14. Wie ein Kribbeln im Nacken
Playlist:
- "Praying"
- Kesha
Mut:
"Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält."
- by julislifestyle -
Tomura
Da saß ein kaltes Kribbeln in seinem Nacken.
Er hatte es bereits den ganzen Tag gespürt. Es war, wie ein kalter Schauer, welcher langsam seinen Rücken hinaufkroch und sich in seinem Nacken festsetzte.
Es war der stille Anflug einer Vorahnung.
Die Warnung vor irgendeinem Ereignis, welches sich heute zutragen würde. Irgend etwas, was heute noch passieren würde, doch er konnte sich keinen Reim darauf machen was.
War es etwas, das Zuhause passieren würde?
Auf dem Weg zur Schule?
Oder doch irgendwo ganz anders?
Das Gefühl, gleichermaßen ahnungslos zu sein, als auch ganz genau zu wissen, dass irgendetwas geschehen würde, trieb ihn in den Wahnsinn. Nach dem Aufstehen nahm er sich extra die Zeit dafür, bei seinem Vater und Kuro vorbeizuschauen und sich zu vergewissern, dass es ihnen gut ging. Das ging es auch. Sie lächelten ihn sorglos an und wünschten ihm einen guten Morgen.
Das Kribbeln verschwand nicht.
Tomura hatte das Gefühl, dass sich diese nervöse Aufregung immer weiter verstärkte, je näher er dem Schulgebäude kam.
Logisch gesehen - und Tomura war gewöhnlicherweise ein logisch geprägter Mensch - machte all das keinen Sinn. Er war keine Art Wahrsager, der Unfälle und Missgeschicke auf magische Weise voraussagen konnte. Es war nur sein Bauchgefühl, welches Verrückt spielte.
Und doch ... doch konnte er das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas Schlimmes auf ihn wartete.
Er konnte ja nicht wissen, dass nicht er es war, auf den etwas Schlimmes wartete ...
Als er sich schließlich in der grauen und tristen Aula des Gymnasiums befand, war das Kribbeln so schlimm geworden, als würden kleine Spinnen durch seine Venen kriechen.
Es war unerträglich.
Selbst für jemanden wie ihn, der das ständige Jucken durch seine Allergie gewohnt war. Er konnte nicht anders, als die Hand zu heben und mit den Fingernägeln über die schroffe Haut an seinem Hals zu fahren.
Er brauchte es. Er brauchte irgendeine Ablenkung von diesem unerträglichen -
>>Tomu, du kratzt!<<
Für jeden Außenstehenden war die Bemerkung neutral, doch er kannte die Kritik in der vertrauten Stimme gut. Er hatte Jahre gebraucht, bis er diese blutige Gewohnheit endlich abgelegt hatte. Er hätte nicht all die Mühen auf sich nehmen müssen, wenn er jetzt wieder so leicht mit dem Kratzen anfing.
Mit einem Seufzen ließ er die Hand sinken. Sein Blick wanderte nach oben und begegnete misstrauischen, grauen Augen.
>>Hey, Jin! Danke, dass du mich erinnert hast. Fast hätte ich wieder mit dem Kratzen angefangen.<<
Seine Haltung wurde schlapp und kraftlos, nachdem er die Worte ausgesprochen hatte.
Das Kribbeln war immer noch da ...
Jin rückte einen Schritt näher und schwang einen Arm um Tomuras Schultern. Er hätte den sorgenvollen Blick gespürt, selbst wenn er nicht hingeschaut hätte.
>>Hey Mann, kein Problem! Was ist los? Du siehst heute irgendwie nicht so gut aus und du hättest fast wieder gekratzt. Ist irgendwas passiert?<<
Die Antwort darauf war Nein.
Es war nichts passiert.
Etwas würde passieren und er wusste einfach nicht was!
Das alles konnte er jedoch schlecht Jin erzählen, also zuckte er nur mit den Schultern und fuhr sich durch sein weißes Haar.
>>Keine Ahnung. Wahrscheinlich habe ich schlecht geschlafen oder so. Ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass irgendwas ... Ich weiß nicht, schiefgehen wird.<<
Jin neigte leicht den Kopf zur Seite und kniff die Augen zusammen.
>>Schiefgehen? Du meinst in der Schule? Bei 'nem Test oder so?<<
Er zuckte mit den Schultern, während er den Kopf schüttelte.
>>Ja. Nein. Keine Ahnung. Irgendwas wird halt schiefgehen. Geht es den Anderen gut?<<
Jin runzelte die Stirn und Tomura fühlte Hitze in sein Gesicht schießen.
Er machte sich lächerlich! Er tat so, als würde die Welt in fünf Minuten untergehen, dabei war doch gar nichts passiert!
Naja, zumindest noch nicht ....
>>Soweit ich weiß schon. Wäre einer von ihnen in Todesgefahr gewesen, dann hätte er schon Bescheid gesagt. Wobei, Himiko kann manchmal sehr unvorhersehbar sein ... <<, murmelte Jin und rieb sich grübelnd das Kinn.
Tomura seufzte und wandte bereits den Blick ab. Es hatte doch keinen Sinn, seinen besten Freund mit seiner Paranoia zu belasten, wenn er nicht einmal wusste, wovor er Angst hatte!
Es herrschte Stille zwischen ihnen. Der Andere dachte kurz nach, bevor er zögerlich hinzufügte:
>>Apropos, Shu hat eben Touya hier durchlaufen sehen. Ich dachte, das würdest du vielleicht wissen wollen, falls du dich nochmal mit ihm über das von Montag unterhalten willst.<<
Tomura stockte.
Das Kribbeln in seinem Nacken wurde augenblicklich zu einem unerträglichen Pulsieren. Sofort waren all seine Sinne wie Saiten gespannt. Abrupt drehte er sich zu Jin herum und packte ihn mit beiden Händen an den Schultern, als würde er ihn gleich schütteln wollen.
>>Was?! Wann?<<
Jin wirkte leicht unbehaglich unter dem strengen Blick von Tomuras roten Augen. Dennoch brummte der Junge nachdenklich und blickte auf die Nachricht auf seinem Handy.
>>Er hat mir so vor fünf Minuten geschrieben. Wenn du Touya noch vor Unterrichtsbeginn abpassen willst, dann solltest du dich beeilen.<<
Touya.
Touya war hier. In der Schule. Ohne Tomura vorher davon zu erzählen.
Fuck, das war gar nicht gut!
>>Wo ist er jetzt? Jin, du musst mir genau sagen, wo Shu ihn gesehen hat!<<
Er konnte nichts gegen die Hysterie und Panik in seiner Stimme tun. Das hier war übel! Das hier war richtig, richtig übel!
Von einem Moment auf den Anderen hatte er alles um sich herum vergessen. Selbst dieses ununterbrochene, nervtötende Kribbeln war in weite Ferne gerückt. Hier ging es nicht mehr darum, dass Tomura das Gefühl hatte, irgendein zukünftiges Ereignis vorraussagen zu können!
Touya war hier.
Allein. Ohne den geringsten Schimmer davon zu haben, was in den zwei Tagen seiner Abwesenheit passiert war. Das bedeutete, dass es eine echte, reele Gefahr gab, welche nicht nur von seinem verfluchten Bauchgefühl stammte!
Er musste etwas unternehmen! Sofort oder es wäre zu spät! Er war schon oft genug in seinem Leben zu spät gekommen. Diesmal nicht! Nicht noch einmal ...
