Umzugsvorbereitungen

Kurz vor 12 Uhr verabschiede ich meine letzte Kundin vor der Mittagspause. Es ist Dienstag und es kommt mir so vor, als wäre Paddy schon seit zwei Wochen weg - dabei ist es gerade mal einen Tag her.



Die vier Kundinnen, die heute morgen einen Termin bei mir hatten, waren zwar alle super traurig, dass ich weg gehe - gleichzeitig fanden sie es aber auch unglaublich mutig und verstehen meine Entscheidung. Von Paddy habe ich natürlich nichts erzählt.





Während ich mir beim Italiener um die Ecke eine kleine Pizza und einen Salat gönne, überlege ich, was ich diese Woche alles noch zu erledigen habe. Ich öffne die Notizen-App auf meinem Handy und schreibe eine To-Do-Liste:


- Mietverträge kündigen

- Wohnung fertig ausmisten und anfangen zu packen

- Inventar und Möbel verkaufen/verschenken

- Studios anfragen, ob sie Kunden übernehmen

- In München ab- und Berlin anmelden

- Bei der Post den Nachsendeauftrag beantragen



Mehr fällt mir im Moment nicht ein. Ich schliesse die App und widme mich wieder meinem Essen.


Als ich gerade fertig bin, klingelt mein Handy und ich befürchte schon, dass es eine Kundin ist, die einen Termin haben möchte. Am Telefon absagen zu erteilen fällt mir tausend mal schwerer, als es den Kunden direkt ins Gesicht zu sagen.


Zu meiner Erleichterung ist es jedoch Paddys Bild, welches auf dem Display aufleuchtet.


„Hey", sage ich fröhlich. „Na? Was machst du gerade?", im Gegensatz zu mir klingt Paddy eher müde als fröhlich.

„Ich sitze im Restaurant, hab gerade eine Pizza verdrückt und meine To-Do-Liste gemacht. Du? Fleissig?"

Paddy lacht. „Wie mans nimmt... eigentlich bin ich gerade erst aufgestanden. Bist du ganz alleine?"

„Du Penntüte... gibts ja gar nicht, es ist kurz vor 1 Uhr. Ja ich bin alleine... wie immer."

„Ich muss erst um 14 Uhr im Studio sein, daher habe ich es mir gegönnt auszuschlafen. Du sag mal, hast du am Samstag Zeit? Wir spielen in Bremen und ich würde dich gerne sehen."

„Bremen? Cool, da wohnt Amelie. Klar komme ich. Darf ich Amelie zum Konzert mitnehmen?"

„Das wäre meine zweite Frage gewesen. Ich hatte dir ganz vergessen von meiner Idee zu erzählen. Sie war ja letztens ein wenig angepisst, hast du erzählt. Was hälst du davon, wenn wir ihr ein Shirt und ein Ticket per Kurier schicken?"

„Was hälst du davon wenn ich den Kurierdienst am Samstag selbst übernehme?", frage ich zurück.

„Gut, dann machen wir das so. Ich hole dich am Bahnhof ab und wir fahren gemeinsam zu Amelie."

„Klingt super. Ich such nachher die Zugverbindung raus und schreib dir, wann ich dort bin."

„Prima. Ich freu mich übrigens jeden Abend auf unseren Gute-Nacht-Anruf. Wir hören uns also später. Love you!", und schon hat er aufgelegt.

Love you? Hatte er das schon einmal gesagt und ich habe es nicht mitbekommen? Oder ist das sowas wie... hab dich lieb ... einfach so daher gesagt, wie man das zu Freunden sagt ... oder meint er wirklich... ich liebe dich?

Verwirrt blicke ich auf das mittlerweile schwarze Display.



Am Nachmittag habe ich nochmals drei Kundinnen. Zwei kommen zur Gesichtsbehandlung und Lucinda, eine meiner ältesten Kundinnen, kommt zum Nägel machen. Es ihr zu sagen kostet mich eine menge Überwindung.


„Du Lucinda, ich muss dir noch was erzählen."

„Das klingt ja schon leicht dramatisch. Was ist los?", sie blickt mich durch ihre grossen runden Brillengläser an und ich spüre, wie schwierig es mir gerade fällt die Worte über meine Lippen zu bringen.

„Ich werde in zwei Wochen nach Berlin ziehen." Kurz und schmerzlos.

„Was? Nach Berlin? Was willst du denn dort?", sagt Lucinda erschrocken.


Ich seufze. Es bricht mir beinahe das Herz, sie so zu sehen. „Ich brauche einen Neuanfang und ich habe jemanden kennengelernt. Ich werde zu ihm ziehen." Warum ich Paddy diesmal ins Spiel bringe, weiss ich selbst nicht aber irgendwie habe ich zu Lucinda eine freundschaftlichere Beziehung, als zu den anderen Kunden und daher fühlt es sich richtig an, Paddy am Rande zu erwähnen.


„Oh, das freut mich. Ich habe schon länger das Gefühl gehabt, dass du hier nicht mehr wirklich glücklich bist. Ich finde es zwar schade, aber hey, man lebt nur ein Mal. Du bist noch jung, tu das was sich richtig anfühlt. Meine Nägel bekommt schon jemand anderes hin... hoffentlich." Sie zwinkert mir zu und ich muss lächeln.


Bei der Verabschiedung kommen uns beiden die Tränen, aber Lucinda versichert mir, dass die Freude für mich überwiegt. Sie wünscht mir nur das Beste und hofft, dass ich in Berlin glücklich werde.


Es tut gut zu hören, dass mir keine meiner Kundinnen irgendwie böse ist. Im Gegenteil, sie haben sich alle für mich gefreut. Ich hoffe, das bleibt die Woche über noch so.



Und tatsächlich, die ganze Woche verläuft viel besser als ich es mir vorgestellt habe. Die Mietverträge kann ich problemlos künden und für den Laden gibt es sogar schon einen Interessenten - der allenfalls sogar mein Inventar übernehmen würde. Das wäre die perfekte Lösung. Zwei Fliegen mit einer Klappe, wie man so schön sagt.


Zwei Kundinnen waren von meinem Weggang nicht begeistert, aber es ist ja schliesslich mein Leben und meine Entscheidung. Die restlichen Kunden haben mich alle in meinem Vorhaben bestärkt. Jeden Abend habe ich meine Wohnung weiter ausgemistet und die wichtigen Sachen in Kisten gepackt.


Über Ebay-Kleinanzeigen habe ich sogar schon zwei Möbelstücke verkauft. Alles was bis nächsten Mittwoch noch nicht weg ist, kommt auf den Sperrmüll. Je weniger ich besitze und je mehr Dinge organisiert sind, desto befreiter fühle ich mich.


Die Gute-Nacht-Anrufe mit Paddy steigern meine Vorfreude nur noch mehr. Wir schmieden Zukunftspläne, überlegen, was wie alles machen können, wenn ich endlich in Berlin bin und erzählen uns gegenseitig von unserem Tag.


Ich kann es kaum erwarten ihn am Samstag endlich wieder in den Arm zu nehmen. Doch am meisten freue ich mich darauf, wie Amelie reagieren wird, wenn ich vor ihrer Türe stehe und sie zum Konzert abhole. Das wird ein Spass.

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