17. Kapitel | Walking The Wire

Leise seufzend stand ich am Flur, welcher zur Klasse führte und wartete. Ich stand einfach da und hielt Ausschau nach Alex.
Sie hatte sich verändert.
Die alte Alex, meine beste Freundin, wäre lieber gestorben, als dass sie mit einem Fuckboy rumgeknutscht hätte.
Ich biss mir auf meine Lippen, starrte ungeduldig den endlos erscheinenden Flur entlang.
Wo blieb sie nur?

Tatsächlich tauchte sie nach einigen Minuten auf. Sie war alleine, ohne jeglicher Begleitung. Das war meine Chance.
Ich ging auf sie zu, schnappte sie am Handgelenk und zog sie einfach in den nächstgelegenen Raum, welcher wie ein Abstellraum für Unterrichtsmaterialien aussah.

Das Mädchen blickte mich empört an, schimpfte leise vor sich hin.
„Was fällt dir eigentlich ein, hm?! Lass mich gefälligst los!"
Ich knurrte leise, trat einen Schritt auf sie zu.
„Oh, das werde ich nicht tun. Nicht bis du mir erklärt hast, was DIR eigentlich einfällt, Alexandra?!"

Das Mädchen starrte mich an, dann drückte sie mich ruckartig gegen die Wand, löste sich von meinem zugegeben nicht sehr starken Handgriff.
„Ich hasse es, wenn man mich so nennt und das müsstest du wohl am besten wissen, als mein bester Freund! Was habe ich denn jetzt schon wieder angestellt, hm? Ich habe gar nichts gemacht, hörst du? G a r n i c h t s."
Meine Augen ließen nicht von ihr ab, im Gegenteil. Wären meine Blicke Akkuschrauber, hätte ich sie schon längst durchbohrt.

Ihr bester Freund.
Nein, das war ich nicht mehr, ganz bestimmt nicht.
„Wieso sollte ich der beste Freund einer Fremden sein, die einen Schwächeren erniedrigt, der noch dazu seinen allerbesten Freund vermisst?", meinte ich nur kühl zu ihr, es war meine einzige Erwiderung.
Dann ging ich mit schnellen Schritten aus dem Raum und ließ sie einfach stehen.
Sie konnte mich mal.
Von mir aus konnte sie bei ihrem geliebten Nathan bleiben, juckte mich doch nicht.
Es war mir auf einmal komplett egal.
Sie würde sich etwas Besseres als eine dahingekritzelte Zeichnung einfallen lassen müssen, um mich wieder zurück bekommen.
Das Mädchen war jetzt für mich gestorben.

Mit schnellen Schritten eilte ich die letzten Meter zu der Klasse entlang, legte meine Hand auf die kühle Metallklinke und öffnete die Tür mit einem Ruck.
Zielstrebig ging ich auf meinen Platz zu, der in der letzten Reihe neben Alex war, schnappte meine Sachen und die wenigen Bücher, die ich ins Bankfach gelegt hatte und ging zu Jay.

„Hey, ist neben dir noch frei?", fragte ich ihn, ein Grinsen zierte mein Gesicht.
Jay sah zu mir hoch, runzelte etwas die Stirn, dann jedoch lächelte er mir zu.
„Klar. Wenn du denn neben einen Verlierer sitzen willst"
Ich schüttelte meine Haare, legte meine Bücher auf den Tisch und ließ mich dann demonstrativ auf den Sessel neben ihn fallen.
„Jep. Selbst wenn du ein Verlierer wärst, bist du tausendmal besser als ne Heuchlerin", meinte ich, legte meinen Kopf etwas schief dabei und seufzte leise auf.
Jay musterte mich kurz, nickte etwas.

„Hast du dich mit Alex gestritten?", fragte er mich schließlich nach einer Weile mit seiner ruhigen, tiefen Stimme.
Ich lehnte mich etwas an ihn, schloss meine Augen.
„Können wir über etwas anderes reden? Ich will einfach nicht an Alexandra denken"
Absichtlich nannte ich das Mädchen dabei bei ihrem vollen Namen, seufzte erneut auf.
„Natürlich", erwiderte der Junge, legte seine Arme um mich und zog mich an seinen schmächtig gebauten Körper.
Gerade, als er noch etwas sagen wollte, ging die Tür auf, ein Lehrer betrat den Raum.
Mathematik.
Na das konnte ja was werden.

Leise seufzend erhob ich mich etwas, um den Lehrer zu begrüßen und ließ mich kurz darauf wieder auf meinen neuen Sitzplatz nieder.
Dann hörte ich den Lehrer zu, wie er anfing zu reden und konzentrierte mich komplett auf den Unterricht.
All meine Gedanken verschwanden einfach, waren weg.
Es gab nur mich und Mathematik.
Zum erste Mal war ich diesem Fach dankbar, dass es existierte.
So konnte ich mich zumindest ablenken, meine Gedankengänge auf später verschieben.

