Jugendsünden
„Welche Schuhgrösse hast du?", fragt das junge Mädchen hinter dem Tresen. Sie sieht sehr jung aus und ich frage mich, ob sie schon alt genug ist um hier zu arbeiten. „37", antworte ich und nehme die Schuhe, die sie mir entgegen streckt. Ich rümpfe die Nase. Wie viele Füsse - und vor allem Stinkefüsse - wohl schon in diesen Schuhen gesteckt sind? „Du wolltest bowlen", meint Paddy grinsend. „Ich weiss."
Paddy haut ein Strike nach dem anderen raus. „Da hast du mich doch tatsächlich angelogen du Schuft!" Ich stemme meine Hände in die Hüften und schaue ihn böse an. „Naturtalent eben", sagt Paddy und zwinkert mir zu. „Du bist echt ein mieser Typ. Ein ganz mieser Typ." Ich versuche ernst zu bleiben doch es gelingt mir nicht so ganz. Er stellt sich vor mich. „Du bist aber auch gar nicht so schlecht wie du gesagt hast." „Achja? Dann bin ich hier wohl das Naturtalent."
„Entschuldigung?", höre ich eine Mädchenstimme hinter mir sagen. Ich drehe mich um. „Ja?" Das Mädchen schaut jedoch nicht mich, sondern Paddy mit grossen Augen an. „Dürfte ich vielleicht ein Foto mit dir machen?" Ich drehe mich zu Paddy um und blinzle ihm übertrieben oft zu. „Na, darf sie?"
Nachdem das Mädchen fröhlich gegangen ist, kommen schon die nächsten Zwei um die Ecke. „Und ich dachte du wirst hier nicht erkannt." „Tja, das dachte ich auch", er kratzt sich am Kopf. „Sorry?" Ich zucke mit den Schultern. „Schon okay, gehört wohl wirklich einfach zu deinem Job dazu."
Nachdem auch die beiden Mädels mit ihrem Foto verschwunden sind, beenden wir das Spiel. „Haushoch verloren", sage ich möglichst theatralisch und wische mir imaginäre Tränen weg. „Ach komm, so schlecht warst du also wirklich nicht. Als Gewinner lade ich dich jetzt auf einen Drink ein." „Wollten wir nicht sowieso italienisch essen gehen?", erinnere ich ihn mit erhobenem Zeigefinger. Ich merke ein leichtes Hungergefühl in der Magengegend. „Stimmt! Lass uns gehen bevor noch mehr Fans auftauchen. Sowas spricht sich leider manchmal schnell herum."
„Irgendwie sitzen wir ständig in einem Restaurant." Ich klappe die Speisekarte auf und suche nach der Seite mit den Pizzen. Nach dem Bowlen habe ich richtig Bock auf eine leckere Pizza mit scharfer Salami.
„Was darf ich Ihnen bringen?", möchte die Kellnerin wissen. Sie hat schwarze lange Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat. Sie trägt eine weisse Bluse und eine schwarze Hose. In der Hand hält sie ein schwarzes Gerät - scheint ein modernes Restaurant zu sein, Block und Stift sind wohl Schnee von gestern.
„Ich nehme einen grünen Salat und anschliessend das Muschelrisotto." Paddy klappt die Speisekarte zu und blickt mich auffordernd an. „Für mich bitte die Bruschetta und anschliessend eine Pizza Diavolo." „Oh und dazu hätten wir gerne noch eine Flasche von ihrem besten Rotwein", ergänzt Paddy rasch.
Als die Kellnerin mit unserer Bestellung in der Küche verschwunden ist herrscht eine unangenehme Stille. „Erzählst du mir von deiner Kindheit?", beendet Paddy die kurze Gesprächspause und darüber bin ich richtig froh. Ich hasse es, wenn man nicht weiss, was man sagen soll und es dem Gegenüber genau so geht. Scheinbar geht es Paddy nicht so.
