Kapitel 3
„Und möge das Glück...", beginnt James und hebt sein Glas.
„Stets mit euch sein!", beende ich den Satz und wir stoßen lachend an.
Ich nippe am Becher und der süßsaure Saft rinnt mir die Kehle hinab.
„Herrlich", sagt James, als er sein Glas ausgetrunken hat.
„Du sagst es", grinse ich und stelle mein Glas neben das Waschbecken. „Ich gehe mich umziehen, ja?"
James war so nett, mir eine Wanne mit heißem Wasser zu füllen, als ich weg war. Ich wasche mir schnell den Dreck aus meinen Haaren und von meiner Haut, bevor ich zu meiner Kommode gehe und mein Erntekleid heraushole.
Es ist ein schlichtes, dunkelgrünes Teekleid mit einfachem Schnitt. Ich habe mit weißem Faden noch einige Akzente hinzugefügt, den mir James letztes Jahr zur Ernte geschenkt hat. Eigentlich besteht fast unsere gesamte Kleidung aus Geschenken, die wir uns gegenseitig gemacht oder gekauft haben.
Als Schuhe nehme ich braune Sandalen, an dessen Fäden vereinzelte Glas-, Stein- und Holzperlen hängen. Ein Erbstück meiner Mutter.
Nachdem ich meine Haare gekämmt habe, kommt James ins Schlafzimmer. Als er mich sieht, muss er lächeln.
„Weißt du was? Du solltest dieses verflixte Kleid öfter anziehen. Vielleicht bekommst du dann mehr Ware los. Vor allem bei Blade."
„James!", rufe ich empört, renne zu ihm und boxe ihn gegen den Arm. „Rede nicht solchen Stuss!"
„Meow", meldet sich ein weiß-gelb gefleckter Kater zu meinen Füßen. „Ach, Popcorn, Schätzchen", säusele ich und nehme ihn auf den Arm. „Hat dir der Onkel James noch nichts zu trinken gegeben?"
„Meeooow", klagt Popcorn und ich kraule ihm liebevoll das Kinn. „Böser Onkel James", maule ich und sehe James schmollend an. James kann kaum an sich halten, so sehr versucht er, ein Lachen zu unterdrücken. Ich strecke ihm frech die Zunge heraus.
„Komm, Tante Lydia gibt dir jetzt ein Schälchen Wasser", sage ich und Popcorn springt erwartungsvoll von meinen Armen herunter auf den Boden und folgt mir in die Küche. Als auch er versorgt ist, betrachte ich mich im Flurspiegel. Beziehungsweise das Vogelnest auf meinem Kopf.
Mit den Händen richte ich halbwegs meine schulterlangen, glatten Haare, jedoch hängen die meisten dunkelblonden Strähnen immer noch ziemlich strohig herab.
„Los, komm, die Ernte geht gleich los!", ruft James.
„Ich komme schon!", antworte ich und eile zur Haustür. James steht schon vor der Haustür und wartet auf mich. Gemeinsam gehen wir die Straßen hinab zum großen Platz, wo sich schon allerlei Menschen tummeln. James drückt noch ein letztes Mal meine Hand, bevor ich mich bei den anderen Mädchen einreihe. „Viel Glück", sagt er und verschwindet in der Menge der Wartenden, die schon zu alt sind, um an den Hungerspielen teilzunehmen.
Die Glücklichen.
Neben mir im Haufen der Mädchen entdecke ich Emilia, eine meiner Freundinnen aus der Schule. Ihre Mutter ist Apothekerin im wohlhabenderen Teil von Distrikt 3, Emilia ist jedoch trotzdem ein herzensguter Mensch. Wir unterhalten uns noch über dies und das, bevor Radia Groky, diese in ein froschgrünes Kostüm gezwängte Diva mit einer viel zu großen, turmhohen Lockenperücke und Smokey Eyes, auf die Bühne tritt und ihre alljährliche Ansprache hält.
„Bla, bla, bla", äffe ich mit dem Mund in Emilias Richtung, welche nervös zu kichern beginnt.
Nach den fünfzig Millionen langweiligen Filmen über frühere Hungerspiele und über den Aufstand vor dreiundsiebzig Jahren kommt Radia, diese Schnepfe mit ihrem viel zu starken Kapitolakzent, endlich zu der Ziehung.
„Und deshalb werden jedes Jahr eine mutige junge Frau und ein mutiger junger Mann ausgewählt, um ihren Distrikt in den alljährigen Hungerspielen zu vertreten! Wer wird es dieses Jahr sein? Nun denn, Ladys first!", verkündet sie stolz und geht zur Kugel, in der die Lose der Mädchen drin sind. Auf zwanzig davon steht mein Name, auf gerade mal sieben Emilias. Ich suche die Menge aus Erwachsenen nach James ab, doch ich finde ihn nicht, was mich nur noch nervöser macht. Angespannt greife ich nach Emilias Hand und drücke sie fest.
Raida schwenkt ihre Hand im Bottich, raschelt mit den Zetteln, nimmt mal einen in die Hand, lässt ihn aber wieder fallen. Endlich zieht sie ein Blatt, geht zum Mikrofon und faltet ihn auseinander.
Bitte nicht ich. Bitte nicht mein Name. Bitte nicht ich. Um Himmels Willen.
„Lydia Cartwright", donnert es über den gesamten Platz und lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Scheiße. Was für eine Scheiße.
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