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ELLIOT

Andy Schubert.
Claras Exfreund.
Es gibt keine Person auf dieser gottverdammten Erde, die ich mehr hasse - abgesehen von mir selbst wahrscheinlich.
Wenn es jemanden gibt, der Claras Leben zerstört hat, dann ist es er. Es gibt eine Clara vor ihm, und es gibt die Clara nach ihm, kaum noch ein Schatten der Person, die sie vorher war. Hätte ich mich nicht unmittelbar vor ihrem Tod mit ihr gestritten, hätte ich gedacht, dass er mit Sicherheit was damit zutun hatte. Dabei spielt es keine Rolle, ob er aktiv seine Hand mit im Spiel hatte oder ob es einfach alleine der Gedanke an ihn war, der sie zum Selbstmord getrieben hat - ich hätte ihm die Schuld daran gegeben.
Jetzt weiß ich, dass dieser Bastard kurz vorher noch mit ihr gesprochen hat. Vor nicht einmal einem Jahr hab ich ihm klargemacht, dass er sich von ihr fernzuhalten hat. Zu wissen, dass er sich einen Scheiß daran gehalten hat und zu wissen, dass Clara das auch noch zugelassen hat, macht mich krank vor Wut. Und ich bin wütend. Richtig, richtig wütend.
Seit Tagen kann ich an nichts anderes mehr denken, als ihm den Schädel einzutreten. Ich erzähle Chico nichts davon. Er fragt immer und immer wieder, wer dieser Ex ist und was wir als nächstes machen, aber wenn er wüsste, was Schubert mit meiner Schwester abgezogen hat, würde er endlich die Fresse halten. Und es hilft nicht, dass er ständig wieder nachfragt. Also tue ich das einzig logische - ich gehe ihm aus dem Weg.
Das mit Schubert werde ich alleine klären.
Der einzigen Person, der ich davon erzähle, ist Fonda. In letzter Zeit war ich wieder öfter in der Psychiatrie, was anderes hab ich ohne Chico nicht zu tun.
Fonda und ich sitzen draußen unterm Baum, so wie fast jeden Tag als ich noch hier war. Mittlerweile ist es aber kälter. Der Rauch ihrer Zigarette weht mir ins Gesicht und brennt kurz in meinen Augen. Andere Besucher werfen uns dumme Blicke zu. Wahrscheinlich weil rauchen hier verboten ist. Aber was soll man machen.
„Was ein Arschloch", sagt Fonda angeekelt, als ich ihr erzähle, wie Schubert meine Schwester mit mindestens fünf anderen Mädchen betrogen hat. Eine davon war eine ihrer Freundinnen.
„Das ist nicht mal alles", lache ich ironisch. Ich flippe Asche von meiner Zigarette und nehme einen langen Zug.
„Oh wow", antwortet sie leise. „Da gibt's nicht viel, was schlimmer ist, als betrogen zu werden."
Ich erzähle ihr, wie sie ihn beim letzten Mal dabei erwischt hat. Wie er ihr dann an Allem die Schuld gegeben hat. Wie sie mit ihm schlussgemacht hat und er ihr daraufhin das Leben zur Hölle gemacht hat, indem er Nacktbilder von ihr an sämtliche Freunde geschickt hat. Wie zerstört sie danach war. Wie sie sich tagelang nicht mehr in die Schule getraut hat, wie sie sich immer weiter zurückgezogen hat, bis sie nicht mal mehr aus ihrem Zimmer gekommen ist. Nicht für Freunde, nicht für meine Eltern. Nicht mal für mich. Nicht mal für mich. Ich erzähle ihr, wie ich das Gefühl hatte, sie zu verlieren. Wie scheiße ich mich gefühlt habe, weil ich nichts dagegen tun konnte. Sie hat sich in der Zeit so verändert, dass ich sie teilweise nicht wiedererkannt habe. Wir haben uns nur noch gestritten und angeschrien oder ignoriert. Es war nichts mehr wie vorher.
Und das alles wegen Andy Schubert.
Es gibt wirklich keine Person im ganzen Universum die ich mehr hasse, als Bastard Andy Schubert.
