22. Kapitel | Tiptoe

Schweigend saß ich neben Jay. Ich hatte mich an meinen Freund gelehnt, betrachtete die anderen aus meiner Klasse, die sich hier im Aufenthaltsraum befanden. Ich wollte nicht hier sein, ich wollte mich einfach in mein Bett verkriechen, die Bettdecke über meinen Kopf ziehen und die ganze Welt um mich herum einfach vergessen.
Doch Jay hatte mich angefleht mit zu kommen. Entweder wollte er nicht, dass es zu still um mich herum ist, oder er hoffte, dass so Nathan nicht noch einmal etwas tun würde. Oder beides.

Ein Mädchen ließ sich neben uns fallen, quetschte sich an den Rand der kleinen, aber dafür auch ziemlich bequemen Couch, auf der wir saßen. Ich zuckte erschrocken zusammen, weswegen Jay beschützerisch seinen Arm um mich legte.
„Was willst du?", fragte mein Freund sie nicht gerade in einem freundlichen Ton. Sie schien es nicht zu stören. Im Gegenteil, sie lächelte ihn sogar an. Kein falsches Lächeln, nein, ein richtig ehrliches.

„Ich wollte auch mal mit euch reden. Ihr seid so alleine und da dachte ich-"
Das Mädchen mit den lockigen Haaren wurde schnell von dem Jungen unterbrochen.
„Wir sind glücklich zu zweit und legen viel Wert darauf, dass es auch dabei bleibt", knurrte Jay sie an.
Sie lachte. Es klang wie ein Engelslachen; Hell, klar und rein. Ganz unschuldig und zart. Generell könnte sie ein perfekter Engel sein: Blonde, perfekt gelockte Haare, tiefblaue Augen, eine makellos reine, weiße Haut und einige zarte Sommersprossen auf ihrer Nase verteilt.
„Jay, denkst du ernsthaft, ich würde etwas von euch wollen? Oder euch auseinanderbringen? Das hatte ich nie vor. Und ach ja, Lewis, ich denke, du kennst meinen Namen noch nicht. Ich bin Kiara"
Ich nickte etwas zögerlich, kuschelte mich enger an meinen Freund.
Hoffentlich sah man nicht, wie rot und geschwollen meine Augen aussahen.
Hoffentlich merkte niemand, wie ich mich auf einmal verändert hatte.
Ich war nicht mehr dieser fröhliche Lewis und ich würde es nie wieder sein.
Ich war...einfach eine andere Person.
Nicht mehr dieses alte Ich.

Jay brummte leise, zog mich noch näher an sich. „Doch, eigentlich schon. Und kannst du jetzt bitte wieder gehen? Danke"
Ihm schien Kiara nicht gerade sympathisch zu sein. Warum wohl? Ja, sie sah etwas aus wie ein so richtiges Klischeemädchen, doch...sie wirkte irgendwie...nett? Ob er Angst hatte, dass ich mich vielleicht in sie verlieben konnte?
Niemals.
Nein, ich könnte mir das nie vorstellen.

Ich reckte meinen Kopf etwas, wollte ihm das leise zuflüstern, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Sofort zuckte ich zusammen, begann etwas zu zittern. War das Nathan?
Meinen Kopf vergrub ich in Jay's T-Shirt. Niemals traute ich nachzusehen. Dazu hatte ich zu sehr Angst und wollte nicht Nathan's Spott hören.
Ich hatte gespürt, wie sich Jay angespannt hatte – wahrscheinlich dachte er ebenfalls an Nathan, doch er empfand nur Wut auf ihn, während es bei mir pure Angst und Panik war – doch nun entspannte er sich wieder, strich beruhigend über meinen Rücken.

Tatsächlich schien es nicht Nathan zu sein. Es war zwar ruhig geworden – wie es meistens der Fall war, wenn er einen Raum betrat – jedoch sprach nun eine andere, mir fremde Stimme, die absolut nicht zu Nathan passte.

„Heyyyyy, Leute. Hier ist ja echt nichts los, Zeit, dass ich komme! Nennt mich Mike, oder My, wie ihr wollt. Aber generell nennen mich alle Gott. Und bevor irgendjemand dumm fragt, ja, ich bin neu"

Ich verzog mein Gesicht. Was zur Hölle war mit dem bitte falsch? Kam rein und benahm sich wie der größte Volltrottel. Langsam hob ich meinen Kopf, erblickte einen Jungen in etwa meinem Alter, dessen weißblonde Haare sofort ins Auge stachen. Der Kontrast mit seinen ungewöhnlich hellen Augen machte es nicht wirklich besser. War ich heute nur von Engeln umgeben? Vielleicht war ich ja gestorben...

„Ach und noch was: Die Haare, die sind nicht gefärbt. Und trotzdem blendend schön"
Er lachte, lauthals, strich sich durch seine Haare. Zu meinem Entsetzen lachten sogar einige mit. Obwohl der Witz...nun ja, unter jeder Gürtellinie war.
Wieder verzog ich etwas mein Gesicht, sah zu, wie der Junge sich neben Robin und Tyler niederließ. Die passten ja perfekt zusammen, einer arroganter als der andere. Fehlte nur noch Nathan in der Runde. Doch ich war froh, dass er nicht hier aufgetaucht war.

Erst jetzt bemerkte ich, dass noch eine Person in der Tür stand. Sie war mir ebenfalls fremd, wirkte Mike – oder Gott, wie ihn ja alle anscheinend nannten – ziemlich ähnlich. Genauer gesagt sah er genau gleich aus, jedoch wichen ihre Klamotten voneinander ab. Der Junge stand da, schein zu überlegen, was er tun sollte. Unruhig kaute der Fremde auf seiner Unterlippe, dann trat er zögerlich einige Schritte nach vorne, bis er vor uns stand.

„W-wäre es mir erlaubt, mich – mich neben euch zu setzen?", stotterte er sichtlich nervös, zupfte an seinem Ärmel. Er klang ganz anders wie Mike, viel...sympathischer.
Jay musterte ihn etwas misstrauisch. „Verbieten kann's dir ja niemand...solange du dich nicht so affig benimmst wie der Wasserstoffhaarenheini...", brummte er, strich wieder über meinen Rücken während mir ein leises Kichern entfloh. Wasserstoffhaarenheini...

Der Fremde schüttelte seinen Kopf. „Natürlich nicht. Das Verhalten meines Zwillingsbruders ist äußerst fragwürdig", antwortete er ihm mit einer leicht zitternden Stimme.
Er redete etwas seltsam, sehr...geschwollen. Doch es klang irgendwie...süß.
„Ich bin Lewis und das ist mein Freund Jay. Mich kannst du auch gerne Lew nennen. Und wie heißt du?", fragte ich ihn mit gespielt fröhlicher Stimme, weswegen mich Jay etwas verwirrt musterte, als schien er mich fragen zu wollen, was das solle. Doch ich beachtete es nicht, blickte nur erwartungsvoll zu dem Jungen.

„Mein Name lautet Mat. Freut mich eure Bekanntschaft zu erringen", erklärte der Junge, ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht wieder zu kichern. Er redete echt seltsam, doch ich fand das nicht schlimm; Im Gegenteil. Ich empfand es als süß.
Vielleicht als etwas zu süß...

They won't see me run, who can blame them?
They never look to see me fly, so I never have to lie

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