätten ein paar Sekunden oder auch eine Stunde sein können, in denen sie beide regungslos nebeneinander verharrten und sich in die Augen blickten. Tomura konnte den genauen Moment benennen, in welchem er schließlich beobachtete, wie die letzten fragilen Reste von Touyas Schutzmauern wegbrachen und die raren Emotionen des Jungen zum Vorschein kamen.
Es war ein feuchtes Schimmern in dem Blau seiner Augen. Ein bestimmter Ausdruck darin.
Dann betrachtete er, wie sämtliche Kraft Touyas Körper in einem Schub verließ und der Junge leicht zur Seite sackte. Touyas Kopf war ein warmes und angenehmes Gewicht auf Tomuras Schulter. Instinktiv schloss sich sein Arm um die Taille des Anderen und rieb sanfte Kreise in dessen Hüftknochen.
Touyas Seufzen war leise und geborgen, während dieser seine Stirn in Tomuras Halsbeuge vergrub.
>>Glaubst du, es ist vorbei?<<
Die Worte waren ein Flüstern in der Stille zwischen ihnen. Er spürte, wie Touyas warmer Atem seine Haut streichelte und fühlte, wie sich im Gegenzug ein kleines Lächeln auf seine Lippen stahl.
>>Es ist vorbei.<<
Auch ohne Worte wusste er ganz genau, was sein Gegenüber meinte.
Die Sache mit Muscular war ein Albtraum gewesen, welcher Touya jahrelang verfolgt hatte. Dass diese ganze Last nun von einem Moment auf den anderen einfach wegfiel, hörte sich vermutlich für alle Beteiligten unvorstellbar an. Touya traf es jedoch am Meisten.
Tomuras Arme hatten sich fest um Touyas kraftlose Gestalt geschlossen, während er diesem stumm so viel Wärme und Rückhalt gab, wie er bieten konnte. Es war nicht viel, doch es schien Touya zu genügen.
>>Ich möchte, dass es vorbei ist ... <<
Tomura wusste nicht, was als Nächstes passieren würde.
Er wusste nicht, was man mit Muscular machen würde. Was man mit Jin, Shuichi, Himiko und ihm machen würde. Was mit Touya geschehen würde.
Das Einzige, was er wusste, war, dass Touya sich auf ihn verließ und dass er diesen nicht im Stich lassen würde.
Nicht schon wieder.
Beuhtsam legte er die Wange auf Touyas Kopf ab. Er fühlte, wie dessen buschige Strähnen sanft seine Wange kitzelten und atmete dessen vertrauten Duft ein.
>>Es ist vorbei. Das verspreche ich dir.<<
Tomura hatte in seinem Leben viele Versprechungen gemacht, welche er am Ende nicht hatte einhalten können.
Das hier würde keine davon sein.
Es verging ein unendlich langer Moment, in welchem Touya und er einfach still nebeneinader existierten. Zwei einsame Seelen, welche sich gegenseitig Wärme und Rückhalt schenkten.
Nach einer Weile hob Touya schließlich den Kopf, sodass Tomura direkt in dessen Gesicht blicken konnte. Von der anfänglichen Trauer und Reue war nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen lag ein Grinsen auf Touyas Lippen.
>>Na dann. Ich kann nicht darauf warten, Musculars Leben in die absolute Hölle zu verwandeln.<<
Tomura hatte bisher viele Emotionen in dem Blau von Touyas Augen gesehen.
Rache war defintiv die Süßeste davon.
- the end -
Der letzte Kampf für Touya und Tomura steht an. Ich hoffe, ihr seid bereit.
Wir lesen uns in einem Monat!
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