Als das alles raus ist, bleiben wir eine ganze Weile lang still. Fonda weiß nicht, was sie dazu sagen soll, aber das interessiert mich nicht. Nicht wirklich. Es gibt Dinge, wozu man nichts sagen muss. Wo es besser ist, einfach den Mund zu halten und zuzuhören und ich muss sagen, das hat Fonda drauf. Zu wissen, was wann besser ist.
Das kann Chico nicht.
Ich trete meine mittlerweile vierte Zigarette aus und checke mein Handy nach der Uhrzeit. Dabei sehe ich, dass ich eine neue Nachricht von Chico habe. Ich lese sie gar nicht erst.
„Ich weiß gar nicht, warum du überhaupt noch hier sitzt", sagt Fonda plötzlich und schnipst ihre Zigarette weg. „Ich an deiner Stelle hätte diesem Wichser schon längst einen Besuch abgestattet und gefragt, was der in der Nacht von deiner Schwester wollte. Du meintest doch, der studiert hier am College. Dann wird der ja mit Sicherheit auch noch hier irgendwo wohnen."
„Ich weiß, wo er wohnt."
Fonda legt ihren Kopf schief und schaut mich an, als wäre ich hier der Eingewiesene. „Was zur Hölle machst du dann noch hier?"
Ich schaue sie an. Sie hat recht.
Was zur Hölle mache ich hier?

Es gibt nur einen Bus von der Klinik aus, der in die richtige Richtung fährt. Mit der Zeit, die ich noch auf den beschissenen Bus warten musste, dauert es fast eine Stunde, bis ich an meinem Ziel angekommen bin. Ich bin nicht zu ihm nach Hause gefahren. Ich weiß noch, dass er immer im Walmart bei uns um die Ecke gearbeitet hat. Seine Schicht endet gleich. Was genau ich dann mache, wenn er rauskommt, hab ich mir noch nicht überlegt.
Ich lehne mich auf dem leeren Parkplatz an eine der Straßenlaternen und zünde mir eine Zigarette an. Ich warte fünf Minuten. Zehn Minuten. Zünde mir eine neue Zigarette an. Fünfzehn Minuten. Und dann kommt er endlich.
Mit Cap und dieser lächerlichen Walmart-Weste kommt er pfeifend angelaufen. Er merkt eine ganze Zeit lang nicht, dass er nicht alleine ist, weil er nichts besseres zutun hat, als auf sein Handy zu starren. Plötzlich fängt er an zu lächeln und alleine dieser Anblick macht mich so wütend, dass ich ihm hier und jetzt die Zähne ausschlagen will. Wie kann er hier mit einem Lächeln rumlaufen, mit dem Wissen, dass er das Leben meiner Schwester komplett zerstört hat? Ich kann nicht fassen, dass es ihm gut geht und Clara diejenige ist, die unter der Erde liegt.
Erst als er an seinem Auto angekommen ist, bemerkt er, dass er beobachtet wird. Sein Blick schießt hoch und trifft auf meinen. Ich schnipse meine Zigarette weg, befriedigt, dass ich endlich seine Aufmerksamkeit habe.
Sein Gesichtsausdruck sagt mir sofort, dass er weiß, wer ich bin. Sein Mund verhärtet sich. Ist schwer, jemanden zu vergessen, von dem einem Mal die Nase gebrochen wurde, huh?
„Was willst du?", fragt er.
Unfreundlich.
Ein leichtes Lächeln umspielt meine Lippen, als ich auf ihn zugehe. Ich kann sehen, wie er sich aufrechter hinstellt. Als würde mich das in irgendeiner Weise beeindrucken. Er ist nicht viel größer als ich. Vielleicht ein paar Zentimeter. Aber das spielt nichts zur Sache.
„Hey, Schubert. Lange nicht gesehen, huh?", begrüße ich ihn freundlich, im Gegensatz zu ihm gerade eben. Wenigstens hab ich Manieren.
Schubert lehnt sich an sein Auto und rückt seine Cap gerade. „Nochmal. Was willst du?"