„Meine Kindheit? Naja ich hatte dir ja schon erzählt, dass ich in Nürnberg geboren und aufgewachsen bin. Als Kind war ich laut meiner Mama eher von der frechen Sorte, was sich aber mit den Jahren zum Glück wieder gelegt hat. In der Schule war ich immer eine gute Schülerin und hatte viele Freundinnen. Ich hatte immer viele verschiedene beste Freundinnen - nicht so wie andere, die eine beste Freundin haben und dann auch nach Jahren mit ihr durch dick und dünn gehen. Ich hatte meine Mama und eben meine Mädels aus Nürnberg." „Hast du noch Kontakt zu den Mädels?", fragt Paddy nach. „Nein, wir sind zwar auf Facebook befreundet aber so richtigen Kontakt haben wir nicht. Nebst der Schule war ich oft bei meinen Grosseltern auf dem Bauernhof. Dort habe ich bei der Apfelernte mitgeholfen, habe den Garten gepflegt und mich um die Ziegen gekümmert. Wenn ich bei ihnen war, war ich frei und glücklich. Irgendwann wenn ich alt bin, möchte ich auch ein kleines Haus auf dem Land und meinen eigenen Garten. Es soll eine Bank auf der Veranda stehen und ich sitze dann mit meinem Ehemann einfach nur da und schaue unseren Enkelkindern beim Spielen zu." „Eine schöne Vorstellung." Ich nicke.
„Meine Jugendzeit war dann wiederum das pure Gegenteil. Ich war jedes Wochenende feiern, hatte nur noch Party im Kopf und hab mich teilweise auch nicht mit den richtigen Menschen umgeben." „Das heisst?" „Ich hatte Freunde aus der Drogenszene, habe aber nur ein einziges Mal gekokst. Grässlich. Danach nie wieder." „Drogen sind scheisse, da kann ich auch ein paar Geschichten erzählen. Ich selbst habe zwar auch welche ausprobiert war aber zum Glück nie abhängig. Jugendsünden sozusagen." „Soso Paddy everybodysdarling hat also Drogen konsumiert? Na wenn das die Bravo gewusst hätte." Ich grinse Paddy an. Dieser wirft die Arme in die Luft. „Bleib mir weg mit der Bravo, das war genau so grässlich."
„Nach dieser - nennen wir es Ausprobier- und Partyphase - wurde ich wieder ruhiger. Ich bin nach Stuttgart gezogen und habe meine Ausbildung gemacht. Ich wollte weg aus diesem alten Leben, weg von all den Leuten, die mir nicht gut getan haben. Einfach mein eigenes Ding machen. Meine Eltern sind dann zwei Jahre später zu meinen Grosseltern auf den Hof gezogen. Seitdem gehe ich jedes Jahr ein paar Mal zu ihnen und lasse mich von Oma und Mama betüdeln." „Familie zu haben ist ein grosses Glück." Paddy klingt leicht melancholisch. „Oh ja. Als ich dann zurück nach Nürnberg gegangen bin habe ich schnell gemerkt, dass ich mich dort nicht mehr wirklich Zuhause fühle. Ich bin viel gereist - hauptsächlich in Europa, war aber auch drei Monate in Kanada und ein paar Wochen in Ägypten. Dann lernte ich Chris kennen, zog nach München, eröffnete meinen Salon, wurde sitzen gelassen und bin jetzt mit Michael Patrick Kelly in einem italienischen Restaurant in Berlin", beende ich meine Geschichte. „Klingt nach einem schönen Leben bisher und ich hoffe dieser Michael Paddy Kelly macht seine Sache gut und darf noch ein bisschen länger an deiner Seite verweilen." „Das wird sich zeigen, wär aber schön."
Die Kellnerin serviert die Suppe und den Salat. „Guten Appetit", sagt Paddy und beginnt zu essen. Ich nehme einen Löffel Suppe und spüre, wie mein Hungergefühl verfliegt und mich die Suppe von innen wärmt. Glücklich - ich bin gerade einfach nur glücklich und es fühlt sich alles richtig an. Genau so als müsste ich in diesem Moment genau hier sein - mit ihm.
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