>>Warte ... Du meinst doch nicht, dass Muscular ... Glaubst du, er würde ihm tatsächlich so etwas antun ... ?<<
Jins Augen waren weit und verängstigt. Der Junge schien plötzlich ganz genau zu verstehen, was - oder sollte er sagen wer - Tomura so eine Angst bereitete.
Keiner von ihnen hatte Musculars Drohung vergessen ...
Diesmal packte er tatsächlich Jins Schultern und schüttelte den Jungen einmal durch.
>>Nachdem, was der Typ sonst schon so mit Touya angestellt hat? Ich traue ihm alles zu! Er ist einfach nur krank! Erinnerst du dich daran, wie wütend er in den letzten Tagen war?<<
Dumme Frage.
Einfach jeder, der sich zu diesem Zeitpunkt in umittelbarer Reichweite befunden hatte, würde sich noch Wochen später an Musculars Wutausbruch erinnern. Der bloße Gedanke an dessen dröhnende Stimme und seine glühenden Augen ging Tomura durch Mark und Bein.
Es war echt nichts ungewöhnliches, dass Muscular wütend war. Der Zorn schien bei diesem direkt unter der Haut zu sitzen, bereit dazu, in jedem Moment auszubrechen. Egal, welcher Tag und welche Situation, es gab immer irgendetwas, das Muscular in Rage versetzen konnte.
So extrem, wie in den letzten zwei Tagen waren dessen Wutausbrüche jedoch noch nie zuvor gewesen. Selbst Jin, Shuichi und Himiko, welche schon viel länger mit dem Muskelberg abhingen, waren von dem schieren Ausmaß von dessen Zorn schockiert.
Absolut niemand wollte den Moment erleben, in dem die Bombe tatsächlich hochging. Leider war es genau Touyas Anwesenheit, die den passenden Zündstoff darstellte ...
>>Scheiße ... <<, murmelte Jin.
Dessen Augen waren vor Schreck geweitet. Anscheinend hatte dieser den selben Gedankengang wie Tomura.
Er schüttelte den Blondhaarigen noch einmal, um ihn zurück in die Gegenwart zu holen.
>>Jin, komm schon! Du musst mir sagen, wo Touya ist! Wir müssen unbedingt vor Muscular bei ihm sein!<<
Der Blick des Jungen zuckte zu ihm und er sah absolute Panik in dem grau von dessen Augen.
Tomura kannte ihn.
Nach außen hin gab sich Jin meist ruhig und gelassen, doch man musste nicht sehr lange mit ihm befreundet sein, um herauszufinden, dass er ein ganzer Wirbelwind an Emotionen war. Jin war ein überaus empathischer und feinfühliger Mensch, welcher auf extreme Situationen meist mit gleichermaßen starken Gefühlsausbrüchen reagierte.
>>Ich ... Tomu, fuck - Ich ... <<, stammelte der Junge, vor Schreck vollkommen unfähig dazu, einen klaren Gedanken zu fassen.
Tomura wägte bereits ab, ob er einfach genau jetzt losrennen und sein Glück allein damit versuchen sollte, Touya irgendwo in diesem Schulgebäude zu finden.
Bevor er diese verzweifelte Idee jedoch verwirklichen konnte, wurden seine Gedanken von schnellen Schritten unterbrochen, welche in seine Richtung stürmten.
>>Tomura, Gott sei dank bist du da! Wir - also Shu meine ich - und er hat es mir danach erzählt ... Also, wir haben gerade Touya in der zweiten Etage gesehen.<<
>>Ja, ich glaube, er hat mich bemerkt und hat dann schnell die Richtung geändert. Ich habe ihn deshalb in Ruhe gelassen. Jetzt ist Muscular aber auch hier und - <<
Er wirbelte herum und entdeckte Shuichi und Himiko, welche völlig außer Puste zum Stehen kamen. Er ließ diese gar nicht erst zu Ende sprechen, bevor er sie auch schon unterbrach.
>>Zeigt mir, wo ihr ihn gesehen habt! Wir müssen unbedingt vor Muscular bei ihm ankommen!<<
>>Bist du ... bist du sicher? Ich meine, sollten wir nicht vorher einem Lehrer davon erzählen oder so?<<, fragte Shu zaghaft.
Er konnte die Angst in dessen Stimme hören und er verübelte es dem Jungen nicht. Auch Tomura hatte Angst. Er hatte Angst vor Musculars Wutattacken, vor dessen dröhnender Stimme und seinen Fäusten.
Am Meisten hatte er jedoch Angst davor, was dieses Monster mit Touya anstellen würde, wenn er ihn fand ...
>>Kommt schon, Leute! Ich brauche jetzt eure Hilfe. Wir haben Touya in diese Situation gebracht, also müssen wir ihm auch beistehen. Es bleibt keine Zeit dazu, erst noch die Fragen der Lehrer zu beantworten. Wir müssen jetzt handeln! Ich brauche euch gerade wirklich! Bitte.<<
Seine Freunde wechselten unsichere Blicke. Es brauchte eine Sekunde, bis sie Tomuras Worte wirklich realisiert hatten und ihm entschlossen zunickten.
>>Dann los! Er ist wahrscheinlich noch in derselben Etage. Hoffen wir einfach mal, dass er nicht Muscular über den Weg gelaufen ist.<<
Und so rannten sie los.
Tomura waren die irritierten Blicke seiner Mitschüler völlig egal, während sie die Treppen hinauf stürmten.
Sein alleiniger Fokus lag auf Touya, während er darum betete, dass sie noch nicht zu spät kamen.
°
Im Waisenheim hatte die Aufseherin ihnen einmal erklärt, dass die Seele wie ein Gefäß war.
Am Anfang war es leer, doch mit jedem Erlebniss und jedem neuen Eindruck füllte sich dieses Gefäß immer mehr und mehr.
Alle Emotionen und angestauten Gefühle sammelten sich darin, bis irgendwann kein Platz mehr war. Entweder man ließ diese Gefühle heraus und lebte offen mit ihnen oder aber man staute sie weiter an und ließ zu, dass die Seele einen Bruch nach dem Anderen erlitt.
Wenn das Gefäß dann so fragil war, dass es nichts mehr halten konnte, würden die Emotionen in einem wilden, ungezähmten Strom aus dir heraussprudeln.
Sei es Angst, Trauer, Schmerz ... oder Wut.
Wut war die wohl ausdrucksstarkste Emotion eines Menschen.
Sie kochte hoch wie ein Vulkan und stob in die Luft wie ein Geysir. Wut äußerte sich bei jedem Menschen anders, doch eine Sache hatte sie immer gemeinsam: Sie war eine der verdrängten, ungeliebten Emotionen in der Seele und wenn sie einmal nach Außen drang, würde man sie nicht mehr so leicht zähmen können.
Tomura hatte schon oft genug in seinem Leben Menschen in Rage erlebt, immerhin hatte er jahrelang mit seinen Mobbern unter einem Dach geschlafen.
Musculars Zorn war jedoch anders, als alles, was er zuvor erlebt hatte. Heißer, stärker und verherrender. Er kannte keinen anderen Jungen in seinem Alter mit so ungezügelten Emotionen und so viel angestautem Zorn. Er hatte keine Ahnung, wie viele Risse sich bereits auf Musculars Gefäß angesammelt hatten, doch dessen Seele musste kurz vor dem zerbersten stehen.
>>Was zum Teufel soll das denn heißen: "Ihr macht da nicht mehr mit."?!<<
Musculars ungläubiger Schrei hallte über den Schulhof und zog sofort eine Menge an ungewollten Blicken an.
