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CHICO
Es ist das erste Spiel in dieser Saison, das wir gewinnen. Das Publikum auf den Tribünen tobt, die Band spielt unsere Hymne, Jungs rennen fast nackt und mit Kriegsbemalung auf ihren Oberkörpern quer über den Platz. Sasha wirft mich fast um, als sie sich mit einem strahlenden Lächeln um meinen Hals wirft.
Wow. Dieses Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr.
Seh ich aus, wie 'n Glücksbringer?, hat Elliot gesagt. Er sieht vielleicht nicht aus wie einer, aber er funktioniert definitiv wie einer.
Ich scanne die Tribünen mit meinem Blick ab, der ganze Tumult um mich herum rückt in den Hintergrund. Da sitzt er. Eingequetscht zwischen brüllenden Juniors, seltsam desinteressiert in der tobenden Menge, sein Blick auf seinem Handy fixiert, die blonden Locken glänzen golden in der Sonne. Man sieht auf dem ersten Blick, dass er da nicht hingehört.
Ich habe keine Ahnung, wie ich es geschafft habe, ihn zu überreden, aber da sitzt er und wir haben gewonnen.
Mein Gesicht tut weh, weil mein Lächeln so groß ist. Ich wünschte, Fonda hätte das Spiel auch gesehen.
Dann wäre alles perfekt.
Später in den Umkleiden wird gefeiert, als hätten wir gerade die Meisterschaften gewonnen. Irgendjemand hat Bier mitgenommen und ein paar Leute duschen sich damit, laute Musik dröhnt aus einer Bluetoothbox. Ich ducke mich rechtzeitig weg, bevor mir jemand das Bier über die Haare gießen kann. Stattdessen kriegt das der hinter mir ab.
Ich beeile mich, mich abzuduschen und anzuziehen. Ich will Elliot draußen nicht verpassen. Wie ich ihn kenne, läuft der gleich einfach alleine nach Hause.
Ein paar Spieler schreien mir hinterher, als ich die Umkleide verlasse, aber das wird schnell von Gelächter übertönt, als die Tür hinter mir zufällt.
Draußen sehe ich ihn nicht sofort. Ist er schon gegangen? Wir haben nicht abgemacht, dass wir uns nach dem Spiel sehen, aber ich habe eigentlich gedacht, dass wir uns danach weiter mit Danielle beschäftigen. Wir wissen, wie sie mit Nachnamen heißt und wo sie arbeitet, also haben wir unsere nächste Spur. Scheiße ist nur, dass heute Samstag ist und sie heute wahrscheinlich nicht arbeitet. Aber das heißt nicht, dass wir nicht versuchen können, noch mehr über sie herauszufinden, oder?
Ich entdecke ihn schließlich an meinem Auto lehnend, eine Zigarette hängt zwischen seinen Lippen. Er sieht mich und zieht eine Augenbraue hoch.
„Deine Haare sind nass", kommentiert er trocken und wirft die Zigarette auf den Boden.
Ich weiß nicht warum, aber ich bin ein bisschen enttäuscht.
Es fängt an, zu regnen.
Ich beeile mich, Black Jack aufzuschließen und lasse mich in den kühlen Ledersitz fallen, der Wagen ruckelt ein bisschen, als Elliot die Beifahrertür zuknallt.
Es ist einen Moment lang still, der Regen prasselt gleichmäßig auf das Dach und bringt meine Stimmung ein bisschen runter. Komisch. Gerade eben noch war ich so glücklich wie schon lange nicht mehr und kaum sitze ich mit Elliot im Auto, ist es, als läge sich ein Schatten über meine Laune. Ich wüsste gerne, woran das liegt. Wahrscheinlich gibt Elliot immer so schlechte Laune ab, dass man neben ihm nicht glücklich sein kann.
„Hast du das Tor gesehen? Das letzte?", frage ich in die Stille hinein. Ich habe das letzte Tor gemacht. Ich glaube, das war das beste Tor, was ich jemals erzielt habe. Ich hab drei Spieler des anderen Teams alleine ausmanövriert. Nichts krasses wahrscheinlich, aber es hat sich echt gut angefühlt. Alleine wenn ich daran denke, schießt mir wieder Adrenalin durchs Blut.
Elliot gibt einen zustimmenden Laut von sich. Keinen Kommentar dazu, keine vernünftige Antwort, nichts. Ich dachte, gerade eben wäre ich enttäuscht gewesen, aber das ist nichts im Vergleich dazu, wie ich mich jetzt fühle.
Hat er das ganze Spiel über nur auf sein Handy geguckt?
Ich starte den Motor und fahre vom Parkplatz runter. Ich weiß nicht mal, wo ich jetzt hinfahren soll.
