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CHICO
Ich glaube, es gibt keinen Typen in meinem Alter, der sich nach den Ferien immer so sehr auf die Schule freut, wie ich. Es ist nicht einmal der Unterricht an sich, auf den ich mich freue. Es ist einfach die ganze Atmosphäre, die Leute, die man nach zwei Monaten endlich wiedersieht, die ganzen Geschichten, die man sich zu erzählen hat, Lacrosse und das Gefühl, auf dem Feld zu stehen und die ganzen Schüler von den Tribünen aus schreien und jubeln zu hören, die witzigen Momente im Unterricht, die man tagtäglich erlebt, Homecoming, Prom... Ich liebe das.
Ich kann nicht fassen, dass das hier wirklich mein letztes Schuljahr sein soll. Ich weiß nicht einmal, was ich nach der Schule mit mir anfangen soll. College? Wenn ja, weit weg, sodass ich einen kompletten Neustart wagen kann oder hier in der Nähe, um ein Auge auf meine kleine Schwester zu haben? Und wenn nicht College, was mache ich dann?
Ich habe noch ein ganzes Jahr Zeit, um herauszufinden, was ich wirklich will. Aber trotzdem habe ich das Gefühl, dass ein Jahr nicht annähernd genug Zeit ist, um über meine Zukunft entscheiden zu können.
„Chico, mein Junge!", höre ich meinen besten Freund hinter mir quer über den Parkplatz rufen.
Ich kann nichts gegen das breite Lächeln auf meinen Lippen tun, als ich mich umdrehe und Perry mit seinen Dreads und diesem typischen breiten, millionenschweren Grinsen auf mich zulaufen sehe.
„Hast du gerade einen durchgezogen?", frage ich lachend, als ich seine Augen sehe.
Perry holt sein Handy raus und betrachtet sein Gesicht im Bildschirm. „Fuck", lacht er. „Glaubst du, die Lehrer checken das?"
„Denen fällt das wahrscheinlich gar nicht mehr auf. Und sonst sagst du, du hast geheult."
„Dude, lieber geb ich zu, dass ich komplett stoned bin, als zu sagen, dass ich geheult hab."
„Das ist verdammt altmodisch."
„Wen juckt's?"
„Dich ja offensichtlich nicht."
„Ganz genau, Kumpel", grinst er und schlägt mir auf den Rücken.
Wir laufen zusammen durch den Eingang, zwischendurch werden wir von Freunden aufgehalten. Außer mir ist niemandem sonst aufgefallen, dass Perry komplett high ist. Oder es interessiert sonst einfach niemanden.
Perry und ich haben die ersten beiden Stunden zusammen. Erst Englisch, dann Geografie. Beides nicht so meins, aber was bleibt mir anderes übrig.
Als wir den Raum betreten, sind die meisten Plätze schon besetzt, sodass Perry und ich nicht nebeneinandersitzen können. Perry scheint das überhaupt nicht zu bemerken und setzt sich einfach auf den letzten freien Platz in der hintersten Reihe.
Mir soll's egal sein.
Ich bin froh, dass noch einer der Fensterplätze frei ist. Ich mag es, nach draußen gucken zu können und zu sehen, was da so passiert. Ich schaue gerade abwesend aus dem Fenster, als mein Handy in meiner Hosentasche vibriert. Ich hole es raus und sehe, dass mir eine unbekannte Nummer geschrieben hat. Etwas verwundert klicke ich auf die Nachricht.
Wie lange hast du heute Schule? - F.
F.? Ich brauch nich lange nachzudenken, um zu kapieren, dass das nur Fonda sein kann. Wer sonst würde wissen wollen, wie lange ich heute Schule habe?
Wo hast du das Handy her?, tippe ich. Es dauert keine fünf Sekunden, bis eine neue Nachricht von ihr kommt.
Sag ich dir, wenn du heute kommst.
Ich verdrehe die Augen. Seitdem ich das letzte Mal einfach so gegangen bin, war ich nicht mehr bei ihr. Mir ist das mit diesem Elliot einfach zu dumm. Und scheinbar kommt sie ja auch ganz gut ohne mich aus, ganz so langweilig kann ihr ja nicht sein.
Oder ich ruf einfach in der Klinik an und sag denen, dass du an ein Handy gekommen bist ;)
Natürlich würde ich das nicht machen. Eigentlich finde ich es sogar gar nicht so schlecht, dass sie jetzt ein Handy da hat. Aber mich würde schon interessieren, wo sie das her hat.
Machst du eh nicht, kommt von ihr zurück. Und in einer zweiten Nachricht: Bitte. Elliot ist nicht mehr hier.
Bei der letzten Nachricht ziehen sich meine Augenbrauen zusammen. Was soll das heißen, der Typ ist nicht mehr da?
Wieso?, schreibe ich nur.
Wurde gestern entlassen.
Ah. Entlassen also. Er wird entlassen und plötzlich hat Fonda ein Handy. Interessant.
Hab um zwei Schluss, schreibe ich ihr bloß und stecke mein Handy zurück in die Tasche. Ob ich sie heute besuche, weiß ich ehrlich gesagt noch nicht. Lust habe ich keine. Und eigentlich muss ich Onkel Rafael nachher noch in der Werkstatt helfen und wenn ich davor noch zu Fonda fahre, würde das bedeuten, dass ich wieder keine Zeit für mich hätte. Ich seufze leise und lasse mein Gesicht in meine Hände sinken. Ich hasse das.
Ich kann einfach nicht egoistisch sein, wenn es um meine Familie geht.
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