Die Qual der Wahl

Paddy öffnet die Tür. „Gilt dein Angebot noch?", frage ich vorsichtig. Paddy grinst. „Natürlich." Ich betrete die Wohnung - nachdem ich sie erst vor einer halben Stunde verlassen habe - wieder. Paddy schliesst die Tür und dreht sich zu mir um. „Wie kommst?" „Ich konnte nicht einsteigen. Ich will nicht nach Hause." Paddy steckt seine Hände in die Hosentaschen. „Find ich gut." Wir stehen einfach nur da und schauen uns an.




„Und jetzt?", frage ich unsicher und blicke mich in der Wohnung um. „Wo soll ich denn jetzt schlafen?" „Im Bett? Ich nehm die Couch oder hole das Gästeklappbett aus dem Keller." Ich nicke. „Gut, aber dann nehme ich das Gästeklappbett, immerhin bin ich ja schliesslich auch der Gast - also wenn das für dich in Ordnung ist." Ich blicke ihn erwartungsvoll an. „Quatsch, du nimmst das Bett - keine Wiederrede." Ich lächle. „Das sagst du mir schon zum zweite Mal."




Nachdem ich ein paar Sachen ausgepackt habe, fühle ich mich irgendwie glücklich. Ich bin noch hier in Berlin und nicht auf dem Weg nach Hause. Wenn ich an München denke, sehe ich eine graue Wolke über mir schweben. Denke ich jedoch an Berlin, scheint die Sonne. Irgendetwas hat diese Stadt mit mir gemacht.




„Was wollen wir heute Abend machen?", fragt Paddy, der es sich mit seinem Laptop auf der Terrasse gemütlich gemacht hat. Ich lege mich auf den Liegestuhl, der noch genau dort steht, wo ich ihn vorher hingestellt habe - als hätte er gewusst, dass ich wiederkomme und hat auf mich gewartet. „Was kann man denn hier machen, ohne dass du verfolgt wirst?" „Kino oder Bowling." Diese Antwort kam wie aus der Kanone geschossen. „Okay, scheinbar nicht sehr viel." „Und was davon spricht dich mehr an? In einem dunklen kuscheligen Raum zu sitzen und gemütlich einen Film zu schauen oder lieber in einer Halle voller Leute in ekligen Schuhen zu stehen und zu bowlen? Ich bin übrigens ein echt mieser Bowler, by the way."




Ich lache. „Ich denke ich will mir deine Bowling-Skills gerne live anschauen." Paddy schlägt die Hände vors Gesicht. „Neeeein, du bist fies. Na gut, dann gehen wir heute eben bowlen. Ich freu mich... nicht wirklich aber okay. Challenge accepted."




„Prima, das wird bestimmt ein Spass und ich habe endlich einmal die Chance jemanden im Bowling zu schlagen", sage ich freudig. Ich bin nämlich auch eine miese Bowlerin, aber das muss Paddy ja noch nicht wissen. „Gut, dann können wir ja danach noch etwas essen gehen. Ich kenne da ein echt leckeres italienisches Restaurant." „Machst du eine Europareise mit mir? Mittagessen in Frankreich, Abendessen in Italien. Was kommt morgen?" „Frühstück im Bett?" „Bingo, das waren die drei magischen Worte", grinse ich ihn an.




„Achja, morgen Nachmittag treffe ich mich noch mit meinem Manager, da wärst du dann alleine hier." „Kein Problem, ich werde mich dann mit dem Whirlpool anfreunden." Paddy verschränkt die Arme vor der Brust. „Na der hats gut. Ich muss arbeiten und ihr chillt hier ohne mich." Ich lächle und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Laut Wetterbericht soll es die ganze Woche so bleiben.




Während ich dusche, mich anziehe, ein bisschen Make-Up auflege und meine Haare frisiere, höre ich Paddy draussen Gitarre spielen und singen. An diese Art Hintergrundmusik könnte ich mich glatt gewöhnen - wenn ich ehrlich bin,  könnte ich mich hier an alles gewöhnen. Schnell verbanne ich diesen Gedanken wieder aus meinem Kopf.