Gerade als ich die Musik aus dem Radio lauter drehen will, um die Stille zu übertönen, fragt Elliot, „Fährst du mich zu Fonda?"
Meine Hand hält mitten in der Luft inne. „Zu Fonda?" Ich nehme meine Hand wieder zurück. „Warum willst du jetzt zu Fonda?"
„Ich muss mit ihr reden."
„Jetzt? Du kannst auch mit mir reden."
Ich spüre Elliots schweren Blick auf mir. „Nicht darüber."
„Wieso nicht? Vertraust du mir nicht?" Ausgesprochen hört sich die Frage dümmer an, als sie klingen soll.
„Das hat nichts mit Vertrauen zutun", schnaubt er.
„Mit was sonst?" Ich bin angepisst. Ich merke das. Ich hasse den Gedanken, dass er lieber mit Fonda reden will, als mit mir. Ich dachte, wir wären mittlerweile sowas wie Freunde. Vielleicht nicht unbedingt Freunde, das fühlt sich komisch an. Aber sowas in der Art.
„Es geht um dich", sagt er direkt. Er hat nicht mal gezögert.
Ich bekomme sofort ein ungutes Gefühl im Magen, das ich nicht erklären kann. „Um mich? Wenn's um mich geht, kannst du auch mit mir darüber reden. Du brauchst meine Schwester nicht mit reinziehen, wenn du ein Problem mit mir hast."
„Ich hab kein Problem mit dir", sagt Elliot sofort, seine Stimme klingt genervt. Er ist genervt? Ich bin genervt!
„Offensichtlich ja schon", lache ich freudlos und fahre mir aufgebracht durch die Haare. Wenn er ein Problem mit mir hat, warum hat er dann nicht schon eher den Mund aufgemacht? Warum dann diese Detektivspielchen, warum dann überhaupt mit zum Spiel kommen?
„Ich hab kein Problem mit dir", wiederholt er nochmal, diesmal betont er jedes Wort. Ich will ihm nicht glauben, aber wenn Elliot eines ist, dann ehrlich. Auch wenn's manchmal schmerzhaft ist. Genau deswegen verstehe ich das hier gerade nicht.
„Was ist es dann? Es geht um mich, also sag's mir einfach."
„Bist du schwul?"
Die Frage kommt so unerwartet, dass ich aus Reflex auf die Bremse getreten hätte, wenn wir nicht schon vor einer roten Ampel stehen würden. Ich spüre Elliots intensiven Blick auf mir und mir weicht prompt sämtliche Farbe aus dem Gesicht, ohne dass ich was dagegen tun kann. Ich starre so fest auf das Lenkrad, dass meine Sicht leicht verschwimmt, meine Hände krampfen sich um das Leder.
Schwul? Wieso fragt er das? Habe ich irgendwas gemacht oder gesagt, das in die Richtung deuten würde? Ich bin nicht schwul. Ich hab schon mit zwei Mädchen geschlafen, hatte eine Freundin (zwar nur für zwei Monate, aber immerhin). Ich kann nicht schwul sein. Mädchen. Ich stehe auf Mädchen.
Die Ampel schaltet grün, ich trete das Gaspedal durch, die Frage hängt immer noch unbeantwortet in der Luft und macht sie noch schwerer. Es wird plötzlich unerträglich warm im Auto. Ich brauche Luft. Ich kurble das Fenster ein Stück herunter.
Erst als ich den Wind und den leichten Nieselregen auf meiner Haut spüre, kann ich antworten. „Nein."
„Gut", antwortet er nur.
Gut? Ich werfe Elliot kurz einen Blick zu, aber er starrt bloß aus dem Fenster und ich kann sein Gesichtsausdruck nicht sehen.
Was ist daran gut?
Gut für mich oder gut für ihn?
Ich wünschte, ich könnte sein Gesicht sehen.
„Darüber wolltest du mit Fonda reden? Wieso?" Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nicht so sehr eine Antwort gewollt, wie diese.
„Weil ich mir nicht sicher war", zuckt Elliot mit den Schultern. Ich bin überrascht darüber, dass er kein Problem hat, darüber zu reden.
„Ob ich schwul bin? Tut mir leid, aber bin ich nicht", sage ich, meine Stimme wird zum Ende hin leiser.
„Wieso tut's dir leid?" Ich kann im Augenwinkel sehen, wie er die Stirn runzelt.
„Weiß nicht", zucke ich mit den Schultern, ein unangenehmes Kribbeln fährt über meinen Rücken. „Vielleicht weil du auf Typen stehst."
