Alte Geschichten und neue Erkenntnisse

„Erzählst du mir von Chris? Du kennst jetzt die Geschichte von Hannah und mir und ich würde deine auch gerne kennen. Vielleicht hilft es dir ja darüber zu sprechen. Seit ich es dir gesagt habe, fühlt es sich an, als wäre das alles endgültig von mir gewichen. Hat was von Therapie." 



Ich muss lachen. „Früher wollte ich mal Psychologie studieren. Wäre vielleicht doch gar keine so schlechte Idee gewesen", sage ich belustigt.



„Erzählst dus mir?", wiederholt Paddy seine Frage. Ich atme tief durch und schliesse die Augen. Noch immer schmerzt die Erinnerung an unseren letzten Tag - an den Tag an dem er mir gebeichtet hat, dass er sich in eine andere verliebt hat - an den Tag an dem mein Herz gebrochen wurde.



„Ich lernte Chris kurz nach meiner Rückkehr aus Ägypten kennen. Er unterrichtet an einer Schule in München Sport und Mathematik. Er war gerade mit einer Klasse auf Klassenfahrt in Nürnberg und sass Abends mit seinen Kollegen in einer Bar. Ich war mit ein paar Freundinnen ebenfalls dort. Wir kamen ist Gespräch, tauschten Nummern aus und trafen uns die darauffolgenden Tage jeden Abend.


Als die Klassenfahrt vorbei war, ging er logischerweise zurück nach München. Wir sahen uns fast jedes Wochenende - mehrheitlich ging ich nach München - manchmal kam er aber auch zu mir nach Nürnberg. Nach zwei Jahren fragte er mich, ob ich nicht zu ihm ziehen möchte. Ich packte also meine Sachen, liess alles stehen und liegen und zog Hals über Kopf nach München.


Zuerst war alles gut. Es war schön sich auch unter der Woche zu sehen. Ich arbeitet zuerst in einem kleinen Studio, um mich langsam an München zu gewöhnen. Bereits nach einem halben Jahr fing ich an, an meinem eigenen Salon zu arbeiten.


Ich suchte nach einem geeigneten Geschäft und was da halt sonst noch alles so dazu gehört. Es ging alles sehr schnell.


Chris und ich waren das typische Vorzeigepaar. Wir machten fast alles gemeinsam, hatten die selben Freunde und waren ein eingespieltes Team. Vielleicht zu eingespielt. Jedenfalls wurde Chris zunehmend unzufriedener. Er war genervt von mir - und ich von ihm und seinem Verhalten mir gegenüber. Ich wusste nicht was ich falsch gemacht habe. Im Nachhinein weiss ich, dass es nicht an mir lag.


Ein Monat nachdem ich mein Studio eröffnet habe, beichtete er mir, dass er sich in eine andere Frau verliebt hat. Eine Frau die an seiner Schule Französisch und Geschichte unterrichtet. Laut einer gemeinsamen Freundin, hatte diese Frau damals erst vor kurzem an der Schule angefangen.


Da war für mich sofort klar, dass es vorbei ist. Ich zog noch am selben Abend zu einer Freundin. Danach suchte ich mir eine kleine Wohnung in der Nähe meines Studios und lebte vor mich hin. Tag ein Tag aus der selbe Trott. Einige unserer gemeinsamen Freunde mussten sich zwischen Chris und mir entscheiden. Einige blieben, andere gingen und trotzdem war es nicht mehr das Gleiche.


Ich fing an alleine zu reisen, was mich grosse Überwindung gekostet hat. So entdeckte ich das Reiseforum und lernte die Mädels kennen. Das war meine Rettung, denn sie gaben mir das Gefühl jemand zu sein, den man gerne hat. Auch wenn wir uns nur online schrieben, waren sie immer da. Ich war nicht mehr alleine.


Das Treffen hier in Berlin hat mir so viel Kraft und Motivation geben, dass ich mich momentan frage, warum ich eigentlich noch in München lebe. An einem Ort an dem ich gar nicht sein will. Deshalb habe ich mir Antworten gewünscht. Antworten auf meine Frage, was ich jetzt tun soll. Ich weiss einfach, dass ich etwas tun muss."




Paddy, der noch immer meine Hand hält, streichelt mit seinem Daumen über meinen Handrücken. „Ich glaube du kennst die Antwort." Ich drehe meinen Kopf zu ihm. „Ich weiss... aber ich traue mich nicht sie auszusprechen. Vielleicht ist es noch zu früh und ich muss es erst für mich selbst klären." „Alles zu seiner Zeit", sagt Paddy und lässt meine Hand los. Trinkst du noch einGlas Wein mit mir?"