Tomura erinnerte sich an diesen Moment, als wäre es gestern gewesen. Nun, genau genommen, war es das auch.
Gestern.
Einen Tag, nachdem die Welt noch in Ordnung war und einen Tag vor der großen Verwüstung.
Tomura, Jin, Shuichi und Himiko hatten an ihrem gewohnten Platz auf dem Schulhof - am Hintereingang bei den Fahrradständern - gestanden. Muscular war auch dort gewesen. Aufgebäumt wie ein Berg und mit so viel Unglauben und Verwirrung im Gesicht, als hätte man einem Dreijährigen erzählt, dass der Weihnachtsmann nicht existierte.
Nur, dass es in ihrem Fall um etwas sehr viel bedeutenderes und reelleres ging, als um den Weihnachtsmann ...
>>Komm schon, Alter! Es kann nicht so weitergehen. Irgendwann prügelst du ihn noch zu Tode, wenn du nicht aufpasst! Lass es doch einfach gut sein, ja?<<
Ihn.
Sie hatten über Touya gesprochen. Es war nie eine gute Idee, Touya gegenüber Muscular zu erwähnen. Es brachte diesen nur auf ungewollte Ideen.
Dieses Gespräch war jedoch unausweichlich gewesen, also besser jetzt die bittere Pille schlucken, bevor es zu spät war.
>>Im Ernst, du kannst ihn nicht jedes Mal verprügeln, wenn er dir über den Weg läuft! Irgendwann fällt er mal um und steht nicht wieder auf.<<
Jin stand rechts von Tomura. Die Arme vor der Brust verschränkt und die Augen fest zusammengekniffen. Er konnte die Anspannung des Jungen neben sich spüren. Sie alle waren angespannt.
Es war beinahe unmöglich, eine ernsthafte Diskussion mit Muscular zu führen, ohne dass dieser gleich ausflippte und all ihre Argumente als "Scheißdreck" abstempelte. Niemand wagte es, sich mit Muscular anzulegen.
Tomura fragte sich, ob sie die Letzten sein würden, die es versuchten ...
>>Sag mal, wollt ihr mich alle verarschen?<<
Stille.
Musculars Stimme war ungewohnt kalt und ruhig. Zu ruhig. Dessen Augen funkelten und loderten, doch dessen Stimme war vollkommen ruhig, fast schon gleichgültig.
Das war das erste Zeichen dafür, dass etwas ganz und gar nicht stimmte ...
Sie schwiegen. Bei Muscular konnte man sich nie sicher sein, welche Frage eine Antwort erforderte und welche nicht. Die meiste Zeit über genoss der Junge es einfach, sich selbst beim Reden zuzuhören. Sich in seiner eigenen, gloreichen Arroganz zu sonnen.
Tomura nahm einen tiefen Atemzug und versuchte, seine rasenden Nerven zu beruhigen.
Niemand von den Anderen traute es sich, der Erste zu sein, welcher Muscular antwortete, doch sie konnten nicht zulassen, dass dieser Tyrann wieder einmal das Gefühl bekam, Recht zu haben. Nicht diesmal!
>>Ob wir dich verarschen wollen? Solltest du dich das nicht lieber einmal selbst fragen? Ich meine, was genau denkst du dir eigentlich dabei, wenn du Touya wie ein Stück Dreck behandelst und ihn danach einfach links liegen lässt? Denkst du, dass ist Spaß? Denkst du, Touya hat Spaß bei alldem? Ich sag dir, was das ist. Das ist Wahnsinn! Hast du echt geglaubt, dass es für immer so weitergehen kann?!<<
Entgegen seiner Nervösität und der logischen Stimme in seinem Kopf trat Tomura ein paar Schritte nach vorn und sah Muscular direkt in die leuchtenden Augen.
Er war sich des dünnen Eises bewusst, auf welchem er sich befand. Niemand stellte sich gegen Muscular. Zumindest niemand, der heil aus der ganzen Sache herausgehen wollte ...
Er fühlte, wie Shuichi ihn von hinten am Ärmel zupfte und versuchte, ihn zurückzuziehen, doch er blieb genau dort stehen, wo er war.
>>Tomu ... <<
>>Nein! Ich werde nicht noch länger so tun, als wäre das, was er tut, in Ordnung. Das ist es nicht! So etwas macht man nicht mit einem anderen Menschen!<<
Tomura hatte nie so viel Mut gegenüber seiner eigenen Dämonen bewiesen. Er wusste nicht, was plötzlich in ihn gefahren war. Es fühlte sich so an, als würden all die angestauten Emotionen, welche er seit Monaten unter Verschluss hielt, auf einmal aus ihm herausströmen.
Hier ging es nicht nur um das, was Muscular Touya angetan hatte.
Hier ging es um die ganze verdammte Tyrannei des Jungen!
Dieser verengte die funkelnden Augen, bevor sich ein spitzes, boshaftes Grinsen auf dessen Züge schlich.
>>Sieh mal einer an! Da hat unser kleines Schneeflöckchen ja doch den Mumm zu etwas anderem, außer seinen elendigen Schwanz einzuziehen!<<
>>Hey! Hör auf, so über Tomura zu reden!<<, stimmte nun auch Himiko in das Gespräch ein.
Das Mädchen trat ebenfalls ein paar Schritte nach vorn und stellte sich schützend an Tomuras Seite. Jin und Shuichi betrachteten das Geschehen einen Moment lang, bevor schließlich auch sie an Tomuras Seite traten und sich zu viert vor Muscular aufbauten.
>>Tomura ist unser Freund! Wenn du dich mit ihm anlegst, dann spaltest du deine eigene Gruppe auseinander, Mann.<<, erwiderte Jin im gereitzten Tonfall.
Tomura hätte gleich erwähnen können, dass so eine Art von Vernuft bei Muscular nicht wirkte.
Wie zur Bestätigung warf der Andere den Kopf in den Nacken und lachte ein falsches, dröhnendes Lachen, welches in Tomuras Knochen vibrierte.
>>Und du glaubst, dass du das entscheiden kannst? Ich habe diese Gruppe gegründet, also entscheide ich, wann hier was passiert! Wenn dieser Frischling hier keinen Bock auf uns hat, dann soll er sich doch zu seinem Touya verpissen! Mal sehen, ob es ihm bei diesem Freak besser gefällt!<<
Tomura hörte die Zündschnur seiner Freunde reißen, bevor sie überhaupt etwas gesagt hatten.
Eigentlich war kein Streit geplant gewesen. Mit Muscular war ein Streit zwar unausweichlich, doch sie alle hatten versuchen wollen, die Diskussion so weit herauszuzögern, wie möglich. Der Plan hatte sich jedoch schlagartig geändert, nachdem Muscular nun auch noch auf Tomura herumtrampelte, wie auf Dreck unter seiner Schuhsohle.
Abwägig kam ihm der Gedanke, ob dies Musculars Idee von Anfang an gewesen war? War dieses Monster tatsächlich so scharf auf eine Eskalation, dass er alles tat, um selbst seine "Freunde" gegen sich aufzubringen?
Himiko war die Erste, welche sich rührte. Sie stampfte die Füße in den Boden und ballte die Hände zu Fäusten. Ihre wütenden, goldenen Augen starrten Muscular voller offener Feindseligkeit an.
>>Weißt du was? Wenn du du glaubst, so viel Gewalt über uns zu haben, dann sage ich dir mal etwas. Ich bin raus! Mach deinen Scheiß allein, aber halte mich zukünftig da raus!<<
Für eine Sekunde lang herrschte Totenstille.