„Du denkst, ich steh auf dich?" Elliot lacht plötzlich auf und ich schäme mich auf einmal so sehr, dass ich aus dem Auto springen will. Vielleicht war der Gedanke da, aber jetzt, wo er ihn ausgesprochen hat, klingt er so dumm und absurd, dass ich nicht glauben kann, das überhaupt gedacht zu haben. „Ich könnte dich immer noch jedesmal schlagen, wenn ich dich sehe. Ich tu's nur nicht, weil ich dich heile brauche."
„Du glaubst also, dass wir nach der ganzen Sache nichts mehr miteinander zutun haben werden? Nachdem wir rausgefunden haben, was mit deiner Schwester passiert ist?"
„Ob ich das glaube?", wiederholt er spöttisch und der scharfe Ton in seiner Stimme tut überraschenderweise ein bisschen weh, „Ich weiß das. Du gehörst zu deinen Lacrosse-Leuten. Nicht zu mir."
„Ich kann selbst entscheiden, wo ich hingehöre", knurre ich leise und wundere mich im nächsten Moment, wo das so plötzlich herkommt.
„Hast du schon längst", sagt Elliot und als ich kurz zu ihm herüberschaue, liegt sein Blick auf meiner Collegejacke mit dem Logo unseres Teams auf meiner Brust.
Wenn er nur wüsste, wie schwer sich der Stoff plötzlich auf meinen Schultern anfühlt.
Ich seufze schwer. „Können wir über was anderes reden? Hast du Hunger? Willst du irgendwas essen?" Normalerweise ändert sich seine Stimmung danach sofort.
Elliot lehnt seinen Kopf nach hinten. „Das einzige was ich will, ist eine Aspirin."
„Hast du immer noch Kopfschmerzen?", frage ich etwas überrascht. Es ist mittlerweile Spätnachmittag, normalerweise sollte sein Kater schon längst verschwunden sein.
Er antwortet nicht.
„Wir könnten zu mir nach Hause fahren, ich hab noch welche", biete ich ihm an, auch wenn der Gedanke ihn in meinem Haus zu haben, ein komischer ist.
Elliot nickt und sagt die Fahrt über nichts mehr.
„Hier", sage ich und stelle Elliot ein Glas Wasser mit einer Aspirin vor die Nase. Wir sind bei mir in der Küche, meine Eltern sind zum Glück nicht zuhause. Es ist jetzt nicht so, dass ich keine Freunde mit nach Hause nehmen darf, aber bei Leuten, die meine Eltern nicht kennen, folgen danach immer haufenweise Fragen, die ich bei Elliot nicht unbedingt beantworten will oder auf die ich keine Antwort habe.
Elliot legt die Tablette ohne ein Wort auf seine Zunge, legt den Kopf in den Nacken und spült sie mit dem Wasser runter. Er verzieht sein Gesicht ein bisschen und ich weiß nicht, ob es an der Kohlensäure im Wasser oder an dem Geschmack der Aspirin liegt. Vielleicht auch beides. Ich lehne mich mit dem Rücken an die Kücheninsel und verschränke meine Arme vor der Brust.
„Willst du immer noch zu Fonda?", frage ich mit Blick auf die Uhr an der Wand, „Dann müssen wir da jetzt hin, in einer Stunde sind die Besucherzeiten vorbei."
„Lohnt sich nicht mehr", antwortet er.
Ich überlege kurz. Heute Abend findet eine Hausparty bei einem Typen aus meinem Team statt und eigentlich will ich (oder besser gesagt muss ich) dahin. Ich weiß, dass Elliot aus was für Gründen auch immer eine Abneigung gegen die Leute hegt, aber da sind auch noch andere Leute aus dem Jahrgang und vielleicht hat er ja Lust, mitzukommen. Und außerdem ist heute Samstag. Was soll er sonst schon anderes zutun haben?
„Willst du nachher mit zu Vincent?" Er hat bestimmt schon von der Hausparty gehört. Selbst wenn er beim Spiel nur auf sein Handy geschaut hat, muss er andere Leute darüber reden hören haben.
Elliot schaut auf, eine seiner Locken fällt ihm über die Stirn. Er tut nichts, um sie wieder wegzuschieben.
„Kann ich fahren?"
Ich muss lachen. „Auf keinsten." Niemand fährt Black Jack außer ich.
„Dann nur, wenn wir gehen, wenn ich kein Bock mehr habe."
„Deal."
Das war leichter, als ich gedacht habe. Mir kommt plötzlich ein Gedanke, der mich mehr trifft, als mir lieb ist: was ist, wenn er es genauso mag, mit mir abzuhängen, wie ich es mit ihm tue?
Wenn das so ist, dann würde das alles verändern. Ich kann nicht erklären warum, aber das würde es.
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