Als ich aus dem Badezimmer trete, verstummt Paddy. „You look amazing." „Ach hör auf, ich seh aus wie immer. Jeans und T-Shirt sind wohl nicht wirklich amazing. Spielst du mir was vor?", ich setze mich zu ihm auf das Bett.




>>....I wish i knew, I wish I knew

Please say Those Words out Loud

I hear you Calling

Love is Patient, Love is Kind

Faith, Hope and Love Abide

Immortal Grace, A New Born Child

Love is Patient, A Land of Bliss

Beyond The Unknown Languages

Over Mountaims and Mysteries

Love, Love, Love...<<




Nachdem der letzte Ton verklungen ist, klatsche ich in die Hände. „Das war wirklich sehr schön." Paddy stellt die Gitarre zurück. „Dann bin ich jetzt dran mit duschen. Ich hoffe du hast mir warmes Wasser übrig gelassen." Ich blicke ihn erschrocken an und er fängt an zu lachen. „War nur Spass." Ich schnappe mir ein Kissen und schmeisse es ihm an die Brust. „Wir werden immer zutraulicher Miss Sophie." Er verschwindet im Badezimmer und lässt mich irritiert zurück. Was meint er denn mit zutraulich? . „Wehe du kommst herein ohne zu klopfen, ich bin jetzt nackt", ruft er von drinnen. „Will ich eh nicht sehen", rufe ich zurück. Will ich aber eigentlich doch.... Ich kneife mir in den Arm. Warum denke ich sowas?





„Sprechen dich auf der Strasse eigentlich viele Leute an?", ich blicke aus dem Fenster und beobachte die Leute. Wir sitzen im Auto und fahren zur Bowlinghalle. Ich bin immer wieder fasziniert, dass jeder dieser Menschen da draussen ein Leben hat und genau hier und jetzt kreuzen sich diese Leben für ein paar Sekunden. Diese Begegnungen nimmt man aber nicht richtig wahr, weil man ja seinem eigenen Weg folgt - sein Ziel ansteuert. Irgendwie ist das schade, denn das Leben dieser anderen Leute zu kennen wäre doch schön. Wenn man jemanden trifft und sich Zeit nimmt, kann aus diesen wenigen Sekunden etwas ganz Tolles werden. Ich blicke hinüber zu Paddy, der konzentriert den Verkehr beobachtet. Genau so ging es mir mit ihm. Ich hätte ihn im Zug einfach ignorieren können und unsere Leben wären nach der Zugfahrt einfach auseinander gegangen. Jetzt bin ich froh, habe ich es nicht getan. Ich muss schmunzeln - was mir da alles entgangen wäre.




„Manchmal. Je nach dem ob ich am Abend ein Konzert habe. Wenn ich an meinen konzertfreien Tagen unterwegs bin, dann weniger. Warum?" „Nur damit ich weiss, ob ich beim Bowlen von kreischenden Mädels gestört werden könnte." „Kann passieren aber normalerweise kreischen die nicht. In diesem Bowling-Center hatte ich bis jetzt immer meine Ruhe." „Ach, dann bist du da also doch öfter?" „Meine Kumpels schleppen mich da manchmal hin, natürlich gegen meinen Willen." "Natürlich." " Was will ich denn machen? Gegen die Jungs habe ich keine Chance, die mögen kein Wellness." „Wellness? Ich liebe Wellness. Warum war das denn bitte keine Option?" Paddy grinst und biegt nach links ab. „Sparen wir uns für später."




Paddy parkt das Auto vor dem Bowling-Center. Da heute Sonntag ist, ist der Parkplatz ziemlich voll. „Falls du doch lieber ins Kino willst, wäre jetzt die letzte Möglichkeit umzudrehen." Ich schüttle den Kopf. „Ne ne Bürschchen, so schnell kommst du mir nicht davon." Paddy legt seine Stirn an das Lenkrad. „Na gut, dann lassen wir die Blamage beginnen."

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