Es war von Beginn an ihr Plan gewesen, sich von nun an aus Musculars Scheiß herauszuhalten. Sie hatten jedoch versuchen wollen, es dem Jungen so schonend wie möglich beizubringen, um den größtmöglichen Schaden zu vermeiden. Niemand hatte mit so einem starken und plötzlichen Gefühlsausbruch gerechnet, am wenigsten wohl Muscular.
Tomura spürte einen Schauer seinen Rücken hinauf kriechen, während er das Monster vor ihnen analysierte. Einen Moment lang wirkte dieser vollkommen erstarrt, so sehr hatte Himiko ihn aus dem Kalten heraus erwischt. Tomura wusste, dass ihre Handlung Konsequenzen haben würde. Niemand wagte es, Muscular zu widersprechen und sich gegen ihn zu stellen ...
Es herrschte Totenstille.
Keiner traute es sich, sich zu bewegen oder einen Mucks zu machen. Er fühlte sich, wie damals im Heim. Wie eine verängstigte, kleine Maus, welche geradewegs in die funkelnden Augen der Katze starrte.
Ich will nicht schon wieder die Maus sein ...
Dann hallte ein Lachen über den Schulhof. Laut und dröhnend, sodass es in Tomuras Knochen vibrierte.
>>Du kleine Schlampe! Ich hätte wissen müssen, dass eine Bitch wie du keine Loyalität hat! Ihr alle! Ihr ward Freaks, bevor ihr zu mir kamt! Das seid ihr immer noch! Ich habe euch aufgenommen und jetzt wollt ihr mir sagen, was ich zu tun und lassen habe? Ich war der Einzige, der auch nur annähernd in eure hässlichen Fressen geschaut hat und euch ein wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. Ihr seid nichts ohne mich!<<
Tomura wusste, dass dies nicht die Wahrheit war.
Jin, Shuichi und Himiko hatten sich schon lange gekannt, bevor Muscular zu ihnen gestoßen war. Es war auch keine wirklich freiwillige Aufnahme gewesen. Eines Tages hatte sich der Muskelprotz ihnen einfach aufgedrängt und erklärt, dass dies von nun an seine Gruppe war.
Damit hatte der Teufelskreis begonnen. Wer einmal in Musculars Fängen steckte - freiwillig oder unfreiwillig - kam nur durch ein Wunder wieder heraus. Oder durch sehr viel Schmerz ...
>>Hey, hör verdammt nochmal auf, so über uns zu reden!<<, mischte sich Jin ein.
Dessen Stimme bebte vor schwer unterdrückter Wut, während dessen geballte Fäuste an seiner Seite zitterten. Jin fiel es immer schwer, seine Gefühle und sein Temperament zu kontrollieren, doch in dieser Situation war ein Wutausbruch auch nicht verwunderlich.
>>Sonst was, Loser? Willst du mir eine reinhauen? Versuch es doch, gerne! Ich kann aber nicht garantieren, dass deine Nase danach noch gerade steht.<<
Musculars Augen leuchteten triumphierend auf, während Jin sich auf die Lippe biss und versuchte, seinen Zorn im Zaum zu halten. Ein tatsächlicher Wutausbruch wäre in dieser Situation eher kontraproduktiv. Jin stand körperlich nicht einmal den Hauch einer Chance gegen diesen Tyrann. Das wusste dieser schmerzlich gut. Und Muscular natürlich auch.
Eine spannungsgeladene Sekunde verstrich, in denen keiner der beiden einen ersten Schritt machte.
Nach einem Moment schnalzte Muscular missbilligend mit der Zunge und sonnte sich bereits jetzt in seinem Sieg. Der Junge war es auch nur so gewohnt. Für ihn war ein vorzeitiger Gewinn ganz natürlich. Niemand hatte im Kampf eine Chance gegen Muscular.
>>Wenn du nicht so ein kollosales Arschloch wärst, würden wir uns auch nicht gegen dich stellen, kapierst du? Aber du behandelst jeden wie ein Stück Scheiße, selbst uns, die du deine "Freunde" nennst! Ich versteh einfach nicht, wieso du so einen Hass auf Alles und Jeden hast? Wieso musst du alle Leute gleich niederschlagen, wenn sie auch nur irgendetwas sagen, das dir nicht in den Kram passt?!<<, fragte Tomura gereitzt.
Entgegen seiner Erwartung blieb Muscular locker. Er grinste nur und zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er ihm antwortete.
>>Ganz einfach. Weil ich es kann.<<
Die Aussage war so trocken und totehrlich, dass es ihm die Sprache verschlug. Er hatte mit einem weiteren Wutanfall und viel Geschrei gerechnet, aber nicht mit so etwas ...
Musculars Grinsen vergrößerte sich bei Tomuras perplexer Reaktion nur noch.
>>Weißt du, wie viel Spaß es macht, deinen süßen Touya einfach nur anzusehen und zu wissen, dass er sich schon in die Hosen pisst? Dieser Junge ist so dumm, er würde alles für mich tun, wenn ich es ihm sage. Er weiß ganz genau, wer der Boss ist und das ist auch gut so!<<
Tomura hörte irgendetwas reißen. Vermutlich war es sein Geduldsfaden.
Er sah auf einmal nur noch rot.
Ein wilder, gleißender Zorn kochte in ihm hoch und stob in die Luft, wie bei einem Vulkan. Sein Körper reagierte schneller, als sein Gehirn mithalten konnte. In einem Moment stand er noch neben Jin und Himiko, im nächsten preschte er auch schon nach vorn.
Seine Hand war zur Faust geballt und zielte geradezu auf Musculars schadensfrohe Fresse. Es war ihm auf einmal völlig egal, ob er diesen Kampf nicht gewinnen konnte.
Er wollte einfach, dass dieses Monster aufhörte, zu reden!
>>Halt dein verdammtes Maul! Du sprichst über Touya, als wäre er ein Objekt, das dir gehört. Das tut er nicht! Dir gehört gar nichts hier! Du bist nur ein krankes Arschloch, das sich für den Größten hält!<<
Tomuras Faust flog zielsicher auf Musculars Gesicht zu. Er hätte auch getroffen, wären da nicht die Arme gewesen, welche ihn von hinten packten und in einem Ruck zurückzogen.
Er keuchte und schnappte überrascht nach Luft, während er mit dem Rücken gegen Shuichis Oberkörper stieß.
>>Tomu, beruhige dich! Du musst das sein lassen, du hast keine Chance gegen ihn!<<
>>Wir sind zu viert! Dieser kranke Bastard ist allein. Ich lasse nicht zu, dass er noch einmal so über Touya oder einen von uns redet!<<
>>Oh, das willst du also nicht zulassen? Dann komm doch her, Freak! Ich stehe genau hier.<<
Musculars Provokation war noch einmal zusätzlicher Zündstoff.
Tomura drehte und wandt sich und bereitete Shuichi sichtlich Mühe, ihn festzuhalten, doch der Andere ließ nicht locker. Himiko und Jin eilten ebenfalls vor ihn und drückten ihn weiter zurück. Weg von Muscular und dessen breitem Grinsen.
>>Na, was ist jetzt? Wolltest du mich nicht fertig machen?<<, lachte der Muskelberg und prustete Tomura seinen Spott mitten ins Gesicht.
>>Halt die Klappe! Du rührst Touya nie wieder an, kapierst du?<<, schrie Tomura diesem entgegen.
Er zappelte immer noch in seinem Halt, völlig gefangen in seinem gleißenden Zorn. Er trat wild um sich und erwischte Shuichis Fuß.
Dafür hatte er sich danach mehrmals entschuldigen müssen ...
