Leise und laute Töne

„So sieht also eine Künstlergarderobe aus." Ich laufe in dem kleinen Zimmer hin und her. Darin befinden sich eine Couch, ein Getränkeautomat, ein Tisch mit einem Spiegel und eine fahrbare Kleiderstange mit Paddys Shirts und der schwarzen Lederjacke. Ich fahre mit meinen Fingerspitzen über die Shirts. „Warum hast du eigentlich nur fünf Stück?", ich drehe mich zu ihm um. Paddy steht neben der geschlossenen Tür, die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Ich wäre auch nur mit zwei Shirts happy."




Ich gehe zum Fenster und blicke nach unten. „Warum warten die denn vor dem Konzert beim Backstageeingang? Ich meine, du bist ja schon drinnen und gehst ja wohl kaum wieder raus." Ich spüre Paddys Atem in meinem Nacken, da er sich hinter mich gestellt hat und über meine Schulter nach unten blickt. „Sie geben eben die Hoffnung nicht auf. Jede Chance ein Foto mit mir zu bekommen wird genutzt." „Das werde ich wohl nie verstehen", gebe ich genervt zurück. Mir würde es wohl nie in den Sinn kommen irgendwo auf einen Star zu warten, nur um ein Foto mit ihm zu bekommen. Drei Stunden warten für 10 Sekunden Aufmerksamkeit? Das wäre es mir nicht wert.




„Weisst du was der grosse Unterschied zwischen dir und denen da unten ist?", fragt Paddy und holt aus dem Getränkeautomat zwei Flaschen Wasser. Er streckt mir eine entgegen. „Du wirst es mir bestimmt gleich sagen." Paddy tippt mir mit seinem Finger an die Nasenspitze und sagt: „Die sind da unten und warten auf mich", er macht eine kurze Pause, „und du bist hier oben bei mir. Was glaubst du, wer da mehr Chancen auf ein Foto hat?" „Ach du willst ein Foto mit mir? Bist du denn auch schon lange genug angestanden?", frage ich grinsend und stupste Paddy ebenfalls mit meinem Finger an die Nasenspitze. Paddy zückt sein Handy, legt seinen Arm um mich und macht ein Selfie.




„Was machst du denn normalerweise sonst so in deiner Garderobe, wenn du keinen Damenbesuch hast?" Paddy setzt sich auf die Couch und klopft neben sich auf das Polster. Ich setze mich. „Wer sagt denn, dass ich keinen Damenbesuch habe?" Ich verdrehe die Augen. „Meistens lege ich mich noch ein bisschen hin und mache danach nochmals meine Aufwärmübungen für die Stimme." Ich nehme einen Schluck von meiner Wasserflasche, die ich die ganze Zeit in meinen Händen hin und her gedreht habe. Paddy räuspert sich. „Erzählst du mir von eurem Sightseeing-Trip?"




Während ich ihm von unserer Tour durch Berlin erzähle, vergeht die Zeit wie im Flug. Plötzlich klopft es an der Tür und wir schrecken beide hoch. „Ja?", ruft Paddy laut. Christian öffnet die Tür und streckt seinen Kopf hinein. „Du solltest langsam nach unten kommen, die Show beginnt in einer halben Stunde." Paddy blickt erschrocken auf die Uhr. „Oh verdammt! Okay, ich komme gleich." Christian schliesst die Tür, Paddy geht zu dem Kleiderständer und schnappt sich ein Shirt. „Ich geh dann mal zu den Mädels zurück. Bis später", sage ich schnell und verschwinde aus der Tür. Wollte der sich jetzt gerade echt vor mir ausziehen?





Die Mädels sitzen noch immer im Backstagebereich. „Ah! Da bist du ja wieder", stellt Tabea grinsend fest, als ich den Raum betrete. „Jap da bin ich. Wollen wir langsam nach vorne gehen? Es geht bald los."




Gesagt getan - fünf Minuten später sitzen wir auf unseren Plätzen. Amelie stöhnt auf. „Ach ne, ist die Dame auch in der ersten Reihe gelandet. Welch ein Zufall." Ich beuge mich nach vorne und schaue mich um. „Wen meinst du?", frage ich neugierig. „Na die eine da mit dem Blümchenkleid. Die ist jedes Mal in der ersten Reihe und tut so als wäre Paddy scharf auf sie. Die Blonde daneben ist genau so furchtbar." Die beiden Mädels stehen vor ihren Stühlen und schauen nach links uns rechts, immer wieder scheuchen sie jemanden davon oder rufen in voller Lautstärke nach ihren Freundinnen. Ich werde Paddy später fragen, wie er das so findet und ob er die überhaupt kennt.