Ich schüttle den Kopf. Das Gespräch hat mich viel Kraft gekostet und deshalb sage ich: „Nein danke. Ich bin müde und würde gerne schlafen. Du kannst gerne noch auf bleiben, das macht mir nichts aus."


„Ok, dann arbeite ich noch ein bisschen am Computer", sagt Paddy und setzt sich auf. Ich stehe auf, nicke ihm zu und verschwinde im Badezimmer. Als ich zurück komme sitzt Paddy mit Kopfhörer auf der Couch und tippt auf die Tastatur. Auf dem Couchtisch steht ein Glas Rotwein.


Ich lege mich ins Bett und schliesse die Augen. Komischerweise ging es mir immer schlecht, wenn ich jemandem meine Geschichte erzählt habe. Jetzt fühle ich mich gut, so als wäre alles tatsächlich auch von mir gewichen. Ich schwöre, dass ich nie wieder einen Gedanken an Chris und die Vergangenheit vergeuden werde. Das habe ich die letzten zwei Jahre zu oft getan. Chris lebt sein Leben und ich meins. Ich muss aus München weg und das am Besten so schnell wie möglich.





Ich nehme mein Handy vom Nachttisch und öffne den Chat mit Rahel.


>Hey Süsse, bist du noch wach?<


Promt kommt eine Antwort.


>Es ist kurz vor halb 1... warum sollte ich schon schlafen?<


>Haha, wie komme ich nur auf die Idee, dass du schlafen würdest du Nachteule. Ich wollte fragen, was du am Wochenende vor hast.<


>Bis jetzt noch nichts, warum?<


>Hättest du Zeit für Besuch?<


>Klar, sag Paddy er ist jederzeit willkommen.<


>Witzbold. Ich brauch jemanden zum reden.<


>Ist alles in Ordnung?<


>Ja, ich brauch einfach deine Meinung. Ich weiss gerade nicht was richtig und was falsch ist.<


>Bist du schwanger?<


>Haha, nein. Kann ich am Donnerstag zu dir kommen?<


>Klar, gib Bescheid wann du hier bist dann hole ich dich vom Bahnhof ab.<


>Du bist die Beste danke!<


>Und es ist wirklich alles in Ordnung?<


>Ja, wirklich! Mach dir keine Sorgen. Paddy schaut gut zu mir.<


>Das will ich ihm auch raten, sonst gibts Haue auf den Knackarsch. Sag ihm das ruhig.<


>Apropos Knackpo... den hat er wirklich.<


>Oha, was habt ihr gemacht?<


>Wir waren am See...<


>Klar... du schlimmer Finger.<


>Echt wahr, ich erzähl dir dann alles am Donnerstag. In den letzten Tagen ist so viel passiert.<


>Prima, ich freu mich drauf. Gibts vom Po ein Foto? Wenn ja, brings mir als Poster mit. Danke.<


>Und wer ist jetzt hier der schlimme Finger. Ich seh mal was sich machen lässt aber ich glaube dieses Poster behalte ich dann eher für mich.<


>Lass ihn diese Unterhaltung ja nie lesen sonst denkt er noch, wir sind völlig bescheuert.<


>Sind wir doch.<


>Aber das soll er ja nicht wissen.<


>Ich glaub das weiss er schon. Ich melde mich am Donnerstag wenn ich weiss, wann ich ankomme. Bis dann und danke.<


>Bis dann und liebe Grüsse an den Knackpo.<


>Haha, richte ich aus.<




Ich öffne den SMS-Chat mit Paddy und hoffe sein Handy liegt neben ihm.




>Danke fürs Zuhören und danke dass ich bei dir sein darf. Liebe Grüsse von der Backgroundschläferin.<



Ich beobachte wie Paddy sein Handy nimmt und meine Nachricht liest. Dann fängt er an zu tippen und ich starre gebannt auf meinen Bildschirm.



>Danke dass ich dir begegnen durfte. Manchmal gehen Wünsche schneller in Erfüllung als man denkt. Schlaf gut.<


Ich lege das Handy zurück auf den Nachttisch und blicke zu Paddy. Hätte ich ihn nicht getroffen, wäre ich jetzt bereits wieder in München - denn der eigentliche Grund warum ich nicht in den Zug eingestiegen bin, ist er. Ich wollte einfach bei ihm bleiben.

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