Der Junge heulte auf, doch ließ ihn nicht los. Er hätte Shuichi - der sich die meisten Tage über von Chips und Energiedrinks ernährte - niemals im Leben so eine Kraft zugetraut, doch dieser ließ ihm keine Chance, zu entkommen. Stattdessen zogen seine Freunde ihn noch weiter zurück und von Muscular weg.
>>Oh, sieh mal einer an! Da hat ein Schwächling, wie du, ja eine ganz schön große Klappe! Bist du dir sicher, dass du mich wirklich davon abhalten kannst, zu machen, was ich will? Dafür müsstest du nämlich erst mal zu mir kommen.<<
Er war jetzt schon ein ganzes Stück von dem Monster vor ihnen entfernt. Der Muskelprotz müsste schon auf sie zugestürmt kommen, um ihn noch mit seiner Faust zu erwischen. Das war aber auch gar nicht dessen Intention.
Stattdessen blieb dieser genau dort stehen, wo er war und ... lachte.
Er lachte sie aus.
Einfach, weil er es konnte. Weil er Muscular war und niemand ihn davon abhalten würde.
Sein Lachen war voller Arroganz und Spott, als wäre diese ganze Situation nur ein lächerlicher Scherz für ihn.
>>Ihr wollt also alle verhindern, dass ich eurem süßen Touya etwas tue? Wieso? Hat dieser Freak euch irgendeine Mitleidsgeschichte erzählt? Das ist mir alles scheißegal! Er gehört mir! Ich mache mit ihm, was ich will! Ihr braucht gar nicht erst versuchen, mich davon abzuhalten.<<
Dann senkte Muscular den Kopf.
Dessen Grinsen wurde spitzer, gefährlicher. Seine Augen bekamen dieses bedrohliche Funkeln, welches die pure Lust und Freude am Schmerz seiner Opfer wiederspiegelte. Seine Stimme war nur noch ein tiefes Knurren, als er seine nächsten Worte aussprach.
Das hier war kein Junge mehr. Er war ein Monster. Ein Dämon, der sich von dem Schmerz und dem Leid seiner Opfer ernährte.
Und er sprach eine Drohung aus.
>>Wisst ihr was? Da würde ja gar kein Spaß mehr übrig bleiben! Ihr könnt es doch versuchen! Zumindest, wenn ihr euren süßen Touya noch einmal sehen wollt. Wenn ich ihn das nächste Mal hier erwische, werden wir beide sicher viel Spaß gemeinsam haben. Eigentlich ist so ein Freak die ganze Mühe gar nicht wert, doch ich lasse nicht zu, dass sich meine eigenen Leute gegen mich stellen! Er wird seinen Scheiß schön wieder ausbaden!<<
Tomura schrie.
Er verstand seine eigenen Worte nicht, doch er schrie einfach alles heraus, was auf seiner Seele lag. Er schrie solange, bis seine Stimme versagte und er nur noch nach Luft schnappen konnte.
Dann sackte er in sich zusammen und spürte die Tränen, welche voller Verzweiflung über seine Wangen liefen. Muscular war weg. An seiner Stelle hing die Drohung warnend in der Luft.
>>Wieso habt ihr mich weggezogen? Wir hätten ihn aufhalten müssen! Wir hätten - <<
Erneut versagte seine Stimme und er schluchzte. Shuichis Hände hielten ihn noch immer fest, auch wenn ihr Griff jetzt zitterte. Jin und Himiko standen vor ihm. Die Scham und Reue ins Gesicht geschrieben.
>>Es tut mir Leid ... <<, murmelte das Mädchen und senkte den Kopf.
Tomura wusste, dass sie ihm nur geholfen hatten. Muscular wäre nicht so ruhig geblieben, wenn Tomura einen echten Schlag gelandet hätte.
Sie hatten ihn gerettet, doch er konnte sich im Moment einfach nicht dankbar fühlen. Nicht jetzt.
>>Oh Gott, Touya ... er wird ... Scheiße, er wird ihn umbringen!<<
Er schluchzte. Seine Kehle war rau und seine Brust fühlte sich eng an. Die Schuldgefühle auf seinen Schultern drückten ihn so sehr nach unten, dass seine Beine zitterten.
Eine heiße Träne quoll über seine Wange. Sie landete auf dem schmutzigen Boden und blieb dort liegen.
>>Was haben wir getan?<<
°
Tomuras rote Sneaker polterten über den blitzenden Linoleumboden der Schulflure.
Er war noch niemals in seinem Leben so schnell durch diese grauen Gänge gestürmt. Alles kam ihm wie in einem Film vor. Die Bilder blitzten verschwommen an ihm vorbei, während seine Gedanken und die Panik in ihm tobten.
>>Geht zur Seite! Na los, lasst uns vorbei!<<, hörte er Jins aufgewühlte Stimme hinter sich.
Tomura konnte gar nicht erst in Worte fassen, wie dankbar er dafür war, seine Freunde bei sich zu haben.
Sie waren schon allein dafür hilfreich, die anderen, irritierten Schüler vor ihren schnellen und ungeduldigen Schritten zu warnen. Tomura wäre vermutlich einfach in jeden beliebigen Idioten hineingestürmt, der sich mitten in den Gang stellte und dort wartete, als hätte er keinen besseren Ort dafür gefunden.
Im Moment versuchte er nicht einmal, einen klaren Verstand zu bewahren!
Er wusste nicht, ob er diese Situation durchgestanden hätte, ohne zu wissen, dass er die stärkende Aura seiner Freunde an seiner Seite hatte. Er brauchte ihren Rückhalt einfach. Genau so sehr, wie Touya sie jetzt brauchte.
Es war doch verrückt!
Der Junge hätte überall in diesem Schulgebäude sein können. Er könnte jetzt gerade sicher und geborgen in seinem Klassenzimmer sitzen und seine Schulsachen auspacken.
Vermutlich war diese Variante gar nicht so abwägig, doch Tomura glaubte nicht daran. Dieses nervöse Kribbeln in seinem Nacken war nicht einfach durch nichts entstanden ...
Außerdem drehte sich diese Geschichte um Touya Todoroki und Tomura Shigaraki, also würde immer erst das Schlimmste passieren ...
>>Glaubst du, wir finden ihn einfach so wieder? Oder müssen wir erst jedes Klassenzimmer auf den Kopf stellen? Ich habe nämlich keine so große Lust darauf, den Lehrern zu erklären, was wir hier machen!<<, rief Himiko ihm außer Atem zu.
Tomura wusste, dass das Mädchen redete, um sich von der Angst abzulenken, welche sie alle erfasst hatte, seit das Wort auf Muscular gefallen war.
>>Ich weiß es nicht ... <<, murmelte er.
Es war ihm egal, ob er zuerst jedes einzelne Klassenzimmer durchsuchen musste. Er würde nicht eher aufhören, zu rennen, bis er Touya gefunden hatte.
Bitte lass uns noch nicht zu spät sein ...
Er verlangsamte seine Schritte, als ihm im Gang der zweiten Etage etwas ins Blickfeld stach. Er stoppte komplett, als er erkannte, was es war.
Ein schwarzer Stoffrucksack. Schlicht und ordentlich, als hätte dessen Besitzer auf seinen Zustand Wert gelegt.
Dieser Fakt passte nicht zu der Art, wie der Rucksack dort lag. Schräg zur Seite gekippt in der Mitte des Ganges. Als hätte man ihn einfach unachtsam fallen lassen.
Dann wusste Tomura plötzlich, was ihn so skeptisch machte.
