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CHICO

Ich wache auf, als jemand laut „Fuck!" schreit. Meine Augen fliegen auf, Sonnenlicht durchflutet das sowieso schon so helle Zimmer. Sobald ich den Balkon sehe, weiß ich wieder, wo ich bin.
Ich bin bei Elliot. Und er war es gerade, der so laut geflucht hat. Ich halte mich an seinem Bett fest und ziehe mich hoch, bevor ich mich noch weiter bewege, lasse ich erstmal meine Wirbelsäule knacken.
Besser. Mein Nacken ist zwar immer noch steif, aber das ist nicht mit dem drückenden Schmerz von gerade eben vergleichbar.
Ich bereue es, auf dem Boden geschlafen zu haben. Aber es ist nicht so, als hätte ich eine andere Möglichkeit gehabt. Hätte ich bei Elliot mit im Bett geschlafen, hätte ich erstens kein Auge zubekommen und zweitens wäre es sowieso gar nicht erst dazu gekommen, weil er mich wahrscheinlich schon längst aus dem Bett getreten hätte.
Und nach Hause fahren war keine Option. Ich hätte Elliot nach dem Scheiß gestern nicht alleine lassen können. Im Leben nicht.
Ich gehe ins Badezimmer und klatsche mir eiskaltes Wasser ins Gesicht, damit ich richtig wach werde. Wie spät ist es überhaupt? Ich hole mein Handy aus meiner Hosentasche. Akku leer. Super.
Ich trotte langsam die Treppe runter nach unten, habe eigentlich keine Lust, Elliot zu suchen. Das Haus ist riesig, ich kenne mich hier nicht aus und was sage ich, wenn ich zufällig auf Elliots Eltern treffe?
Das muss echt nicht sein.
Ich finde ihn in der Küche, oberkörperfrei und vor dem Herd stehend. Irgendwas brutzelt in der Bratpfanne vor sich hin, aber Elliots Aufmerksamkeit liegt auf seinem Zeigefinger, den er mit einem missbilligenden Gesichtsausdruck inspiziert.
Ich bleibe in der Tür stehen, irgendwie noch nicht ganz bereit, ihn bemerken zu lassen, dass ich hier bin.
Es ist das erste Mal, dass ich die Gelegenheit bekomme, ihn anzustarren, ohne dass er es mitbekommt.
Ich frage mich, wie es sein kann, dass er mir in der Schule nie aufgefallen ist. Bin ich wirklich so arrogant und fixiert auf meine Leute, dass ich überhaupt nicht auf andere Menschen achte? Oder liegt es daran, dass Elliot nicht gesehen werden will?
Er ist absolut nicht hässlich. Nicht, wenn er oberkörperfrei vor mir in der Küche steht; nicht, wenn er schläft und seine langen Wimpern Schatten auf sein Gesicht werfen; nicht, wenn er schlecht gelaunt neben mir im Auto sitzt, und ganz bestimmt nicht, wenn er mich mit Tränen in den Augen anschaut und nicht mehr weiß, wie er wieder klarkommen soll.
Er ist wirklich schön. Ich hab schon mal gedacht, dass er aussieht, wie ein Ebenbild Gabriels und das sehe ich auch immer noch so. Die blonden Locken, die ihm mittlerweile über die Stirn fallen, die hellbraunen Augen, die in der Sonne wie zwei goldene Ringe glänzen und die langen Finger, elegant und delikat, als wären sie dafür gemacht, oben im Himmel Harfe zu spielen.
Wie kann ein Mensch aussehen wie ein Engel, aber in Wirklichkeit schlimmer sein als der Teufel?
Ich muss bei dem Gedanken lachen und erst als Elliots Kopf plötzlich hochschießt und er mich anstarrt, bemerke ich, dass ich laut aufgelacht habe.
Ich überspiele mein Unwohlsein, indem ich mich einfach an den Küchentisch setze, als wäre nichts passiert.
„Hast du hier gerade so rumgebrüllt?", frage ich beiläufig, meine Stimme ist noch rau vom Schlaf.
Elliot schaut mich noch eine Sekunde länger an, bevor er mir den Rücken zudreht und sich wieder dem Herd widmet.
„Verbrannt. Scheiß Fett", murmelt er und dreht geschickt die zwei Spiegeleier in der Pfanne um.
Ich stütze mein Kinn in meiner Hand ab und beobachte ihn eine Weile dabei, wie er Frühstück macht. Oder Mittagessen. Ich weiß immer noch nicht, wie spät es ist.
„Elliot?"
