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ELLIOT

„Hast du alles?"
„Ja."
„Sicher?"
„Ja."
„Was ist mit den Sachen aus dem Badezimmer? Hast du die Befunde von Dr. Clyde eingepackt?"
„Ich hab gesagt, ich hab alles, Mum."
„Ich frag ja nur. Nicht, dass wir am Ende irgendwas hier lassen."
„Tun wir."
„Was?"
Den einzigen Menschen, den ich leiden kann.
Fonda hat es nicht auf die leichte Schulter genommen, dass ich die Klinik heute verlasse. Wir sind eigentlich beide davon ausgegangen, dass wir gleichzeitig rauskommen würden. Wir gehen auf die selbe Schule und der Unterricht fängt morgen wieder an. Also warum sollte sie über die Schulzeit hinaus hierbleiben?
Die Antwort ist: drei Monate Privatunterricht.
Allein Fondas Gesichtsausdruck hat alles gesagt. Schule an sich ist schon scheiße, aber dann auch noch alleine unterrichtet zu werden? Das einzige, was mich in der Schule am Leben hält, sind die ganzen Leute um mich herum, zwischen denen ich unbemerkt untertauchen kann. Aber alleine? Ich würde mir lieber den Strick holen.
„Nichts", antworte ich meiner Mutter bloß, damit sie endlich den Mund hält. Seitdem sie hier ist, hetzt sie mich von einem Ort zum anderen. Man könnte meinen, sie hätte es eilig, mich wieder nach Hause zu bekommen.
„Ist das jetzt wirklich alles?" Sie kann es wirklich nicht lassen.
„Ja."
„Gut", seufzt sie und schaut sich ein letztes Mal in meinem leergeräumten Zimmer um. „Ich geh dann jetzt nach unten und unterschreib die Papiere und den ganzen Kram. Du kannst ja schon mal die Koffer ins Auto bringen. Hier", sagt sie und hält mir ihren Schlüsselbund hin.
Ich weiß nicht, warum ich zögere, bevor ich die Schlüssel entgegennehme. Ich hoffe bloß, dass sie das nicht bemerkt hat.
Und natürlich hat sie das nicht bemerkt.

Ich muss zweimal laufen, um wirklich alle Sachen nach unten zu kriegen. Beide Male begegne ich Fonda unten im Forum. Sie ignoriert mich komplett.
Als ich ein drittes Mal in die Klinik hineinlaufe, ist es nicht, weil ich irgendwas vergessen habe. Ich muss nur etwas loswerden.
Fonda sitzt auf einer der Stühle für die Besucher im Eingangsbereich und ich lasse mich in den Stuhl neben ihr fallen. Meine Mutter wartet draußen am Auto. Ich habe ihr gesagt, ich muss noch was erledigen.
„Hier", sage ich und drücke Fonda mein Notfallhandy und das Ladekabel in die Hand.
Handys sind hier für die Patienten nicht erlaubt. Das hat meine Eltern aber nicht davon abgehalten, mir trotzdem ein altes Handy einzupacken, damit ich ihnen schreiben oder sie anrufen konnte, wenn irgendwas gewesen wäre.
Das passiert, wenn man ein Kind verliert. Man wird zu Helikoptereltern.
Ich habe das Handy nie benutzt, es lag die ganze Zeit unberührt eingeklemmt zwischen der Matratze und dem Bettgestell. Aber Fonda kann es sicher gut gebrauchen.
„Meine Nummer ist unter Lio eingespeichert. Frag nicht", füge ich hinzu, als ich ihren Gesichtsausdruck sehe. „Alter Spitzname", murmle ich.
Fondas Griff um das Handy verstärkt sich. Sie starrt einen Moment lang still mit angespannten Kiefer nach draußen.
„Du..." Sie zögert kurz und sucht meinen Blick. „Du kommst doch wieder, oder?"
„Jeden Tag. Nach der Schule. Ich versuch's. Und sonst", zeige ich auf das Handy, „telefonieren wir halt. Oder schreiben. Mir egal."
Ihre Schultern sinken vor Erleichterung. Sie lächelt kurz. „Es wird so langweilig..."
„Ich weiß", grinse ich und stehe auf. „Grüß den Doc von mir."
Fonda antwortet irgendwas Sarkastisches, aber ich verstehe sie nicht mehr, denn ich bin schon auf den Weg nach draußen. Ich drehe mich nicht noch einmal um.

Mein Zimmer sieht noch genauso aus, wie als ich es verlassen habe. Es ist sogar noch die selbe Bettwäsche drauf.
Ich schließe die Tür hinter mir und stelle die Koffer ab. Die beiden Fenster sind geöffnet, das Licht der Sonne erwärmt den Laminatfboden. Ich seufze und schließe für einen kurzen Moment die Augen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so erleichtert fühlen würde, wenn ich wieder nach Hause komme.
Ein kleines Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und ich öffne meine Balkontür. Die warme Sommerluft strömt mir entgegen und ich genieße einen Moment lang die warmen Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht.
Bis ich das Bellen höre.
Ich reiße meine Augen auf, die Muskeln in meinen Wangen tun weh, weil ich schon so lange nicht mehr so breit gelächelt habe.
„Apollo!", rufe ich und schaue vom Balkon aus runter auf den Garten. Mein Hund bellt noch lauter und rennt und springt herum, als würde er von Wespen gejagt werden.
Ich zögere nicht lange und schwinge ein Bein über den Rand des Balkons, das andere hinterher. Ich lasse mich vom Geländer hängen und springe die restlichen zwei, vielleicht drei Meter hinunter und lande im weichen Gras. Bevor ich mich richtig aufrichten kann, ist mein Hund komplett über mich. Alles, was ich sehe, ist braunes Fell und seine schwarze Nase und alles, was ich höre, ist sein Atem und Hecheln und wie schnell sein Schwanz hin und herwedelt.
Verdammt, ich habe diesen kleinen Scheißer vermisst.
„Apollo, aus", rufe ich lachend, als er winselnd mein komplettes Gesicht ableckt und mich mit seinem Gewicht in den Boden drückt. „Apollo!"
Ich ziehe leicht an seinen Ohren und er lässt endlich von mir ab. Zumindest so viel, dass ich mich wieder hinsetzen kann. „Du bist fetter geworden. Die haben dich richtig durchgefüttert, huh", murmle ich und kraule seinen Kopf. So, wie er darauf reagiert, könnte man denken, ich hätte ihn gelobt.
Das liebe ich an Hunden. Egal was man sagt, egal was man macht, sie lieben dich trotzdem.
Es ist ihnen scheißegal, wer du bist.

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