Er kannte diese Tasche.
>>Der Rucksack gehört Touya ... <<
Die Anderen blieben abrupt hinter ihm stehen und betrachteten ebenfalls das Objekt.
Das konnte nicht sein! Er kannte Touya. Dieser hatte zwar seinen Putztick abgestritten, doch er würde niemals seine Sachen einfach irgendwo unordentlich liegen lassen. Erst recht nicht in der Mitte des verdammten Schulflures ...
>>Er hätte ihn nicht einfach liegen lassen ... <<
Eine Totenstille breitete sich zwischen ihnen aus.
Tomura sollte sich dankbar dafür schätzen. Dies war vermutlich der einzige Grund, weshalb er das dumpfe Poltern bemerkte.
Er drehte sich zur Seite und versuchte, das Geräusch zurückzuverfolgen. Rechts an der Wand befanden sich mehrere Türen mit unterschiedlichen Räumen dahinter. Diese Laute hätten von überall her stammen können. Dennoch blieb sein Blick an der Jungentoilette hängen.
Er konnte nicht sagen, woher, doch in diesem Moment wusste er es einfach.
>>Sie sind dort.<<, murmelte er und deutete auf die Tür zu den Toiletten.
Touya war dort drinnen. Und Muscular auch.
Dies war Musculars Lieblingsort, um Touya zu erniedrigen. Er sagte, es passte gut. "Dreck gehörte schließlich zu Dreck."
Seine Freunde folgten seinem Blick. Sie hinterfragten Tomuras Entscheidung gar nicht erst, denn auch sie wussten Bescheid. Er hörte, wie Himiko ihre Handgelenke knacken ließ und wie Shu einen lauten, zittrigen Atemzug nahm.
Muscular war dort drinnen.
Daran gab es plötzlich keinen Zweifel mehr. Genau so wenig, wie daran, dass sie vier sich gleich in das absolute Chaos stürzen würden.
Muscular würde es ihnen übel nehmen, dass sie Touya zur Hilfe kamen, so viel stand fest. Der Tyrann bekam immer seinen Willen und wenn nicht, dann setzte er ihn mit allen Mitteln durch. Mit allen Mitteln. Selbst bei den Menschen, die er als seine "Freunde" bezeichnete.
Nun, wo Tomura sich schließlich bewusst war, dass es keinen Ausweg mehr gab, sondern nur noch den Schritt nach vorn, spürte er eine seltsame Ruhe in seinen Körper kehren.
Die Hysterie und Panik loderten nur noch als schwache Glut unter der Oberfläche. Stattdessen fühlte er sich plötzlich seltsam ruhig und gefasst, als er sich ein letztes Mal zu seinen Freunden herumdrehte und sie mit einem nachdenklichen Blick bedachte.
>>Bereit?<<
Shuichi biss sich verunsichert auf die Unterlippe, Himiko schenkte ihm ein schwaches Grinsen und Jin legte schmunzelnd den Kopf in den Nacken, während er sich durch die blonden Haare strich.
>>Nein. Lass es uns trotzdem tun.<<
Das Erste, was Tomura bemerkte, als er die Tür zu den Toiletten aufstieß, war dieses alles übertönende Gefühl von Angst, welches in der Luft lag.
Es war wie ein starker, übelriechender Gestank, den du einfach nicht aus der Nase bekamst. Tomura kannte dieses Gefühl viel zu gut. Es war die Hilflosigkeit und Verzweiflung, welche den Raum erfüllte und die Luft bitter schmecken ließ.
Augenblicklich drängten sich verstaubte Erinnerungen aus längst vergessenen Zeiten an die Oberfläche seines Verstandes.
Der kleine Tomura - hilflos und verängstigt - der sich an der Hand seiner Großmutter festklammerte, obgleich er wusste, dass sie ihn loslassen würde. Sie hatte ihn losgelassen und in diesem grauenvollen Heim mit seinen grausamen Jungen zurückgelassen. Nicht aus freien Stücken, doch wie sollte man das schon einem Kind erkären?
An diesem Tag war Tomuras Herz in tausend Scherben zersprungen. Er hatte sich geschworen, dass er niemals wieder eine andere Person lieben würde, um nicht noch einmal enttäuscht zu werden ...
Er liebte Touya.
Es gab kein anderes Wort dafür.
Der Junge war in sein Leben gebraust wie ein Wirbelwind, der nichts als Chaos und Verwüstung brachte. Dennoch spürte es Tomura in jeder Faser seines Körpers, wenn er Zeit mit Touya verbrachte. Dieses Gefühl, richtig und erwünscht zu sein. Endlich angekommen zu sein.
Es war Liebe.
Er würde alles dafür tun, um nicht noch einmal einen Menschen zu verlieren, den er liebte ...
Er blinzelte, dann sah er es. Als Erstes erkannte er Musculars massige Form, welche wie ein Berg vor dem Waschbecken der Jungentoilette aufragte. Dann schärfte sich sein Blick und er fand die schmale, hilflose Gestalt, welche von Musculars schierem Ausmaß beinahe verschluckt wurde.
Die kleinere Gestalt von den beiden wurde brutal gegen das Waschbecken gepresst und wischte mit den Händen verzweifelt über die blanke Oberfläche des Spiegels, um einen Halt zu finden, der nicht existierte. Dessen Bewegungen wirkten abgehackt und gehetzt, als würde er mit der letzten Energie in seinem Körper kämpfen.
Tomura wusste sofort, um wen es sich handelte.
Touya war erschreckend still dafür, dass er sich gerade in einem Überlebenskampf befand. Die einzigen Geräusche, welche dieser von sich gab, waren leise, röchelnde Atemzüge, so als würde er keine Luft bekommen.
Die massige Form vor dem Jungen bewegte sich und drückte dessen Gesicht seitlich gegen den Spiegel, sodass Tomura Touya direkt ansehen konnte. Erst jetzt erkannte er die Hand, welche Muscular fest um Touyas Kehle geschlossen hatte. Touyas blaue Augen waren in stiller Panik weit aufgerissen. Dessen Stirn blutete und seine Lider zitterten heftig. Er schaute Tomura genau an, doch er schien ihn nicht wirklich zu sehen.
Tomura derweil war wie festgefroren.
Er konnte sich weder bewegen, noch etwas sagen. Er stand einfach da und starrte. Seinen Freunden schien es ähnlich zu gehen.
Sie alle hatten gewusst, dass Muscular zu Schrecklichem fähig war, doch niemand hatte sich die pure Grausamkeit der Realität ausmalen können ...
Touyas Gesicht war rot angelaufen, doch wurde mit jeder Sekunde weißer und kränklicher. Seine Lippen waren blau gefärbt, als dieser den Mund öffnete und ein stummes Wort formte. Dann zuckte dessen Körper, seine Knie knickten zur Seite ein und seine zitternden Lider klappten zu.
Nein!
Es war, als würde ein plötzlicher Ruck durch Tomura fahren. Er sah, wie Touya erschlaffte und fühlte, wie er von all seinen Instinkten nach vorn getrieben wurde.
Tomura hatte nie daran geglaubt, dass starke Gefühle Kraft verleihen würden, doch Musculars massive Form war wie ein dünner Blattstängel, als er diesen mit aller Wucht zur Seite rammte. Im nächsten Moment ließ er sich auch schon auf die Knie fallen. Gerade noch rechtzeitig, um Touyas Kopf in seinen Händen aufzufangen. Im Hintergrund erschallte Musculars donnernde Stimme und im Gegensatz dazu, die vereinten Schritte seiner Freunde, welche das Monster mit allen Mitteln zurückhielten.