„Huh?" Er dreht sich nicht um.
„Wie geht's dir?"
Ich kann sehen, wie sich seine Schultern eine Sekunde lang anspannen. Dann dreht er sich um und meine Aufmerksamkeit liegt auf seinem Gesicht. Ich hab keine Ahnung, was er gerade denkt. Aber das weiß ich nie.
„Hör auf, sowas zu fragen."
Meine Augenbrauen schießen hoch. „Das war eine ganz normale Frage."
„Eine ganz normale Frage, huh", murmelt Elliot, während er sich von mir wegdreht und die Spiegeleier auf einen Teller häuft. Ich will ihm nicht sagen, dass sie meiner Meinung nach ein bisschen zu lange in der Pfanne waren. Vielleicht mag er seine Spiegeleier ja so. „Leute fragen sowas, wenn sie sich Sorgen machen. Ich brauch so einen Scheiß nicht. Ich komm alleine klar."
„Das hab ich gestern gesehen", murmle ich unter meinen Atem.
„Was?", hakt Elliot nach und knallt den Teller auf den Tisch. Seine Augen verdunkeln sich, als er mich anschaut.
Ich weiß genau, dass er mich gehört hat.
„Nichts." Ich reiße mich von seinem Blick los.
„Gut." In seiner Stimme klingt eine Warnung mit und ich lasse das Thema fallen. Nicht, weil ich Angst vor ihm habe oder so. Ich will nur nicht wieder tagelang ignoriert werden.
„Also... Wegen Danielle-", fange ich an, rede aber nicht weiter, als Elliot noch einen Teller holt und vor mir abstellt. "Für mich?", frage ich irritiert.
„Siehst du hier vielleicht noch jemanden sitzen?"
„Nein, aber ich hab eigentlich gedacht, dass du...", ich lasse den Satz unbeendet in der Luft hängen, als ich bemerke, dass Elliot mir gar nicht mehr zuhört, sondern mit seinem Handy beschäftigt ist.
Er hat sich selber keinen Teller geholt. Das heißt, er hat nur für mich Frühstück gemacht. Ich bin einen Moment lang so perplex, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll. Plötzlich fühle ich mich schlecht, dass ich mich gerade noch über die Spiegeleier lustig gemacht habe. Wenn man genauer hinschaut, sind die dunkelbraunen Stellen gar nicht so dunkel. Wenn man genauer hinschaut, sind die Spiegeleier eigentlich perfekt.
„Wegen Danielle", schnappt Elliot meinen Satz nach ein paar Minuten Stille wieder auf, in der ich mich seelenruhig meinem Essen gewidmet habe, „Ich hab rausgefunden, wo sie wohnt. Fahren wir heute hin?"
„Wie hast du das rausgefunden?"
„Instagram."
„Ich dachte, du hast kein Instagram?"
„Du hast Instagram."
„Was hat das damit-", meine Augen werden plötzlich groß, als ich realisiere, was er damit meint. Ich lasse empört meine Gabel auf meinen Teller fallen. „Woher weißt du überhaupt meinen Code?"
Er muss an meinem Handy gewesen sein, als ich noch geschlafen habe. Deswegen ist mein Akku wahrscheinlich auch leer. Arschloch.
Elliot klemmt seine Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger, seine rechte Augenbraue wandert nach oben. „Das war nicht schwer. Du fährst 'nen '69er Chevrolet Camaro SS. 1969."
„Schon mal darüber nachgedacht, beim FBI anzufangen?"
Ich bekomme nur ein mysteriöses Lächeln als Antwort. Ich verdrehe die Augen und esse weiter. Mich pisst es ehrlich gesagt ein bisschen an, dass Elliot meinen Code so schnell herausgefunden hat. Bin ich echt so durchschaubar?
„Und?", frage ich, „Wo wohnt sie?"
„1932 Ranelagh Corner. Das ist in der Nähe von-"
„-der Schule, ich weiß. Also willst du da heute hinfahren? Ist es nicht besser, wenn wir das morgen machen?"
„Warum?"
„Heute ist Sonntag."
„Ist ein Tag wie jeder andere auch."
„Ja schon, aber wir können doch nicht einfach an ihrer Haustür klingeln und sie befragen. Wir sind keine Cops", erinnere ich ihn, falls er das vergessen hat.
„Wir könnten uns fake FBI-Marken basteln", grinst Elliot.
Ich verdrehe die Augen und beende mein Frühstück.

