Kapitel 1: Sicht Tessa
Ich wachte auf und holte tief Luft. Panisch sah ich mich im Zimmer um, wie unter Verfolgungswahn. Noch immer hatte ich diese eindringlichen dunkelbraunen Augen im Gedächtnis. Die leicht weißliche Haut, die vollen Lippen und die irgendwie etwas zu schmale Nase.
Dieses Mädchen existierte auch in der realen Welt, außerhalb meiner Träume. Ich war mit da so sicher, weil ich sie sehr gut kannte.
Den gesamten Tag über ließ mich dieser Fakt nicht in Ruhe. Das Leben außerhalb meiner Gedanken flog an mir vorbei. Obwohl mein Leben insgesamt nicht so war, wie normalerweise bei Mädchen in meinem Alter. Stundenlang saß ich in diesem Haus mit den weißen Möbeln herum oder irrte durch die Flure mit den weißen Wänden. Vor dem Haus gab es auch einen kleinen Park mit weißen Kieselsteinen auf dem Weg, gesäumt von weißen Rosen, die allerdings ausnahmsweise grüne Blätter hatten. Dabei wusste ich nicht einmal genau, wo ich mich befand. Der ganze Tagesablauf hier war durchgetaktet. Mit mir waren es etwa 200 Menschen, die hier lebten. Und dann gab es noch die anderen in den weißen Kitteln, die versuchten, mit mir zu reden.
Man konnte die beiden Gruppen unterscheiden, weil die Gruppe, der auch ich angehörte weißliche Kleider anhatten und die anderen Gewänder, die an Kochschürzen erinnerten. Darunter trugen sie ein weißes T-Shirt und eine weiße Hose. Sie hatten alle ein Namensschild und waren mir zutiefst unsympathisch. Durchgängig lächelten sie mich an, aber sobald sie sich umdrehten, fiel das Grinsen von ihrem Gesicht, wie eine Maske.
Sie waren übertrieben höflich zu den anderen, aber ich hatte das Gefühl, sie alle hatten Angst vor mir. Nur vor mir.
Die Leute, die mit mir hier wohnten mochte ich um einiges lieber. Sie ignorierten mich einfach und ich tat dasselbe mit ihnen.
Tagsüber mussten wir genau das tun, was uns von den Kittelmenschen gesagt wurde.
Erst nach dem Abendessen hatten wir Freizeit.
So war es jetzt schon seit zwei Jahren. Ziemlich genau so lange war ich schon hier.
Die Zeit vorher? Ich hatte keine Ahnung.
Der Tag flog an mir vorbei, wie einer der alten Schwarz-Weiß-Filme, die wir uns jeden Freitag ansehen mussten. Es gab drei Stück zur Auswahl. Jeder war langweiliger als der andere.
In Gedanken war ich dann immer abwesend. Heute war ich innerlich bei meinem Traum. Na klar, es war nur ein Traum. Etwas, was mein eigener Kopf, meine eigene Fantasie sich ausgedacht hatte. Aber trotzdem hatte er mich seltsam berührt. Das hatte einen ganz bestimmten Grund.
Das Mädchen mit dem Messer.
Ihr Name war Tessa Le Rot. Sie war 16 Jahre alt und lebte in der geschlossenen Anstalt für psychisch benachteiligte Menschen von Bolemoor. Sie hatte keinerlei Erinnerung an ihr Leben bis vor zwei Jahren, da war sie eingeliefert worden.
Heute hatte sie einen seltsamen Traum gehabt, der sich wie eine Erinnerung angefühlt hatte. Als wäre das Erlebnis aus ihrem Traum tatsächlich passiert.
Ich war Tessa Le Rot.
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