Touyas Körper war eiskalt in seinen Händen, doch er konnte nicht sagen, ob es vom Schock oder Sauerstoffmangel war. Dessen Lider bebten heftig, doch seine Augen blieben geschlossen. Ein Muskel in dessen Wange zuckte, doch ansonsten bewegte er sich nicht.
>>Er atmet nicht!<<, rief er voller schwer kontrollierter Panik.
Er starrte auf Touyas regungslose Brust und versuchte, nicht vom Schlimmsten auszugehen.
>>Halt die Fresse! Die kleine Bitch wird sich schon wieder erholen!<<, dröhnte ihm Musculars Stimme entgegen.
Im nächsten Moment ächzte der Muskelberg, als die Anderen ihn rau gegen die Wand drückten und ihm den Mund zuhielten. Schnell drehte sich Himiko zu ihnen herum. Nackte Angst lag in ihrem Blick, als ihre goldenen Augen Touyas schlaffe Gestalt wahrnahmen.
>>Dreh ihn auf die Seite! Du musst seinen Kopf in den Nacken legen, damit seine Atemwege nicht blockiert sind.<<
Tomura wusste es besser, als in diesem Moment die Erste Hilfe Kenntnisse des Mädchens zu hinterfragen. Vorsichtig manövrierte er Touya auf die Seite, so wie sie es ihm erklärt hatte. Der Junge war so still und fügsam unter seinen Händen, dass es beängstigend war. Behutsam griff er nach dessen Kopf und legte ihn in den Nacken. Speichel lief von dessen geöffneten Lippen und tropfte auf die Fliesen unter ihnen, doch nichts geschah.
Tomuras Panik wuchs, während Touya mit jeder Sekunde immer schlaffer und dessen Lippen immer bläulicher wurden.
>>Komm schon, Touya! Komm schon, bitte!<<, flehte er.
Er konnte das Zittern in seiner Stimme nicht vermeiden, genau so wenig wie die salzigen Tränen, welche in seinen Augen brannten.
Verdammt, er musste sich zusammenreißen! Er konnte nicht seine Kraft zum Heulen verbrauchen, wenn er Touya vielleicht eine Herzdruckmassage verpassen musste!
>>Was ist los? Ist er ohnmächtig?<<, fragte Jin besorgt.
>>Ich hab keine Ahnung! Er atmet nicht. Er regt sich nicht. Er ist wie - <<
Er stoppte, als ein Geräusch ihn unterbrach. Erst leise und dann immer lauter.
Rasselnde Atemzüge, welche erstickt und schon beim bloßen Zuhören schmerzhaft klangen.
Dann wurde Touyas gesamter Körper von einem Ruck durchgeschüttelt, welcher den Jungen zurück auf den Rücken manövrierte. Ein rauer Atemzug drang aus dessen Brust, während er sich mit aller Kraft in die Welt der Lebenden zurückkämpfte.
Das musste man Touya lassen.
Egal, wie aussichtslos die Lage war, der Junge kämpfte sich immer ins Leben zurück.
Gebannt beobachtete er, wie sich Touyas gesamter Körper beinahe krampfhaft anspannte. Es wirkte schmerzhaft, so sehr hatte der Junge die Hände an seinen Seiten zu Fäusten geballt. Nach ein paar Sekunden entwich der angestaute Atem dessen Brust und er sackte erneut in sich zusammen.
Ein fürchterlich raues Husten und Schnaufen drang aus dessen Kehle, während sich Touya auf seiner Seite wie ein Igel zusammenrollte. Die Art, wie dieser die Beine eng an seinen Körper zog und sich so klein wie möglich machte, kam Tomura unangenehm vertraut vor. Ein erlernter Schutzmechanismus, um sich selbst vor weiterem Schmerz zu bewahren.
>>Touya! Hey! Hey, es ist alles gut. Wir sind hier. Wir lassen nicht zu, dass dir nochmal etwas passiert.<<
Gib keine Versprechungen, die du nicht einlösen kannst ...
Tomura wusste, dass er solche Versprechen nicht halten konnte. Touya würde erneut verletzt werden, daran konnte er nichts ändern, so sehr er es auch wollte. Im Moment versuchte er jedoch einfach, die hustende und zitternde Gestalt vor sich zu beruhigen.
Seine Hand schwebte unsicher in der Luft über dessen Rücken, nicht wissend, ob er Touya mit seiner Berührung nur noch mehr verschrecken würde.
Fuck, er war absolut grottig darin, andere Menschen zu beruhigen!
>>Ist er wieder da? Atmet er, Tomu?<<, rief Shuichi ihm von hinten zu.
Dessen Stimme kang angespannt, nicht nur vor Sorge, sondern auch von der mühevollen Art, wie dieser Musculars tobende Gestalt zurückhalten musste. Tomura konnte sich nicht vorstellen, dass seine Freunde - selbst zu dritt - dem Tyrann lange Einhalt gebieten konnten. Muscular war wie ein losgelassener Tornado, welcher solange wütete, bis um ihn herum nichts als Verwüstung herrschte.
Vermutlich wäre es ihre beste Chance, einen Lehrer zu alarmieren, doch dies würde erfodern, dass einer von ihnen Touyas Seite verließ. Tomura wollte sich gar nicht erst vorstellen, was Muscular mit dem Jungen anstellen würde, wenn er ihn erneut zu Fassen bekam ...
>>Er atmet! Außer seiner Stirn und seinem Hals scheint er keine weiteren Verletzungen zu haben. Im Moment steht er einfach unter Schock, denke ich.<<, bestätigte er schnell.
Er hatte nicht annähernd so viel medizinisches Wissen, wie in einer solchen Situation von Vorteil gewesen wäre. Er kannte die Art, wie Touya da vor ihm lag jedoch nur zu gut. Dessen Haut war eiskalt, seine Glieder zitterten und bebten, während dessen glasige, weit aufgerissene Augen ins Nichts starrten.
Der Junge erfüllte die Kriterien für eine Panikattacke beinahe wie auf einer gottverdammten Checkliste!
Die Weise, wie sich Touyas Körper instinktiv zusammengerollt und immer kleiner gemacht hatte, verriet viel darüber, dass sich der Andere nicht zum ersten Mal in einer solchen Situation befand ...
Es machte Tomura wütend, darüber nachzudenken, wie oft Touya bereits hier auf dem kalten und schmutzigen Boden gelegen haben musste, ohne irgendeine Art von Hilfe zu erhalten. Wie viele Schüler einfach achtlos an ihm vorbei gelaufen sein mussten, weil sie ganz genau die Konsequenzen kannten, wenn sie sich in Musculars Scheiß einmischten. Wie oft Tomura selbst all dem Leid und Schmerz den Rücken zugedreht hatte, weil er dachte, er könnte es so aus seinem Leben verbannen ...
Nicht dieses Mal!
Dieses Mal würde er an Touyas Seite bleiben, solange ihn dieser brauchte! Muscular würde ihn schon mit schierer Gewalt von dem Jungen wegzerren müssen!
>>Touya, hörst du mich? Ich bin hier. Jin, Shu und Himiko sind auch da. Wir sind alle hier!<<, versuchte er Touyas Aufmerksamkeit zu erlangen.
Ihm war bewusst, dass der Andere ihn in seinem Schockzustand vermutlich hören, aber nicht verstehen konnte. Sein Therapeut hatte jedoch immer wieder erwähnt, dass es den Betroffenen half, während der Paniksituation eine leichte Gesprächsbasis aufzunehmen.