Später am Nachmittag lasse ich Elliot in meinem Wagen vor meinem Haus warten, während ich reingehe, kurz unter die Dusche springe und mich umziehe. Das Ganze hat vielleicht höchstens eine Viertelstunde gedauert, und trotzdem vibriert mein Handy in meiner Hosentasche mit einer Nachricht von Elliot, gerade, als ich meine Autoschlüssel einsammeln wollte.
Wird's noch oder soll ich dir helfen?
Ich weiß, dass er mich nicht sehen kann, also tue ich nichts gegen das Lächeln, das sich auf meine Lippen schleicht.
Es sind Momente wie diese, wo ich mich frage, ob er mit mir flirtet oder ob das einfach nur seine Art ist. Die Antwort werde ich wahrscheinlich nie erfahren. Und selbst wenn er mit mir flirten würde, würde es nichts bedeuten.
„Wo warst du die Nacht?", ertönt die Stimme meiner Mutter plötzlich hinter mir, als ich gerade wieder durch die Haustür verschwinden will.
Ich fluche innerlich und drehe mich um. Ich setze ein einfaches Lächeln auf. „Bei Perry. Haben die Zeit vergessen und ich bin irgendwann eingeschlafen. Sorry", lüge ich. Es fällt mir einfacher, als es sollte.
Meine Mamá betrachtet mich einmal von oben nach unten, dann nickt sie kurzangebunden, ohne die Miene zu verziehen. „Du weißt, dass du wenigstens Bescheid sagen sollst. Wo willst du jetzt hin?"
„Zu Fonda", sage ich ohne zu zögern.
Ein Schatten legt sich über ihr Gesicht, aber mehr als „Bleib nicht zu lange weg, du hast morgen Schule" sagt sie nicht dazu.
Ich verspreche es ihr und verschwinde. Ich hasse es, mit meinen Eltern über Fonda zu reden. Sie reagieren jedes Mal so, als würde meine Schwester nicht existieren und es tut einfach nur weh zu sehen, wie sich meine Schwester und meine Eltern immer mehr entfremden. Fonda ist erst 16. Sie braucht unsere Eltern mehr denn je.
Aber ich weiß, dass reden absolut nichts bringt. Also halte ich den Mund und schaue still und leise an der Seitenlinie zu.
Als ich am Camaro ankomme, sitzt Elliot völlig entspannt auf dem Fahrersitz, die Füße gechillt auf dem Armaturenbrett abgelegt.
Ich beuge mich runter zum offenen Fenster, laute Musik dröhnt aus meinem Radio. Pop Smoke oder so.
„Gemütlich?"
„Schon", antwortet Elliot, ohne die Miene zu verziehen.
Ich schüttele den Kopf und richte mich wieder auf. „Rutsch rüber", befehle ich und öffne die Tür.
„Kann ich-"
„Nein."
„Warum nicht?", fragt er, rutscht aber gleichzeitig zurück auf seinen Platz.
Ich komme mir vor, als würde ich mit einem Kimdergartenkind diskutieren.
„Weil das mein Auto ist, darum. Was ist das eigentlich für scheiß Musik?", bemerke ich plötzlich und werfe einen kurzen Blick auf die Radioanzeige.
„Woah. Das sind jetzt mindestens minus zwei. Das ist Tupac."
Es ist nicht das erste Mal, das ich höre, wie er sowas in die Richtung sagt, aber es ist das erste Mal, das ich ihn frage, was das eigentlich soll. Minus eins, minus zwei, minus drei... Was soll das?
Elliot lächelt nur mysteriös. „Alles was du wissen musst ist, dass du nicht mehr bist."
„Das hört sich an wie irgendeinen Scheiß, den sich Fonda mal wieder ausgedacht hat. Ich bin nicht mehr als was?"
„Als die Summe deiner Teile."
Ich werfe ihm einen kurzen Seitenblick zu. „Als die Summe meiner Teile? Was soll der Quatsch überhaupt bedeuten?"
„Unwichtig."
Ich seufze, belasse es aber dabei. Ich werde nichts mehr aus ihm rauskriegen, egal wie oft ich noch nachhaken werde.
„Wir sind gleich da", sage ich, als wir vor einer roten Ampel zum Stehen kommen, „Weißt du schon, was du sie fragen willst?"
„Wo Clara hingegangen ist, nachdem Sammy sie bei denen stehengelassen hat." Er kurbelt das Fenster runter und der Wind ist einen Moment lang so laut, dass seine Worte darin untergehen.
Ich hab trotzdem halbwegs verstanden, was er mir sagen wollte.
„Und du glaubst, das weiß sie noch? Wenn wir Pech haben, verläuft sich unsere Spur hier im Sand."
