35
Elliot
Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal bei Fonda war. Vor einer Woche vielleicht. Könnten mittlerweile auch schon zwei Wochen sein, keine Ahnung. Sie hat mich ein paar Mal angerufen, aber ich bin nicht rangegangen. Irgendwo tut's mir ja auch leid. Es liegt ja nicht an ihr. Aber jetzt stellen wir uns mal vor (oder besser nicht, wir stellen uns gar nichts mit ihm vor), dass Chico da plötzlich auftaucht. Am besten hat er Fonda auch noch alles erzählt. Ich lache innerlich. Was rede ich da. So wie ich Chico kenne, weiß seine Schwester sowieso schon Bescheid.
So geht die beste Freundschaft, die ich jemals hatte, dahin. Schade drum, aber wie geht dieses Sprichwort? Dummheit muss bestraft werden.
Außerdem geht's mir alleine eh besser. Das mit Chico war nur ein Ausrutscher, ich brauch keine Freunde.
Freunde. Das Wort klingt komisch.
Seit einer ganzen Weile chill ich in der Mittagspause immer auf dem Klo. Ich hab keine Lust, Chico jeden Tag in der Cafeteria zu sehen. Es reichen schon die Stunden, in denen wir zusammen Unterricht haben. Wüsste ich nicht, dass ich fliegen würde, wenn ich meine Fehlzeiten nochmal so strapazieren würde, würde ich einfach schwänzen. Ich hasse mein Leben. Wirklich. Und die Klos stinken so unfassbar widerlich. Ich hab schon öfter überlegt in der Mittagspause einfach raus zu gehen, aber da ist die Wahrscheinlichkeit immer noch zu groß, dass Chico mir nach draußen folgt. Brauch ich nicht. Hier in meiner Kabine kann ich mich einschließen und er kann mir nichts anhaben. Ich muss bei dem Gedanken fast lachen. Meine Kabine.
Die Tür zu den Jungstoiletten öffnet sich und jemand kommt rein. Ich verdreh wie automatisch die Augen und check mein Handy auf neue Nachrichten. Nichts. Ich runzele die Stirn. Vielleicht bin ich ein bisschen enttäuscht. Wenigstens Fonda könnte mir schreiben. Sie hat vor ein paar Tagen damit aufgehört, nachdem sie bemerkt hat, dass ich sie ghoste.
Ein Tritt gegen meine Kabinentür reißt mich gewaltsam aus meinen Gedanken. Was zum-?
"Ich weiß, dass du da drinnen bist", knurrt eine mir nur zu gut bekannte Stimme.
"Das hier ist das Jungsklo", sage ich genervt, verberge meine Überraschung.
"Fick dich. Komm da raus jetzt."
"Nein."
"Wie nein? Ich hab gesagt, du sollst da raus kommen!" Sie hört sich ein bisschen wütend an. Ich muss grinsen.
"Verpiss dich, Fonda."
Noch ein Tritt gegen meine Tür. Die Wände um mich herum wackeln gefährlich. "Ich mein das ernst! Wieso ignorierst du mich seit zwei Wochen? Chico auch! Ihr könnt jeden ignorieren, mir egal, aber nicht mich!" Sie ist wütend, aber ich kann hören wie verletzt sie eigentlich ist. Warte. Chico ignoriert Fonda auch? Mit welchem Recht bitte? Vielleicht hab ich ihn doch unterschätzt. Aber kann es wirklich sein, dass Fonda nichts von dem Ganzen weiß? Ich überlege einen kurzen Moment, einfach nichts dazu zu sagen, aber leider lässt mich das nicht kalt.
Ich öffne meine Tür. Und bekomm direkt 'ne schallende Ohrfeige.
Ich bin so überrumpelt, dass ich den Schmerz nicht mal spüre. Ich blinzle Fonda geschockt entgegen.
"Was zum Fick?", bring ich nach ein paar Sekunden heraus und fasse mir an die Wange. "Wofür war das jetzt?"
Ich schwöre, es gibt nicht Vieles was mich schockt, aber das gerade war definitiv einer zu viel.
Fonda verschränkt stur ihre Arme vor der Brust und reckt ihr Kinn, ihre dunklen Augen glitzern mit Genugtuung. "Das wollte ich schon die ganze Zeit machen", sagt sie.
Ich hebe verständnislos eine Augenbraue. Dann schüttle ich meinen Kopf und dränge mich an ihr vorbei ans Waschbecken, um meine Hände zu waschen. Wie gesagt, die Klos sind verdammt widerlich. "Schön, dass ich weiterhelfen konnte."