Ich verdrehe die Augen. Und ich dachte immer, Small Talk wäre nicht meine Stärke. Sieht so aus, als wäre da jemand noch schlimmer dran als ich.
„Die Nacht, in der Clara gestorben ist. Erinnerst du dich?" Rhetorische Frage, natürlich erinnert er sich. Das sehe ich alleine daran, wie er plötzlich zusammenzuckt.
„Hör zu, mein Tag war heute schon beschissen genug, ich hab-"
Ich unterbreche ihn mit einem Lachen. „Dein Tag war beschissen? Mein ganzes Leben ist beschissen, du Bastard! Was wolltest du in der Nacht von Clara?"
Ich sehe ihn blass werden. Trotz alledem spannt er seinen Kiefer an. „Ich hab nicht mit ihr geredet."
„Lüge", sage ich gelangweilt.
„Ich hab sie an dem Abend nicht mal gesehen!"
„Lüge", wiederhole ich.
Schubert beißt frustriert die Zähne zusammen.
„Du kannst mir erzählen, was du willst, ich weiß, dass du mit ihr geredet hast."
Er nimmt seine Cap ab und fährt sich durch die Haare. Er schaut zur Seite, zerquetscht seine Cap beim Reden fast zwischen seinen Fingern. „Ich wollte mich nur bei ihr entschuldigen. Mehr nicht."
Entschuldigen?", lache ich ungläubig auf. Ich werd noch wütender. „Für was genau? Dass du hinter ihrem Rücken andere gefickt hast? Dass du ihre scheiß Bilder weitergeschickt hast? Oder einfach nur dafür, dass du ihr ganzes verdammtes Leben zerstört hast? Was davon ist es?"
Er schaut mich immer noch nicht an. Ich würde ihn schlagen, wenn er's tun würde. Scheißegal, ob ich ihm nochmal die Nase breche.
„Alles davon", bringt er endlich raus. „Aber es hat eh nichts gebracht. Sie hat mir eine geklatscht und ist gegangen."
Diesmal muss ich wirklich lachen. Ich will das nicht. Aber dann wird mir klar, wie sehr ich Clara dafür liebe und mich trifft wieder mal die Erkenntnis, dass sie das nie wissen wird und ich werde wieder so unglaublich wütend, dass ich glaube, mein Herz explodiert gleich. Clara ist der einzige Grund, warum ich mich nicht auf ihn stürze. Sie hasst es, wenn andere Leute ihre Sachen regeln. Das letzte Mal, als ich ihm die Nase gebrochen habe, ist das Ganze in einem riesigen Streit eskaliert und sie hat mich tagelang nicht mal mehr mit dem Arsch angeguckt. Wenigstens hat sie ihn geschlagen, als sie ihn das letzte Mal gesehen hat. Wenigstens das.
„Wo ist sie hingegangen?"
„Keine Ahnung. Aber einer meiner Kumpels hat sie begleitet, weil sie so aufgebracht war."
„Name."
„Wesley Stewart."
Ich tippe den Namen in mein Handy ein.
„Kann ich jetzt fahren?"
„Du kannst zur Hölle fahren", zeige ich ihm meinen Mittelfinger.
Schubert schüttelt nur mit dem Kopf und dreht sich um, um sein Auto aufzuschließen. Ich hab alles, was ich wissen will und will mich verpissen. Aber dann ertönt seine Stimme nochmal hinter mir.
„Elliot?"
Ich wirble herum und will ihm sagen, was passieren wird, wenn er meinen oder Claras Namen noch einmal in den Mund nimmt, aber dazu kommt es nie.
„Ich hab deine Schwester wirklich geliebt, ehrlich. Clara war das Mädchen, das ich heiraten wollte und ich weiß, dass sie genauso gefühlt hat. Wäre sie nicht gestorben, wären wir jetzt wieder zusammen, das weiß-"
Schubert kommt nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Der ganze Müll war alles, was ich gebraucht habe, um Claras Willen in den Wind zu schießen und ihm so hart ins Gesicht zu schlagen, dass sein Kopf nach hinten gegen das Auto knallt.
Ich bin froh, dass Chico nicht hier ist.

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