„Ich weiß."
„Und dann?"
„Was und dann?"
„Ja, was machen wir dann? Wen sollen wir dann fragen?"
„Keine Ahnung. Irgendjemand anderen von der Liste. Irgendjemand wird sie ja wohl noch gesehen haben."
Ich antworte nicht. Ich weiß nicht, was. Elliot lässt seine Füße aus dem Fenster hängen, sein Kopf nickt leicht zum Beat mit. Er sieht gerade so sorgenfrei aus, dass ich mich frage, was er gerade denkt. Macht ihm das keine Sorgen, dass wir uns eventuell nur im Kreis drehen? Wir können ewig so weitermachen, irgendwelche Leute befragen, die uns wieder zum Nächsten schicken und dann zum Nächsten und zum Nächsten und irgendwann gibt es keinen Nächsten mehr. Wir können uns nicht mal sicher sein, ob wir nicht angelogen werden. Woher sollen wir wissen, ob wir nicht schon jemanden befragt haben, der etwas mit Claras Tod zutun hat? Wir sind keine Cops. Hat irgendjemand was damit zutun, würde derjenige uns mit Sicherheit nicht die Wahrheit sagen.
Das Ganze ist komplizierter, als ich mir das vorgestellt habe. Aber das kann ich Elliot nicht sagen.
Das Haus, indem Danielle wohnt, ist größer als ich gedacht hätte. Wir sind einmal dran vorbeigefahren um zu gucken, wo ich parken kann und alleine beim Vorbeifahren hab ich schon drei Autos in der Einfahrt gezählt. Zwei davon sind dicke BMWs. Da hat jemand ordentlich Geld, wie's aussieht.
Als wir die Treppen zur Veranda hochgehen, merke ich plötzlich, dass Elliot merkwürdig still geworden ist. Ich hätte schon längst irgendeinen Kommentar zu den ganzen Gartenzwergen im Vorgarten erwartet, aber die scheint er nicht mal wirklich bemerkt zu haben. Bevor wir klingeln, drehe ich mich zu Elliot.
„Alles okay?"
Er begegnet kurz meinem Blick, seine braunen Augen geben nicht her, was gerade in ihm vorgeht. „Klar", antwortet er kurzangebunden und drückt auf die Klingel.
Ein melodisches Klingeln, das sich stark nach irgendeinem Werk von Bach (oder irgendeinem anderen Komponisten (was weiß ich schon)) anhört, tönt durch das ganze Haus, kurz darauf folgt ein lautes Bellen und Geschrei, dass jemand doch bitte die Tür aufmachen soll. Kurze Zeit später ertönen Schritte und die Tür wird gewaltsam aufgerissen.
Das Erste, was ich sehe, sind Haare. Die dunkelbraune Mähne des Mädchens füllt fast den gesamten Türrahmen aus, so voluminös ist sie. Hinter den Haaren versteckt sich ein Gesicht mit großen, dunkelbraunen Augen, die vielleicht ganz schön sein können - wenn sie uns nicht so böse anstarren würden. Ich bin kurz davor, einen Schritt zurückzugehen.
„Dir ist schon klar, dass man solche Haare nicht kämmen sollte, oder?", ertönt Elliots Stimme monoton neben mir.
Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist, aber ihre Augen werden noch dunkler. Mit ihren Haaren sieht sie aus, als hätte sie eine riesige Gewitterwolke auf dem Kopf, die uns jeden Moment mit Blitzen abschießt. Vielleicht hätte ich doch einen Schritt zurückgehen sollen.
„Das weiß ich auch, danke", faucht das Mädchen und pustet sich genervt eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich wollte nur wissen, wie- Ist ja auch egal", unterbricht sie sich selbst und sie verschränkt ihre Arme vor der Brust, „Was wollt ihr? Lucas ist nicht zuhause, der ist wahrscheinlich wieder mit irgendwelchen-"
„Ich bin wegen dir hier. Du kennst meine Schwester", unterbricht Elliot sie ziemlich unhöflich.
Das Mädchen - das wohl Danielle sein muss - verzieht keine Miene. „Du machst Witze. Weißt du, wie viele Schwestern ich kenne? Da musst du ein bisschen präziser sein." Sie lehnt sich mit ihrer Hüfte an den Türrahmen, mir schenkt sie keine Aufmerksamkeit mehr. Ich nehme es ihr nicht übel.
„Clara."