So verbrachte ich fast den ganzen Schultag so, versuchte, mich mit den Aufgaben intensiv zu beschäftigen und so keinen Platz für Alex in meinem Gehirn zu lassen.
Zwar erwischte ich mich, wie ich immer wieder Überlegungen anstellte, dass ich ihr Unrecht getan hätte, doch dies hielt sich ziemlich in Grenzen.
Nachdenklich blickte ich zu Jay.
Er wirkte wie ausgewechselt, viel glücklicher und entspannter.
Der Junge gefiel mir so wesentlich besser.

Leise seufzend legte ich einen Stift weg, begann mich zu strecken. Endlich hatte es geläutet, die Stunde war beendet. Nun war große Pause, danach hatten wir nur noch eine Stunde und zwar Musik.
Ich mochte Musik ziemlich gerne und hoffte, dass die Lehrkraft den Stoff gut rüberbringen würde. Musik als Unterrichtsfach hatte ich hier im Internat nämlich noch nicht gemacht.
Gerade wollte ich mich gut gelaunt zu Jay drehen, als ich bemerkte, wie Nathan, Robin und Tyler auf uns zukamen.
Nicht die schon wieder.
Die hatten mir gerade noch gefehlt.

„Na, wie geht's dem schwulen Pärchen so?", meinte Nathan mit einer kotzfreundlichen Stimme, die einfach nur aufregte.
„Ich wüsste nicht, was dich das angeht. Auch nicht, ob wir was miteinander haben oder nicht", erwiderte ich sofort, sprang auf, wobei der Sessel zu Boden knallte.
War ja klar, dass das passierte.
Ich ignorierte es, stieg einfach über den Stuhl und ging auf Nathan und dessen Freunde zu.
Dieser grinste mich herausfordernd an.
„Ach, wird denn mein kleiner Lewis wütend?"
Seine Stimme war provozierend ruhig, er säuselte die Worte richtig.
Das machte mich nur noch wütender.
„Dein kleiner Lewis? Du kannst mich mal kreuzweise! Verpiss dich einfach aus meinem Leben und geh sonst wo hin. Ist mir scheißegal! Du bist einfach nur ein widerlicher Kotzbrocken!"
Robin lachte und auch Nathan schmunzelte.
„Widerlicher Kotzbrocken, was ist denn das für eine Beleidigung?", warf Robin lachend ein.
„Hast nichts Besseres kennengelernt? Merkt man dir an, Dorftrottel!"
Ich fauchte leise, wollte gerade auf ihn losgehen, als ich spürte, wie sich warme Hände um meinen Körper legten.
„Lass sie, Lew", flüsterte Jay mir in mein Ohr, weshalb ich leise aufseufzte.
Die Typen konnten mich mal!

„Hiermit ist offiziell bestätigt, dass ihr zwei scheiß Schwuchteln seid", meinte Tyler grinsend.
„Genau, scheiß Schwuchteln. Kriegt keine Weiber ab, deshalb seid ihr zusammen. Ne Schade für die ganze Menschheit. Eine absolute Schande", fügte Robin schnell bei.
Ich spürte, wie ich noch wütender wurde, mich Jay langsam losließ und neben mich trat.
Er sah sie eine Weile einfach nur an.
„Ihr wollt wirklich einen Beweis? Den sollt ihr bekommen...", murmelte er dann kurz darauf.

Etwas irritiert hielt ich inne. Was meinte Jay damit? Was hatte er vor?
Noch bevor irgendjemand fragend konnte, spürte, wie der Junge sanft mein Kinn in seine Hand nahm es zu ihm zog.
Mein Herz begann schneller zu schlagen und so laut, dass ich Angst haben musste, dass es die anderen vielleicht hören konnten.
Er wollte doch nicht...
Doch genau in diesem Moment legte der Junge seine Lippen auf meine, sah mir kurz in die Augen. Dann schloss er sie und küsste mich einfach.
Mein Herzschlag beschleunigte sich erneut, ich spürte, wie ein bisher unbekanntes Glücksgefühl in mir vorhanden war.
Ich fühlte so viel, dass ich komplett perplex war und nicht erwiderte, sondern einfach nur dastand.
War das real?
War dieses Gefühl real?
War dieser Kuss real?
War diese Bombe aus Emotionen, die gerade in mir zerplatzte, real?
Ich konnte all den Fragen nicht näher auf den Grund gehen, da sich Jay schon wieder von mir löste.

„Sorry...ich dachte...", hauchte er in mein Ohr.
Dann jedoch brach Jay ab, lief einfach los, raus aus dem Klassenraum.
Ich sah ihn immer noch schockiert nach.
Es war mucksmäuschenstill in der Klasse geworden, niemand redete.
Einen Moment brauchte ich mich, um mich zu fassen, dann rannte ich, ohne mich ein einziges Mal umzudrehen, aus dem Klassenraum und hinter Jay her.
Diesen Kuss...
Ich musste ihn erwidern.

Oh, I'll take your hand when thunder roars
And I'll hold you close, I'll stay the course
I promise you from up above
That we'll take what comes, take what comes...
Love...

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