Das Licht geht aus und es ertönt ein lauter Herzschlag. Die Band kommt auf die Bühne und stimmt den ersten Song an - so wie auch schon beim Soundcheck. Als Paddy auf das erhöhte Podest in der Mitte der Bühne steigt, beginnt das Publikum zu kreischen und springt auf. Das mehrheitlich weibliche Publikum singt gemeinsam mit Paddy die Songs und irgendwie bekomme ich Gänsehaut. Es muss schon ein spezielles Gefühl sein, wenn so viele Menschen den eigenen Song mitsingen.




Zwischen den einzelnen Liedern spricht Paddy mit dem Publikum. Er erzählt kurze Geschichten oder geht auf Inputs vom Publikum ein. Kinder bringen ihm Geschenke nach vorne - wo ich jedoch eher davon ausgehe, dass das Geschenke der Mamas sind. Was er wohl mit diesen Dingen macht? Mit einer Gruppe Mädels, die scheinbar einen Junggesellinnenabschied feiern, macht er ein paar Fotos.




Die Show bietet von allem etwas - logischerweise Musik, lustige Geschichten, Interaktion mit dem Publikum und einige Tanzeinlagen. Mit jedem Song gebe ich ich mich der Musik mehr und mehr hin. Es ist spannend Paddy zu beobachten - seine Mimik und Gestik. Unsere Blicke treffen sich immer mal wieder und er zwinkert mir manchmal sogar zu.




Dann geht plötzlich alles sehr schnell - von hinten kommen Fans nach vorne gestürmt und ich habe schon Angst, dass sie gleich zu Paddy auf die Bühne springen wollen. Sie bleiben gottseidank vor der Bühne stehen. Was ist hier los?


Paddy scheint kein Problem damit zu haben. Er geht dir kleine Treppe nach unten und läuft durch den Saal - nein teilweise rennt er sogar durch die Ränge. Nach einer gefühlten Ewigkeit huscht er an uns vorbei, gibt allen ein High Five  und springt wieder auf die Bühne. Die Fans, die nach vorne gestürmt sind, bleiben einfach stehen. „Ist das nicht irgendwie total dreist?", rufe ich Amelie zu. „Ja das ist leider normal. Die wissen, wann Paddy ins Publikum geht und bleiben jetzt den Rest der Show einfach schön vorne stehen. Paddy müsste sie wohl selbst zurück schicken, dann würde sie es vielleicht sogar tun."




Als Zugabe singt Paddy noch zwei ruhige Lieder. Ich spüre eine Wärme in mir aufsteigen. Ihn auf der Bühne nur mit seiner Gitarre zu sehen und seiner Stimme zu lauschen erfüllt mich mit Freude. Wenn man seine Geschichte kennt, kann man froh sein, dass sich alles zum Guten gewendet hat. Diese Musik ist einfach zu schön und es wäre echt verdammt schade gewesen, wenn er sie nicht an die Öffentlichkeit gebracht hätte.




Die Band verbeugt sich und verlässt die Bühne. „Uff war das mega!", schwärmt Katrin. „Oh ja echt geil", sagt Alice freudestrahlend. „Wir sollten warten, bis die meisten draussen sind und dann nach hinten ins Backstage gehen", sage ich und blicke mich um. Einige scheinen es ziemlich eilig zu haben, andere bleiben sitzen und warten. „Die rennen jetzt bestimmt alle zum Backstageeingang wetten?" Tabea steht grinsend und mit den Händen in die Hüften gestemmt da und beobachten die Leute. „Wahrscheinlich schon", erwidert Tanja und gähnt. „Müde?", frage ich und merke, dass auch ich nicht mehr ganz so fit bin. „Mhm."




Nachdem die meisten den Saal verlassen haben, gehen wir zu der Tür neben der Bühne. Der Securitymann lässt uns ohne Probleme durch und wir hören die Band schon von weitem grölen. „Willkommen auf unserer persönlichen Aftershowparty", ruft uns Paddy entgegen und hält sein Bier in die Höhe.

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