Ihre dunklen Augen weiten sich bei dem Namen. Ein leises „Oh" entweicht ihr. Sie betrachtet Elliot einmal von oben bis unten, als würde sie versuchen wollen, Ähnlichkeiten zwischen den beiden Geschwistern zu finden. „Jetzt, wo du's sagst... Du siehst echt ein bisschen aus wie sie. Nicht die Haare, aber das Gesicht. Die Nase, die Augen... Eigentlich kaum zu übersehen."
Ich kann Elliot ansehen, dass er kurz davor ist, die Augen zu verdrehen. Ich habe Bilder von Clara gesehen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie oft er das schon gehört haben muss.
„Tut mir Leid, was passiert ist. Egal, wie sehr ich meinen Bruder manchmal hasse, aber ich kann mir nicht vorstellen, was ich tun würde, wenn ihm was passiert. Was kann ich für dich tun?"
„Du warst an dem Abend auf der Party."
Danielle runzelt etwas perplex die Stirn, hat wahrscheinlich nicht mit so einer Aussage gerechnet. „Ja?"
„Kannst du dich noch an den Moment erinnern, als du mit Olivia und Leo getrunken hast und Sammy Clara plötzlich bei euch abgestellt hat?"
Die Falte auf ihrer Stirn vertieft sich. „Weißt du eigentlich, wie viel ich an dem Abend getrunken habe?"
„Kannst du dich daran erinnern oder nicht?", fragt Elliot ungeduldig.
Danielle seufzt und schaut an Elliot vorbei in den Garten. „Vage. Aber sie war nicht lange bei uns. Ihr Ex kam plötzlich und wollte mit ihr reden. Der Typ sah ziemlich aufgelöst aus, wenn du mich fragst. Und betrunken. Ich hab gesagt, sie soll's lassen", zuckt sie mit den Schultern, „Aber sie ist trotzdem mitgegangen. Das war das letzte Mal, dass ich sie an dem Abend gesehen habe."
Ich merke sofort, dass sich etwas in Elliots Blick verändert. Andere hätten das vielleicht nicht bemerkt, aber ich kann es sehen. Seine Augen sind kalt.
„Das ist alles?", hakt er nach, seine Stimme ein kleines bisschen tiefer als sonst. Die Bemerkung mit dem Exfreund scheint etwas in ihm ausgelöst zu haben.
„Wie gesagt, ich war echt besoffen an dem Abend. An viel mehr kann ich mich nicht erinnern. Tut mir leid", erwidert sie und wenn ich mich nicht täusche, schimmert ein Funken Mitleid in ihren Augen.
Elliot dreht sich einfach um und geht. Ich bin eine Sekunde lang zu überrascht um irgendwas zu sagen, dann sprinte ich ihm hinterher und rufe an Danielle gerichtet ein „Danke" über die Schulter. Ihre Antwort höre ich nicht mehr, stattdessen fliegt die Tür wieder zu.
Nicht einmal bei der Hälfte des Weges zum Auto hole ich Elliot ein. Ich packe ihn am Arm, um ihn zu stoppen. Zu meiner Überraschung bleibt er wirklich stehen. Seine rechte Augenbraue hebt sich und ich lasse seinen Arm wieder fallen, als ich bemerke, wie komisch das ist.
„Alles okay? Wer ist dieser Exfreund?", sprudelt es aus mir heraus.
„Wieso musst du eigentlich immer fragen, ob alles okay ist? Selbst wenn du siehst, dass nichts okay ist?" Elliot schreit mich nicht an, aber es fühlt sich an, als hätte er es getan. Ich weiß einen Moment lang nicht, was ich sagen soll und bevor ich die richtigen Worte finden kann, läuft er einfach weiter.
„Tut mir leid", sage ich wenig später im Auto. Wir sind noch nicht losgefahren und die Stille liegt schwer in der Luft.
„Wofür entschuldigst du dich?", erwidert er, seine Tonlage viel zu ruhig. Ich hasse es, wenn er so ist. Wenn er so ist, habe ich das Gefühl, ich wäre ihm völlig fremd, nur der Bauer in seinem Schachspiel, der vielleicht jetzt gerade in diesem Zug nützlich ist, den man später aber ohne Weiteres opfert.
„Weiß ich nicht", antworte ich ehrlich.
„Dann tu's nicht. Ich hasse es, wenn Leute solche Worte ohne Grund benutzen. Irgendwann sind sie so ausgelutscht, dass sie an Bedeutung verlieren."
Elliot macht das Radio an und dreht die Musik bis zum Anschlag auf, bevor ich irgendwas erwidern kann.
Wahrscheinlich ist genau das der Grund.

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