Ich beobachte sie durch den Spiegel. Sie stöhnt genervt auf und verdreht die Augen. "Kannst du mich jetzt vielleicht mal fragen, was ich hier mache?"
Das ist eine verdammt gute Frage, wie mir gerade auffällt.
"Was machst du hier?"
"Bisschen mehr Elan bitte."
Ich starre sie durch den Spiegel an. Fonda hält meinem Blick drei Sekunden lang stand, dann wirft sie frustriert ihre Arme in die Luft. "Man, okay!", sagt sie laut. "Ich hab mich aus der Klinik geschlichen, weil du Bastard mir nicht mehr geschrieben hast und Chico auch nicht und ich wusste, dass ich euch wenigstens hier in der Schule finden würde und-"
"Okay, aber wieso wusstest du, dass ich auf dem Klo bin?", unterbreche ich sie.
"Wusste ich nicht. Aber du warst nicht in der Cafeteria und auch nicht-"
Die Tür zu den Toiletten schwingt plötzlich auf und ich dreh mich um und ich würde gerne auf der Stelle kotzen, als mir eisblaue Augen entgegenstarren. Nein.
„Oh super", verdrehe ich angepisst die Augen. „Familientreff, huh?"
Chico starrt mich genau drei Sekunden lang bewegungslos an, bevor sein Blick zu Fonda gleitet und ihm alle Gesichtszüge entgleisen.
„Was zur Hölle-?"
Fonda wird blass. Aha. Hat da jemand Schiss? Ich würd zu gerne noch bleiben und zusehen, wie das Ganze hier endet, aber ich will nicht mit Chico auf so engem Raum bleiben. Ich muss hier weg.
„Chico! Wieso ignorierst-"
„War das deine Idee?", unterbricht Chico seine Schwester und ich bin überrascht, als er mich dabei anschaut. Er redet mit mir?
Wobei gut, okay, ich bin derjenige, der nicht mit ihm redet, aber trotzdem. Er sollte nicht mit mir reden.
„Nope. Aber viel Spaß beim Zurückbringen", antworte ich gelangweilt und gehe.
Ich komme nicht weit. Als ich an ihm vorbei durch die Tür gehe, greift er plötzlich nach meinem Handgelenk.
In mir zieht sich bei dem Kontakt alles zusammen. Ein Flashback spielt sich vor meinem inneren Auge ab. Chico, wie er vor mir sitzt, sein Finger auf meiner Unterlippe. Ich, wie ich in dem Moment komplett braindead meine Hand um seinen Nacken schlinge und ihn küsse. Er, wie er mich zurückküsst. Ein Schauder geht durch meinen gesamten Körper. Ich hasse ihn. So sehr. Es ist schon schlimm genug, dass ich ihn geküsst habe, aber wieso zur Hölle küsst er mich zurück? Er hätte das nicht tun dürfen.
Ich reiße mich von ihm los und funkel ihn wütend an. „Fass mich noch einmal an und du bist tot, Fernández."
Ich hab damit gerechnet, dass er nur perplex zurückstarrt und nichts sagt, aber scheinbar unterschätze ich ihn in letzter Zeit wirklich zu viel. Chico schaut mich noch wütender an, als ich mich gerade fühle. Ich hätte fast weggeschaut. Fast.
„Wenn du nach der Schule nicht zu meinem Auto kommst, bist du tot, Whitham. Ich hab die Schnauze voll. Und du", widmet er sich plötzlich Fonda, die so still war, dass ich sie schon fast wieder vergessen hatte. Ihr Blick schießt hilfesuchend zu mir, aber ich bin ehrlich gesagt zu weit weg von dieser ganzen Situation hier, um noch irgendwas wirklich zu checken. Was hat er gerade gesagt? „Du bewegst deinen Arsch aus diesen scheiß Jungstoiletten und setzt dich in meinen Wagen. Ich fahr dich zurück."
Fonda will gerade etwas erwidern, aber Chico schneidet ihr das Wort ab. „Ich schwöre bei Gott, ein Ton und ich ruf in der Klinik an."
Fondas Mund schließt sich wieder.
„Gut", sagt Chico angepisst.
Ich bin ehrlich, in Fondas Haut will ich gerade nicht stecken. Aber in meiner eigenen um ehrlich zu sein gerade auch nicht.
Diesmal hält mich niemand auf, als ich einfach gehe. Besser so. So kann wenigstens niemand den inneren Kampf sehen, der sich in meinen Augen widerspiegeln muss.
Scheiß Bastard. Wer glaubt er, wer er ist, dass er mir einfach Befehle erteilt?
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