Tomura hatte bisher noch nie den Rat seines verfluchten Therapeutens befolgt, doch wenn er Touya dadurch helfen konnte, schluckte er wohl oder übel seinen Stolz herunter!
>>Es ist alles gut! Es ist okay, Touya. Ich bin hier. Ich sitze hier, genau neben dir und ich werde erst wieder gehen, wenn du mich verdammt nochmal wegschickst!<<, flüsterte er.
Er konnte sich selbst nun nicht mehr davon abhalten, dass er seine Hand vorsichtig auf Touyas Rücken ablegte. Er wollte den Jungen einfach nur noch in den Arm nehmen! Ihn halten und nie wieder loslassen.
Erstmal musste jedoch das behutsame Auf und Ab Streichen seiner Hand auf dessen Rücken genügen, um seinen Körper in diesem fragilen Zustand nicht noch mehr zu überfordern. Eine Sekunde lang spürte er, wie sich jeder einzelne Muskel in Touyas Gestalt anspannte. Sich auf eine erneute Schmerzenswelle vorbereitete.
Dann schien dieser Tomuras Worte endlich wirklich wahrzunehmen und er sackte vor Erleichterung in sich zusammen. Augenblicklich schlang Touya seine zitternden Arme um Tomuras Hüfte und schmiegte sich eng an seine Seite. Er konnte den genauen Moment beobachten, in welchem dessen blaue Augen mit Tränen anschwollen und ein raues, gepresstes Schluchzen aus dessen Brust drang.
>>T - Tomura ... <<
Er erschauderte, als er Touyas Stimme hörte. So klein und verängstigt hatte er den Jungen noch nie zuvor erlebt. Ganz zu schweigen davon, wie rau und geschunden seine Stimme von Musculars groben Händen war.
>>Ich bin hier! Keine Sorge, Touya. Wir sind alle hier. Dir kann nichts passieren.<<
Tomuras Tonfall war bewusst leise und sanft, doch er wurde von einer dröhnenden und zornerfüllten Stimme hinter sich unterbrochen.
>>Oh bitte! Ihr tut alle so, als wäre ich mit 'ner Pistole auf diesen Freak losgegangen! Der erholt sich schon wieder! So schwach kann nicht mal dieser Todoroki-Loser sein!<<
Innerhalb von Sekunden wirbelte Tomura herum und starrte mit purer Verachtung in Musculars hässliches, aufgequollenes Gesicht.
>>Halt die Klappe! Das hier hat nichts mit Touyas angeblicher Schwäche zu tun! Das hier hat etwas damit zu tun, dass du ihn fast erwürgt und ermordet hättest!<<
Die Worte hallten schwer zwischen ihnen. Solche Begriffe waren Dinge, welche Jugendliche aus Spaß und Naivität heraus ihren Freunden vorhielten, doch Tomura meinte es ernst. Todernst. Wären er und die Anderen auch nur ein paar Minuten später gekommen, hätten sie Touya vielleicht nicht mehr helfen können!
Musculars funkelnde Augen verengten sich nach Tomuras Anschuldigung. Nicht ein einziger Funke Reue oder Scham zeichnete sich auf dessen Miene ab. Dieser Bastard schien nicht einmal zu begreifen, dass er etwas falsch gemacht hatte!
>>Ermorden? Ermorden?! Ich bitte euch! So etwas dämliches kann auch nur einer von euch Idioten behaupten! Denkt ihr, ich habe keine Ahung davon, was ich tue?<<
>>Ganz genau das denke ich! Sonst wäre dir ja wohl aufgefallen, dass Touya wegen dir keine Luft mehr bekommen hat!<<, erwiderte Tomura sofort.
Seine Schlagfertigkeit und die pure Verachtung in seiner Stimme überrumpelten Muscular sichtlich. Der Tyrann fletschte gereitzt die Zähne und tobte in Jin, Shuichis und Himikos Griff wie ein wilder Stier. Er war es nicht gewohnt, dass man ihm widersprach. Muscular bekam immer seinen Willen und es gefiel diesem ganz und gar nicht, dass diese Situation anders war. Dass man ihm seine Fehler vorhielt, statt sie schweigend hinzunehmen.
>>Willst du, dass ich dir auch eine reinhaue, oder was?! Du verdammter Freak, du - <<
>>Muscular, jetzt halt endlich deine verdammte Klappe! Was muss passieren, damit du endlich merkst, dass etwas falsch läuft? Muss Touya wirklich erst tot umfallen?!<<, schrie Jin dem Muskelberg entgegen.
Dass Tomura dem Tyrann Kontra gab, schien dieser erwartet zu haben. Dass es jedoch auch die Anderen taten, erwischte diesen sichtlich aus dem Kalten heraus.
>>Das hier ist gestört, Alter! Du bist gestört! Was glaubst du, wäre passiert, wenn wir nicht eingegriffen hätten?<<, erwiderte Shu fassungslos.
Muscular blinzelte nur, auf einmal schockstill.
Er blickte irritiert um sich, sah in die verachtungsvollen Gesichter seiner Mitmenschen und schien zum ersten Mal in seinem ganzen selbstgefälligen Leben zu begreifen, dass er nicht immer das tun und lassen konnte, was er wollte.
Abschätzend blickte der Muskelberg zu Himiko, um sich zu vergewissern, dass auch sie genug Mumm hatte, um sich gegen ihn zu stellen. Das erste Mal, dass Tomura erlebt hatte, dass sich Muscular für eine andere Meinung interessierte ...
Das Mädchen schüttelte nur den Kopf.
>>Du bist ekelhaft!<<
Einen Moment lang war es fast still in dem kleinen Raum. Lediglich Touyas raue Atemzüge füllten die Stille, welche Musculars Schock hinterlassen hatte.
>>Tomura ... <<, hörte er Touya neben sich flüstern.
>>Ja?<<
>>Er ... er ex-explodiert gleich ... <<
Touya hatte sichtliche Mühe dabei, die Worte aus seiner geschundenen Kehle zu pressen.
Er behielt jedoch Recht.
Ein Moment verstrich. Muscular wirkte stumm und regungslos vor Schock.
Dann blitzte etwas in dessen Augen auf. Etwas abgrundtief hasserfülltes. Etwas gefährliches. Tomura hatte noch nie erlebt, dass sich Musculars füllige Gestalt so schnell und elegant bewegt hatte, wie jetzt, als das Monster sich in einer einzigen schwungvollen Bewegung aus dem Griff der Anderen befreite und geradewegs auf Tomura und Touya zuhielt.
Er hätte weglaufen können.
Er hätte sich selbst in Sicherheit bringen können.
Er hatte Touya jedoch versprochen, dass er nicht von dessen Seite weichen würde. Er gedachte nicht, dieses Versprechen zu brechen.
>>Tomura!<<, schrie einer seiner Freunde panisch.
Es war bereits zu spät.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Augen zusammenzukneifen und Touya eng an sich zu drücken. Musculars Faust zielte direkt auf sein Gesicht, das wusste er sogar mit geschlossenen Augen.
Er erwartete den Schlag und bereitete sich auf den Schmerz vor.
Dann hörte er das quietschende Geräusch einer sich öffnenden Tür und eine laute, fassungslose Männerstimme.
>>Was zum Teufel ist denn hier los?<<
Der Schlag traf und tausend Sterne explodierten vor seinen Augen.
- the end -
Nächstes Kapitel:
Touya hat über so einige Dinge nachzudenken und hat so einige Fragen zu beantworten.
Naja, ich will nicht zu viel sagen ...
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